Donnerstag, 31. Januar 2013

Wir fallen zurück.


Als Herr Gysi in den 1990er Jahren im Bundestag saß und über Lauschangriff, Einschränkung des Asylrechts und Videoüberwachung diskutiert wurde, trat er einmal ans Rednerpult und stellte fest, in seiner bundesrepublikanischen Zeit hätten sich 100% der Gesetzesentwürfe zu den Bürgerrechten nur mit der EINSCHRÄNKUNG derselben beschäftigt. 
Noch nie sei es um die Ausweitung von Bürgerrechten gegangen.

Hihi, da war aber was los.
 Den Konservativen ist fast der Kopf geplatzt vor Empörung.
Bebend vor Wut deklinierten sie ihre Gysi-Konnationsliste runter:
„Stasi, SED, Kommunismus, Überwachungsstaat,…“
Die Vorwürfe kämen ja gerade von der richtigen Seite!

So ist das eben in Bundestagsdebatten. 
Daß Gysi RECHT HATTE, mit dem was er sagte, spielte keine Rolle, weil es eben der Falsche war, der es sagte.

Besser geworden ist es nicht seitdem.
Dazwischen waren noch die Antiterrorgesetze, Innenminister Schäuble, Bundestrojaner, Zensursula, großflächige Videoüberwachung in allen Innenstädten, Nacktscanner, verschärfte Abschiebungen etc pp.

Bürgerrechtlich betrachtet nähern wir uns Russland und China an.

Eine kleine Ausnahme gibt es bei den Homorechten, die von RotGrün ein bißchen angehoben wurden (aber nicht etwa auf das Hetero-Niveau).
Eine gewisse Christin namens Angela Merkel ging auf Fundamentalopposition, klagte gegen die „Homoehe“ und stellt sich auch 2013 hartnäckig gegen Steuersplitting und Adoption für gleichgeschlechtliche Paare.

Anderswo geht man in eine andere Richtung.

Norwegen ließ sich demonstrativ nicht von Herrn Breivik ins Bockshorn jagen und verteidigte nach Utøya ostentativ seine pluralistische, multikulturelle und offene Gesellschaft.

Und dann ist da noch Island.
 Island liebe ich natürlich sowieso.
Nicht wegen der blöden Elfen- und Trolle-Assoziationen, sondern wegen der Natur, wegen des Klimas, wegen der Musik, wegen der Kultur und wegen der Extravaganz der Bewohner.

Als die Isländischen Banken 2007/2008 unter Zudrückung aller Augen der Regierung das ganze Land in den Ruin führten, machten die Bürger Putz. Aber ernsthaft!
Sie gingen nicht nur auf die Straße, sondern wurden so energisch, daß sie gleich mal die gesamte Regierung zum Teufel jagten und die sozialistische Lesbe Jóhanna Sigurðardóttir zur Ministerpräsidentin bestimmten. 
Die Banken wurden verstaatlicht. 
  In der Hauptstadt Reykjavík (dort leben 40% der Gesamtbevölkerung Islands) wurde die anarchistische „Spaßpartei“ Besti flokkurinn (die beste Partei) stärkste Kraft. Ihr Initiator, der Komiker, Musiker und Schriftsteller Jón Gnarr wurde Bürgermeister.
 Das Parteiprogramm der Besti flokkurinn hatte überzeugt:
1. Offene statt heimliche Korruption. 2. Kostenlose Handtücher für alle Schwimmbäder. 3. Ein Eisbär für Reykjavíks Zoo.
Und es funktioniert!
Mit Island geht es nicht nur bergauf, Island steht weltweit an der Spitze des Human Development Index (HDI).

Gestern beschloß das Isländische Parlament die Gleichstellung für säkulare Verbände und ist damit dem christlich indoktrinierten, antihumanistischen deutschen Parlament um Lichtjahre voraus.
 Als einen historischen Wendepunkt bezeichnete Hope Knutsson, Präsidentin des humanistischen Verbandes Sidmennt, den jüngsten Beschluss des isländischen Parlaments, den säkularen Verbänden den Weg zur Gleichberechtigung mit den Kirchen und anerkannten Religionsgemeinschaften zu bahnen.
Dem neuen Gesetz nach ist es für nichtreligiöse Weltanschauungsgemeinschaften nun möglich, auf Antrag die rechtliche Gleichstellung zu erhalten. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit, rechtlich wirksame Trauungen vorzunehmen und Zuschüsse aus dem öffentlichen Haushalt für die eigene Arbeit zu erhalten.

Von den internationalen Dachverbänden und in anderen europäischen Ländern wurde das Ereignis begrüßt. Sonja Eggerickx, Präsidentin der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union, gratulierte den Mitgliedern von Sidmennt und sagte, der isländische Verband nehme eine aktive Rolle in der Arbeit für einen Wandel wahr.  „Sie reden nicht nur über Humanismus und verweisen auf Vorfälle der Diskriminierung, sondern betreiben aktiven Lobbyismus, arbeiten mit den Parlamentariern und anderen an der Reform der Gesetze im Sinne der Gleichstellung.“
 (Diesseits 31.01.13)