Natürlich
bleibe ich dabei, daß wir „Westler“ heuchlerisch mit Todesopfern umgehen.
[…] Erschütternde Bilanz der italienischen
Marine: Sie barg aus dem Wrack eines im Mittelmeer gesunkenen Flüchtlingsboots
insgesamt 675 Leichen.
[…]
Nun ist klar, dass mindestens 845
Menschen ums Leben kamen. Damit ist das Kentern des Schiffes eines der bislang
schlimmsten Flüchtlingsunglücke im Mittelmeer.
Das
Mittelmeer ist aber weit weg und Afrikaner triggern ohnehin nicht die
Empathie-Knöpfe der Deutschen.
Hauptsache
die Flüchtenden sterben woanders.
Die viel
beschworenen Fluchtursachen sind zwar dramatischer denn je, aber wen kümmert
es, wenn wir mit einer Verdoppelung deutscher Rüstungsexporte in den Nahen
Osten Milliarden verdienen und die mit den Waffen Bedrohten es nicht bis nach
Deutschland schaffen?
Bundesinnenminister
de Maizière sonnt sich in seinem Erfolg.
"Wir sehen daran,
dass die Maßnahmen auf deutscher und europäischer Ebene greifen." Der
Innenminister fügte hinzu: "Die Flüchtlingskrise ist zwar nicht gelöst.
Aber ihre Lösung kommt in Europa gut und in Deutschland sehr gut voran."
Wissend,
daß außerhalb Europas noch mehr Menschen durch Terror und Gewalt umkommen, muß
ich zugeben, daß auch ich anders empfinde, wenn sich so eine Horrortat wie
gestern Abend in Nizza dort abspielt, wo ich selbst schon gewesen bin. Die Promenade
des Anglais bin ich auch schon entlang gegangen.
Heute
staune ich aber auch, wieder einmal, über die Dümmlichkeit der
Profi-Kommentatoren aus Politik und Journalismus.
Im
ZDF-Special fragte die Moderatorin besorgt „ein Auto als Waffe – ist dem IS
etwa jedes Mittel recht?“
Soll das
eine rhetorische Frage sein?
Ja, das ist so, du Dussel. Es geht darum spektakulär zu sein und möglichst viele zu töten.
Ja, das ist so, du Dussel. Es geht darum spektakulär zu sein und möglichst viele zu töten.
Im ARD-Brennpunkt
hieß es dann „ausgerechnet am
französischen Nationalfeiertag…“
Wieder
so ein Nonsens-Satz.
Wären an
irgendeinem anderen Tag 84 Menschen brutal von einem LKW zerquetscht worden,
könnte man es als „halb so wild“ ansehen?
Premier Manuel
Carlos Valls sprach von dem „aufgezwungenen Krieg“, in dem sich sein Land
befinde.
Der Unglückswurm François Hollande tut mir Leid. Was soll man als
Präsident auch sagen, wenn das Land zum wiederholten Mal Schauplatz eines
Mega-Attentats wird, man natürlich keine
absolute Sicherheit garantieren kann, aber Sicherheit das ist, was sich
alle wünschen?
"Präsident
Hollande verlängerte den Ausnahmezustand im Land, der am 26. Juli hätte enden
sollen, um drei Monate. Zusätzliche Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Zudem
kündigte Hollande eine Verstärkung der französischen Aktivitäten im Irak und in
Syrien an.
Charlie
Hebdot, Bataclan, Brüssel – die Attentäter waren jeweils Europäer; in
Frankreich oder Belgien geborene Menschen.
Was soll
da eine Verstärkung der Bombardements in Syrien helfen?
Fehlt
nur noch, daß Merkel wieder von „gottlosen Terroristen“
spricht, wenn es um fanatische Religiöse geht.
Noch
dümmer der Tweet der größten deutschen Polit-Lügnerin Frauke Petry, die Nizza zum
Anlass nimmt Grenzschließungen zu fordern.
Unglaublich
dämlich. Was sollen geschlossene Grenzen nutzen, wenn die Attentate in Amerika
von Amerikanern, in Frankreich von Franzosen, in Belgien von Belgiern begangen
werden?
Klar,
daß Donald Trump die Doofheit auf die Spitze trieb.
Während
die ersten Meldungen aus Nizza herein kamen, saß der GOPer gerade bei Bill „O’Reilly’s
Fox News white power hour“ und tat dem IS den Gefallen den Krieg zu erklären,
obwohl noch nichts über den Täter bekannt war.
O’Reilly, Trump Declare World War III Over Nice Attack.
In the wake of what appears to be a terrorist attack in Nice, France
that has left 84 people dead, Republican presidential nominee and reality show
star Donald Trump postponed his veepstakes announcement tomorrow and called
into Bill O’Reilly’s Fox News white power hour to declare war on…well, on
whoever is at fault.
O’Reilly was eager to declare a clash of civilizations, repeating his
assertion that a “World War” was in progress three times before asking Trump
whether he would request a declaration of war on the Islamic State. Of course
Trump would do that:
“This is war! If you look at
it this is war coming from all different parts, and frankly it’s war, and we’re
dealing with people who don’t wear uniforms.”
Was
Mohamed Lahouaiej Bouhlel dazu trieb den Monsteranschlag zu verüben, ist noch
nicht geklärt, wird vielleicht nie geklärt.
Es
spricht aber einiges dafür, daß er keineswegs in das Bild des bösen Syrers
passt, der sich als Flüchtling getarnt nach Europa einschleicht, um Terror zu
verbreiten.
Ähnlich
wie Omar Mateen, der sogar Amerikaner war, lebte Bouhlel schon viele Jahre in
Nizza. Beide hatten Jobs. Beide handelten wohl eher nicht im direkten Auftrag
des IS, sondern waren mutmaßlich bloß riesengroße Arschlöcher mit
Gewaltphantasien und dem psychiatrischen Drang Amok zu laufen.
Abartigkeiten,
die man sich selbst viel besser eingestehen und in die Tat umsetzen kann, wenn
man sich das IS-Mäntelchen umhängt und möglichst viele Todesopfer als „etwas Gutes“
umdefiniert.
Denn je
mehr „Ungläubige“ (also alle, die nicht strenggläubige Sunniten sind) man
tötet, desto glücklicher Allah und umso schöner hat man es im Märtyrerparadies
mit seinen 72 Jungfrauen.
Ob die
beiden das wirklich glaubten oder psychiatrische Fälle waren, macht für die
Opfer allerdings keinen Unterschied.
Nicht
nur in Orlando mussten wir feststellen, dass die Wirklichkeit komplizierter
ist. Dass wir es immer wieder auch mit Einzeltätern zu tun haben, Kriminellen,
Frustrierten oder auch psychisch Kranken, die nichts, aber auch gar nichts mit
dem organisierten Terrorismus von "Islamischem Staat" oder Al Quaida
zu tun haben. Täter, die sich allenfalls als Nachahmer eines falsch
verstandenen, tödlichen Heldentums glorifizieren wollen. Und dafür Applaus
bekommen von den organisierten Mörderbanden des IS.
Hauptziel
des IS ist es einen Keil in die europäischen Gesellschaften zwischen Muslimen
und Christen zu treiben.
Der IS
will Medienaufmerksamkeit, da die Faszination des Terrors ihm neue Kämpfer
zuführt und er will den Westen/die Ungläubigen/die Kreuzritter in einen großen
Krieg verwickeln, um alle Sunniten weltweit aufzuhetzen.
Petry,
Trump und Co scheinen dem IS zuarbeiten zu wollen.
Sie
wollen unsere Gesellschaft genau im Sinne des Daesh auf scharf anti-islamischen
Kurs bringen, denn auch sie profitieren von Krieg und Terror.
So
gewinnen sie demoskopisches Kapital und damit Macht.
Scheinbar
sind wir als westliche Gesellschaft unfähig radikal-religiotischer Raserei nicht auf
den Leim zu gehen.
Die Show, die machen
die Mörder. Wir sind Zuschauer und Mitspieler zugleich, die meisten
unfreiwillig, manche mit Absicht. Und das, wo sich die Anschläge der
Terroristen auf das World Trade Center in New York bald zum 15. Mal jähren.
Wohl nicht einmal die Regisseure des Undenkbaren hatten sich damals in ihren
kühnsten Träumen ausgemalt, wie perfekt ihre Saat des Terrors aufgehen würde.
[…]
Eine gelungene Darbietung – aus Sicht der
Terroristen. Sie bereitete die Bühne erst für das, was sie ursprünglich selbst
als Erfindung enthalten hatte: Die erste wirklich globale Terrorbewegung, Isis,
Isil, IS, Daesh, oder wie man die Fanatiker mit Fans und Mitstreitern aus aller
Welt sonst nennen soll. Die Bande ist im Töten genauso unheimlich effizient wie
in Public Relations. Keine
Organisation, keine Regierung der Welt weiss ihre eigenen Strategien und
Aktionen wirkungsvoller zu inszenieren als die PR-Profis der Todes-Sekte. […]
Das Blut der Opfer klebt nicht nur auf
der Promenade des Anglais in Nizza. Es gerinnt in jedem Facebook-Feed, jeder
Zeitung, jedem Chat, jeder Rede. So wird auch die jüngste grauenhafte
Vorstellung in Europa zum Erfolg, indem sie ihren Zweck erfüllt: Sie verbreitet
Angst, arbeitet an der Zerstörung der offenen Gesellschaft, ihrer Spaltung, und
sie provoziert Gegengewalt im Kleinen wie im Grossen, lokal und international.
Der
Begriff „war on Terror“ ist immer noch genauso falsch und irreführend, wie er
2001 war, als Blitzbirne Bush ihn erfand.
Wir
befinden uns aber in einem Kampf der Bilder und der Internetpropaganda.
Wir
sollten den 40-50% arbeitslosen Jugendlichen in französischen Banlieues (und
weiteren Gegenden Südeuropas) lieber dringend mal gute Jobs und damit
Perspektiven verschaffen, statt das Militär aufzurüsten und der Austerität zu
huldigen.
Gestern
Nacht, als die Meldungen aus Nizza eintrudelten, fand ich einen Tweet, der mich
beeindruckte:
Carsten Pilger @CarstenP 21 Std.Vor 21 Stunden
Carsten Pilger hat
Police Nationale retweetet
Die französische
Polizei fordert das, was gute Journalisten eh tun: keine Bilder des Verbrechens
verbreiten.
Police Nationale
@PoliceNationale
[#Nice] Par respect pour les victimes et leurs familles, ne contribuez
pas à la diffusion de photos ou de vidéos des scènes de crime #Nice06
Das wäre
doch was.
Statt
dem Kalifat den Gefallen zu tun völlig hysterisch zu werden, die PR-Bilder von
IS-Taten zu verbreiten , könnten wir doch auch trauern und vernünftig sein.
Wie wäre
es, wenn man nur in gesprochener und schriftlicher Form aus Nizza berichtete,
keine bewegten Bilder und keine Fotos des Grauens weiterverbreiten würde?
Das
zeigte den Opfern Respekt und nähme dem IS seinen Propagandaerfolg.
Ohne die
Horrorbilder würden sich auch womöglich weniger „einsame Wölfe“, pathologische
Irre und Nachahmungstäter aller Art animiert fühlen ebenfalls „berühmt“ zu
werden.
Aber
dann schaltete ich doch CNN an. Auf allen amerikanischen Newssendern liefen Videos des in die Menschen fahrenden weißen LKWs in Endlos-Schleife.
Ganz so
als wolle man noch extra Werbung machen und garantieren, daß auch wirklich jeder
potentielle Massenmörder die Idee mit dem Truck mitbekommt.
Wir
verlangen offenbar nach den Bildern. Für Journalisten bedeuten sie Quote und
Werbeeinnahmen.
So hart es auch klingen mag: Gegen die Verrückten dieser Welt ist kein Kraut gewachsen. Keine Sicherheitssysteme dieser Welt werden Anschläge wie den von Nizza für immer verhindern können.
Was allein wir tun
können: Keine falschen Antihelden schaffen. Und unsere Freiheiten verteidigen. Gegen
den Terrorismus sowieso, aber auch gegen die Sicherheitsfanatiker, die meinen,
der Polizeistaat sei das einzige Mittel gegen durchgeknallte Massenmörder.