Mittwoch, 7. November 2012

Sinnlose Nacht



Langsam bekomme ich quadratische Augen. 
Gestern bis 01.00 Uhr nachts vorm PC und dann nonstop bis 10.00 Uhr am TV-Schirm mit CNN.

Falls es jemand noch nicht weiß:
Obama ist wiedergewählt worden. Die politischen Machtverhältnisse sind wie vorher. Teebeutelmehrheit im „House“, demokratische Mehrheit im Senat und eine nahezu in zwei gleich große Hälften gespaltene Nation bei der Präsidentschaftswahl. 
Die gräßlichen GOPer halten 30 Gouverneursposten, Obamas Demokraten regieren lediglich in 18 Staaten.
 Romney bekam die Mehrheit in 24 von 51 Staaten und in den großen Wahlmänner-bringenden Staaten, die Obama gewann - also Ohio, Florida und Virginia - ging es äußerst knapp zu. 
Die Obama-Mehrheit im „electoral college“, also die Wahlmännerversammlung, die den US-Präsidenten wählt, ist durch die vielen knappen Siege viel größer als, als die „popular votes“, also die realen Stimmen vermuten lassen: 
60,193,076 Stimmen = 50.4% für Obama und 57,468,587 Stimmen = 48.1% für Romney.

Eigentlich shocking. 
Da tritt ein Kandidat an, der offensichtlich zu doof für den Job ist, als notorischer Lügner das Blaue vom Himmel runterphantasiert und bekommt dafür von der Hälfte des Landes die Stimme.

Ein Grund zur Freude ist die klare Wiederwahl des unabhängigen Senators Bernie Sanders aus Vermont.
Er ist für US-Verhältnisse extrem links und erfreut mich regelmäßig mit seinen Reden, die ich über seinen Youtube-Channel zugeschickt bekomme. 
Er erhielt gestern satte 71% der Stimmen und wird nun weitere sechs Jahre den Demokraten von links Druck machen.

Ein Grund zur Freude ist die Aussicht, daß für die anstehenden zwei Wechsel im für die US-Politik außerordentlich wichtigen Supreme-Court eine demokratische Administration auf Personalsuche gehen wird.

Ein Grund zur Freude ist der Erfolg der eher linksliberalen Elisabeth Warren gegen den republikanischen Senator Scott Brown von Massachusetts.
 Senatoren amtieren eigentlich sechs Jahre, aber Brown gewann im Teaparty-Powerjahr 2010 den Senatssitz des verstorbenen Ted Kennedys. Die GOPer werteten den Sieg damals als Beweis für ihre Fähigkeit auch in demokratischen Hochburgen durchzumarschieren.
Vorbei.

Ein Grund zur Freude ist die Blamage für Israelischen Ministerpräsidenten, der schon durchblicken ließ, er selbst wäre als US-Präsident allemal geeignet und gegen jede diplomatische Gepflogenheit massiv in inneramerikanische Angelegenheiten eingriff, indem er für Mitt Romney Wahlkampf machte.
Bellizist Bibi hat sich damit zum zweiten Mal massiv vergaloppiert.
 Erst war er größenwahnsinnig genug allein den Iran plattmachen zu wollen und wurde dann von den eigenen Militärs und Geheimdienstlern zurückgepfiffen.
 Dann glaubte er entscheidend in den US-Wahlkampf eingreifen zu können, um sich den Bibianer Romney als Partner sichern zu können. Und wieder fiel er auf die Nase. 
Auch wenn Netanjahu mangels Alternative wohl bald wiedergewählt wird, steht er dennoch etwas enteiert da. Obama war ohnehin nie sein größter Fan, aber nun dürfte US-Unterstützung für Israelische Militärschlagträume nahezu unmöglich zu bekommen sein.

Ein Grund zur Freude ist die Wahl des Demokraten Joe Donnelly zum US-Senator aus Indiana. 
Der am Michigansee gelegene Bundesstaat zwischen den Ohio und Illinois ist eine absolute Republikaner-Hochburg. Selbstverständlich entsendete er zwei GOP-Senatoren nach Washington und wird von einem GOP-Gouverneur regiert.
Seit 1977 (sic!) sitzt das GOP-Urgestein Richard „Dick“ Lugar ununterbrochen für Indiana im US-Senat.
Der 80-Jährige Außenpolitik-Experte sammelte bisher sage und schreibe 32 Ehrendoktorwürden ein und wäre gern im Senat geblieben.
 Hätte ihn die GOP weiterhin aufgestellt, wäre seine Wahl absolut sicher gewesen. Kein Gegenkandidat hätte eine Chance gehabt.
Die fanatisierte Teebeutel-Basis der Republikaner störte sich aber an den aus ihrer Sicht zu liberalen Ansichten Lugars.  Er wagte ungeheuerliches, indem er sich beispielsweise für internationale Abrüstung einsetzte.
In der parteiinternen Vorwahl drückten die GOPer stattdessen den ultraradikalen Hassfanatiker Richard Mourdock als Nominierung für den Senatssitz durch.
Also einen Teebeutel, der auf Bachmann-Palin-Linie verkündete Vergewaltigungen wären ein Geschenk Gottes.
Und nun ist der eigentlich 100% sicherer GOP-Sitz an die Demokraten gegangen.

Seien wir mal ehrlich; eigentlich hätten die US-Republikaner die 2012er Präsidentschaftswahl locker gewinnen müssen.

Der amtierende Präsident wird von weiten Teilen der Bevölkerung entweder als Sozialist, Muslim, Kenianer oder Amerikahasser angesehen, der definitiv die falsche Hautfarbe hat. 
Die wirtschaftlichen Kerndaten sind nach vier Jahren Obama so mies, daß man damit in Amerika eigentlich nicht wieder gewählt werden kann. Schließlich verfügen die Republikaner unter anderem durch die von den GOPern des Supreme-Courts durchgesetzten Super-PAC-Regeln über unbegrenzte Finanzmittel. Sechs Milliarden Dollar sollen in den Wahlkampf geflossen sein.
 Allein in Ohio gab Romney im letzten Monat 102 Millionen US-Dollar für Werbespots im Fernsehen aus.

Obama war also durchaus zu schlagen.

Die GOPer haben es selbst verbockt, indem sie einen schlechten Kandidaten aufstellten. 
Für die Opposition kommt ein Durchmarsch auf nationaler Ebene der Quadratur des Kreises gleich. Zunächst muß man sich der Basis stellen, die derartig realitätsentrückt und religiös fanatisiert ist, daß sie niemals einen Typen akzeptieren würde, der im Land mehrheitsfähig ist. 
Das begriff sogar der nicht eben gebildete Mitt Romney, der im Vorwahlkampf zunächst all die ultraradikalen Positionen einnahm, um die Nominierung zu bekommen und dann sofort anfing diese Ansichten wieder zu revidieren, als die Auseinandersetzung mit Obama begann. 
Womit er es zwar jedem recht machte, aber sofort ins nächste Dilemma rutschte: 
Er war der Flipflopper, der Kandidat, dem man nicht glauben kann.

Die US-Republikaner sind in einem Ratzinger/-Kreuznet-artigen Dilemma.
 Ihnen laufen die Wähler weg, aber sie können sich nicht darauf einigen, ob es daran liegt, daß sie inzwischen zu radikal-fanatisch geworden sind, oder aber noch nicht radikal-fanatisch genug.

Muß man jetzt konsequent weiter auf ganz konservative Kräfte wie Kreuznet, die Piusbrüder und Mixa setzen, oder aber ganz im Gegenteil wieder mehr in Richtung des liberaleren Konkurrenten rutschen?

Und genau wie ich Ratzinger wünsche noch möglichst lange Papst zu sein und weiterhin kontinuierlich konservativer zu werden, damit die RKK’ler noch schneller aus seinem Verein austreten, wünsche ich mir auch einen Teebeuteldurchmarsch bei den GOPern. 
Fanatisch-konservatives Personal gibt es genügend bei ihnen: 
 Paul Ryan, Senator Marco Rubio (Fl), Senator Rand Paul (Kentucky) und Gouverneur Bobby Jindal (Louisiana). Sie alle sind jung, brennen darauf die Karriereleiter weiter hinauf zu steigen und sind komplett durchgedreht.
Die US-Republikaner stürzen sich in die nächste Schlacht: Nach der Niederlage von Mitt Romney tobt in der Partei eine Kursdebatte, besonders die konservative Tea-Party-Bewegung lässt ihrem Frust freien Lauf. Die Partei könnte noch weiter nach rechts rücken.
[…]   Der Ausgang der Präsidentschaftswahl ist für [die Tea-Party-Bewegung] der Beleg dafür, dass man einem moderaten Kurs nicht weiter kommt. Erst John McCain, dann Romney. Zwei Gemäßigte, zwei Niederlagen - das ist die Rechnung, die sie aufmachen. Es soll jetzt alles ein bisschen radikaler, ein bisschen prinzipienfester werden. Steuersenkungen. Haushaltsdisziplin. Schlanker Staat. Anti-Abtreibung. Harte Haltung in der Einwanderungspolitik. So lässt sich das Land schon wieder drehen. Glauben sie.
"Wir wollten jemanden, der für unsere Ziele kämpft", schimpft Jenny Beth Martin, Chefin der Tea Party Patriots, einer rund 15 Millionen Anhänger starken Dachorganisation der Bewegung. "Stattdessen haben wir einen schwachen Moderaten bekommen - handverlesen von der Parteielite. Diese Niederlage bei der Präsidentschaftswahl geht ohne Einschränkung auf deren Kappe."
 Vorbei die Leichtigkeit, mit der man vor zwei Jahren mal eben den Kongress mit eigenen Leuten flutete. Jetzt musste sogar Michele Bachmann, die schrille Ikone der Bewegung, um ihr Abgeordnetenmandat zittern. Mit ein paar tausend Stimmen Vorsprung rettete sie sich in Minnesota ins Ziel.
 Ein echtes Dilemma für die Ultras, die sich auf ihre „moral issues“ versteifen.
Ihnen läuft die Zeit weg, weil die Demographie sich gegen sie entwickelt.
Der Anteil der WASPs (White Anglo-Saxon Protestant) schrumpft, die USA werden bunter.

Gestern fanden auch 170 Volksentscheide statt, deren Ergebnisse keinen Grund zur Freude für GOPer Strategen darstellen.
Zu den wichtigsten gehörten die Entscheidungen in den Ostküstenstaaten Maine und Maryland. Die Wähler sollten hier über die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare abstimmen - und entschieden sich knapp dafür. […]
Auch im Bundesstaat Washington stimmten die Bürger über die gleichgeschlechtliche Ehe ab. Hier gibt es jedoch Verzögerungen bei der Briefwahl, so dass das Ergebnis erst in den kommenden Tagen erwartet wird. […]
Der neu gewählte Präsident dürfte mit den Ergebnissen ebenfalls zufrieden sein. Barack Obama hatte Homosexuellen, die heiraten wollen, im Mai diesen Jahres seine Unterstützung zugesprochen. Mit der Demokratin Tammy Baldwin zieht zudem die erste bekennende Homosexuelle für den Bundesstaat Wisconsin in den Senat ein.
Volksentscheide zu einem weiteren polarisierenden Thema standen unter anderem in Colorado und Washington an: In beiden Staaten stimmten die Wähler für die Legalisierung von Marihuana. In Oregon votierten sie dagegen.
(Felicitas Kock 07.11.12)