Montag, 29. April 2024

Zufriedene Kriegstreiber

 Mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörper ließ das Teheranische Regime am Abend des 13.04.2024 auf Israel abschießen. Wieder eine dieser Zeitenwenden. Nichts ist mehr sicher. Jede Linie wird überschritten. Nun also erstmals auch das – ein direkter Angriff der I-Erzrivalen am Golf.

War es das jetzt? Schlittern wir nun doch in den Atomweltkrieg, der ja doch irgendwann kommen muss, weil Homo Demens einfach zu dumm ist, um sich mit anderen Homo Demens auf derselben Affenkugel zu arrangieren?

Inzwischen sind die Köpfe ein wenig abgekühlt. Sowohl im großen Iran (89 Millionen Einwohner, 1.648.000 km² Fläche, keine Atombomben), als auch im kleinen Israel (10 Millionen Einwohner, 22.145 km² Fläche, Atombomben) scheint man mit den Ereignissen recht zufrieden zu sein.

Da ist einerseits der nahezu allmächtige Revolutionsführer Ali Chamenei, der mit 85 Jahren nicht mehr ganz taufrisch ist und schon seit 35 Jahren an der Spitze steht. Seine Probleme: Die junge Iranische Generation tickt liberaler und wäre die Mullahs lieber heute als morgen los. Die Revolutionswächter „Sepah-e-Pasdaran“ sind zu einer fanatisch-religiösen Megakrake herangewachsen. Sie kontrollieren bereits die halbe Iranische Ökonomie und halten den ultrakonservativen Chemenei für zu schwach und nachgiebig. Nachdem Israel am 01.04.2024 die Iranische Residenz in Damaskus samt 16 Diplomaten total zerstörte, konnte der Oberiraner nicht nichts tun.

Daher der Angriff vom 13.04. der martialisch wirkte, als PR-Sieg taugte, aber in Wahrheit mit genügend Vorwarnung kam, so daß kein einziger Israeli starb und nichts wichtiges getroffen wurde. Damit wirkt Chamenei vor seinen Sepah-e-Pasdaran aktiv und entschlossen, hat andererseits die aufmüpfige Jugend überdeutlich an Bedrohungen von außen erinnert.

Vali Nasr, Jahrgang 1960, gilt als einer der führenden Experten für Iran und den schiitischen Islam. Er wurde in Teheran geboren und emigrierte mit seinen Eltern nach der iranischen Revolution in den Westen. Nasr beriet die Regierung Obama, heute lehrt er Politik an der Johns-Hopkins-Universität in Washington, erklärt im SPIEGEL:

[…..]  SPIEGEL: War es nicht ein großer Fehler Irans, so massiv zurückzuschlagen? Bis zum vergangenen Samstag kreiste die internationale Debatte vor allem um die Frage, ob Israels Krieg in Gaza zu viele zivile Opfer fordert. Nun dreht sich alles um das Regime in Teheran und wie gefährlich es für die Stabilität der Region und den Weltfrieden ist.

Nasr: Ich weiß, dass manche das so sehen. Aber Iran betrachtet die Aktion als großen Erfolg, und zwar auf mehreren Ebenen. Erstens: Der iranische Außenminister wurde seit den Protesten nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 praktisch von seinen Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und Großbritannien boykottiert. In den vergangenen Tagen hat sich das vollkommen gewandelt: Es gab eine intensive Telefondiplomatie mit dem iranischen Außenminister. Und das wird so weitergehen. Die Europäer und die USA müssen den Konflikt managen, weil Iran Zähne gezeigt hat. Zweitens: Der iranische Angriff auf Israel ist in der arabischen Welt enorm populär. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass der jordanische König einen politischen Preis für seine Entscheidung zahlen muss, iranische Raketen über seinem Staatsgebiet abschießen zu lassen. Auf den Straßen von Amman wurde das nicht gefeiert. Es ist für viele Herrscher in der arabischen Welt gefährlich, wenn der Eindruck entsteht, sie sind mit einem Land verbündet, das einen brutalen Krieg in Gaza führt, bei dem jetzt schon mehr als 30.000 Menschen ums Leben gekommen sind.  […..]

(DER SPIEGEL Nr.17. 20.04.2024, s.17)

Da ist andererseits Bibi Netanyahu, der 74-Jährige Alptraum Israels, der sich unter allen Umständen mit Hilfe Rechtsradikaler und Antidemokraten an der Macht halten will, um nicht im Knast zu landen.

Der Hamas-Angriff vom 07.10.2023 hatte ihn völlig überrumpelt, seine Armee blamiert, seinen Nimbus als Sicherheitsgarant ruiniert. Seit fast sieben Monaten läßt Bibi mit aller Macht zurückschlagen. Aber keinem seiner ausgewiesenen Ziele (Hamas erledigen, Geiseln zurückholen) kam er auch nur nahe. Israel mutierte endgültig zum Buhmann der Welt und auch im eigenen Volk ist Netanyahu beliebt wie Fußpilz; würde bei Neuwahlen kläglich untergehen.

Der 13.04.2024 kam da als Geschenk des Himmels, um Bibis Karriere zu retten. Endlich konnte er die eigene Armee wieder als fähig darstellen, sein Image als Beschützer aufpolieren und die Solidarität der Welt zurück gewinnen. Die Augen der UN wenden sich von Gaza wieder gen Teheran.

Beide Hardliner, Bibi und Ali, brauchen keinen Krieg, aber unbedingt ständige Zündelei und einen drohenden Feind, gegen den man mobilisieren kann, auf den man seinen Hass ableiten kann. „Den kleinen Satan“ nannte Khomeini Israel (der große Satan bleibt Washington). So wie das Christentum Luzifer benötigt, um seine eigene Gaga-Ideologie nicht gegen die Wand zu fahren, brauchen auch die beiden greisen Arschlöcher am Golf einen jeweiligen Satan.

So ein militärischer Angriff ist doch eine großartige Sache für alle beteiligten Staatenlenker!

[…..] SPIEGEL: War es aus Ihrer Sicht ein Fehler, dass die USA und Deutschland der israelischen Regierung zunächst ihre vorbehaltlose Unterstützung im Gazakrieg zugesichert haben?

Nasr: Ich denke ja. Schon jetzt ist die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung in Gaza enorm hoch. Gleichzeitig hat Israel keines seiner militärischen Ziele erreicht. Die Geiseln wurden nicht befreit. Israel konnte das Tunnelsystem, das die Hamas in Gaza gegraben hat, nicht vollständig zerstören. Und die Hamas wurde bisher nicht zerschlagen.

SPIEGEL: Deswegen sagt Israels Premierminister Benjamin Netanyahu, es sei notwendig, auch in Rafah im Süden des Gazastreifens einzurücken, um die Islamisten zu töten, die sich dort verstecken.

Nasr: Das ist definitiv sein Argument. Aber warum sagen die Amerikaner, Netanyahu solle die Finger davon lassen? Weil ein Angriff auf Rafah möglicherweise 100.000 Menschenleben kosten wird. Die Kosten für die USA, für Europa und Israel könnten sehr hoch sein.

SPIEGEL: Was hätten die USA und Europa nach dem Massaker der Hamas in Israel anders machen sollen?

Nasr: Die US-Regierung hat nach dem 7. Oktober erklärt, die Hamas sei vergleichbar mit der Terrorgruppe »Islamischer Staat«, die in Syrien und im Irak ihr Unwesen getrieben hat. Aber eine Mehrheit der jüngeren Amerikaner glaubt dieses Paradigma nicht. Sie betrachten den Konflikt zwischen Israel und der Hamas durch das Prisma der amerikanischen Black-Lives-Matter-Bewegung. Ob man das nun für richtig hält oder nicht: Junge Amerikaner ziehen eine Parallele zu den Vereinigten Staaten, weil hier weiße Siedler das Gebiet der indigenen Bevölkerung besetzt haben. […..]

(DER SPIEGEL Nr.17. 20.04.2024, s.17)

Die Iranische und die Israelische Regierung kompensieren ihre diplomatische, gesellschaftliche und ökonomische totale Unfähigkeit mit Kriegsspielen. Es mag gruselig sein, sich vorzustellen, wie das weiterginge, wenn auch der Iran über Atomwaffen verfügt. Aber ich sehe es wie Chirac: Der Revolutionsführer könnte ebenso wenig wie die Regierung in Islamabad oder Pyeongyang diese Waffen einsetzen, weil sie ein halbe Stunde später von der Landkarte radiert wäre. Gefährlicher sind Atomwaffen in der Hand eines Mannes wie Donald Trump, weil der so ungeheuer verblödet ist, daß er womöglich sogar glaubt, einen Atomkrieg überleben zu können.

[…..] SPIEGEL: Experten glauben, dass Iran bald genug waffenfähiges Uran für drei Atomsprengköpfe hat. Warum sollte in dieser Lage Israel nicht die Gunst der Stunde nutzen und iranische Atomanlagen militärisch zerstören?

Nasr: Weil die Israelis es nicht können! Das Programm ist tief verankert. Und ein Krieg mit Iran würde darauf hinauslaufen, dass die USA und Europa hineingezogen werden. Das haben wir schon nach dem Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus erlebt. Warum waren die USA und die Europäer danach so besorgt? Weil er einen Krieg mit einem Land hätte auslösen können, das 88 Millionen Einwohner zählt und zentral am Persischen Golf liegt. Ein Krieg mit Iran kann innerhalb von 24 Stunden Emirate wie Abu Dhabi oder Dubai zerstören. Er kann die Ölversorgung unterbrechen. Er kann das Reformprogramm in Saudi-Arabien beenden. Und er hätte enorme Konsequenzen für den Ukrainekrieg und die globale Ordnung insgesamt. Israel kann es egal sein, was in der Ukraine passiert. Aber die USA und Europa müssen ihre globalen Interessen im Auge behalten. […..]

(DER SPIEGEL Nr.17. 20.04.2024, s.17)

Die Amerikaner zählen je nach Potus, unterschiedliche Länder zur „Achse des Bösen“ und drohen mit Angriff, sofern sich eins von ihnen Massenvernichtungswaffen beschafft.

Tatsächlich blieb aber nur Nordkorea, das ganz sicher Atombomben hat, von US-Angriffen verschont.

Verständlicherweise möchte daher auch Teheran Atombomben als Versicherung. Für den Rest der Welt ist das aber gar nicht so entscheidend. Wie Herr Nasr zutreffend ausführt, wären wir auch ohne iranische Atomwaffen erledigt, wenn es am Golf richtig kracht.