Montag, 13. Januar 2020

Nach unten durchregieren


Je komplexer die Probleme, desto unterkomplexer die Antworten.
Und alle passen sich an.
Zeitungstexte werden kürzer, Tagesschauberichte schneller und bunter.
Passiert schlagartig etwas Schlimmes, oder bahnt sich über Jahre ein Problemberg an – immer lässt es sich mit „schärfere Gesetze“ oder „mehr Geld“ wegwischen.
Dabei sollte sich doch eigentlich rumgesprochen haben, daß Deutschland nicht gerade unter einem Gesetzesmangel leidet.
Hat sich schon einmal ein Jura-Student über die dünnen Heftchen beklagt, die er als Gesetzbücher bekommt? Bezeichnenderweise ist es gar nicht leicht zu ergoogeln wie viele Gesetze und Vorschriften es insgesamt gibt. Belastbare, aktuelle Zahlen finde ich nicht.

 […..]  Allein der Bund hat 1817 Einzelgesetze mit 55.555 Einzelnormen. Es gibt überdies 2728 Rechtsverordnungen mit weiteren 44 689 Einzelvorschriften. Nicht zu vergessen: EU und Länder produzieren noch mal so viel. [….]

[….] Wir haben einfach zu viele Gesetze. Im Augenblick gelten für Sie und mich 2197 Bundesgesetze mit 46 777 Einzelvorschriften und 3131 Verordnungen mit 39 197 Einzelvorschriften. Hinzu kommen Landesgesetze und Regelungen der Europäischen Union. Insgesamt schätze ich die Zahl aller Einzelvorschriften, die einen Deutschen derzeit binden, auf rund 150 000. [….]

Man könnte meinen, 150.000 Einzelvorschriften reichen knapp aus.
Fragt sich nur, welcher potentiell Kriminelle so genau über jede Vorschrift Bescheid weiß.
Es stellt sich wohl eher die Frage, ob es in Deutschland auch nur annähernd so viele Staatsanwälte, Richter, Steuerfahnder, Zöllner, Schöffen, Polizisten, Sozialfahnder, Ordnungsamtsmitarbeiter, Gefängniswärter, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Gutachter, Psychologen gibt, um all die Vorschriften auch durchzusetzen.

Wenn der Ruf nach mehr Gesetzen und Verboten nicht ausreicht, preisen sich Parteien und Politiker gern damit an wie viele Milliarden sie dafür bereitstellten irgendeine Situation zu verbessern.

Sicher ein guter Plan, denn Deutschland leidet nicht nur unter einer enormen Investitionslücke, sondern in den Zeiten von „Kapitalismus kaputt“, in denen es Minuszinsen, als Strafen für Sparsamkeit gibt, muss Staat das Geld ausgeben.

Es gibt genügend Aufgabenfelder. Energiewende, Stromtrassenausbau, Schulen, Kitas, Breitband.
Ein Minister, der vom Finanzminister Geld für sein Ressort ertrotzt, gilt als erfolgreich und durchsetzungsstark.
Insbesondere bei einem neuen Amtsinhaber muss die Kanzlerin dafür sorgen, daß er/sie ein paar Extramilliarden bekommt, um sich vor den Mitarbeitern als potent heraus zu stellen.
Ursula von der Leyen verstand es sehr gut PR-wirksam mehr und mehr Milliarden
Für die marode Bundeswehr rauszuholen.
Zwar sind Kriegseinsätze in Deutschland in Deutschland extrem unpopulär, aber wenn so gar kein Hubschrauber, Panzer, Schiff, Jet funktioniert, sind auch Pazifisten geneigt den Jungs auf der Hardthöhe mehr Geld zuzuschieben.

Allein, von der Leyen verkündete öffentlichkeitswirksam die Milliardenströme und verfiel off-camera sofort in den Schlafmodus.
Die Milliarden wurde nie abgerufen, weil ihr Ministerium nach all den Jahren immer noch dysfunktional ist.

Leider sind die Unions-Minister alle kaum besser. Sie verkünden großen Geldsegen und kümmern sich anschließend nicht weiter darum, was damit passiert.
Oft sind Zuschüsse vom Bund so gestaltet, daß Land oder Kommune einen Teil (meist 50%) aufbringen müssen.
Das bedeutet in der Praxis, daß die ärmsten Gemeinden, in denen die Investitionen besonders dringend sind, die Bundeshilfen gar nicht in Anspruch nehmen können.
In diesen Fällen ist das von Helmut Schmidt so sehr propagierte „verwalten statt regieren“ gefragt. Oder aber „Regierungskunst“. Da müsste ein Minister nachhaken und Lösungen finden.

Die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lernte es immerhin während ihrer Amtszeit.
Eine neue Regelung im mächtigen „gemeinsamen Bundesausschuss“ gBA auf den Weg zu bringen, ist zwar der Zeitpunkt sich feiern zu lassen, aber noch lange nicht die Garantie, daß die dort sitzenden Krankenhaus- und Kassenvertreter das von der Ministerin Gewünschte auch umsetzen.
Ulla Schmidt machte in den Folgejahren entsprechend mehr Druck.

Aber von Pfeifen wie Andi Scheuer kann man das nicht erwarten.

[….] Trotz des schwachen Wirtschaftswachstums hat der Bund auch das Jahr 2019 mit einem unerwartet hohen Überschuss abgeschlossen. Das Plus im Bundeshaushalt beläuft sich laut dem am Montagmittag vorgestellten Jahresabschluss auf einen bereinigten Rekordwert von 13,5 Milliarden Euro. Zur Verfügung stehen dem Finanzminister sogar insgesamt 17,1 Milliarden Euro, aufgrund von nicht ausgegebener Rücklagen. […..] Die Steuereinnahmen fielen wieder höher aus als erwartet; die Zinszahlungen für den Schuldendienst wegen der extrem niedrigen und teilweise sogar negativen Zinsen dagegen um einige Milliarden Euro niedriger. Schließlich flossen erneut einige Milliarden Euro aus verschiedenen Sonderfonds der Bundesregierung nicht ab; das betrifft den Energie- und Klimafonds, die beiden Kommunalinvestitionsfonds, die unter anderem für Schulsanierungen aufgelegt sind, den Fonds für den Kita-Ausbau sowie den Digitalfonds, der für Schulen sowie den Glasfaserkabelausbau eingerichtet worden ist. Oft fehlen in den Kommunen die Voraussetzungen, um die Gelder verbauen zu können. […..]

Merke, Überschüsse zu erwirtschaften ist ganz hübsch.
Aber gute Minister müssen auch die Kunst beherrschen die vielen Milliarden wieder auszugeben und dafür sorgen, daß die Moneten dort ankommen wo sie gebraucht werden.

[…..] Die hohen Überschüsse sind kein Grund zur Freude. Sie sind das Ergebnis schlechter Mittelabflüsse, vor allem bei Investitionsmitteln. Das heißt, dass zu wenig Geld ausgegeben wurde für eine moderne und zukunftsfähige Infrastruktur. Die Verantwortung für den schlechten Mittelabfluss liegt bei der Bundesregierung. Die Überschüsse müssen jetzt gesichert werden für Investitionen in die Zukunft. Investitionen in den Klimaschutz, in Digitalisierung in Bildung und eine moderne und saubere Verkehrsinfrastruktur müssen jetzt Vorrang haben.
Die Bundesregierung hat keine Investitionsstrategie. Investitionen gibt es immer nur nach Kassenlage. Der Bundesregierung fehlen das Konzept und die Verlässlichkeit, deswegen bleiben auch viele Investitionsmittel liegen. Die Bundesregierung muss es endlich schaffen, die veranschlagten Mittel für Investitionen auch auszugeben. Die Investitionsprogramme müssen so gestaltet werden, dass die Kommunen sie auch wirklich nutzen können. Die Probleme liegen unter anderem bei zu hohen Anforderungen bei der Ko-Finanzierung, bei undurchschaubaren Anforderungen für die Förderung und fehlenden Planungskapazitäten vor Ort. Alles Probleme die der Bund durchaus ändern kann. […..]
(Pressestelle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 13.01.20)