Dienstag, 5. Januar 2021

Männer und Männlichkeit.

Ein wirklich guter Freund von mir, der in Pennsylvania lebt und seine Trump-wählenden Landleute noch viel mehr als ich hasst, tickt in politischen und religiösen Fragen weitgehend genau wie ich.

Wir sind gleich alt, haben beide eine ähnliche Bildung, lesen viel, blicken fatalistisch in die Welt und sind Antinatalisten.

Es klingt nach Klischee, aber ich habe manchmal den Eindruck bestimmte Fragen besser „unter Männern“ besprechen zu können, obwohl ich das selbst nicht verstehe, da ich ganz sicher kein Chauvinist bin.

Wir lachen über genau die gleichen Dinge und es gibt doch manchmal einen grenzwertigen Witz, oder drastische Memes, die ich lieber ihm nach PA schicke und nicht an eine FreundIN whatsappen würde.

Die Sozialisation in einer liberalen europäischen Stadt und einen kleinen Ort irgendwo mitten in den USA unterscheiden sich aber doch.

Es gibt eindeutige geschmackliche Unterschiede zwischen uns. Ich höre ganz andere Musik und staune immer, wenn ich Bilder von ihm geschickt bekomme, wie uneitel diese Amerikaner auf dem Land rumschlurfen. Immer nur „baggy shorts“, irgendwelche bunten bedruckten Shirts oder Sweater und dazu seine geliebten  superbequemen Trecking-Sandalen.

So etwas zieht ein Hamburger einfach nicht an und es stört mein ästhetisches Empfinden! Wir ziehen uns gegenseitig damit auf. Ich mache mich über sein lotteriges Outfit lustig und er preist die Bequemlichkeit, kann nicht verstehen wieso ich mir die Mühe mache Oberhemden zu bügeln.

Und er liebt FART-PRANKS. Mir ist die Komik, die offenbar beim gegenseitigen Anfurzen empfunden wird, nicht zugänglich.

Im Laufe der letzten 20 Jahre bekomme ich immer wieder farting-Youtube-clips geschickt; immer mit der stillen Hoffnung, ich möge irgendwann doch endlich einmal eins davon lustig finden.

Er beißt dabei auf Granit bei mir, aber immerhin habe ich im Laufe der Dekaden herausbekommen, daß es eine USA-weite Begeisterung für das Furzen gibt. Das übt eine generelle Faszination auf dem gemeinen Amerikaner aus.

So wie erigierte Penisse auf Bewohner des Vatikanstaates.

Von jedem denkbaren Ereignis gibt es „fart-compilations“ und natürlich wurde es zu einem riesigen Medienthema als Trumps Chef-Jurist Rudy Giuliani Anfang Dezember bei einer gerichtlichen Anhörung in Michigan flatulierte.

Das war Stoff für alle Comedians der Nation. Rudy farts on Camera!

Ich sah mir das an, weil ich über den Fortgang der fatalen Trumpschen Wahlanfechtungen unterrichtet werden wollte, wurde aber dank des Youtube-Algorithmus immer wieder zu Fart-Compilations geschickt, in denen nicht nur Amerikaner, wie ich lange vermutete, sondern auch viele andere Männergruppen aus Frankreich, England oder Australien beim begeisterten gemeinsamen Rülpsen und Furzen unter großem Gejohle und Gelächter gezeigt werden.

Vielleicht ist es das, was Männer in ihren „MAN-CAVES“ tun?

Zu dem Begriff kenne ich kein deutsches Äquivalent, aber in den USA scheint es der ultimative und allgemeine Traum eines jeden Mannes zu sein, ein Haus mit Man-Cave zu besitzen.

Dabei handelt es sich um einen abgeschlossenen Raum, vorzugsweise im Souterrain, zu dem Frauen und Kinder keinen Zutritt haben, in dem der Hausherr mit seinen männlichen erwachsenen Kumpels sitzen kann, um vorzugsweise Football zu gucken.

Enthalten sein müssen außer dem großen Flachbildschirm-TV unbedingt die obligatorischen riesigen braunen Sessel aus Lederimitat, in denen man sich gehen lassen kann.

Je nach den finanziellen Möglichkeiten, können diese Man-Caves aber auch eine eigene Bar, eine Zapfanlage, Billardtische und Pinball-Machines beinhalten.

Wieso der gemeine (heterosexuelle) Mann so viel Wert darauf legt, Pool, Bier und TV in einer frauenfreien Zone zu praktizieren, erschließt sich mir nicht.

Aber ich vermute, es hängt mit dem archaischen Drang zusammen sich gehen zu lassen und ohne strafende weibliche Blicke nach Herzenslust nicht nur rülpsen und furzen zu können, sondern darüber auch schallend zu lachen.

Das ist aber nur eine nicht verifizierte These, die voraussetzt, daß Männer grundsätzlich deutlich ordinärer und schlampiger als Frauen sind. Ob das stimmt?

Bei gelegentlichen Einblicken in das männliche Man-Cave-Verhalten, also möglichst phonstarke Flatulenz, Prahlerei mit den eigenen sexuellen Erfahrungen („grab’em by the pussy“ – Trump, harharhar), auf der Jagd Tiere abknallen, breitbeinig sitzen, sich zwischen den Beinen kratzen, Frauen mit großen Oberweiten hinterher zu grölen; frage ich mich, warum ich so gar nicht in diesem Sinne männlich bin.

Oder bin ich einfach zu urban-metrosexuell-verweichlicht?

Andererseits gibt es Situationen, in denen ich auch von Männerklischees „übermannt“ werde. Ich bin beispielsweise kein großer Handwerker, setze aber leidenschaftlich gern IKEA-Möbel zusammen. Wenn ich irgendetwas aus dem Baumarkt brauche, komme ich immer mit Dutzenden zusätzlichen Artikeln heraus, weil ich plötzlich von dem Drang befallen wurde Werkzeug zu kaufen.

Ich hänge in meiner Wohnung höchstens mal ein Bild auf, habe aber eine Kollektion von verschiedenen Stahlnägeln, Schrauben und Dübeln, daß ich damit Bilder in allen Wohnungen dieser Stadt fixieren könnte..

Ich glaube, diesen Wahn, Werkzeug zu horten, haben Frauen nicht.

Beim Nachdenken über typisch weibliches Verhalten und typische Männlichkeitsgebaren, fällt auf, daß Frauen eher über einen Kamm zu scheren sind.

Es gibt mehr Eigenschaften, die scheinbar auf alle Frauen zutreffen. Männlichkeit scheint hingegen heterogener definiert zu werden.

Strenge und sich gehen lassen sind gleichermaßen männlich. Fürsorge und Rücksichtlosigkeit. Es ist typisch männlich sich bekochen zu lassen und die Wäsche den Frauen zu überlassen. Gleichzeitig sind aber die bekanntesten Köche und Modeschöpfer auch Männer.

Unendlich viele Witze ranken sich um die Dummheit und Primitivität von Männern, die aber andererseits auch klar für die Klügsten Köpfe der Welt stehen.

Wir y-Chromosomenträger sind gleichzeitig härter und stärker als Frauen, als auch wehleidiger und wir sterben früher. Tatsächlich wird diese größere Varianz unter Männern von Wissenschaftlern bestätigt. Turboegoisten und vor Selbstbewußtsein strotzende Typen sind Männer, aber eben auch hilfsbereite Altruisten.

[……] Gerade haben Wissenschaftler um Christian Thöni von der Universität Lausanne im Fachmagazin Psychological Science eine Studie publiziert, welche das beschriebene Phänomen stützt. Eine Meta-Analyse zahlreicher Einzelarbeiten mit insgesamt mehr 22 000 Probanden legt nahe, dass Männer auch in der Sphäre kooperativen Verhaltens eher als Frauen auf den Extrempositionen zu finden sind - sehr egoistisch oder sehr altruistisch. Im Mittelwert hingegen, also im Durchschnitt, fänden sich keine relevanten Geschlechtsunterschiede, schreiben die Forscher um Thöni. Die Varianz unter Männern sei jedoch größer als unter Frauen, was eine Betrachtung mithilfe des Mittelwertes verdecke.   Um es mithilfe moderner Modebegriffe auszudrücken: Die Diversität oder Vielfalt von Eigenschaften ist unter Männern ausgeprägter als unter Frauen, sie unterscheiden sich deutlicher voneinander. Das Phänomen ist als "Greater Male Variability Hypothesis" bekannt und wird teils kontrovers diskutiert, seit es Charles Darwin im 19. Jahrhundert erstmals formulierte. [……]  Zum Beispiel berichteten Forscher um Anne-Catherine Lehre von der Universität Oslo 2009 im Fachmagazin Developmental Psychobiology, dass schon das Geburtsgewicht unter männlichen Babys weiter gestreut ist als unter weiblichen. Auch die Körpergröße, die Leistung in manchen sportlichen Disziplinen oder gar verschiedene Blutmarker wie etwa Cholesterin seien unter Männer in einer breiteren Spanne zu finden. Andere Studien berichten, dass das Phänomen auch für Attribute wie mathematische sowie sprachliche Begabung, für räumliches Vorstellungsvermögen, physische Aggressivität und Intelligenz gelte. Mit anderen Worten: Unter Männern finden sich mehr Volldeppen und zugleich mehr Genies als unter Frauen. Sie sind an den extremen Rändern der Verteilung überrepräsentiert. [……] Männer, so ließe sich das alles vorsichtig zusammenfassen, unterscheiden sich deshalb stärker voneinander als Frauen, weil auf diese Weise auch eine besondere Vielfalt in den menschlichen Genpool findet, so die evolutionäre Perspektive. [……]

(Sebastian Herrmann, SZ, 05.01.2021)

Die Forschungen beruhigen mich. Meine Männlichkeit fällt also unter die breite Varianz des Männlichen.

Ich muss mich also nicht zwangsweise übermäßig für das gemeinsame Furzen begeistern, um ein echter Mann zu sein.