In Angela Merkel haben wir nun schon die dritte CDU-Amtsinhaberin mit Überlänge.
Während
Präsidenten in den USA, in Frankreich oder Russland maximal nur zwei
Amtsperioden regieren dürfen, können deutsche Bundeskanzler theoretisch ewig amtieren.
Natürlich
sammelt ein länger amtierender Regierungschef wertvolle Erfahrungen. Deswegen
ist Queen Elisabeth II. so eine brillante Diplomatin. Nach 107 Jahren als
Staatsoberhaupt kennt sie alle Fallstricke und läßt sich von keiner Situation
mehr überraschen.
Allerdings
ist ihr Amt repräsentativ. Sie muß sich nicht um ihre Wiederwahl sorgen und
hält sich von der Tagespolitik fern.
Das Amt
eines Kanzlers oder eines exekutiv regierenden Präsidenten wie in den USA ist
ungleich anstrengender und erfordert mehr Flexibilität.
Da
müssen regelmäßig frische Ideen her.
Die
deutsche Regelung ausgerechnet das politisch schwache Bundespräsidentenamt auf
zwei Amtszeiten zu begrenzen und die wahrhaft starke Position des Kanzlers auch
20 oder 30 Jahre in einer Hand zu lassen, ist demokratisch paradox.
Konrad
Adenauer, der 14 Jahre regierte, wurde 1963 zur Hälfte der Legislaturperiode
von seiner eigenen Partei im jugendlichen Alter von 87 Jahren aufs Abstellgleis
geschoben. Die folgenden drei Jahre verbrachte Adenauer damit den von ihm
zutiefst verabscheuten Nachfolger Ehrhardt zu sabotieren. Als dieser 1966 stürzte,
knallten im Hause Adenauer die Korken.
Er
ätzte, die drei Jahre währende Regierungszeit Erhards hätten ihn
„sechs Jahre seines Lebens gekostet“.
(DER SPIEGEL, 11.02.17)
Helmut
Kohl war inhaltlich bereits nach rund sechs Jahren, 1988/89 so am Ende, daß
seine eigene Partei versuchte ihn loszuwerden. Der unerwartete DDR-Zusammenbruch
rette ihm 1990 die Wiederwahl und im Einheitsrausch sorgten sie Ostdeutschen
für eine Amtsverlängerung auf insgesamt 16 Jahre.
Kohl ist
somit (durch extrem ungewöhnliche Umstände) Rekordhalter.
Gemeinsam
mit Adenauer war ihm sein tiefsitzender Hass auf den Nachfolger Schäuble. Nur
daß Ehrhardt 1963 Kanzler-Nachfolger, nicht aber CDU-Vorsitzender wurde,
während das Kanzleramt 1998 für die Union verloren ging und Schäuble Kohl als
Parteivorsitzender nachfolgte.
Helmut
Kohl war im Jahr 1998 zutiefst davon überzeugt absolut unersetzlich zu sein.
Alle seine CDU-Minister hielt er für unfähige Pfeifen, so daß er sie intensiv bekämpfte.
Durchaus erfolgreich, der CDU-Fraktions- und Bundesvorsitzende Schäuble verlor
im Jahr 2000 beide Ämter an Merz und Merkel.
Angela
Merkel, die im Herbst 12 Jahre regiert haben wird, steht vor ähnlichen
Problemen. Sie hinterläßt verbrannte Erde und eine inhaltlich komplett
entleerte Union. Ein adäquater Nachfolger ist weit und breit nicht zu sehen.
Emotionslos,
aschfahl und ohne irgendeine programmatische Erkennbarkeit schleppte sie sich
in ihre vierte Kandidatur als Kanzlerin.
Die
Schwesterpartei brauchte Monate, um sie offiziell zu unterstützen. In ihrer
eigenen Partei überdeckt dicker Mehltau jede Regung.
Lange
Kanzlerschaften schaden offensichtlich dem Land. Daher forderte Politikwissenschaftler
Prof Peter Grottian von der FU Berlin auch in Deutschland endlich die Amtszeit
des Regierungschefs zu begrenzen.
Schluss mit der ewigen
Kanzlerschaft
[….] Wer zu lange im Amt bleibt, nutzt
sich ab. [….]
Sichtlich unter dem
Eindruck des politisch verfallenden Bundeskanzlers Helmut Kohl hatte Angela
Merkel Ende der Neunzigerjahre noch gesagt: „Ich möchte kein halb totes Wrack
sein, wenn ich aus der Politik aussteige.“ Ein halb totes Wrack ist sie sicher
mit ihrem unermüdlichen und oft erfolgreichen Krisenmanagement nicht, aber
angeschlagen und tief verunsichert ist sie inzwischen schon.
Was in der aktuellen
Flüchtlingsdebatte irritiert, ist Merkels Verstocktheit, ihr Trotz und ihre
mangelnde Souveränität. In ihren Klein-Canossa-Reden, die als Zugeständnisse an
die Kritiker gedacht waren, konnte sie noch nicht einmal deren Realitätssinn
loben oder Seehofer in Teilen ausdrücklich zustimmen. Sie wirkte überwiegend
vergnatzt, rechthaberisch, entrückt, obwohl sie doch längst Seehofer-Politik
macht.
Die mangelnde
Souveränität zeigt sich insbesondere daran, dass Angela Merkel der Bevölkerung
keine Gesamt-Erzählung für die Zukunftsperspektiven der Gesellschaft bieten
kann. Das übernehmen andere wie zum Beispiel Wolfgang Schäuble, der sich mit
ausführlichen Artikeln in der „FAZ“ und anderswo äußert.
Fast sprachlos ist die
Kanzlerin zu wichtigen und die Menschen bewegenden Themen. Zu TTIP und Ceta
oder zum völlig auf den Hund gekommenen Klimaschutzplan für die nächsten
Jahrzehnte: kein erklärendes Wort. Zur EU: kein Hauch von einer pragmatischen
Vision, die Europa zu mehr macht als einer ökonomischen Veranstaltung.
Stattdessen hat Merkel bei der EU-Jugendarbeitslosigkeit selbst vorgeführt, wie
man ein wichtiges europäisches Thema wie eine heiße Kartoffel fallen lassen
kann. Schließlich zum Rechtsextremismus und der AfD: konzeptionslose
Hilflosigkeit.
[….] Es ist also plausibel, dass Angela
Merkel sich aus ihrer „bleiernen Zeit“ nur schwerlich noch wird befreien
können. Deshalb ist jetzt eine Debatte über die Begrenzung der Amtszeit der
Bundeskanzlerin beziehungsweise des Bundeskanzlers überfällig. [….]
Einige
politische Beobachter, so auch die Autoren
der aktuellsten SPIEGEL-Titelgeschichte über Martin Schulz‘
Chancen Kanzler zu werden, sorgen sich um die Postkanzlerzeit der
Regierungschefs.
Adenauer
und Kohl konnten sich gar nichts anderes vorstellen.
Merkel
sagte vor langer Zeit sie habe eine Exit-Strategie, aber stimmt das noch?
Kiesinger
und Erhardt gingen in Schande.
Nur
Willy Brandt blieb nach seinem Amtsverzicht noch lange Zeit der Tagespolitik
erhalten.
Gerd
Schröder fand ein neues Betätigungsfeld in der Wirtschaft und Helmut Schmidt,
der mit Sicherheit Intelligenteste aller deutschen Kanzler erfand sich sogar
mehrfach neu, wurde kontinuierlich immer populärer.
Das ist
schön für Schmidt, wie es nicht schön für Kohl ist zur verstummten persona non
grata zu mutieren.
Relevant
ist das persönliche Empfinden der Ex-Kanzler aber nicht für eine Begrenzung der
Amtszeit.
Ich
halte es für schwer vorstellbar, daß ein political animal, welches einmal die
höchste Macht, die Deutschland zu vergeben hat, in der Hand hielt, niemals
hadert diese verloren zu haben.
Aber das
soll unsere Sorge nicht sein und liegt in der Natur der Sache.
Konrad
Hermann Joseph Adenauer wurde 91 Jahre alt (*1876; †1967).
Als er
1963 sein Amt aufgeben mußte, blieben ihm noch vier Jahre vergönnt, in denen er
zusammen mit seinem Sohn Paul, einem Priester, richtig fun hatte.
Er gab
seiner grenzenlosen Rachsucht freien Lauf, warf seinem Nachfolger intensiv
Knüppel zwischen die Beine und konnte seiner durchaus bösen Persönlichkeit
freie Entfaltung bieten.
[….] Der Alte
teilte ordentlich aus. Er behauptete ernsthaft, unter Erhard werde
die Republik zugrunde gehen. Und er schimpfte über fast alle führenden
Parteifreunde. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende
sei „feige“, der Außenminister „irrsinnig“,
der Bundestagspräsident „arrogant“, Nachfolger Erhard „dumm“.
[….] Adenauer war ein boshafter,
hinterlistiger, nachtragender Mann. Politik verderbe den Charakter,
pflegte er sich zu entschuldigen. Und so genoss er die kleinen Gemeinheiten,
etwa wenn er Erhard ein fieses Schreiben schicken lassen konnte: „Ich würde
zu gern sehen, wie der dicke Erhard den Brief bekommt.“ […..]
(Klaus
Wiegrefe, DER SPIEGEL PLUS, 11.02.2017)
Konrad
Adenauer war auch im hohen Alter sehr fit und voller Elan.
Kein
Wunder, denn er ballerte sich morgens gern wie sein Vorvorgänger Adolf H. Crystal
Meth rein und orakelte über fröhliches Ficken.
Wer
hätte gedacht, daß er so viele Gemeinsamkeiten mit Volker Beck hatte?
Gelegentlich
nahm er eine Tablette Pervitin ein, der Wirkstoff ist der gleiche wie bei
Crystal Meth. Die Aufputschdroge war schon in der Wehrmacht verbreitet
gewesen. [….]
Die wilden Sechzigerjahre
und die sexuelle Revolution scheinen auch Eindruck auf den Kölner Kardinal
Joseph Frings, 78, und Adenauer gemacht zu haben. Jedenfalls unterhielten
sich die beiden alten Männer über die schönste Hauptsache der Welt. [….] Die
beiden Konservativen hofften auf eine Rückkehr der guten alten Zeit,
in der die Menschen „einfach Freude am spontanen Verkehr haben, auch
wenn daraus mehrere Kinder hervorgingen“.
(Klaus
Wiegrefe, DER SPIEGEL PLUS, 11.02.2017)