Freitag, 29. September 2023

Außenpolitische Willkür.

Konservative Christen mögen keine Ausländer. Sie kennen keine Gastfreundschaft und können ihre generelle Ablehnung von Migranten wunderbar mit Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus verbinden.

Damit das nicht ganz so unsympathisch wirkt, engagieren sie sich gern bei „Kirchen in Not“ und beklagen die angebliche „Christenverfolgung“, die ihren frommen Glaubensbrüdern überall in der Welt drohe.

Migrantenschreck und Waffenlobbyist Volker Kauder ist so ein Beispiel eines besonders perfiden CDU-Rechtsaußen, der als Hecker&Koch-Exporthelfer das Elend in Krisengebieten erst richtig anstachelt, dann nationalistisch tönt  - „man spricht in Brüssel wieder deutsch!“ – und gleichzeitig tränenrührig um die verfolgten Christen in der Welt besorgt ist.

Wenn diese „verfolgten Christen“ zufällig wie die Ukrainer weiß und europäisch sind, kann Brüssel tatsächlich freundlich sein.

Die EU-Staaten beschlossen just eine Verlängerung der Sonderregelungen für vier Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine bis März 2025, mit denen sie, verglichen mit gewöhnlichen Migranten, mit gewöhnlichen Kriegsflüchtlingen, deutlich bessergestellt sind.

In zentralafrikanischen Staaten wie den beiden Kongos, Gabun, Äquatorialguinea, Angola oder Kamerun leben zwar auch weit überwiegend Christen, hauptsächlich Römisch-Katholische, und es herrscht auch Bürgerkrieg, aber die daher fliehenden christlichen Glaubensbrüder wollen die Kauders in Europa nicht, wie die Ukrainer, großzügig aufnehmen. Der Grund ist offensichtlich: Die Nächstenliebe und die Besorgnis für die verfolgten Christen weltweit, ist nur vorgeschobener Bullshit, um Rassismus zu tarnen. Kein noch so frommer islamophober Christenfreund aus der CDU, will verfolgte Christen aus dem Bürgerkrieg in Eritrea oder dem Sudan aufnehmen, weil sie eine viel zu dunkle Hautfarbe haben, um von Kauder gemocht zu werden.

An dieser Stelle ein Blick auf den Kaukasus-Staat Armenien, der mit knapp 30.000 Km2 ungefähr so groß ist wie Belgien, Albanien oder Brandenburg. Die knapp drei Millionen Armenier leben eingequetscht zwischen Georgien, Aserbaidschan, dem Iran und der Türkei. Nahezu alle Armenier, >96% sind Christen. Die christliche Identität der Armenier spielt eine überragende Rolle, weil Armenien im Jahr 301 (sic) das erste Land der Erde war, welches das Christentum zur Staatsreligion erhob und weil es heute fast völlig von islamischen Staaten umzingelt ist.

 In Deutschland interessiert sich fast niemand für die einst unter osmanischer Kontrolle stehende, ehemalige Sowjetrepublik. Man kennt nur aus Kreuzworträtseln die Hauptstadt Jerewan und weiß von dem türkischen Völkermord, dem Armenozid von 1915/1916, an rund einer Million Armeniern, weil sich Recep Tayyip Erdoğan ganz fürchterlich aufregt, wenn jemand den Völkermord „Völkermord“ nennt.

Gerade fliehen 50.000 bis 100.000 in der Enklave Bergkarabach lebende Armenier, nachdem das zu 90% von Muslimen bevölkerte Aserbaidschan handstreichartig die von Armeniern bewohnte Gebiete eroberte.

[….] Flucht aus Bergkarabach - für immer [….] Zehntausende Armenier auf der Flucht aus Bergkarabach - im Grenzort Goris bekommen sie erste Unterstützung. Sie sind gezeichnet von der überstürzten und mühseligen Fahrt. Nun muss eine langfristige Lösung für sie gefunden werden.

Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht erreichen Menschen aus Bergkarabach den zentralen Platz in der Kleinstadt Goris unweit der Grenze zu Aserbaidschan. Sie haben 30 bis 40 Stunden Fahrt durch den Latschin-Korridor hinter sich, der die Enklave mit Armenien verbindet. Aus ihren Häusern und Wohnungen konnten sie nur mitnehmen, was in Kofferräume und auf Autodächer oder in die Transportfächer von Bussen passt.   Einiges wird auf Lastwagen, Baggern und Traktoren transportiert, die die Armenier vor den aserbaidschanischen Truppen retten wollten. Seitdem diese am 19. September nach Bergkarabach vorgedrungen waren, war den meisten klar, dass sie ihre Heimat wohl für immer verlassen müssen. Mehr als 70.000 sind bereits angekommen.

Noch benommen von der Fahrt steigen Frauen, Kinder, Alte von Lkw-Ladeflächen herunter, Freiwillige in rot-blauen Westen helfen ihnen, bieten ihnen Wasser an. Andere kommen in Pkw an, bepackt mit Koffern, Decken, Kissen, Haushaltsgegenständen und Spielzeug, das ihre Besitzer gerade noch mitnehmen konnten. [….] Die selbsternannte Republik Bergkarabach, aus der die Armenier geflüchtet sind, hat praktisch aufgehört zu existieren, auch wenn sie nach Ankündigung der Führung der Enklave formell erst im neuen Jahr aufgelöst werden soll.  […..]

(Tagesschau, 29.09.2023)

Was da gerade im Südkaukasus passiert, ist tatsächlich so eine Art „Christenverfolgung“. Ein Fall von „Kirche in Not“, denn die die Armenische Apostolische Staatskirche wird aus Bergkarabach verschwinden.

Wann, wenn nicht jetzt, sollten also die deutschen Bischöfe und die Politiker der Partei mit dem „C im Namen“ „Christenverfolgung! Kirche in Not!“ schreien und großzügig die Aufnahme der fliehenden armenischen Christen anbieten?

Deutschland wäre dazu in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, den Armeniern beizustehen, da der große Verbündete und Ermöglicher des türkischen Armenozids das deutsche Kaiserreich war, welches vor gut hundert Jahren schon ungerührt zusah, als osmanische Muslime eine Million armenische Christen abschlachteten.

Deutschland wäre dazu in mehrfacher Hinsicht verpflichtet, da es natürlich auch die deutschen Waffenlieferungen sind, welche die traditionelle Armenische Schutzmacht Russland zur Passivität verdammen. Putins Truppen gucken erstaunlicherweise nur dabei zu und rühren nicht einen Finger, während unter ihren Augen Aserbaidschan Tatsachen schafft.

Putin macht also im Kaukasus gerade das, was Deutschland, was Baerbock und Hofreiter, so dringend von ihm verlangen: Keinesfalls mit Militär die russischen Außengrenzen überschreiten und Kriege führen.

Nur daß die deutsche Politik dabei radikal inkonsequent und konfus ist – in Armenien und Aserbaidschan hätten wir gerne ein Verhalten Russlands, das wir in der Ukraine strikt ablehnen.

Die armenischen Christen müssen es ausbaden, daß wir im Moment mehr an Erdgas vom muslimischen Diktator Alijew als an den Menschenrechten der Christen in Armenien interessiert sind.

[…..] EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die so gern von Geopolitik spricht, hat im Juli 2022 eine hässliche Erdgas-Shoppingtour nach Baku unternommen: In höchsten Tönen lobte sie Baku  als »verlässlicheren, vertrauenswürdigeren Partner« im Vergleich zu Russland. Von Frieden mit Armenien war keine Rede. Zwei Monate später rückten Bakus Truppen auf armenisches Territorium vor. […..]

(Christian Esch, SPON, 28.09.2023)

Annalena Baerbocks wertegeleitete und feministische Außenpolitik, die gern auf großer Bühne anderen Ländern oberlehrerhafte Ratschläge erteilt, kneift, wenn es kompliziert wird. Um Armenien machten Baerbock, wie auch die gesamte EU, stets einen großen Bogen, kniff alle Augen, inklusive Hühneraugen, zu und ignorierte jede Moral, jedes Gebot des Anstandes gegenüber die vertriebenen Armeniern.

Ein ehemaliger Bürgermeister Hamburgs wundert sich.

[….] Und wieder müssen Armenier fliehen, und Russland muss Schutz gewähren. Aserbaidschan aber ist mit dem Westen und der NATO verbandelt , der Westen hätte sich also energisch humanitär einmischen können. Warum taten wir es nicht? War uns die strategische Bedeutung Aserbaidschans wichtiger? [….] Selbstbestimmung, oder auch Autonomie, ist ein Menschenrecht. Es ist der Ursprung jeder demokratischen Bewegung und die Kraft, die auch den Kolonialismus zu Fall brachte. Wir verlangen Selbstbestimmung für die koptischen Christen in Ägypten oder die Frauen in Iran, für die Ukrainer gegenüber Putin oder die Uiguren in der Volksrepublik China. Auf diesem Selbstbestimmungsrecht beharren auch die christlichen Armenier in Bergkarabach. Nun werden sie vertrieben, und die internationale Presse kommentiert „wie die Untätigkeit des Westens Aserbaidschan dazu ermutigt.“ Ich finde es beschämend, dass unsere Regierung in der ganzen  Welt herumreist und anderen Völkern Moral predigt, wir aber für die armenischen Christen in Aserbaidschan nur Worte des Mitleids haben. Was ist denn das für eine Außenpolitik! […..]

(Klaus von Dohnanyi, 29.09.2023)