Samstag, 13. Oktober 2018

Weniger Drama, Baby!


Mit Gerd Schröder haben viele Sozis auch das Rückgrat verloren.
Sie fürchten sich vor der Hartz-Keule. Sich fürchten sich vor der Linken. Sie fürchten sich vor abwandernden Wählern.
Die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält.

Dabei ist die Bilanz der Agenda 2010 überwältigend positiv.
Alle anderen Europäischen Ländern beneiden Deutschland um die Bundesregierung, die die Kraft hatte so ein Werk durchzusetzen, bewundern den enormen ökonomischen und finanziellen Erfolg der Schröder-Reformen.
Wir haben allen Grund Schröder dankbar zu sein; er wird sicherlich eines Tages als großer Kanzler in die Geschichte eingehen.

Auch eine große Mehrheit der Deutschen hält diese Politik a posteriori für richtig.
Die Parteien, die Hartz IV unterstützen oder sogar verschärfen wollen, kommen regelmäßig auf 90% der Wahlergebnisse. Die einzige Partei, die Hartz abschaffen will, landet bundesweit betrachtet nie über 10%.

Nach dem Ausscheiden der hadernden SPD aus der Bundesregierung, gewannen die Neoliberalen Westerwelle-FDPler mit ihrer radikalen Steuersenkungsforderung ein Rekordergebnis von fast 15% und bildeten mit der ebenfalls starken CDU eine breite Mehrheit.

(….) In Folge der Agendapolitik stiegen die Sozialausgaben in Deutschland deutlich und kontinuierlich an.

2005 stiegen sie von erwarteten 14,6 Milliarden auf 25,6 Milliarden Euro, im Jahr 2006  auf 26,4 Milliarden.
2007   35,7 Milliarden
2008   34,8 Milliarden
2009   36 Milliarden
2010   36 Milliarden
2011   33 Milliarden
2012   40 Milliarden
2013   40,65 Milliarden

Heute zu behaupten, Hartz wäre eine Kürzungsorgie und habe nur Elend gebracht, ist völlig geschichtsblind und lässt außer Acht was für ein gelähmtes Land Deutschland im Jahr 1998 nach unendlichen Jahren Kohl-FDP-Merkel-Regierung war. Der kranke Mann Europas – Dank der Kohl-Merkel-Reformunwilligkeit.
Durchreguliert und wirtschaftlich abgehängt. (…..)

Viele Wahlen haben ganz eindeutig gezeigt, daß es keinesfalls den Wählerwillen gibt, die Agenda-Politik zurück zu nehmen.
Oder falls das doch der Fall sein sollte, ist das den Wählern offensichtlich nicht wichtig genug, um deswegen auch die eine Partei zu wählen, die es genauso sieht.

Die Partei, die an Schröders Seite intensiv für HartzIV stritt, sogar noch weiter gehen wollte, die Grünen, sonnen sich in einem  demoskopischen Hoch, kratzen in vielen Bundesländern an der 20%-Marke.

Diejenigen, die immer noch der Prä-Agenda-Ära hinterherweinen haben die Vergangenheit stark romantisiert und offensichtlich lange vergessen, wie unangenehm es ist Sach- statt Geldleistungen zu bekommen.

(….) Die Hartz-Reformen haben zweifellos zu mehr Arbeitsplätzen und einer gesünderen Wirtschaft geführt.
Dabei gab es aber zweifellos auch Ungerechtigkeiten. Das ist bei so einem Mammut-Werk gar nicht anders möglich und Gerd Schröder selbst betonte immer wieder, die Hartz-Gesetze sollten nicht in Stein gemeißelt, sondern immer wieder angepasst werden.

Der politische Preis für die Reformen war definitiv ungerecht.
Die glühenden Agenda-2010-Befürworter aus CDU und Grünen stiegen nach 2003 in ungeahnte Höhen und allein die SPD wurde vom Wähler grausam abgestraft.
[……]  Soll es wieder das Ämterhopping zwischen Wohnungsamt, Sozialamt und Arbeitsamt eingeführt werden und soziale Leistungen als Sachleistungen einzeln beantragt werden? [….]

Kein vernünftiger Mensch bestreitet heute, daß es auch Unnützes, Kompliziertes, Ungerechtes und zu Hartes in den Agenda-Gesetzen gibt.

Ich sagte dazu: So what!? Wozu haben wir einen Gesetzgeber, ein Parlament mit über 700 Vollzeit-Politikern?

Die Kassen der Kommunen, Länder und des Bundes quellen über.


Hohe Zeit also den Mindestlohn deutlich anzuheben und dafür zu sorgen, daß prekäre Beschäftigung radikal zugunsten vernünftig bezahlter Jobs verdrängt wird.
Das ist moralisch dringend geboten, aber auch eine grundsätzliche gesellschaftliche Frage: Wo kommen wir eigentlich hin, wenn in den Großstädten die Lebenserhaltung insbesondere durch Mieten so hoch sind, daß die genau dort dringend benötigten Menschen – Polizisten, Pfleger, Krankenschwestern, Friseure, Verkäufer,.. – sich nicht leisten können da zu wohnen.

Deswegen muß man aber nicht das ganze Hartz-Kind mit dem Bade auskippen, sondern kann diese heftigen Ungerechtigkeiten einfach abschaffen.
Zumal es eine Win-Win-Situation wäre, da zwei Milliarden mehr Einkommen, die auf Myriaden Niedriglohn-Beschäftigte verteilt werden, nichts anderes als ein Konjunkturprogramm sind. Diese Menschen gegen das Geld nämlich aus und davon profitieren wiederum Wirtschaftsreibende und Finanzminister.
Wenn zwei Milliarden aber wie im Jahr 2018 allein an Susanne Klatten verteilt werden, kann sie davon auch nicht mehr Brot, Milch oder Butter kaufen, nicht mehr in die Oper gehen oder Zeitungen abonnieren, weil sie sich vorher schon alles im Überfluss leisten konnte.

Eine andere Frage, um die Sozis immer wieder ängstlich mit den Zähnen klappern herum-mäandern ist die der Sanktionen.
Leistungen zu streichen, wenn Hartz-IV-Empfänger nicht mitarbeiten, Termine verpassen oder auf Briefe nicht reagieren?
Das ist ein rotes Tuch für ganz Linke.

Aber wieso eigentlich? Es wäre höchst ungerecht gegenüber den Millionen Menschen, die in den vielen schwach bezahlten Dienstleistungsbranchen arbeiten, wenn man junge Menschen, die einfach nicht arbeiten wollen und dies durch Verweigerung jeglicher Mitarbeit zum Ausdruck bringen, schulterzuckend genau so viel Geld für Nichtstun in die Hand gibt, wie denjenigen, die schließlich nicht nur dafür arbeiten, sondern mit ihrer Arbeit erst das Geld verdienen und an den Staat zahlen, mit dem diejenigen, die nicht arbeiten finanziert werden.

Ich bin sehr für Milde und soziale Wohltaten, aber man kann schon verlangen, daß eine grundsätzliche Bereitschaft zu arbeiten vorhanden sein muss.
Es gibt viele Gründe nicht arbeiten zu können; Krankheit, Schwangerschaft, Alter, oder die schlichte Tatsache, daß es keinen Job gibt (zu „kein Jobangebot“ zähle ich auch unzumutbare Jobs oder unzumutbare Arbeitsbedingungen).

Nahles tönt nun neuerdings, die Hartz-Sanktionen für Jugendliche ganz abzuschaffen, weil diese sonst eine Null-Bock-Mentalität entwickelten.

[…..] Zwar sei nicht alles abzulehnen, was den Namen Hartz trage, "aber wir müssen grundlegende Fragen stellen", sagte Nahles: "Wie wirken denn überhaupt Sanktionen bei Jüngeren? Kontraproduktiv!" Die jungen Erwachsenen würden sich als Reaktion "nie wieder im Job-Center" melden und könnten nicht mehr erreicht werden, sagte die ehemalige Arbeits- und Sozialministerin. [….]

Erstens, was sind eigentlich „Jüngere“ und erstens-b, weshalb sollten Sanktionen bei etwas Älteren nicht kontraproduktiv sein? Haben erstens-c arbeitsfähige Geronten meines Alters alles klaglos hinzunehmen, was einen Jugendlichen nicht zugemutet werden kann?
Und zweitens frage ich mich, wie eigentlich noch mal diese eine frühere Sozialministerin hieß, die 2014 ankündigte die „drastischen Sanktionen für jugendliche Hartz-IV-Empfänger zu entschärfen“?

Ich kann es kaum glauben, aber in diesem Fall ist mir Nahles zu links. Da halte ich es mit der Arbeitsagentur, deren Argumentation mir schlüssig scheint.

[….] Bundesagentur-Vorstand Valerie Holsboer hingegen betonte, dass Sanktionen unverzichtbar seien. Die Gesellschaft würde es nicht akzeptieren, wenn es keinerlei Druck mehr gäbe. "Wie soll man den Menschen, die für kleines Geld zur Arbeit gehen, erklären, dass andere, die sich nicht anstrengen, netto fast das Gleiche in der Tasche haben?", sagte sie. "Deshalb ist es richtig und wichtig, bei Hartz-IV-Empfängern Mitwirkungspflicht einzufordern." Und das gehe nicht ohne Sanktionen.
Die Sanktionen sind im Sozialgesetzbuch II festgeschrieben. Bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen kann sogar die gesamte Unterstützung zeitweise gestrichen werden. [….]

Solche Sanktionen dürfen natürlich nicht völlig abstrus und willkürlich erscheinen, so daß schon nach einer kleinen Schusseligkeit 100% der Leistungen entfallen.
Aber irgendwas sollte schon geschehen, wenn ein Jugendlicher jede Mitwirkung verweigert. Wieso ist das nicht längst vernünftig im Sozialgesetzbuch geregelt?
Wegen solcher politisch-handwerklich schlecht organisierten Petitessen führen wir jetzt wieder eine Diskussion über die gesamte Agenda 2010?
Und das in einer Situation, in der die Gesamtanzahl der Leistungssanktionen ohnehin stark rückläufig ist? 2013 wurden noch in 700.000 Fällen Leistungen gekürzt, 2017 waren es knapp 450.000 Fälle von Strafmaßnahmen der Jobcenter gegen Leistungsberechtigte, immerhin 26.000 weniger als im  Jahr zuvor.  Bei insgesamt 3,1 Prozent der Empfänger kam  es zu finanziellen Strafen, also klappte die Zusammenarbeit in 97% der Fälle anstandslos. Und deswegen stellt Nahles nun die Systemfrage?
Wie blöd kann man sein, Nahles?

[….]  Die Sanktionen sind Ausdruck des Prinzips Fordern und Fördern, das Hartz IV zugrunde liegt. Die Idee ist: Es wird dem geholfen, der mithilft, seine Lage zu verbessen. Das ist keineswegs ein unerhörter Gedanke, sondern ein ziemlich einleuchtender. Hartz IV ist gerade kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern eine Grundsicherung mit dem Ziel, den Empfänger möglichst schnell wieder von ihr unabhängig zu machen. Das Ungeheuerliche ist nicht, dass Betroffene sich regelmäßig im Jobcenter melden und auch sonst mitmachen müssen; sondern dass es selbst im Arbeitsmarktboom nicht gut genug gelingt, die Leute wieder unabhängig von Hilfe zu machen. [….]