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Sonntag, 7. September 2025

Zukunft brauchen wir nicht

Ezra Klein und Derek Thompson, linksliberale Stars unter den US-Journalisten, legen den Bestseller »Der neue Wohlstand: Was wir für eine bessere Zukunft tun müssen« (Originaltitel: »Abundance«) vor und fragen im SPIEGEL-Gespräch, was nun einmal auf der Hand liegt, wenn man an die Zukunft denkt, in einem Land, das so offensichtlich, wie Deutschland alle Weichen falsch stellt.

[….] Klein: Aber mich interessiert gerade etwas ganz anderes: Was ist eigentlich mit Europa los? Wo ist euer Starlink (ein Satelliten-Internetzugangsdienst, angeboten von Elon Musks Firma SpaceX –Red.), wo ist euer Tesla, was ist mit eurer Wirtschaft passiert?  [….]

(DER SPIEGEL 37/2025, 06.09.2025)

Nun, das kann man erklären. Deutschland hat durchaus innovative Phasen, in denen es technisch international vorn mitspielt. Zum Beispiel während der Schröder/Fischer-Regierung in der Windkraft und Solar-Branche. Aber das geschieht immer nur unter SPD-Kanzlerschaften, die eher selten sind und vom Urnenpöbel gern durch bräsige Technik- und Zukunftsfeindlichkeit mit CDU-Kanzlern ersetzt wird.

Die deutschen Christdemokraten sind traditionell ökonomisch vollkommen ahnungslos und schlagen den genau falschen Weg ein.

Drei Beispiele:

Kupfer statt Glasfaser Dank des Kohl/Merkel-Kabinetts.

(….) Der weise und weitsichtige Bundeskanzler Helmut Schmidt beschäftigte sich schon in den späten 1970er Jahren mit modernen Kommunikationstechniken und kam zu dem Schluß; ein modernes Glasfasernetz könne Deutschland enorme Wettbewerbsvorteile liefern.

[…..] Altkanzler Schmidt wollte Glasfaser-Spitzenreiter werden. [….] Die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt hat bereits Anfang der Achtzigerjahre beschlossen, alle alten Telefonleitungen durch schnellere Glasfaser zu ersetzen. Das geht aus bisher unveröffentlichten Dokumenten einer Kabinettssitzung vom 8. April 1981 hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegen.  „Sobald die technischen Voraussetzungen vorliegen, wird die Deutsche Bundespost aufgrund eines langfristigen Investitions- und Finanzierungsplanes den zügigen Aufbau eines integrierten Breitbandglasfasernetzes vornehmen“, heißt es in einem Sitzungsprotokoll, das unter dem Aktenzeichen B 136/51074 im Bundesarchiv liegt. Wäre der Plan durchgezogen worden, könnte die Bundesrepublik heute das beste Glasfasernetz der Welt haben.  Fünf Wochen nach der Kabinettssitzung legte der damalige Bundespostminister Kurt Gscheidle (SPD) dem Bundeskabinett einen 30-Jahres-Plan vor. Ab 1985 sollte die Bundespost in jedem Jahr ein Dreißigstel des Bundesgebiets mit Glasfaser verkabeln. „Für den Ausbau ist bei einem jährlichen Investitionsvolumen von drei Milliarden Mark ein Zeitraum von 30 Jahren zu veranschlagen“, erklärte der Postminister damals. [….]

(Wirtschaftswoche, 04.02.2018)

Was dann aber kam, ist bekannt: Helmut Kohl wurde 1982 Bundeskanzler, acht Jahre saß in seinem Kabinett eine promovierte Physikerin als Ministerin: Angela Merkel.   Mit diesem Glasfaserzeug könne man nichts anfangen, befanden die beiden CDU-Größen.

Wichtiger wäre es gegen den „Rotfunk“ (CDU-Postminister Schwarz-Schilling über die ARD-Regionalsender) vorzugehen und Kohl ultrakonservativen Amigo und Millionenspender den Aufbau eines konservativen Privatfernsehens aufzubauen.

Sat1 als „geistig-moralische Wende“ – darauf ist Schwarz-Schilling auch heute noch stolz.

[….] Die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt hatte bereits 1981 Pläne für einen bundesweiten Glasfaserausbau beschlossen. Ein Jahr später kam Helmut Kohl an die Macht, legte die Pläne aufs Eis und förderte lieber das Kabelfernsehen. 35 Jahre Jahre später gibt es immer noch kein flächendeckendes Glasfasernetz. [….] 1982 wurde Helmut Kohl Kanzler einer schwarz-liberalen Koalition und der hatte andere Pläne. Statt Glasfaserausbau gab es Kabelfernsehen.

2017 warten viele Menschen noch immer auf den versprochenen Breitbandausbau. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland beim Glasfaserausbau fast am Ende.

 Der Deutschlandfunk berichtete vor wenigen Tagen in der Sendung Hintergrund über die Motivation, warum die Union auf Kabelfernsehen setzte. Dort erklärte der damalige Post-Minister Schwarz-Schilling (CDU):

    „Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“ Das Kalkül der Union: Wenn man schon nicht Sendungen wie „Monitor“ und „Panorama“ beeinflussen kann, dann soll es zumindest Konkurrenz von außen geben: durchs Privatfernsehen, eingespeist in die Kabelnetze. Also wurde die Bundesrepublik aufgebuddelt, und es wurden von der Bundespost Kupferkabel verlegt. Die kosteten damals weniger als ein Drittel der Glasfaser. [….]

(Netzpolitik.org 04.01.2018)

Selbst Ende der 1990er Jahre wehrte die CDU-FDP-Regierung hartnäckig alle Investitionen in die digitale Infrastruktur ab.

Legendär wurde eine Wahlkampfdiskussion im Jahr 1994 mit Helmut Kohl, als er vom Microsoft-Deutschland-Chef gefragt wurde, was der in Sachen "Datenautobahn" zu tun gedenke, aber noch nicht einmal den Begriff verstand, sondern von Autostraßen fabulierte – immerhin 13 Jahre nachdem sein Vorgänger schon ein entsprechenden Kabinettsbeschluss gefasst hatte. (….)

(40 Jahre schlafen, 28.06.2020)

Die Altmaier-Delle. 

Aus ideologischer Verblendung und/oder kurzfristiger Raffgier wollen Merz, Spahn und Reiche uns in den Hitzetod treiben. Nach dem Ende der ersten und einzigen rotgrünen Bundesregierung 2005, sorgte Merkels Lieblingsminister Altmaier in der Westerwelle-Merkel-Horrorregierung ab 2009 dafür, 60.000 Topjobs in der Windenergiebranche und 100.000 Jobs in der Solarbranche zu vernichten, um wieder auf billiges klimaschädliches russisches Gas zu setzen und sich in die Abhängigkeit von Putin zu begeben. Das passiert, wenn man Schwarz und Gelb wählt, Urnenpöbel.


[….] Die Reaktion insbesondere unionsgeführter Regierungen der vergangenen Jahrzehnte war verlässlich die gleiche: erst mal bremsen (egal, ob die anderen das auch tun). Deutschland setzte auf Kupferkabel statt Glasfaser, das mobile Internet galt lange als etwas alberne Spielerei, das Smartphone auch. Die Digitalisierung der Verwaltung steht als Ziel in jedem Koalitionsvertrag. Immer wieder.

Beim Thema künstliche Intelligenz war es das Gleiche: spätestens mit dem Sieg von AlphaGo gegen den Go-Meister Lee Sedol im Jahr 2016 hätte eigentlich klar sein müssen, dass gerade eine neue Ära der Technikgeschichte begonnen hat. Exemplarisch für die Bräsigkeit deutscher Regierungen im Umgang mit Transformationsprozessen war ein Satz des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier, gesprochen im Jahr 2018 bei einem der zahllosen, stets folgenlosen »Digitalgipfel«: Er freue sich auf eine Zukunft, scherzte Altmaier damals, in der ihm ein in Deutschland hergestellter Digitalbutler das Bier aus dem Kühlschrank hole. So stellen Unionsminister oft die Zukunft dar: wie die Vergangenheit, nur noch ein bisschen bequemer. [….] Unionsgeführte Regierungen reden immer viel von Strategie und Veränderungswillen und tun gleichzeitig möglichst viel dafür, den armen Deutschen die Veränderung möglichst lang vom Leib zu halten. Verbrenner retten! Gasheizung erhalten! Man versucht jetzt, das absolut unausweichliche Ende des Verbrennungsprozesses als zentraler Energiequelle zu ignorieren, zu vertagen, zu bremsen, zu verschieben. Das wird sich ebenso rächen wie bei den Themen Digitalisierung, Internet, künstliche Intelligenz. Denn die anderen warten nicht. [….] Huch, Elektroautos! Huch, Batteriespeicher! Huch, Wärmepumpen! Huch, billiger Strom aus Sonne und Wind! Huch, China! Huch, exponentielles Wachstum!

Man kann gerade live beobachten, wie eine unionsgeführte Regierung erneut versucht, die Fehler der Vergangenheit sehenden Auges zu wiederholen. Die Parallelen sind verblüffend. Aber die geopolitischen Gefahren womöglich noch größer.

Konkret zeigt sich das an der Kommunikation der Wirtschaftsministerin: Katherina Reiche (CDU) hat in den ersten zehn Wochen ihrer Amtszeit zum Thema Energiewirtschaft praktisch ausschließlich Dinge gesagt und getan , die fossilen Geschäftsmodellen nutzen und Elektrifizierung und erneuerbaren Energien schaden sollen. Gas wird billiger, Strom bleibt teuer, Gasheizungen sollen so lang wie möglich weiterlaufen, der Vorrang für grünen Wasserstoff wird gekippt, in der Nordsee soll Gas gefördert werden, und Reiche will so viele Gaskraftwerke bauen lassen, dass die EU zweifellos intervenieren wird.

Ende August soll ein von Reiches Ministerium in Auftrag gegebener »Monitoringbericht« erscheinen. Er wurde dem Anschein nach mit einem sehr konkreten Ziel bestellt: den Ausbau der erneuerbaren Energien abzubremsen, weil der angeblich zu schnell gehe und damit zu hohe Kosten verursache. »Überzogen« hat Reiche diesen Ausbau schon einmal genannt, jetzt braucht sie Argumente dafür, dass sie damit recht hatte. [….]

(Prof. Christian Stöcker, 17.08.2025)

Maximale Planungsunsicherheit zu Gunsten überholter Uralttechnologien.

Die Schwarzen reagieren mit geradezu nekrophiler Todessehnsucht auf die Herausforderungen der Zukunft und verweigern stoisch moderne Lösungen. Stattdessen klammern sie manisch an 100 Jahre alten, gescheiterten Konzepten (Atomkraft, Otto-Motor) fest. Durch CDUCSU wurde Deutschland technisch international abgehängt. Aus US- oder asiatischer Sicht sind wir nur noch Lachnummern.

[…] Diese populistische Dummschwätzerei des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder ist verantwortungslos. Denn sie schadet der deutschen Wirtschaft, vornehmlich der Autoindustrie. Und die hat schon genug Probleme.

Kurz vor dem Start der Internationalen Automesse in München tat sich Söder mit einem 10-Punkte-Plan hervor. Mit dem will er die für Deutschland so wichtige Autoindustrie retten, dürfte aber bei Realisierung genau das Gegenteil bewirken. Mit den meisten dieser zehn Punkte will Söder zurück in die Vergangenheit und das Verbrenner-Auto retten. Damit, das dürfte das Kalkül des Populisten Söder sein, möchte er den Geschmack der meisten deutschen Autofahrer treffen. […] „Stopp des Verbrennerverbots“, „CO₂-Zahlungen aussetzen“, „’Unrealistische‘ CO₂-Ziele neu formulieren“, „Keine Fahrverbote für Verbrennerautos“, „Kein Zwang zu Elektroautos“ – Fünf dieser zehn Punkte enthalten eigentlich dasselbe. […] Experten sind sich einig, dass Deutschland die Entwicklung hin zur E-Mobilität lange Zeit verschlafen hat und jetzt mit großer Verspätung zur Aufholjagd ansetzt. Der Grund dafür lag vor allem darin, dass die Politik hierzulande keinen eindeutigen Kurs vorgegeben hat. Immer wieder wurde – zu Zeiten der Ampel von der FDP – gebremst. Keinesfalls wollte man eindeutig auf die Entwicklung von Elektro-Fahrzeugen setzen. Der Verbrenner sollte unbedingt bleiben. […] So wurden Hersteller wie Verbraucher verunsichert. Andere Länder, allen voran China, setzten hingegen mit Entschlossenheit und zielstrebig auf die E-Mobilität. Dort wurden inzwischen Elektroautos und Batterie-Technologien entwickelt, die deutschen Produkten überlegen sind. Der schleppende und zögerliche Umstieg auf die Elektromobilität hierzulande gefährdete und vernichtete schon tausende Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie. Und jetzt kommt Söder daher und fängt das Spielchen schon wieder an. […]

(Christoph Lütgert, 07.09.2025)

Man darf C-Politiker unter keinen Umständen ins Bundeskanzleramt lassen. Aber durch die systematische Verblödung, die in unseren völlig maroden und unterfinanzierten Bildungsanstalten herrscht, halten Urnenpöbel und weite Teile der Presse Unionspolitiker hartnäckig und wider jede Realität für „wirtschaftskompetent“. Das bricht bedauerlicherweise nicht nur Deutschland das Genick.

[….] Klein: Dass ihr so schwach seid, ist auch schlecht für uns, für die Vereinigten Staaten.

Thompson: Es gibt viel zu wenige sogenannte Sputnik-Momente, herausragende technologische Innovationen, denen dann alle nacheifern. Eigentlich müssten wir, der Westen, uns durch Chinas Erfolge herausgefordert fühlen – oder eher: bedroht. Stattdessen sieht es so aus, als hätten wir unseren Staat in Ketten gelegt. Auch für Trump scheint die Konkurrenz mit China kein Anreiz zu sein. Wenn wir Trumps Gerede vom »Goldenen Zeitalter« ernst nehmen, das jetzt mit ihm als Präsident anbrechen soll, landen wir wieder beim Öl. […]

Klein: Nichts ist unvermeidlich, alles kann passieren. Trump war ein schlechter Präsident, er hat dieses Land schlecht regiert von 2017 bis 2021. 2024 wurde er dann von noch mehr Menschen gewählt. Fest steht: Trump muss bekämpft werden, wir müssen ihn schwächen, ihn besiegen. Wir wissen nicht, wo dieses Land in zwei oder in vier Jahren stehen wird. Aber die Geschichte lehrt, wie man hier sagt: Wenn die Dinge erst mal schlecht stehen, kann es noch schlimmer kommen. In dieser »Schlimmer«-Phase befinden wir uns gerade. […]

(DER SPIEGEL 37/2025, 06.09.2025)

Mittwoch, 20. August 2025

Unsere Mitschuld am Trump-Desaster

Man kann dem Kalifornischem Gouverneur Gavin Newsom gar nicht genug für seine Troll-Trump-Social-Media Kampagne danken!

Endlich, nach so vielen Jahren, schafft es jemand, die größte Gefahr für die USA-Demokratie bloßzustellen: Den Gewöhnungseffekt an den Trump-Irrsinn. Die stoische Hinnahme all der Lügen, Hetze, Verfassungsfeindlichkeit und überbordender Borniertheit.


Im Nebeneffekt entlarven sich die Trumpesken Lügen-Medien, wie FOX-News, selbst, indem sie empört Newsom der Lächerlichkeit bezichtigen, die seines Amtes nicht angemessen sei. Wenn also Newsom Trump imitiert, findet FOX seine Gaga-Postings schlimm, für Trumps Original-Gaga-Postings, küssen sie ihm den Hintern.


Es sind aber keineswegs nur „die Medien“, „die Amerikaner“ oder „die Politiker“, die sich der Trump-Normalisierung schuldig machen, sondern wir alle.

So ein Mann gehört vollständig geächtet und boykottiert, dürfte nirgends empfangen werden, müsste mit einem totalen Kommunikationsbann belegt werden. Sein toxischer Wahnsinn sollte nicht medial multipliziert werden.

Was für eine gemeingefährliche, übergriffige, kriminelle Type der Politiker Trump ist, wissen wir alle aus dem Wahlkampf 2015/2016.

Mit seiner Amtsübernahme im Januar 2017 gab es Gewissheit für die Europäer: Die USA sind keine verlässliche militärische Schutzmacht und wenden sich auf globaler Ebene zu den Schurkenstaaten.

A posteriori weiß ich, wie naiv ich bis 2017 als Pazifist war, der es stets begrüßte, wenn die Bundeswehr geschrumpft wurde und weniger Milliarden in Kriegswaffen und Rüstung investiert wurden. Der Putin der Schröder-Jahre bis 2005, der sich in engster Abstimmung mit Frankreich und Deutschland 2003 intensiv gegen den GWB-Irakkrieg engagierte, war tatsächlich keine Bedrohung für „uns im Westen.“ Wozu also eine hochgerüstete Bundeswehr, wenn man mit den zig Milliarden Euro so viel besseres anfangen konnte? Das war Konsens von Links bis CDUCSU. Schließlich schrumpften die C-Minister der 16 Merkel-Jahre die deutsche Armee auf Bonsai-Niveau, trockneten ihre Bestände aus. CSU-Star Karl-Theodor von und zu Guttenberg schaffte die Wehrpflicht ab.

Aber der 2005er Putin existiert schon lange nicht mehr. Drei Daten – Krim 2014, Trump 2016 und Ukraine 2022 – lassen nicht mehr den geringsten Zweifel: Europa muss unbedingt eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit eigener EU-Armee schaffen. Alle Europäer haben massiv in Rüstung zu investieren.

Auch heute habe ich mich nicht, wie Hofreiter vom Paulus zum Saulus gewandelt und begeistere mich nicht für Panzer und Kanonen. Die Bundeswehr, alles Soldatische, Uniformen sind mir unsympathisch. An der Waffe wäre ich eine absolute Niete. Ich fände es viel schöner, wenn überall Frieden herrschte und sich im Zweifelsfall „irgendjemand anderes“ um unsere Sicherheit kümmerte.

Aber so ist die Realität nicht. Wir Europäer müssen das schon in die eigene Hand nehmen.

Daß das nicht geschah und wir acht Jahre nach Trumps ersten Amtsantritt immer noch hilflos im Hühnerhaufenmodus gackern, nicht mal in der Lage sind, der Ukraine genügend Munition zu liefern, ist ein nicht zu entschuldigendes kapitales Versagen der ökonomischen Megamacht EU. Wir machen es sogar noch schlimmer, indem wir uns mit dem aktuellen Trump-von der Leyen-Deal noch mehr in US-Abhängigkeit begeben, indem wir für mehrere hundert Milliarden Euro Waffen in den USA kaufen und damit Trumps Rüstungsindustrie boosten, statt endlich unsere Eigene zu entwickeln. Absolut erbärmlich.

Und so kommt es dann zu der Peinlichkeitsparade, die wir Montag im Weißen Haus erleben mussten, als sieben Top-Europäer als Statisten auftraten und Trumps irre Lügen lobten.

[….] Und am Montag? Man muss sich die Szenerie im Weißen Haus einmal vorstellen: Die mächtigsten Europäer, große Egos wie Macron, Merz und Meloni, sitzen in einem Nebenraum, während Selenskij seinen Termin, nun ja, beim Boss hat. Die ganze Welt kann dabei live zuschauen, doch ausgerechnet den Herrschaften fehlt ein Fernseher, auf dem sie den Auftakt des Treffens verfolgen könnten.

Sie schauen auf ihre Telefone, sie bekommen natürlich mit, dass Trump diesmal fast schon nett ist zu Selenskij. Dass er sogar dessen Kleidung lobt, denn wie vom Weißen Haus gewünscht hat der Ukrainer dieses Mal nicht ein tarnfarbenes T-Shirt oder einen grünen Pulli an, sondern ein schwarzes Jackett über einem schwarzen Hemd. Sein Anzug sieht immer noch militärisch aus, der Lage in der Ukraine angemessen eben. Aber auf eine moderne und dezente Art. Trump, dem Kleider wichtiger als der Krieg zu sein scheinen, gefällt das ganz offensichtlich.

Bei den Europäern im Wartezimmer sorgte das logischerweise für Erleichterung. „Man konnte sofort spüren, dass die Atmosphäre gut ist“, sagt ein Teilnehmer. Aber mischte sich da in das Aufatmen nicht auch ein Schuss Scham? Da hocken die Abgesandten des alten Kontinents im Wartezimmer und dürfen froh sein, dass der eitle, alte Mann im Oval Office einen guten Tag hat. Sieben Zwerge, wenn sie ehrlich sind, geparkt in irgendeiner Kammer des Bergkönigs. Eine Sternstunde europäischer Selbstbehauptung war das eher nicht.  [….] Man habe, so heißt es aus Diplomatenkreisen, inzwischen ja gelernt, wie man mit Trump umgehen müsse. Zuerst: Man muss ihn loben und ihm danken, je öfter und überschwänglicher, desto besser. Und dann muss man dem US-Präsidenten die Punkte, die einem wichtig sind, immer und immer wieder einhämmern, ihn „in das eigene Narrativ einhüllen“, wie einer es ausdrückt, damit der Amerikaner halbwegs auf Linie bleibt und nicht an Putins Narrativ glaubt. Wer dabei etwas zu Trump sagt, ist zuweilen ähnlich wichtig wie das, was gesagt wird.

Klingt etwas kindisch? Ja klar. Aber die europäischen Staats- und Regierungschefs sind darüber längst hinweg, zumal politisch enorm viel auf dem Spiel steht. „Trump ist, wie er ist“, lautet ein Kommentar, den man in Europa zum Verhandlungsstil des Amerikaners hört. Nützt nichts, sich darüber noch aufzuregen.

Also haben die sieben untereinander die Rollen verteilt. Ursula von der Leyen lobt noch mal den „größten Handelsdeal der Geschichte“, den Trump der EU, um es offen zu sagen, brutal aufgezwungen hat und den die Europäer im Raum natürlich eher als peinlichen Kniefall in Erinnerung haben. [….] Rutte entbietet Trump untertänigsten Dank [….]

(SZ, 19.08.2025)

Es ist unerträglich. Nur mit Magenkrämpfen kann ich der europäischen Selbstverzwergung zusehen. Ertragen, wie wir devot vor Sauron kriechen, um zu retten, was zu retten ist.

[….] Nach dem Besuch der europäischen Spitzenpolitiker in Washington stellt sich die Frage: Wie konnte sich die Welt so schnell an dieses Niveau gewöhnen? Das Treffen war ein neuer Höhepunkt geopolitischer Infantilisierung.

Eine »Meisterklasse der Diplomatie« nennt die »New York Times« das , was die europäischen Staatschefs Montag im Weißen Haus abgeliefert haben. Das stimmt vielleicht. Auf viele Zuschauer dürfte es trotzdem so gewirkt haben, als schauten sie gerade einer Liveübertragung von einem Spielplatz zu, auf dem ein Haufen Erwachsener versucht, ein besonders tumbes und jähzorniges Kind zu überreden, seine Sandschaufel zu teilen. Nur dass das Kind der mächtigste Mann der Welt ist. Und es bei dem Spiel um das Leben Tausender und die Zukunft der Weltordnung geht. [….] Das Niveau stieg nicht viel höher, als kurz darauf die europäischen Staatschefs dazustießen. Stattdessen musste man immer neue Wellen von Fremdscham aushalten, während ein europäischer Staatschef nach dem anderen dem amerikanischen Präsidenten bescheinigte, wie toll er das alles mache, wie wichtig das hier sei, wie einzigartig, wie bedeutend – und könne er bitte, vielleicht, daran denken, dass die Ukraine ein paar Sicherheitsgarantien brauche? Nur, wenn das nicht zu viel verlangt ist! [….] Die Schleimerei konnte ungestört weitergehen. Auch Emmanuel Macron, Keir Starmer und Alexander Stubb aus Finnland durften dem Präsidenten noch Honig ums Maul schmieren.

Das Ziel der unwürdigen Darbietung ist geradezu schmerzhaft klar: Trump wieder für sich einzunehmen, nachdem die ganze Welt am Sonntag beobachten konnte, wie aufregend dieser die Begegnung mit Wladimir Putin fand. [….] Diese Unterwerfungskunst mag derzeit realpolitisch der einzige Weg sein. Es ist nur besonders entmutigend, das alles so geballt erleben zu müssen. Wie schnell die Welt sich an dieses Niveau gewöhnt hat! [….] [….]

(Matern von Boeselager, 19.08.2025)

In diese extrem demütigende Lage haben wir Europäer uns ganz allein durch eigene Doofheit gebracht. Selbstverständlich ist Putin klug genug, um die selbstgewählte EU-Paralyse und die intellektuelle Unzulänglichkeit in Washington zu analysieren. Selbstverständlich ist er skrupellos genug, um unsere Misere auszunutzen. Wir klammern uns wie hilflose Babys an Trump, der a) viel zu verblödet ist, um Geopolitik zu verstehen und b) charakterlich so verdorben ist, Putin zu bewundern.

Die EU hat seit dem 24.02.2022 noch nicht einmal eine Strategie entwickelt. Keiner kann sagen, was Brüssel eigentlich will, wie wir uns die Zukunft der Ukraine vorstellen. Wie könnte der Krieg enden? Aus Europa gibt es dazu nur sehr große Fragezeichen.

[….] Warum sich Putin so bald nicht mit Selenskyj treffen wird

Der US-Präsident kündigt einen raschen Gipfel von Putin und Selenskyj an. Doch Trump durchschaut den Konflikt schlicht nicht richtig: Der Kremlchef hat andere Pläne – und schafft in der Ukraine weiter brutal Fakten. [….] Putin werde Selenskyj erst dann treffen, wenn eine Einigung zu seinen Bedingungen vorliegen würde, schreibt die im Exil lebende russische Politanalystin Tatiana Stanovaya auf X .

Der Kreml schindet deshalb Zeit. [….] Putin weiß, dass er mit dem Gipfel in Alaska, bei dem Trump ihm schöne Bilder auf dem roten Teppich und seiner Limousine schenkte , noch lange nicht am Ziel seines Plans ist. [….] Immerhin schaffte Putin es, Trump auf seine Linie zu bringen: Erst sollen Moskau und Kyjiw ein Friedensabkommen aushandeln, dann einen Waffenstillstand abschließen, fordert jetzt auch der US-Präsident. Und das trotz des Widerstands Selenskyjs und der Europäer. [….]  

Die westliche Militärunterstützung der Ukraine führt Putin als eine der »tieferen Ursachen« für den Konflikt an.

Und genau diese seien Trumps Problem, glaubt die Politologin Stanovaya. Der US-Präsident verstehe bei seinem Versuch, Russland und die Ukraine zu »versöhnen«, den größeren Zusammenhang nicht. Für Putin handele es sich um einen »Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen«, schreibt sie auf X . Putin sehe diesen nicht als Krieg gegen die Ukraine an sich, sondern als Kampf gegen ein »umfassenderes langfristiges westliches Projekt zur Zerschlagung Russlands«. Für den Kremlchef sei dies die zentrale strategische Frage.  Trump sei jedoch bereit, nur über den Krieg zu verhandeln. Damit seien seine Bemühungen zum Scheitern verurteilt, selbst wenn beide Seiten ein Abkommen unterzeichnen würden, so Stanovayas Prognose. Der Konflikt in der Ukraine werde weitergehen.  […..]

(Christina Hebel, SPON; Moskau, 20.08.2025)

Neuerdings wird immerhin theoretisch überlegt, wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen könnten. Dafür wären theoretisch eine halbe Million EU-Soldaten in Osteuropa notwendig. In der Praxis ist das aber de facto nicht umsetzbar, weil wir a) nicht mal ansatzweise so viele Soldaten haben, weil b) Russland das kategorisch ausschließt und aus Kriegsgrund wertet und c) sogar die CDUCSU sofort in Hühnerhaufenmodus verfällt. Außenminister Wadephul sagt heute dies, morgen das Gegenteil, Röttgen kann sich das irgendwie vorstellen, Kretschmer ist strikt dagegen, Merz planlos, CDU-Verteidigungsexperte Thomas Röwekamp rechnet mit einem Bundeswehreinsatz in der Ukraine. Spahn will die Diskussion über die Frage verbieten. Dafür kauft die EU aber wieder mehr russisches Gas, um Putins Kriegskasse zu füllen.

[…]  EU gibt mehr für russisches Flüssigerdgas aus

Die Europäische Union hat im ersten Halbjahr Flüssigerdgas aus Russland im Wert von rund 4,48 Milliarden Euro importiert. Das übersteigt die Ausgaben im gleichen Zeitraum des Vorjahres um knapp ein Drittel.  […..]

(Tagesschau, 19.08.2025)

Was sind Leyens Luschen nur für Loser?! Putin hat gut Lachen.

Alle unsere Vorstellungen von Sicherheitsgarantien sind nicht umsetzbar, also rutschen die Euler bettelnd auf Knien zu Trump, um sich auf den Mann zu verlassen, der maximal unverlässlich ist. Wir leben in einer Simulation. Es muss sich um einen gigantischen kosmischen Witz handeln.

[…..] Es war ein bisschen wie im Zirkus. Die Welt hat aufs Weiße Haus und die Parade der Staats- und Regierungschefs aus Europa gestarrt wie ein Zuschauer auf die Manege. Einen Unterschied gab es allerdings. Alle achteten nicht nur darauf, ob die aufmarschierte Riege ihre Kunststücke auch brav aufführt, sondern auch, ob der Dompteur in der Mitte seine Aufgabe beherrscht oder mal wieder zum Clown wird.

Donald Trump hatte völlig recht, als er diese surreale Szene in Washington als historisch einmalig bezeichnete. Die Anführer der mächtigsten Nationen Westeuropas, dazu die Chefs der wichtigsten Organisationen Europas und des transatlantischen Westens ad hoc an einem Tisch im Weißen Haus versammelt – das gab es noch nie jenseits der üblichen Jahrestreffen von G 7 oder Nato. Und Trump hat es persönlich genommen. Als Ausdruck der Macht, die Amerika in der Welt besitzt. Und die er, als Chef dieser Ordnungsmacht, ausübt.  […..]

(Reymer Klüver, SZ, 19.08.2025)

Dienstag, 12. August 2025

Der ungesunde Deutschenverstand

In einer Demokratie, die immer noch zwar eine schlechte, aber doch bessere als alle anderen Regierungsformen ist, muss man letztlich die Machtverteilung von „denen da unten“ bestimmen lassen. Im positivsten Framing nennt man sie „der Souverän“, ein magisches Gebilde, welches durch Schwarmwissen weise Entscheidungen trifft.

Negativ geframt, handelt es sich um eine „Diktatur der Inkompentenz“; diejenigen mit dem geringsten Fachwissen entscheiden.

Ich neige zur zweiten Sichtweise.

Schon bei einer Bundestagswahl verlagert man die Entscheidungsgewalt aus der Gruppe von einer Millionen halbwegs Interessierten und Informierten [den Parteimitgliedern], in die größere und doofere Gruppe, die intellektuell mit einer solchen Wahl überfordert ist. Sie haben keinerlei politische Qualifikation, verstehen das aber aufgrund eines übergeordneten internationalen Dunning-Krueger-Effekts nicht nur nicht, sondern halten sich selbst aufgrund ihres „gesunden Menschenverstandes“ sogar für besser qualifiziert, als Profipolitiker.

Das ist nichts anderes, als eine besonders idiotisch völkisch verbrämte Null-Aussage.

"Der gesunde Menschenverstand ist nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat."

-      Albert Einstein

Daher sollte man plebiszitäre Entscheidungen auf ein Minimum beschränken und möglichst die qualifizierteren Volksvertreter entscheiden lassen. Als abschreckendes Beispiel wird immer gern die Todesstrafe genannt, die im Parlament glücklicherweise nicht durchsetzbar ist in einer Volksabstimmung nach einer Hetzkampagne und einigen ausgewalzten grausamen Verbrechen, vermutlich locker durchginge.

Idealerweise helfen die Parteien dem verwirrten Urnenpöbel zu erkennen, was vernünftig und notwendig ist.

[….] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Art 21

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.  [….]

In der deutschen Verfassung klingt das sehr vernünftig. Aber als das vor 80 Jahren niedergeschrieben wurde, erahnte niemand die Rolle des Internets, der Demoskopie. Geschweige denn Social Media.

Die „Willensbildung des Volkes“ wird 2025 kaum noch von den Parteien mitgewirkt, sondern von Bots, Algorithmen und Umfragen gesteuert.

Die Flut der Fehlinformationen führt zu einer ganzen Reihe kapitaler Irrglauben im Volk:

 Atomkraft sollte weiter eingesetzt werden, die AKWs wurden von den Grünen abgeschaltet, die CDU hat die größte Wirtschaftskompetenz, die Deutschen sind fleißiger als Südeuropäer, die Kriminalität steigt ständig an, die Kirchen finanzieren ihre Kitas und Altenheime, aus den Kirchensteuern werden die Bischöfe finanziert, die Grünen wollen die Currywurst verbieten, wir sind mit weniger Ausländern besser dran.

Das ist alles hanebüchener Unsinn.

In einer idealeren Welt, würden die Parlamentsparteien gemeinsam das Wahlvolk aufklären und verdeutlichen, was Fakten und was Phantasie ist. Die Kriminalität ist auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren, unter CDU-Führung wurden 11 der 14 deutschen AKWs abgeschaltet, etc.

Die meisten Politiker stemmen sich aber nicht gegen die schwachsinnigen Mehrheitsansichten im Volk, sondern befördern den Irrglauben sogar noch, weil sie von der resultierenden Wut an der Wahlurne profitieren wollen. Es hilft der CDU, CSU und AfD, wenn das Volk glaubt, die vielen Migranten in Deutschland zögen mordend und brandschatzend durch die friedlichen deutschen Vorstädte. Die wahre Kriminalitätsstatistik schadet nur.

Natürlich bedaure ich, daß Linke, Grüne und SPD in der Migrationsfrage nicht viel deutlicher Position beziehen. Offenbar haben sie es aufgegeben, gegen den rechtsextrem Schundmedienblock zu bestehen und wollen lieber ebenfalls von der xenophoben Volksstimmung profitieren. Sie trauen sich nicht, gegen die geballte Unkenntnis zu agieren, fürchten Shitstorms und Abstrafung an der Wahlurne.

Kurioserweise gibt es aber auch eine Reihe von Themen, bei denen „Volkes Meinung“ mit enormen Mehrheiten ganz richtig liegt, die aber im Parlament nicht die geringste Chance haben, weil die Parteien fest im Griff mächtiger Lobbygruppen sind.

Würde das Volk direkt gefragt, gäbe es Silvester ein Böllerverbot, auf den Autobahnen herrschte Tempolimit, die Sterbehilfe wäre legal, die Kirchensubventionierung vom Tisch, wir hätten eine Millionärssteuer, die 900.000 nicht arbeitenden Privatiers in Deutschland zahlten Spitzensteuersatz, Abtreibung wäre straffrei, Beamte und Selbstständige müssten in die Rentenkasse einzahlen und sicher gäbe es keine privilegierten Privatpatienten in einer Zweiklassenmedizin.

Es ist verblüffend, wie rückgratlos die Parteien bei einigen Themen vor dem Volk kuschen und lieber völlig falsche Dinge umsetzen, statt den Wählern bittere Wahrheiten zuzumuten.  Wie sie aber andererseits eisenhart die überwältigende Mehrheit des Volkes ignorieren. Parlamentarier sind also an den falschen Stellen hasenfüßig und an den falschen Stellen mutig. Sie sollten es aber immer besser wissen und dem Volk zuhören, wenn es richtig liegt. Sie müssen aber auch dann für ihre Überzeugungen und das Notwendige werben, wenn das Volk falsch liegt und etwas völlig Irrsinniges will.

Im letzten ARD-Presseclub ging es um den kommenden Zusammenbruch des Rentensystems.

Wirklich kein sexy Thema, mit dem man sich gern leidenschaftlich beschäftigt.


Aber die Zukunft der Rente ist ein Paradebeispiel für die Unfähigkeit der Politik, dem Volk reinen Wein einzuschenken.

Alle Probleme hatte Schröder schon 1998 auf dem Tisch und richtig analysiert. Wir kennen alle die Demographie und können bei dem Thema wunderbar in die Zukunft blicken, weil man anhand der Geburtenzahlen ausrechnen kann, wann wie viele Menschen wie alt sein werden. Aber wer blickt schon gern in die fernere Zukunft, wenn jetzt Wahlen vor der Tür stehen?

Als ich Ende der 1970er auf das Gymnasium kam, war die Enttäuschung zunächst einmal groß, weil auch in der Vorzeigeschule, in der die Kinder des Bürgermeisters ihr Abi machten, eklatanter Lehrermange herrschte, viele Stunden ausfielen. In der Pausenhalle hing damals eine Karikatur, in der ein einzelner Lehrer vor Myriaden Schülern steht und sagt „Hallo, seid ihr der Pillenknick? Ich bin die Lehrerschwemme.“

Wir wissen ganz genau, was uns demographisch blüht: Extreme Altersarmut und Zusammenbruch des Pflegesystems.

Und seit 27 Jahren sind wir nicht einen Schritt weiter. Keiner traut sich an eine richtige Reform.

Obwohl andere Länder das durchaus hinbekommen. Insbesondere in Skandinavien und Benelux.

Wir drehen immer nur minimal an Stellschrauben, verschieben die Finanzierung auf die Zukunft. Mit der Gießkanne werden Wohltaten ausgegossen an ALLE Rentner, also auch an die Superreichen, statt sich auf die Bedürftigen zu konzentrieren.

Die konservative Ursula Weidenfeld, die ich nicht ausstehen kann, sagte aber etwas Richtiges zur demographischen Entwicklung:

Daß sie den Menschen nicht vorschreiben wolle, wie lange sie arbeiten müssen, oder wie viele Kinder sie bekommen.

Es gäbe aber nur drei Möglichkeiten, das demographische Problem, daß also immer weniger Einzahler für immer mehr Rentner, die auch immer länger leben, abzuwenden:

1.) Die Menschen müssten sehr viel mehr Kinder bekommen.

Das ist aber ganz offensichtlich nicht gewollt. Die Geburtenrate ist seit 40 Jahren stabil viel zu niedrig.

2.) Die Menschen müssten viel länger arbeiten.

Auch das wird ganz offensichtlich nicht gewollt. Im Gegenteil, die meisten gehen mit Abschlägen, sogar vor dem offiziellen Renteneintrittsalter in Pension.

3.) Massive Migration nach Deutschland.

Das ist aber erst recht nicht gewollt, wie alle Umfragen und die Wahlergebnisse zeigen.

Wenn man aber als Liberaler die Menschen nicht zu diesen drei Punkten zwingen will, müsse man das eben als Volkswillen akzeptieren.

Dann lautet die Konsequenz eben massive Altersarmut. Der Staat kann dann keine auskömmlichen Mindestrenten und Grundsicherung anbieten.  Also müssen wir damit leben, in Zukunft jede Menge bettelnde Alte obdachlos auf der Straße zu sehen.

Politische Ehrlichkeit erfordert es, genau diese Alternativen dem Souverän klar zu machen. Wer CDUCSUAFD wählt, sich an den scharfen Grenzkontrollen ergötzt und keine Migration will, soll sich darauf einstellen als Rentner, sofern er nicht zufällig reicher Erbe ist, in einem Pappkarton unter einer Brücke zu leben und ganz sicher niemanden zu finden, der ihn wäscht, windelt und bekocht.

Montag, 23. Juni 2025

Unterkomplexität

Die Sicht auf das Pulverfass Nahost wird oft von Emotionen getragen. Abscheu, Ermüdung, Wut, Mitleid, Empörung.

Bestenfalls wird auf die enorme Komplexität verwiesen. Da es seit 75 Jahren immer wieder Kriege und Terror gab, Supermächte und Religionsführer intensiv ihr Gewicht in die verschiedenen Waagschalen warfen, wurden so viele Fehler gemacht, so viele Verbrechen begangen, so viel unerträgliches Leid zugefügt, daß jede Seite abendfüllend valide Argumente dafür aufzählen kann, im Recht zu sein, indem die Heuchelei und Abscheulichkeit der jeweils anderen genannt werden.

Zu dem großen religionsspezifischen Unglück  - alle drei abrahamitischen Weltreligionen, die unendliches Leid über den Planeten brachten, haben dort ihren Ursprung – gibt es eine Reihe weiterer Faktoren, weswegen die eigentlich auf ein vergleichsweise kleines Gebiet lokalisierte Nahost-Hölle, globale Auswirkungen hat:

·        Den Keim der Probleme legten die Europäer und US-Amerikaner durch ihre kolonialen Verbrechen und die damit verbundenen willkürlichen hochproblematischen Grenzziehungen.

·        Deutschland als die Holocaust-Täter-Nation kann niemals neutral sein.

·        Ost und West sehen in verschiedenen Nahost-Playern ihre Proxys und führen systemische Stellvertreterkriege.

·        Ausgerechnet in den Golfstaaten gibt es enorme Öl- und Gas-Vorkommen, die nicht nur die Weltwirtschaft in Gang halten, sondern auch unermesslichen Reichtum und damit verbundene ökonomischen Interessen begründen.

·        Zu allem Übel beinhaltet die Region rund um die arabische Halbinsel mit der Straße von Hormus, dem Suezkanal, dem Roten Meer, dem Golf von Oman und natürlich der Bab-al-Mandab-Straße, gleiche mehrere für den Welthandel absolut essentielle Meerengen.

Schlichtere Geister, wie Fritze Merz, verwerfen angesichts dieser komplizierten Gemengelage, gleich das internationale Recht und wollen Völkerrecht nur noch gelten lassen, wenn es „den anderen“ schadet, aber es nicht für Freunde und sich selbst anwenden. Legal, illegal, scheißegal – so lautet das bekannte CDUCSU-Motto.

[…] Merz sieht »keinen Grund« USA und Israel zu kritisieren

Bundeskanzler Friedrich Merz hat die Angriffe der USA und Israels auf Iran begrüßt. »Es gibt für uns und auch für mich persönlich keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel vor einer Woche begonnen hat«, sagte der CDU-Vorsitzende auf dem Tag der Industrie des Wirtschaftsverbandes BDI. »Und es gibt auch keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am letzten Wochenende getan hat«, fügte er mit Blick auf die US-Angriffe auf iranische Atomanlagen hinzu.

»Es ist nicht ohne Risiko. Aber es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option«, betonte der Kanzler mit Blick auf das iranische Atomprogramm. Iran wird vorgeworfen, Atombomben zu entwickeln, was die Regierung in Teheran zurückweist. Es gebe durchaus die Gefahr einer Eskalation, sagte Merz. Er sei jedoch einigermaßen optimistisch, dass es dazu nicht kommen müsse, wenn er sich die bisherigen Reaktionen Irans anschaue. Wenn die Straße von Hormus gesperrt werde, werde dies jedoch Konsequenzen geben. [….]

(Spon, 23.06.2025)

Mit dieser Haltung zeigt Merz, wieso Deutschland international keine Glaubwürdigkeit besitzt: Regeln gelten also nur rein willkürlich. Aber wieso sollten sich Iranische Mullahs oder Russische Präsidenten an Völkerrecht halten, wenn Merz klar sagt, die USA und Israel brauchen sich nicht danach richten?

Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen an der Uni Frankfurt, sieht es wie fast alle Vertreter ihrer Zunft, völlig anders als der Bundeskanzler.

[…] Zunächst einmal haben sich die USA hiermit in einen Angriffskrieg Israels eingeschaltet. Das heißt, die US-Regierung ahmt das Verhalten Israels nach. Sie heißt es damit auch gut. Aber nach wie vor gilt: Wir haben es hier mit einem völkerrechtlich gesehen illegalen Krieg zu tun. Und das heißt, dass diese Spirale der Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht sich weiter verschärft beziehungsweise weiter und schneller dreht. […] Gleichzeitig gibt es offensichtlich keinen Plan auf Seiten der USA. Wenn man sich Trumps Verlautbarungen ansieht, dann wirkt es ein wenig so, als denke er, dass mit diesem Angriff auf die drei Atomanlagen der Kriegseintritt der USA schon wieder erledigt sei. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn wir müssen davon ausgehen, dass Iran in der einen oder anderen Weise reagieren wird. […] Zum jetzigen Zeitpunkt können wir überhaupt nicht einschätzen, ob die Nuklearanreicherungsanlagen, die bombardiert worden sind, tatsächlich restlos zerstört worden sind. Das wird sich erst in der Zukunft zeigen. Wir wissen auch nicht, ob angereichertes Uran bereits aus Fordo fortgebracht wurde. Der Iran fährt seit mehreren Jahrzehnten sein Atomprogramm. Das heißt, er kann solche Anlagen auch wieder aufbauen. Er kann sich wieder auf den gleichen Pfad begeben. Um das iranische Atomprogramm zu beenden, brauchen wir ein verlässliches Abkommen. […] Man kann sogar Israel unterstützen in seinem Angriff. Aber man muss sich ganz klar sein: Der Angriff ist nichtsdestoweniger eine Verletzung des Gewaltverbots. Es ist ein Angriffskrieg, und der ist untersagt.

Und in dem Moment, in dem man das verschleiert und so tut, als wäre es legal, diesen Krieg zu führen, gibt man dauerhaft jedes Instrument aus der Hand, andere dafür kritisieren zu können, dass sie sich eventuell in Angriffskriegen engagieren. Man denke etwa an Russland in der Ukraine. Natürlich sind das unterschiedliche Situationen und unterschiedliche Gründe für diese Angriffskriege, aber beides sind Angriffskriege. Und in dem Moment, in dem wir das Recht nicht mehr für uns gelten lassen wollen, sondern nur noch für andere, wird es für niemanden mehr Geltung haben. […] Man kann das gar nicht dramatisch genug sagen. Wir sind momentan in einer Phase, in der die Weltordnung und damit auch das Völkerrecht auf der Kippe steht. Weil wir erleben, dass immer weniger Staaten - und eben nicht nur kleine, unbedeutende, nicht nur irgendwelche Schurkenstaaten - sondern die großen und wichtigen Staaten beginnen, sich immer weniger an das Völkerrecht gebunden zu fühlen.

Das schafft eine Situation, in der das Völkerrecht von niemandem mehr Anerkennung erfährt, weil einfach klar ist, dass sich niemand daran halten muss. Damit kommen wir in eine Welt zurück, in der allein das Recht des Stärkeren von Bedeutung ist. Und man muss sich ganz klar machen: Europa und Deutschland gehören weltpolitisch nicht zu den Stärkeren. Wenn wir über Machtpolitik sprechen, sind wir die kleineren. Wir brauchen das Regelwerk der internationalen Ordnung, wir brauchen das Völkerrecht. […]

(Tagesschau, 22.06.2025)

Merz ist aber zu unterbelichtet, um das zu verstehen. Er ist naiv und rechtlich unwissend.

[….] Nein, Herr Merz, SIE sind von diesem Regime überhaupt nicht betroffen. Betroffen sind zuallererst 80 Millionen Menschen im Iran, die seit 46 Jahren unter der tödlichen Unterdrückung dieses Regimes leben müssen. Einem Regime, mit dem Ihre Partei, das nur nebenbei, seit Jahrzehnten herumkumpelt, während genau diese Menschen Sie anbetteln, nicht mehr auf das Regime zu hören, sondern auf die Menschen.
Nicht die israelische Regierung macht die „Drecksarbeit“, sondern die vielen Menschen, die sich den islamistischen Machthabern widersetzen. Auf diese Menschen hagelt es im Übrigen gerade Bomben.
Get educated or shut the F up.
  [….]

(Gilda Sahebi, 17.06.2025)

Die Konsequenzen sind klar: Durch den totalen Glaubwürdigkeitsverlust in der Region, spielen die EU und insbesondere die drittgrößte Wirtschaftsmacht des Planeten Deutschland, keine Rolle im Nahen Osten. Was Fritze dazu sagt, ist schlicht irrelevant. Er wird gar nicht erst informiert. Das liegt keineswegs in der Natur der Sache, wenn man die deutsche Regierung ist. Die Regierungen Schmidt und Schröder genossen gerade im Nahen Osten enorme Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten. Sie waren kenntnisreiche Vermittler. Die Minister Wischnewski und Fischer verfügten über exzellente Kontakte; wurden auf arabischer, iranischer und israelischer Seite gern gesehen. Die Außenminister der Merkel-Ära konnten da nicht anknüpfen, Baerbock wurde noch weniger ernst genommen und Wadephul, obschon er erst so kurz im Amt ist, ist bereits in den USA völlig unten durch und wird sogar in seiner CDU scharf kritisiert.

Komplexe Themen lassen sich nicht nach kurzfristiger Opportunität simplifizieren. Man kann ihnen nicht geistig Herr werden, indem man mangelnde intellektuelle Durchdringung durch Subjektivität und Sympathie ersetzt.

Mangelnde Medienkompetenz spielt auch eine große Rolle. Die schrecklichen Bilder, die uns erreichen, werden viel zu wenig überprüft, auf die Absichten der Absender gegengecheckt. In Gaza gibt es so gut wie gar keine Journalisten. Das israelische Militär zensiert die Informationen sehr stark. Es gibt auch keine verlässlichen Fakten über die Fraktionen innerhalb des Teheraner Regimes. Nur Spekulationen. Nach Kriegseintritt der USA und dem Abwurf der 14, je 14 Tonnen schweren Bunkerbrecher, gab es selbstverständlich keine belastbaren Informationen aus dem Iran selbst. Stattdessen übernahmen Agenturen und deutsche Medienhäuser schlicht die Informationen, die Trump und Bibi verbreiteten: Zwei Männer ohne jede Glaubwürdigkeit; absolut notorische Lügner.

Wer bequem auf einem deutschen Sofa sitzt und sich ein möglichst realistisches Bild machen will, sollte auf seriöse Menschen hören, die aus dem Iran und Israel und Gaza stammen, die dort Familie und Freunde haben, die sich rund um die Uhr mit den Themen beschäftigen. Zum Glück gibt es solche Personen, die sogar auch ihre Analysen und Berichte in den Medien teilen. Natalie Amiri, Navid Kermani, Daniela Sepehri, Gilda Sahebi.

[….] Der Schriftsteller Navid Kermani hat Bundeskanzler Friedrich Merz wegen dessen „Drecksarbeit“-Aussage scharf kritisiert. Merz habe mit seiner Aussage die vielen zivilen Kriegsopfer beleidigt und entmenschlicht, sagte Kermani der Deutschen Presse-Agentur in Köln. „Wen meint er mit Dreck? Damit meint er offenbar die Menschen, die im Iran in den Hochhäusern ohne Luftschutzkeller sitzen und jetzt von Israel bombardiert werden. Das sind meine Verwandten, meine Cousinen und Cousins, meine Kollegen und Freunde. Viele von ihnen haben im Kampf gegen das Regime Opfer gebracht, von denen wir im Westen nicht einmal eine Vorstellung haben.“

Alle bekannten Protagonisten der Demokratie-Bewegung hätten sich gegen den Krieg ausgesprochen, so auch die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi oder die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh. „Diese beiden Frauen und Millionen andere Iraner kämpfen seit Jahren heroisch gegen das Regime und damit auch für Israels Sicherheit. Sie sind kein Dreck.“ Er glaube nicht, dass ein Helmut Kohl, ein Wolfgang Schäuble oder gar eine Angela Merkel, die in der Sache womöglich Merz zugestimmt hätten, je auf eine solche zynische Wortwahl zurückgegriffen hätten, sagte Kermani.

„Merz leistet damit einer Verrohung und Enttabuisierung der öffentlichen Sprache Vorschub, die den Rechtspopulisten enorm in die Hände spielt, siehe USA.“ In einem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Wochenendausgabe) formulierte Kermani pointiert: „Wer Respekt vor der Drecksarbeit hat, Bomben auf Zivilisten abzuwerfen, ist selbst ein Dreckskerl.“ [….]

(SZ, 22.06.2025)

Unglücklicherweise argumentieren auch seriöse Publizisten wie Ilko-Sascha Kowalczuk oder Hasnain Kazim bisweilen erstaunlich unterkomplex und polemisch.

Nein, Kazim und Kowalczuk; wenn ich Israel für den Bruch des Völkerrechts und die Angriffe auf den Iran kritisiere, bedeutet das eben NICHT, Sympathien für Al Chamenei und seine Mörderbande zu hegen.

Im Gegenteil. Ich befürchte, durch die militärischen Angriffe von außen, wird das Regime gestärkt und die Opposition nur noch mehr unterdrückt.

Mittwoch, 26. März 2025

Neoliberale drehen durch

Das ist ganz eigenartig. Ohne irgendeinen empirischen Beleg glauben die neoliberalen Hardliner in den verschiedenen Zeitungsredaktionen immer und immer wieder stoisch, mit dem Regierungsantritt ihrer schwarzgelben Helden, zöge Milton Friedman ins Kanzleramt. Nun werde „durchregiert“, die Bürokratie zurechtgestutzt, Kahlschlag bei den faulen Sozialschmarotzern betrieben und es brächen goldene Zeiten für das Unternehmertum an. Der Markt würde sich entfalten und klassisch angebotsorientiert, die gesamte Ökonomie in rasantes Wachstum versetzen, so daß trotz immer niedrigerer Steuersätze mehr Steuereinnahmen generiert würden.

Endlich Schluß mit den Sozi-Phantasien, die immer mehr Steuergelder mit der Gießkanne verteilten, die Staatsquote erhöhten und somit die Wirtschaft ruinierten.

taz 26.03.25

Das erwarteten sie nach Lambsdorffs Wende-Papier und dem Durchstart der schwarzgelben-Kohl-Koalition mit breiter Mehrheit.

Die würgte dann alle Innovationen ab, entwickelte einen verschachtelten und ausufernden Subventionsdschungel und hievte den Steuersatz auf nie gekannte Höhen. 56% betrug der Kohlsche schwarzgelbe Spitzensteuersatz.  7,5% Solidaritätszuschlag wurden ebenfalls von der Schwarzgelb eingeführt.

Rotgrün senkte ab 1998 massiv die Steuern. Von den Kohl-Spitzenzeiten ging es gleich 14 Prozentpunkte abwärts beim Spitzensteuersatz auf 42%.

Die schnöde Realität irritierte die neoliberalen Apologeten der Zeit – Jörges (STERN) und Steingart (SPIEGEL) aber nicht.  Heute heißen sie Weidenfeld (Focus/Spiegel), Schäffler (FDP) und Poschardt (SPRINGER).

Sie setzten weiter intensiv auf Schwarzgelb, um den Staat zu entrümpeln. Die neoliberale Kanzlerkandidaten Merkel war nach dem Leipziger Parteitag (2003) die neue Heldin. Mit Paul Kirchhofs kämen der Spitzensteuersatz von 25% und die segensreiche Kopfpauschale, Kapitaldeckung in der Sozial- und Krankenversicherung und Patriotismus – YEAH!

Mit diesen Versprechen wurde Merkel 2005 gewählt und setzte davon rein gar nichts um. Stattdessen kam eine drastische Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19%.

Doch nichts konnte den Glauben an Schwarzgelbe Wirtschaftskompetenz trüben; nun wurde er auf die „Wunschkoalition“ aus Merkel und Westerwelle ab 2009 projiziert. Das Programm lautete „Steuersenkungen Steuersenkungen Steuersenkungen“ und wurde – wenig überraschend – natürlich nie umgesetzt. Schäuble rückte zum Finanzminister auf und verweigerte fortan jede Arbeit an einer Einkommenssteuerreform. Keine Unternehmesssteuerreform und auch das Mehrwertsteuerchaos blieb unangetastet. Aber dafür würgte Schwarzgelb gemeinsam die wichtigsten Zukunftstechnologie ab, stoppte Windkraft und Photovoltaik. Sie schraubten die Energieabhängigkeit bei Putins Gas von 30 auf über 50%, schafften die Wehrpflicht ab, ruinierten die Bundeswehr und veranstalteten allgemein ein solches Regierungschaos, daß die FDP von 15% auf unter 5% stürzte.

Auch das bewirkte keinerlei Lerneffekt bei den Trickledown-Fans in den Wirtschaftsredaktionen. Eifrig verbreiteten sie weiter die Mär von den finanzpolitisch luschigen Rotgrünen, während FDP und CDU tapfer gegen des ausufernden Staat ankämpften. Dabei sind es die Konservativen, die Gießkannen-artig zig Milliarden Steuergeld an ihre Lobbyfreunde im Energie-, Agrar- und Fossilsektor auskippen, als gäbe es kein Morgen. Pendlerpauschale, Agrardiesel, Herdprämie.

In den 16 Jahren CDU-Regierung 2005-2021 kam es zu einer vollständigen Verkrustung der wirtschaftlichen Strukturen. In jedem denkbaren Sektor sieht Deutschland veraltet und abgehängt aus.

Da wieder aufzuräumen, wie es schon Gerd Schröder ab 1998 geschafft hatte, oblag also ab 2021 Scholz.

Konzeptionell und personell hätte das auch mit Rotgrün funktionieren können – trotz der drastischen außenpolitischen Probleme. Letztendlich mussten Scholz und Habeck aber an zwei unüberwindbaren Hürden scheitern:
1.) der Urnenpöbel hatte ihnen die zerstörerische Njet-FDP ins Nest gesetzt und

2.) die CDUCSUAFD-Opposition verhinderte erfolgreich eine adäquate Finanzausstattung der Regierung.

Unfassbarerweise setzte die mittlerweile fast einmütig rechte Presse 2024/25 auf genau die Typen, die den Totalschaden angerichtet hatten: Spahn, Klöckner, Dobrindt, Söder – und dazu auch noch der intellektuell sichtlich überforderte Fritze Merz, der in 69 Jahren genau Null Tage Regierungserfahrung sammelte, noch nicht einmal in einem Sauerländischen Dorf Regierungsverantwortung übernommen hatte. Bei Blackrock war er wegen offenkundiger General-Doofheit („Was ist ETF?“) zum Grüßaugust degradiert worden.

Nun zeichnet sich das ab, was zu erwarten war:
Merz kassiert alle seine Wahlversprechen und will offenkundig auf ewig-gestrigen Spuren die Fossillobby mit riesigen Milliardensummen auf Pump beschenken, um den Klimawandel zu beschleunigen.

Ein absoluter Wahnsinn.

Ursula Weidenfeld, die neue Gabor Steingart beim SPIEGEL, dachte allerdings bis gestern offenbar wirklich, Merz sei ein ökonomisches Genie, das jetzt auf klar neoliberalen Kurs nach Lehrbuch ginge. Überraschung. Das wird nicht passieren.

[….] Als Reaktion auf den Kurswechsel von CDU-Chef Friedrich Merz bei der Schuldenbremse hat ein Drittel des CDU-Stadtverbandes in Kühlungsborn (Landkreis Rostock) seinen sofortigen Parteiaustritt erklärt.

„Unsere Entscheidung basiert auf einer Reihe tiefgreifender politischer Entwicklungen, die wir nicht mehr mittragen können. Die Schuldenbremse ist die DNA der CDU. Durch die aktuelle Grundgesetzänderung wurde diese faktisch aufgehoben“, heißt es in einem Schreiben, das auf der Internetseite des Ortsverbandes veröffentlicht wurde und über das mehrere Medien berichteten. Darin wird zudem Kritik geübt an der Aufnahme der Klimaneutralität bis 2045 in das Grundgesetz sowie an unzureichenden Änderungen in der Migrationspolitik und beim Bürgergeld.  [….]

(HHMopo, 26.03.25)

Weidenfeld kann es nicht fassen.

[….] Das, was Friedrich Merz in der letzten Sondersitzung des alten Bundestags als »umfassende Modernisierung unseres Gemeinwesens« angekündigt hat, wird im schlimmsten Fall nichts anderes werden als die Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Robert Habeck. Nur, dass sie sich diesmal nicht im Heizungskeller der Nation versteckt, sondern von der Kommandobrücke des Kanzleramts ausgerufen wird. Habeck in ganz groß quasi: Der Staat reguliert, welches Unternehmen wann welchen Zuschuss für eine spezifische Investition bekommt. [….] Diese Strategie ist schon in den vergangenen Jahren schiefgegangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im zweiten Anlauf gelingt, ist nicht sehr groß. Statt die Leinen zur sozialen Marktwirtschaft zu kappen, sollte die CDU sie dringend ertüchtigen. Noch ist dafür Zeit – und im Bundestag braucht man nicht einmal eine Zweidrittelmehrheit dafür. [….]

(Weidenfeld, SPON, 26.03.2025)

Ein Paradebeispiel für widersinnige Zirkelschlüsse. Habeck war nicht das Problem, sondern die Lösung für Jahrzehntelangen CDU-Reformstau. Immer noch auf CDU zu setzen und dann wieder von der CDU enttäuscht zu werden, ist an sich schon erstaunlich irre.

Aber Weidenfeld scheint zudem auch noch auf dem Stand ihrer Ausbildung in den 1980ern stehengebliebenen zu sein. Hallo? Klimawandel?