Das ist völlig normal. Die Elterngeneration ist immer befremdet über die Moden und Vorlieben der nächsten Generation. Es wäre schrecklich, wenn es keine kulturpolitische Entwicklung gäbe.
„Die Jugend“ zu kritisieren, fällt außerdem immer auf einen selbst zurück, denn sie entwickelte sich nicht im luftleeren Raum, sondern der Kultur, die wir für sie geschaffen haben.
Am meisten stört mich an „der Jugend von heute“ die extreme Unselbstständigkeit. Bis 30 zu Hause wohnen, unfähig allein die Waschmaschine zu bedienen oder aus eigenem Antrieb einen Job zu finden.
Aber wie soll man es ihnen vorwerfen, wenn es doch ihre idiotischen Helikopter-Eltern sind, die sie bei jedem Schritt begleiten und ihnen jede Schwierigkeit abnehmen?
[….] Kolonnen von Elterntaxis
»Hört auf, die Kinder zur Schule zu bringen!«
Nach den Sommerferien stauen sich vor den Schulen morgens wieder die Autos. Doch zunehmend wehren sich Kinder, Eltern und Lehrer gegen die Blechlawinen – Straßensperrungen inklusive. [….]
Zudem scheinen die heutigen Teenager-Eltern unter exzessiven Lob-Wahn zu leiden und überschütten ihre kleinen Lieblinge bei jeder noch so lächerlichen Petitesse mit Lobeshymen. Keiner darf mehr leer ausgehen, bei jedem noch so unwichtigen Wettbewerb in der Schule, hagelt es Pokale und Auszeichnungen auch noch für die faulsten Trottel. Nach jeder Strichmännchenzeichnung, werden sie mit Picasso verglichen.
Natürlich verfallen die kleinen gefühlten Superhelden in Depressionen, wenn sie in der realen Welt ankommen und irgendetwas mal nicht ausgezeichnet läuft.
Grundschullehrer leiden heute darunter, daß es keine normal interessierten Eltern mehr gibt. Entweder, die häuslichen Verhältnisse im Prekariats-Milieu sind so zerrüttet, daß sich gar kein Ansprechpartner mehr finden lässt. Die Kinder wanken dann verschlafen, ungepflegt und hungrig in die Schule. Daneben gibt es nur noch das andere Extrem: Berufseltern, die immer dabei sind, die Lehrer mit Argusaugen überwachen und jede Note diskutieren.
Nach der Einschulung haben die Klassenlehrer die größten Probleme, Helikopter-Eltern wieder loszuwerden. Sie bringen ihre Brut nicht nur ins Klassenzimmer, sondern wollen sogar im Unterricht dabei sein, um ihre unselbstständigen Bratzen zu schützen. Viele Schulen erlassen inzwischen Eltern-Verbote für das Schulgelände, weil man die overprotective mums sonst nicht mehr los wird.
Logischerweise entwickeln sich in diesen Verhältnissen grausige Kinder. Aber sie können nichts dafür.
Zu diesen extrem überfürsorglichen Gluckeneltern habe ich schon fast zwei Generationen Abstand. Meine Alterskohorte kann sich nicht recht erklären, woher das Phänomen stammt. Aber es ist offensichtlich, daß auch hier „social media“ der eigentlich schuldige ist. Eltern diskutieren heute jedes Detail in Whatsapp- und Facebookgruppen. Dort schaukeln sich die Vorsichtsmaßnahmen offenbar immer mehr auf.
Ja, selbstredend pauschalisiere ich. Das ist aber Thema-immanent, wenn man über Generationen spricht.
Ich gehöre beispielsweise ungefähr zur Aiwanger-Generation, ging ebenfalls in den 1980ern auf ein deutsches Gymnasium. Umtriebe wie im finsteren Niederbayern wären dort aber undenkbar gewesen.
Der Schulalltag war aber offensichtlich eben nicht homogen; bei uns in Hamburg gab es keine Typen, die mit Hitlerbart und Hitler-Scheitel den Hitlergruß machten, aus Hitlers Schriften zitierten, abartige antisemitische Hetz-Flugblätter verteilten und anschließend zum stellvertretenden Regierungschef gewählt wurden.
Es hängt eben immer mit dem Elternhaus zusammen. Wer in so einem NSDAP-affinen Stall aufwächst, hetzt auch mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn er als +50er im Bierzelt in Bayern Wahlkampf macht.
Gestern sah ich die ARD-Y-Kollektiv-Doku "Car Porn - Im Land der Poser und Tuner".
Das ist ein kurzes Ausschnitt:
Eine Epidemie, die offenbar in ganz Deutschland virulent ist.
Jungmacker mit drastischen Minderwertigkeitskomplexen, die in superteuren Autos, die nachträglich auf ein Vielfaches der üblichen Motorlautstärke getuned wurden, durch die Innenstädte rasen. Das verschafft ihnen nämlich Anerkennung und Respekt in der Szene.
Es ist offensichtlich; die jungen Männer müssen häusliche Erfahrung mit Diskriminierung und Chancenlosigkeit haben, wenn sie kollektiv zu so drastischer Überkompensation greifen.
Wie man mit 18 oder 20 Jahren an ein 100.000 Euro teures Auto kommt? Neben Kriminalität, gibt es dafür reiche Väter, Verleihfirmen und auch das klassische Kollektiv-Model: Die ganze Familie mit Freunden legt zusammen, teil sich eine winzige billige Sozialwohnung in einer Plattenbau-Problemsiedlung, haben aber einen 80.000-Euro Mercedes mit Goldfolie und 500 PS, mit dem sie dann den lieben langen Tag car-posen fahren. Es nennt sich auch FLEXEN.
Die bequemen 18-30-Jährigen sind mehr denn je verliebt in ihre Klimakiller-PS-Monster, mit denen sie durch die Städte brettern.
[…] Renommiergehabe nennen das die Älteren, die darüber den Kopf schütteln, entweder amüsiert oder missbilligend - vor allem dann, wenn auf diesem Kopf ein Fahrradhelm sitzt. Die Jüngeren hingegen nennen es Flexen, vor allem dann, wenn sie sich vor dem Premiumfahrzeug selbst fotografieren. Flexen ist praktisch die Kerntätigkeit der Influencer-Internationale auf Tiktok oder Instagram (für die Älteren: Insta, für die Jüngeren: Gram), und jetzt hat es der Begriff sogar in eine Studie über "Flexkultur in Deutschland" geschafft. Beauftragt von der Firma Baulig Consulting, die selbst von solchen Influencer-Figuren betrieben wird, hat demnach ein Institut für Management- und Wirtschaftsforschung repräsentativ ermittelt, dass 49 Prozent der 15- bis 30-Jährigen heute gesteigertes Interesse für Luxusautos zeigten, in Hamburg sogar 58 Prozent, in Berlin immerhin 55. Mag sein, dass diese Erkenntnis nicht weniger interessegeleitet ist als die jahrelang in den Raum gepredigte Behauptung, dass "die" Jugend sich aus Autos immer weniger mache, was für den ländlichen Raum schon immer unwahrscheinlich klang, und jetzt halt auch in den Städten allem Augenschein widerspricht. Inzwischen sagen schließlich die Statistiken, dass so viele Führerscheine gemacht werden wie lange nicht. In der Popmusik werden mehr Autos in Hymnen besungen denn je, vor allem im Rap. Rund um den Bahnhof Zoo sieht man inzwischen fast genauso viele Flexer wie früher Fixer. In der City West sind sie mindestens so bildbestimmend wie in Teilen Friedrichshain-Kreuzbergs die automobilkritischen Aktivisten. [….]
(Peter Richter, SZ, 20.04.2023)
Natürlich, das kommt nicht aus dem Nichts. Man soll nicht immer auf „die Jugend“ schimpfen und seine eigene Teen/Twen-Zeit verklären. Aber es stimmt nun einmal: So scheiße waren wir nicht.
Die ganze 45-Minuten-Reportage
Es ist nichts Neues, daß ich als Kinderloser den Bezug zur Jugend verloren habe und nicht begreife, wofür die sich interessieren und wie die sich benehmen. Aber wie soll man nicht in Kulturpessimismus verfallen, wenn man dazu noch weiß, daß die Lindner-FDP bei der Bundestagswahl 2021 stärkste Partei bei den Erstwählern wurde?