Mittwoch, 3. Juni 2020

Begriffe reklamieren

Niemand kann mir nachsagen übertriebene Sympathien für Saskia Esken zu haben. Ich halte sie für die größte Fehlbesetzung an der Spitze seit 1863; sogar noch schlimmer als Andrea Nahles – und das will einiges heißen.
Sie ist zudem aus unerfindlichen Gründen so selbstsicher und arrogant, daß ich kein Mitleid für sie entwickele, wenn sie mal wieder einen Shitstorm losgetreten hat und es auf sie einprasselt.

Allerdings hat sie inzwischen dieses Stadium des „Generalverschiss“ erreicht, in dem grundsätzlich jede Äußerung von ihr mit Häme überzogen wird.

[…..] FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki sieht nach dem Desaster der Liberalen bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern keine Perspektiven für die Liberalen. Die FDP habe „kein Westerwelle-Problem, sondern ein Marken-Problem“, sagte der Fraktionschef in Schleswig-Holstein der „Leipziger Volkszeitung“.
Denn als Marke habe die FDP momentan „generell verschissen“, das sei die Meinung der Bürger. […..]
(Welt, 05.09.11)

Da hatte der AfD-freundliche FDP-Vize tatsächlich Recht. 2009 waren die Westerweller nach elf Jahren Opposition wieder in die Regierung eingetreten und hatten so eine unfassbare Kette von Peinlichkeiten, Korruptionen und Totalblamagen hingelegt, daß sie von 15% und Regierungspartei unter die 5%-Hürde ins parlamentarische Aus rauschten und schon bei der bloßen Erwähnung des Parteikürzels das pawlowsche kotzen begann.

Dieses extreme Stadium ist für den Betroffenen recht unerfreulich. Das erlebten auch Andrea Nahles und Kurt Beck gegen Ende ihrer Amtszeiten. Selbst wenn sie die klügsten Dinge sagten, gab es nur noch vernichtenden Darstellungen und jeder winzige Fehler, der bei populären Politikern wie Guttenberg oder Merkel gar nicht erwähnt würde, erscheint genüsslich aufbereitet in den nächsten Schlagzeilen.

(…..) „Kurt Becks Idee mit den Taliban zu verhandeln, zeigt wie wenig Ahnung er von internationaler Politik hat“
Zwei Jahre später läßt sich Guttenberg für die Idee feiern auch mit Taliban verhandeln zu wollen.  (…..)

Esken ist schon nach sechs Monaten im Generalverschiss-Stadium und kann es nicht mehr richtig machen.
Jeder außenpolitische Vorschlag von ihr würde wie Becks Taliban-Talk-Pläne von 2009 hämisch zerrissen. Dabei war es eine gute Idee, die auch gelobt wurde, nachdem sie von einem beliebteren Politiker ausgesprochen wurde.

Vorgestern hatte ich noch beklagt, dass die Bundesregierung viel zu lasch gegenüber Trump auftrete.
Mein Heiko Maas lässt mich aber doch nicht im Stich und teilte heute deutlich aus.

Maas verurteilt Trumps Gewaltandrohung
Außenminister Heiko Maas reagiert mit scharfer Kritik auf die Drohung von Donald Trump, Soldaten gegen die Protestierenden in den USA einzusetzen. Der US-Präsident gieße "Öl ins Feuer", sagte der SPD-Politiker. [….]

Saskia Esken, die nicht nur keine Regierungsplattform hat, sondern sich offenkundig auch nicht darum schert, ob sie wahrgenommen wird, twitterte.

Was sie twitterte war allerdings gut und richtungsweisend. Sie bekannte sich angesichts des Jahrestages des Lübcke-Mordes und des Trump-Plans die „Antifa“ zur Terrororganisation zu erklären klar dazu selbst „Antifa“ zu sein.


 
Wie richtig Esken liegt zeigt sich daran wer als Reaktion empört aufheult:
Der rechte CDU-Flügel, die AfD, Trump und rechtsradikale Blogs wie Bergers Pipi-Hetzorgan.

Der Shitstorm ist erheblich; wenig verwunderlich, daß sich Faschisten nun auf Esken stürzen.


[….] CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte: "Gegen Faschismus und für Demokratie und Menschenrechte. Ohne Gewalt. Für mich selbstverständlich. Für die Antifa nicht. Traurig, dass der Vorsitzenden (der) SPD die Kraft zur Differenzierung fehlt." […..]




Wer von denen beschimpft wird, macht etwas richtig!

Typischerweise bekommt Esken nicht unter Kontrolle was sie losgetreten hat, lässt die Rechten kaum widersprochen ihren Twitterfeed dominieren.

Wäre sie intelligenter und strategisch denkend, hätte sie geahnt was kommt und versucht die Hoheit über den Stammtischen zu gewinnen, statt nur trotzig ein Bildchen aus dem Duden zu posten.
Ihr „Bekenntnis“ müsste gerade angesichts dieser Reaktionen nämlich ausgebaut werden. Man darf sich nicht von Nazis mit ihren Talking Points die Sprache dominieren lassen, sondern muss Herr/Herrin/Dame der Debatte werden.
Man muss sich dagegen wehren, daß ausgerechnet ein rassistischer Extremist wie Donald Trump weltweit einen Begriff kapert.
Nein, weder Trump noch Trixi Storch, noch Ziemiak oder gar rechte Twitter-Trolls haben zu bestimmen wie „Antifa“ konnotiert wird.
Was für eine völlig absurde Vorstellung: Wir richten uns sprachlich an den Wünschen des braun-debilen Mobs aus, der nur rudimentäre Rechtschreibung, fast gar keine historischen Kenntnisse und garantiert nicht einen Funken Moral besitzt?

Esken, die SPD, die Deutschen, wir, sollten den Begriff „Antifa“ nicht kapern lassen, sondern ihn uns stolz zurück erobern.
Antifa muss (wieder) so positiv assoziiert werden, daß Storch und Trump dumm dastehen, wenn sie auf die Antifa eindreschen und nicht etwa die Demokraten, die sich gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit engagieren.

Wir müssen uns den Begriff erhalten, ihn den Pro-Faschistoiden abjagen.
Solche Vorhaben gelangen schon.
Konnotationen verändern sich. Das Wort „geil“ war einst so drastisch und derb, daß ich mir scharfe Rüffel abholte, als ich das unglaubliche Adjektiv stolz zu Hause präsentierte, nachdem ich es in der Grundschule verraten bekommen hatte.

In meiner Kindheit war „schwul“ ein übles Schimpfwort; wer gleichgeschlechtlich Liebende nicht diskriminieren wollte, sprach von „Homosexuellen“. Dann aber begannen sich Schwule selbst „schwul“ zu nennen und den Begriff so stolz und positiv zu besetzen, daß man sich wenige Jahrzehnte später selbst schwul nennen kann, ohne Stirnrunzeln zu ernten.
Ähnlich war es mit dem Begriff „Hure“; ein noch übleres Schimpfwort als „Nutte“.
Um sich nicht derartig diskriminieren zu lassen, nannten sich Prostituierte aber irgendwann selbst immer öffentlicher und ungenierter „Huren“.

[….] Schimpfen können ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen.
Interessanterweise beherrschen ausgerechnet die größten Schimpfer ihr Metier oft überhaupt nicht, sondern beschränken sich auf eine simple Kombination aus Koprolalie und Echolalie.
Genauso funktionieren auch die Pöbeleien des antidemokratischen Rassisten Donald Trump.
„Antifa! Antifa!“ ätzt er beispielsweise und beweist mit der falschen Betonung, daß er sogar zu blöd ist zu begreifen was er selbst verbal flatulenzt.

Besondere Häme trifft oft eher den Pöbler als den Adressaten, weil sie dessen Beschränktheit offenbart.
So sind zwei der meist verbreiteten Schimpfworte – „Wichser“ und „schwul“ – nur von geistig sehr Minderbemittelten negativ konnotiert.
Masturbation und Homosexualität sind in Wahrheit weit verbreitet, gesund und völlig normal.

Das betrifft auch den Begriff „Antifa“.
Unter Demokraten sollte Einigkeit bestehen, daß Faschismus die gefährlichste und verachtenswerteste Ideologie überhaupt ist.
Antifaschismus ist geradezu der Gründungskonsens beider deutscher Staaten nach 1945. Es musste erst gründlich entnazifiert werden.
Faschisten mussten ihrer Gesinnung abschwören.
Wie sollte es auch ausgerechnet in Deutschland anders sein, nachdem der Faschismus mehr als einen Kontinent vollkommen zerstörte, den Holocaust beging und darüber hinaus 55 Millionen weitere Kriegstote verursachte?
„Wehret den Anfängen“ und „Nie wieder!“ sind die einigenden Kernüberzeugungen aller deutschen Parteien.

Wer kein Antifaschist ist, muss sich sehr ernste Fragen bezüglich seiner Verfassungstreue gefallen lassen.
Folgerichtig werden Antifa-Aktivisten üblicherweise von Nazis, AfD-Flügelmännern und David Berger attackiert.
Es ist eine Ehre für alle Antifaschisten; wer den Zorn des zutiefst verlogenen und bösartigen PiPi-Bloggers auf sich zieht, macht offensichtlich alles goldrichtig. [….]