Samstag, 19. März 2016

Politik und Persönlichkeit



Deutsche Politiker der allerersten Reihe, also Kanzler und Präsidenten, können ihre Familie nicht ganz aus der Öffentlichkeit halten.
Man erfährt von ihren Partnern, auch ihre Familie wird in die Öffentlichkeit gezerrt.
Das ist der Preis für ein so hohes Staatsamt.

Eine Reihe weiter hinten, auf der Ebene der Bundesminister und Ministerpräsidenten, ist man immer noch sehr prominent, hat aber durchaus die Wahl wie man mit der Presse umgeht.
Selbst so ein Kamera-affiner Mann wie Horst Seehofer zeigt seine vier Kinder wenig hervor.
Eine Extremform von Politkern dieser Ebene ist Jürgen Trittin, der sieben Jahre Bundesminister, jahrelang Landesminister und Parteichef war und dennoch überhaupt gar keine privaten Dinge preisgibt. Man weiß lediglich, daß er als Hobby-DJ auftritt. Über seine Frau und Kinder ist so gut wie nichts bekannt. Sie kommen nie in die Öffentlichkeit, sie werden nicht erkannt und niemals würde Trittin die BUNTE zu einer Homestory ins Haus lassen.
Am anderen Ende der Skala stehen Blender-Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg oder Ursula von der Leyen, die regelrecht die Yellow-Press suchen, sich immer wieder mit irgendwelchen persönlichen Geschichten beliebt machen wollen.

Das kommt zwar meistens gut an, weil sie die Majorität des Wahlvolkes ohnehin nicht für Politik interessiert, sich aber mit Familienmenschen solidarisieren.
Aber es kann auch schief gehen. Das mußte Christoph Ahlhaus 2010 erleben, als er sich kaum daß er ein paar Tage im Amt des Bürgermeisters befand mit seiner grinsenden Frau in der BUNTEn als glamouröses First-Couple in einem Schloss inszenieren ließ und der Presse entgegen flötete, er nenne seine Simone privat immer „Fila – von First Lady“.
Das im hanseatischen Understatement-Hamburg führte zum Amtsverlust in Rekordzeit mit einem CDU-Rekordverlust.

In der dritten Politebene, Landesminister, bekanntere Bundestagsabgeordnete, ebbt das natürliche Interesse der Medien schon ab. Die Präsenz-Süchtigen wie Erika Steinbach, Wolfgang Bosbach oder Katja Suding müssen da schon einiges unternehmen, um im Gespräch zu bleiben.
Sie bombardieren die Medien regelrecht mit Kommentaren zu allem; stets in der Hoffnung Aufmerksamkeit zu erregen.
Es gibt Kollegen, die erheblich wichtigere Arbeit leisten und dennoch öffentlich nahezu unbekannt sind.

Ganz am Rande bemerkt: Bei TV-Journalisten gibt es ähnliche Extreme. So vergeht keine Woche, in der ich nicht in einer der Hamburger Zeitungen die Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers vorfinde, die offenbar manisch von Klatsch-Event zu Klatsch-Event rast.
Es gibt Kollegen von ihr, Susanne Daubner zum Beispiel, die das niemals tun.

Wenn einer so bekannt ist wie die Politiker der ersten Kategorie, kann sich auch der Polit-Konsument nicht dem Sog entziehen eine persönliche Sympathie oder Antipathie zu entwickeln.
Natürlich sickern immer mal wieder Details aus dem persönlichen Umfeld durch, die zwar politisch völlig irrelevant sind, die man aber unbewußt doch mitbewertet.

So war mir Helmut Schmidt schon deswegen immer etwas sympathischer als üblich, weil er so unprätentiös war. Luxus interessierte ihn nicht. Er ließ sich nie mit Titeln anreden und behandelte die Zeitungsverkäuferin genauso höflich wie einen Staatspräsidenten. Seine Ehefrau sah er ganz offensichtlich als geistig ebenbürtige Diskussionspartnerin an.
Was man über seinen Nachfolger im Amt aus dem persönlichen Umfeld weiß, ist so ziemlich das Gegenteil. Kohl behandelte seine ganze Familie mies, entwickelte im Umgang mit Untergebenen eine sadistische Freude an der Demütigung, beharrte energisch auf förmlichen Ehren. Noch als er schon lange in Schimpf und Schande im Spendensumpf versunken war, reagierte er demonstrativ nicht auf die Anrede „Herr Kohl“ und belehrte lang vertraute Journalisten er kenne keinen „Herrn Kohl“, sondern lediglich einen „Herrn Bundeskanzler Kohl und einen Herrn DOKTOR Kohl“.

Streng genommen sagt auch das wenig bis nichts über die politische Eignung aus, aber es fällt mir schwer auszublenden, daß ich eins sehr viel sympathischer als das andere finde.

Im Umgang mit der Presse war der gestern gestorbene Guido Westerwelle sicher einer von der Sorte Guttenberg/Leyen, der geradezu exzessiv nach Aufmerksamkeit gierte.
Die BUNTE war jahrelang Westerwelles einziger Maßstab.

Das Fachblatt für Seichtes, Sachfremdes und Verblödung, die BUNTE aus dem Hause Burda, ist das erfolgreichste Klatschmagazin Deutschlands.
Mit einer Reichweite von über vier Millionen Lesern kann Chefradakteurin und Markwort-Lebensgefährtin Patrizia Riekel mit ihren oftmals fernab der Wahrheit angesiedelten Berichten durchaus politisch relevant sein.

Nur mit ihrer maßgeblicher Hilfe konnte Lügenbaron von und zu Guttenberg (Kunduz!) zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufsteigen.
Die stets perfekt in Szene gesetzten Brüste seiner Ehefrau Stefanie - eine geborene Gräfin von Bismarck-Schönhausen wie BUNTE nie vergisst demütig zu erwähnen - kompensieren die fehlenden politischen Erfolge ihres Mannes.

Eine endlose Folge von Hochglanzphotos des adeligen Promi-Paars dürfte auch den konservativen Verleger und CDU-Bundespräsidentenwahlmann Hubert Burda erfreut haben, der seinen Parteien stets eine große Hilfe ist.

Frau Riekel geht nicht unkreativ vor.
Eine ihrer besten Ideen war das vor einigen Jahren eingeführte „Promi-Register“, das in jeder Ausgabe des Yellowpress-Flaggschiffs alle erwähnten Möchtegern-Wichtigen alphabetisch aufzählt.
So muß ein Pressesüchtiger nicht erst umständlich das ganze Heft durchblättern, sondern kann auf einen Blick erkennen, ob er wieder „drinsteht“!

König dieser Disziplin ist zweifelllos Guido Westerwelle, der seit Jahren in keiner einzigen BUNTE-Ausgabe fehlt.
Mögen seine Kollegen auch noch so viel Akten studiert und Hintergrunddiskussionen geführt haben - Guido raste wie besessen von einem Ball zur nächsten Eröffnung.
Kein Boulevardevent, keine Friseursalon-Einweihung, keine Gala, die ohne den FDP-Chef stattfand.
Erst nachdem er Außenminister wurde, kam es einmal zu einem Register-Novum: unter dem Buchstaben „W“ kein Guido!
Es blieb aber bei einer Ausnahme.
Auch in der aktuellen Ausgabe ist wieder ein Westerwelle-Bild.

Das Eventleben des Guido W. war die logische Entsprechung seiner politischen Konzeptionslosigkeit. Außer „Steuern runter“ hatte er rein gar nichts anzubieten. Dafür war er aber privat immer presse-präsent.
Die Antipode Trittin hielt sich privat aus den Medien fern, grübelte stattdessen über politischen Lösungen.
So gibt es von Trittin ein wegweisendes und kluges Buch „Stillstand made in Germany“, so wie sich auch sein Kollege Joschka Fischer mehrere Jahre vor 1998 intensiv in die Außenpolitik eingearbeitet hatte und seine Erkenntnisse in Buchform Für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Eine politische Antwort auf die globale Revolution vor der Bundestagswahl vorgelegt.
Inzwischen veröffentlichte Fischer weit über ein Dutzend politische Bücher.

Westerwelle tat nichts dergleichen. Er war so von sich überzeugt, daß er im höchsten Maße ahnungslos ins Außenamt stolperte und dort zu allem Übel auch noch verkündete er werde sich nicht darauf beschränken sich ein paar schöne Jahre im Außenamt zu machen, sondern auch Innenpolitik betreiben. Westerwelle hielt Außenpolitik also offensichtlich für ein minderwichtiges Hobby, das man nebenher betreiben könne.

Nachdem mein gestrigen Posting auf FB hart kritisiert wurde, habe ich noch mal intensiv nachgedacht, ob er eigentlich IRGENDETWAS GUTES POLITISCH bewirkt hat.
Aber mir will nichts eingefallen. Westerwelle hatte keinen positiven Einfluss auf die deutsche Politik.

Er kann natürlich theoretisch dennoch ein ganz lieber freundlicher Ehemann gewesen sein.

Erstaunlich viele der Nachrufe beschwören seine menschliche Güte, daß er privat so anders gewesen wäre.

Aber die Privatperson G.W. kenne ich nicht und es steht mir nicht zu sie zu beurteilen.
Für mich ist nur der Politiker relevant.
Und ich halte es für positiv den Politiker Westerwelle nicht mehr als relevante Kraft in der Bundespolitik zu haben.