Gerade gestern war FDP-Vize Kubicki wieder einmal eskaliert und hatte mit seinem Putin-Habeck-Vergleich einen neuen Tiefpunkt der politischen Kultur eingeläutet.
Heute geht es munter weiter. Der Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich von AFDP-Gnaden bezieht wieder Position gegen die demokratischen Parteien und flirtet mit den Höcke-Faschisten.
[…..] Derweil macht praktisch zeitgleich der Landesvorsitzende der FDP Thüringen, Thomas Kemmerich, von sich Reden. Das war der FDP-Politiker, der sich kurz von der Rechtsextremen Höcke AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen hatte wählen lassen, um dann kurz darauf, wieder zurückzutreten, weil der Skandal zu groß geworden ist. Auch „spazierte“ er zu Beginn der Corona-Pandemie gemeinsam mit der AfD gegen Corona-Maßnahmen. In einem Talkformat, in dem Rechtspopulisten öfter vom „Niedergang Deutschland“ schwadronieren, meint Kemmerich, dass man trotz oder mit der AfD Mehrheiten finden werde, der wahre politische Widersacher sei „die politische Linke“.
Thomas Kemmerich (FDP) plädiert in Thüringen für Mehrheitsbildungen mit der rechtsextremen AfD: “Wenn [gute Ideen] eine Mehrheit trotz oder mit der AfD finden, dann ist die Mehrheit halt da.” Einige Sätze später befürwortet er eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten.
— Johannes Hillje (@JHillje) March 22, 2023
Der Chefredakteur eines der Sprachrohre der Neuen Rechten, die „Junge Freiheit“, die als AfD-nah gilt, griff das Video auf und wies auf die Möglichkeit einer von der AfD geduldeten Minderheitsregierung hin, die Kemmerich befürworten solle. [….]
Der Grund für diese fortwährenden Entgleisungen, liegt in der grundsätzlichen Entscheidung der FDP für die Partei und gegen das Land.
Während die beiden größeren Ampel-Koalitionspartner zähneknirschend vieles mittragen, das mit dem eigenen Parteiprogramm kaum kompatibel ist, weil sie selbstverständlich verstehen, als Minister nicht weiterhin Partikularinteressen zu vertreten, sondern für das gesamte Volk verantwortlich zu sein, fehlt den Hepatisgelben jedes Verantwortungsgefühl.
Weder fühlen sie sich für Deutschland verantwortlich. Noch für die Verfassung. Am wenigsten interessiert sie die Zukunft. Für die Lindneristen sind die persönlichen Pfründe des Jetzt die einzige Antriebskraft.
[….] Man stelle sich vor: Die Topmanager eines Konzerns verhandeln wochenlang, monatelang mit ihren Partnern. Am Ende wird man sich einig, der Deal steht und Aufgaben, Gewinne und Risiken sind verteilt. Nach ein paar Monaten aber kommen den Topmanagern Zweifel. Vielleicht ist diese Klausel im Vertrag doch nicht so günstig, vielleicht jenes Risiko nicht ausreichend abgesichert. Also erfüllen sie nur noch die Teile des Vertrags, die ihnen vorteilhaft erscheinen. Den Rest ignorieren sie. So kann man keine Geschäfte machen. Und wenn das eine Partei im Land wissen sollte, dann ist es die FDP - schließlich wähnt sich niemand sonst so nah am Unternehmertum. Und doch verhielten sich die Liberalen in der Bundesregierung zuletzt, wie es sich kein ehrbarer Kaufmann leisten könnte: Verlässlichkeit ist für ihn Grundvoraussetzung, er muss sie von seinen Partnern erwarten, er muss sie aber auch bieten. Weil man in der Politik aber nicht vor Gericht ziehen kann, klagen die Partner eben in den Medien, eine Wortmeldung gibt die nächste, und am Ende herrscht wieder Zoff. Das passiert gerade fast im Wochentakt. [….] Vieles von dem, wogegen sich die Liberalen in den vergangenen Wochen und Monaten so lautstark wehrten, haben sie selbst mit ausgehandelt: Den Atomausstieg, das Verbrenner-Aus, den Vorrang von Schiene vor Straße, die Energiewende beim Heizen, die Kindergrundsicherung - all das steht bereits im Koalitionsvertrag. Genauso übrigens, dass es kein Tempolimit auf der Autobahn geben soll. Und nichts davon wird durch die jüngsten Krisen ernsthaft infrage gestellt. Den Vertrag hat auch die FDP unterschrieben, es gibt davon sogar Bilder. Trotzdem wirkt es bisweilen, als wüssten Parteichef und Finanzminister Christian Lindner, Verkehrsminister Volker Wissing und Justizminister Marco Buschmann davon lieber nichts mehr. Damit zerstören sie Vertrauen, natürlich bei ihren Partnern in der Koalition. [….]
(Stephan Radomsky, SZ, 22.03.2023)