Donnerstag, 16. März 2017

Holländische Säulen



Trump, die CSU, Wilders, Spahn, Höcke und viele andere sehen sich selbst als Maßstab für die Gesellschaft.
Alle sollen so sein wie sie, oder zumindest danach streben.
Das Land soll von einer homogenen und loyalen Gesellschaft getragen werden.
In so einer Welt sind kritische Medien Feinde oder Fake-News. Wer sich nicht anpassen will, anderen Idealen, Moden, Religionen anhängt, ist potentiell kriminell.

In deutlicher Unkenntnis oder bewußter Verfälschung der Realität poltert Staatssekretär Spahn, der aufstrebende Rechtsaußen der CDU gegen eine Großstadt, die nicht so aussieht wie sein konservatives Heimatkaff im Münsterland.

[…..] Jens Spahn von der CDU und AfDler Björn Höcke haben Angst vor Berlin-Neukölln. Ihr Problem? Die hohe Anzahl an Migranten. Dabei kommt die Gewalt von rechts.
[…..] Einfach nur "Neukölln" als abschreckendes Beispiel in den Ring zu werfen, wo es um schlecht laufendes Zusammenleben verschiedener Kulturen geht, so als sei damit schon alles gesagt, zeugt bisweilen von auffällig schlechtem Fingerspitzengefühl.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn und der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke haben beide bezeichnenderweise kurz nacheinander ins selbe Fettnäpfchen gegriffen, denn das Näpfchen ist groß und an seinem rechten Rand kann man gut sitzen und angeln.
Jens Spahn hat im Interview mit der "Zeit" gesagt: "Wenn ich durch Neukölln laufe, sehe ich in manchen Straßen kaum noch Frauen - und wenn, dann mit Kopftüchern. In einem freien Land muss ich das akzeptieren. Aber ich lasse mir nicht einreden, dass das eine kulturelle Bereicherung ist. Positive Vielfalt sieht für mich jedenfalls anders aus." Eine Gesellschaft brauche kulturelle Vielfalt, findet Spahn, und das wisse man inzwischen auch in seinem Heimatdorf im Münsterland, aber in Neukölln sehe das alles irgendwie nicht so aus, wie er es gern hätte. Man könnte, wie das in Berlin üblich ist, einfach noch einmal machen, was schon mal nicht geklappt hat: eine Umbenennung. "Neuspahnstein" böte sich an.
Dieser Spahn ist aber auch ein vom Schicksal gebeutelter Flaneur. Bei Ikea kamen ihm mal "Frauen in Vollverschleierung entgegen", in seinem Fitnessstudio dürfen "arabische Muskelmachos" seit einer Weile mit Badehose duschen, und jetzt sieht er "kaum noch Frauen". Keine Ahnung, wo er sich rumtreibt. Ich bin in Neukölln aufgewachsen und immer noch alle paar Tage dort, und ich sehe ständig Frauen dort, viele sogar. Es war schon immer so, dass da einige dabei sind, die Kleidung tragen, die ich nicht anziehen würde, aber da sind Leopardenleggings und Kopftücher nur zwei Beispiele aus einem sehr breiten Spektrum. […..]

Hilfe, Parallelgesellschaft!
Konservative wie Spahn stört es gewaltig mit Menschen in einem Land zu leben, denen sie nicht ihren Stil aufoktroyieren können.
Auch wenn man gar nicht zusammentrifft, regt Religioten der reine Gedanke an Menschen, die anders sein könnten, fürchterlich auf.
Das klassische Beispiel dafür ist die Homoehe, die von Hetero-Religioten offenbar als Angriff empfunden wird. Das führt zu der grotesken Argumentation, ihre eigene, alte, herkömmliche Heteroehe würde in irgendeiner Form abgewertet.
Konservative können nicht ertragen, daß andere irgendwo anders, anders sind, auch wenn sie es gar nicht merken.
Daher forderte die CSU im Dezember 2014 jeder in Deutschland müsse zu Hause auch deutsch sprechen.

[…..] Die CSU hat eine Idee: „Wer dauerhaft hier leben will, soll dazu angehalten werden, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen“, heißt es im Entwurf des Leitantrags für den Parteitag Ende kommender Woche. Dies berichtete die Nachrichtenagentur dpa am Freitag, am Montag will der Parteivorstand darüber entscheiden.
Man könnte sagen: Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieser Vorschlag ausgerechnet aus Bayern kommt. Aber ihr würdet es nicht verstehen. Deshalb in aller Deutlichkeit: Hallo CSU, ihr seid so blöd, wie ihr auf dem Oktoberfest breit seid.
Denn wenn es nicht so wäre, würdet ihr selber darauf kommen, dass sich diese Forderung bei anderen Leuten nach obrigkeitsstaatlicher Bevormundung anhören würde, aus eurem Munde aber grotesk ist. Ihr würdet ahnen, dass die Leute euch auslachen werden. Dass sie euch zurufen: „Lernt erstmal selber Deutsch!“ Dass sie schnippisch fragen: „In welcher, der Erst- oder der Zweitfamilie?“ Dass sie feststellen: „Und so was will eine konservative Familienpartei sein.“ Dass sie genüsslich die Reden eures Ministers Alexander Dobrindt hervorkramen oder sich der Gestammelten Werke eures früheren Vorsitzenden Edmund Stoiber erinnern.
Kurz: Wenn ihr nicht so blöd wie breit wärt, hätte euch gedämmert, dass ihr euch mit so einer Idee noch mehr zum Horst machen würdet als man es von euch ohnehin gewohnt ist. […..][…..]

Der grundsätzliche Mangel an Toleranz, Mitgefühl und Großzügigkeit ist Religions-immanent.
Studien zeigen, daß schon Kleinkinder aus religiösen Elternhäusern grausamer und geiziger gegenüber anderen sind, als Kinder aus atheistischen Haushalten.

Religion macht Kinder unsozial und intolerant.
An über 1.000 Kindern aus verschiedenen Kulturkreisen haben Forscher nun nachgewiesen, dass religiös erzogene Kinder unsozialer sind als atheistisch erzogene Kinder. So teilen christlich und muslimisch erzogene Kinder seltener mit Altersgenossen, wollen im Gegenzug aber unsoziales Verhalten härter bestrafen. Je religiöser die Familien waren, desto ausgeprägter war dieses Verhalten zu beobachten. [……]

Die Menschen müssen sich also den Einfluss der Religionen überwinden, um tolerant zu werden.
In einer Welt, die auch andere Lebensmodelle wirklich akzeptiert werden, sind Parallelgesellschaften kein Problem. Dort wird Multikulti zu einer echten Bereicherung.

(……) Der Hamburger Steindamm IST zwar eine Parallelgesellschaft, allerdings verstehe ich nicht, wieso Parallelgesellschaften jemand stören.
In den meisten anderen großen Städten in Westeuropa und Amerika ist es ganz normal. In New York gibt es das berühmte „Little Italy“ oder „Chinatown“ und sogar ein deutsches Viertel.
Also für mich geht das völlig OK.
Es gibt ja vielfach in Deutschland reine Schwulenviertel, hier ist es St. Georg, das Uni-Viertel (Rotherbaum, wo nur Studenten sind), das Alternativ-Viertel, wo die  Autonomen und Ökos abhängen (Schanze und Karolinenviertel), das Ibero-Viertel vor der Speicherstadt, wo es all die spanischen und portugiesischen Restaurants gibt, Villenviertel in Harvesterhude  und dann natürlich reine Rotlichtviertel (Reeperbahn!) etc.
Warum soll es kein Türken- oder Italiener-Viertel geben?
Das Eigenartige ist in Hamburg, daß St Gayorg – dazu gehört auch der Steindamm – ausgerechnet ein Kombi-Viertel für Schwule und Muslims ist.
Die haben alle Toleranz gelernt. Kurioserweise ist MITTEN in der schwulsten Gegend von St Georg überhaupt der katholische Mariendom, in dem unserer neuer Erzbischof Stefan Heße hockt.
Katholiken gibt es da so gut wie keine – nur Moslems und Homos.
Aber irgendwie haben die sich offensichtlich arrangiert. So gut sogar, daß die Gegend jetzt so gut funktioniert, daß die Mieten auch so explodieren, weil jeder dahin ziehen will. (…..)

Jens Spahn, der sich offenbar mehr in mehr in der Reinkarnation als Pim Fortuyn gefällt – stramm konservativ, Glatze, eitel, schwul, Rampensau – kommt zunehmend völkisch daher; sieht sich selbst als Rollenmodel für alle anderen.

Multikulti lehnt er ab.

Jetzt müssen wir die inhaltlichen Unterschiede, die CDU und CSU gemeinsam gegenüber der SPD haben, klar herausarbeiten, etwa beim Thema Leitkultur.

[…..] Ich erwarte von jemandem, der nach Deutschland kommt, um hier zu leben, mehr, als dass er sich nur an Recht und Gesetz hält. Denn das muss auch jeder Tourist. Er muss mit uns leben und unsere gemeinsame Zukunft im Sinne unserer Werte gestalten wollen. […..] Und sicher auch die Bereitschaft, durch Leistung Anerkennung zu bekommen und nicht durch möglichst lautes Schreien. Uns als Union geht es aber auch um Sicherheit im klassischen Sinn, von der steigenden Zahl der Einbrüche bis zu den Bedrohungen des islamistischen Terrors.
[…..] Letztes Wochenende war ich mit Freunden in Köln unterwegs, da wirste auf der Straße schon auch frech angemacht. Der Türsteher eines schwulen Clubs wurde niedergestochen. Der Täter stammte aus dem Irak. […..]


Nein, Herr Spahn!
Leitkultur einzufordern ist keine Lösung, sondern gerade der Sprengstoff unserer Gesellschaft.
Wenn einer meint den anderen leiten zu müssen; sei es auch nur kulturell, ist das der Beginn von Unterdrückung. Darin steckt auch schon der Keim einer Gegenreaktion.
Unterdrückte Gruppen der Gesellschaft könnten eines Tages durchaus aggressiv ihre Rechte einfordern.



Unter Rechten ist es Konsens die sogenannte Verzuiling, also das Nebeneinander-Leben, statt des Alle-Zusammenleben als Wurzel allen Übels anzusehen.

Mit Verzuiling (Versäulung) bezeichnet man vor allem in den Niederlanden einen konfessionell begründeten besonderen Partikularismus. Im „versäulten“ sozio-politischen System lebten religiös, sozial und kulturell definierte Gruppen nebeneinander her und hatten parallele soziale Organisationen (Kirchengemeinden, Bildungsanstalten, Volksbanken, Kammern und andere mehr). In den Niederlanden wird zwischen einer christlich-protestantischen (calvinistischen), einer katholischen, einer sozialistischen und der neutralen oder allgemeinen Säule unterschieden.
Seine Blüte hatte das System in der Zeit von 1920 bis 1970, überstand also auch den Zweiten Weltkrieg unbeschädigt trotz der entgegenstrebenden Bemühungen in der Nachkriegszeit. Die Bevölkerungsgruppen haben in einer Art „freiwilligen Apartheid“ nebeneinander gelebt, um soeverein in eigen kring, „souverän im eigenen Milieu“ (Abraham Kuyper), sein zu können. Die notwendige Zusammenarbeit zwischen den Säulen fand vor allem auf der Ebene der Eliten statt.
Fortuyn, Spahn und Wilders wollen nicht, daß außerhalb der eigenen Säule noch irgendetwas anderes existiert.
Damit legen sie die Axt an die Wurzel des gesellschaftlichen Friedens.

Immerhin, das läßt sich nach den gestrigen Wahlen in Holland bereits sagen, befindet sich Wilders damit in einer Minderheit.
Mit insgesamt 13% der Stimmen steht seine PVV nicht unmittelbar vor der Machtübernahme. (Wilders Idol Trump holte 46%) Der blondierte Geert kann also aufhören von sich selbst als „der nächste Ministerpräsident der Niederlande“ zu sprechen.

Der große Gewinner der Wahl ist der gerade mal 30-Jährige Jesse Klaver; das Alptraum-Balg der Rechten: Gutaussehend, links, liberal, Vater aus Marokko, Mutter aus Indonesien.

[…..] Klaver ist Vorsitzender der niederländischen Grün-Links-Partei, und er hat die Zahl ihrer Parlamentssitze fast vervierfacht. In Amsterdam, der größten Stadt der Niederlande, einst eine uneinnehmbare Hochburg der Sozialdemokraten, ist Grün-Links nun sogar die stärkste Partei. Eine Überraschung? Eine Sensation.
Klaver liegt insofern im Trend, als er so wenig Polit-Establishment verkörpert wie kein anderer seiner angetretenen Konkurrenten. Geert Wilders poltert immerhin schon seit mehr als zehn Jahren gegen Europa und den Islam. Die niederländischen Medien können sich nicht daran erinnern, dass jemals ein Parteichef derart jung war wie Jesse Klaver. Und er versprüht eine neue Lust auf alte landestypische Eigenschaften: Weltoffenheit, Toleranz, radikales Umweltbewusstsein. [….]

Frauke Petry und Marine Le Pen haben Grund heute die Köpfe hängen zu lassen. Der ultrarechte Durchmarsch in Europa ist zumindest erst einmal verschoben worden.

[….] Die Nationalisten sind gebremst, aber nicht gestoppt.
Das heißt nicht, dass die EU beruhigt in alten Trott zurückfallen darf. Die Rechtsnationalisten sind bei der Präsidentenwahl im Dezember in Österreich und jetzt bei der Parlamentswahl in den Niederlanden gebremst worden. Doch gestoppt sind sie nicht. Vielmehr lauern sie auf die nächste Gelegenheit, wieder loszustürmen. Die Moderaten, die Pro-Europäer haben nur Zeit gewonnen, die Probleme anzugehen, welche die Bürger drücken. […..]