Sonntag, 11. August 2013

Paradoxien



Auch wenn man es sich im Moment kaum vorstellen kann; es gab auch politische Phasen, in denen man gern Zeitung las und wohlwollend den Regierenden zusah.
Im Jahr 2000 gab es so eine Phase. Gerd Schröder und Joschka Fischer machten international bella figura.
Nachdem Kanzler und Vizekanzler zum Entsetzen der tobenden CDU ihre Amtseide ohne die religiöse Formel „so wahr mir Gott helfe“ geschworen hatten, gingen sie weitere bisherige absolute Tabu-Themen an. 
Den vielen deutschen Konzernen, die sich im Krieg an verschleppten Zwangsarbeitern bereichert hatten – unter anderem gehörten dazu auch die Kirchen – und bis dato keinen Pfenning Wiedergutmachung an ihre ehemaligen versklavten Arbeiter gezahlt hatten, ging es moralisch an den Kragen. 
Schröder legte einen 10 Milliarden-DM-Fonds auf erreichte es, daß über 6000 deutsche Unternehmen in die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, kurz EVZ, einzahlten. Die EVZ begann am 2. August 2000 ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes zu entschädigen.
Es wurde eine weltweit wegweisende ökologische Steuerreform begonnen, die den Energieverbrauch berücksichtigte. 
Man beendete den Anachronismus, daß 1,1 Millionen deutsche Freier TÄGLICH eine Prostituierte aufsuchen, aber die Prostitution verboten war, so daß die Huren keine Chance hatten in eine Renten- oder Kranken- oder Sozialversicherung zu kommen. 
Rita Süßmuth wurde beauftragt, um endlich ein modernes und gerechtes Staatsbürgerschaftsrecht auszuarbeiten.
Das unter Kohl und Kinkel Undenkbare geschah: Die Bundesregierung legte sich mit dem nahezu allmöächtigen Atomoligopol an. 
Umweltminister Trittin setzte am 1. April 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kraft, das die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien in Deutschland entscheidend förderte.
Mit Renate Künast kam im Januar 2001 eine Verbraucherschutzministerin ins Amt, die erstmals die Biolandwirtschaft förderte und den katastrophalen Insektizid-Pestizid-Fungizid-Herbizid-Monokulturwahnsinn in Frage stellte.
 Es war eine gute Zeit.

Auf der anderen Seite des Teichs hatten sich die Vorzeichen verkehrt. 
Statt des engagierten Klimaschützers Al Gore wurde im Herbst der intellektuell und rhetorisch völlig unterbelichtete George W. Bush trotz Stimmenminderheit zum Präsidenten gewählt. Der evangelikale Frömmler verstand rein gar nichts von Außenpolitik, besaß noch nicht mal einen Pass, weil er die USA nie verlassen hatte. Das einzige, was der Möchtegern-Cowboy aus Texas je „erfolgreich“ geschafft hatte, war eine Rekordzahl von Todesurteilen zu unterzeichnen.
Nach seinem Amtsantritt im Januar 2001 begann er mit intensiver Arbeitsverweigerung und verbrachte Monate fernab vom Weißen Haus auf seiner Ranch in Texas.
Die kreuzzugsartige Politmentalität, die sich nach dem 11. September 2001 in Amerika einstellte, ließ die politischen Unterschiede zwischen Deutschland und Amerika nur noch augenfälliger erscheinen.
Bush und sein frommes Kabinett beteten gemeinsam und im Zwiegespräch mit „the lord“, erfuhr der mächtigste Mann der Welt, daß er nun den Irak, der nicht das allergeringste mit 9/11 zu tun hatte, mit Krieg überziehen mußte.
Die christliche Oppositionspolitikerin Angela Merkel unterstützte den Plan ausdrücklich, reiste dafür eigens nach Washington und kroch schleimspurziehend auf Knien in das Oval Office.

Auf der anderen Seite unternahmen die Atheisten Schröder und Fischer alles, um diesen Wahnsinn zu stoppen. 

Sie schraubten das internationale Ansehen Deutschlands auf nie dagewesene Höhen, wurden in der gesamten arabischen Welt hochgeachtet.
Die Beziehungen zu Russland und Frankreich waren exzellent. Mit dem konservativen Chirac arbeitete die rotgrüne Regierung so eng zusammen, daß sich Schröder sogar bei einem Gipfel von Chirac vertreten ließ.
Premiere auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union: Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hebt die Hand für Deutschland, da Bundeskanzler Gerhard Schröder ihm vertrauensvoll die Wahrnehmung der deutschen Interessen übertragen hat.   Hinter dem Schild "Deutschland" auf dem Konferenztisch des Brüsseler EU-Gipfels ist Schröders Stuhl leer geblieben.   Wo sonst der Bundeskanzler und Außenminister Joschka Fischer sitzen, hatte am Morgen lediglich der deutsche EU- Botschafter Wilhelm Schönfelder Platz genommen. Er beobachtet das Treffen aber nur.   Chirac hat die Vertretung übernommen, damit Schröder und Fischer an der Abstimmung des Bundestags über die Reformgesetze der Agenda 2010 teilnehmen konnten. Der Franzose nimmt seine neue Rolle ernst: Entgegen seiner Gewohnheit traf Chirac am Freitag als einer der ersten am Konferenzort ein und begrüßte die später ankommenden Staats- und Regierungschefs an der Tür des Saals mit Handschlag.
Und nun ein 12-Jahre-Zeitsprung:

Die Deutschen haben inzwischen eine vollfromme Regierung gewählt.  
 100% der Minister schworen sich mit „so wahr mir Gott helfe“ ein. 
Die Kanzlerin betont immer wieder ihre Regierungsentscheidungen am christlichen Menschenbild auszurichten, der Vizekanzler ist engagiertes Mitglied des Zentralrats der Katholiken.
Die Beziehungen zu Frankreich und Russland sind weitgehend zerstört. Man hat sich nichts mehr zu sagen, stimmt sich nicht im Geringsten ab.
 Die christlichen Schwarzgelben intensivierten dafür den Waffenexport, schlagen nationalistische Töne an, lassen den Papst im Bundestag sprechen, wollen die Grenzen nach Südosteuropa zumachen.
Deutschland ist wieder richtig unbeliebt. 
Wenn sich die Regierungschefin oder der Finanzminister in Spanien, Griechenland oder Zypern blicken lassen, werden sie mit Hakenkreuz-Karikaturen empfangen und in den Zeitungen mit Hitlerbärtchen abgebildet.
Statt wie einst Schröder und Fischer im Nahost- und Irakkonflikt eine führende Vermittlerrolle zu spielen und aktiv für einen Frieden in Afghanistan zu streiten („Petersberger Konferenz in Bonn“), haben sich Merkel und Westerwelle international zu lästigen Paria entwickelt, die spätestens seit der Libyen-Entscheidung nur ausgelacht werden.
Die Deutschen sind international wieder die Blockierer geworden, die sinnvolle Entscheidungen aus Brüssel (CO2-Abgabe für übermotorisierte Autos beispielsweise) mit Vetos zu Fall bringen.

Gesellschaftliche Modernisierungen – PID, Patientenverfügung, Stammzellenforschung, Homogattensplitting, Homoadoption, doppelte Staatsbürgerschaft, selbstbestimmtes Sterben, Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung u.v.a.m. werden allesamt von diesem schwarzgelben Kabinett strikt abgelehnt und verhindert.

Man schämt sich jetzt wieder, wenn die tumben Deutschen - „man spricht wieder deutsch in Brüssel!“ (Kauder), „ich bin nicht als Tourist in kurzen Hosen hier. Was ich sage, zählt!“ (Westerwelle) – international in Erscheinung treten.

Das umgekehrte Bild in Amerika.
GWB wurde weggefegt. Zwei Mal schon wurde ein schwarzer Demokrat zum Präsidenten gewählt, der den Irakkrieg beendet hat, eine Art Krankenversicherung für alle durchboxte und sogar für die Schwulenehe eintritt.

Das tumbe amerikanische Volk tut auf einmal das vorher für absolut unmöglich gehaltene:
In Volksabstimmungen spricht es sich staatenweise für die sofortige Legalisierung von Marihuana oder gay marriage aus.

Und, kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt eine deutlich steigende Anzahl von Atheisten in Amerika!
Schuld ist vermutlich dieses neumodische Internet, welches Angela Merkel despektierlich als „Neuland“ bezeichnet.


Das Internet kann ähnlich wie das TV Dumme dümmer und Schlaue schlauer machen.
Die Deutschen gehören offenbar eher zu ersten Kategorie. 
Die skandalösen Abhörpraktiken, das Milliardenfache Ausspähen durch dubiose Geheimdienstkooperationen stört sie gar nicht. 
Dafür wächst die Zustimmung für die Politverweigerin Merkel stetig an. Sogar die als offensichtlich unfähig und korrupt enttarnte FDP wird wieder in den Bundestag kommen.
Keiner kann sich vorstellen, daß der Kanzlerin die Wiederwahl zu nehmen ist. 



In Amerika hingegen regt das Internet ein, christliche Gewissheiten zu hinterfragen, sich zu vernetzen.
Religions survive by teaching young children silly stories as truths, by distorting reason and by restricting access to contrary ideas.
Now, most young people can access the internet where it is hard to avoid contrary ideas and where they will meet non-believers who are moral, intelligent, well-read and fiercely logical.
Superstition and lies cannot compete.
Now, it is not a question of IF religions will die; it is only a question of how quickly.
(Bill Flavell, University of Sussex, via Facebook)



In den USA sinkt die Zahl der Gläubigen – jeder Fünfte nennt sich in "God's own country" konfessionslos. […]

Als Atheisten und Agnostiker bekannten sich 2012 in einer Befragung des Pew Research Centers 5,7 Prozent der Amerikaner, doch immerhin zwei Prozentpunkte mehr als 2007. In derselben Erhebung gaben 19,6 Prozent der Befragten an, "religiös ungebunden" zu sein – immerhin ein Fünftel der Bevölkerung.

Das ist die Zahl, an der sich Amerikas Atheisten, säkulare Humanisten, Darwinisten, Unitarier, Agnostiker und andere Ungläubige aufrichten. Sie sehen sich als Eliten und Bürger zweiter Klasse, intellektuell überlegen und institutionell unterlaufen, zu wenige und zu einflussarm, um verfolgt zu werden. Die Zeiten spielen für sie, glauben sie. Ihr Land komme zur Vernunft, man müsse Geduld haben. Die Ungläubigen kämpfen gegen den Zusatz "under God" (unter Gott), den jedes Schulkind in der Eidesformel "Pledge of Allegiance" täglich wiederholt; sie kämpfen gegen den Segen vor Sitzungen des Kongresses; für die Einführung von atheistischen "Feldgeistlichen" in den Streitkräften. […] Es heißt in der Pew Research Studie, Politikverdrossenheit, nachlassendes soziales Engagement, später geschlossene Ehen beförderten in jungen Generationen den Trend zum Unglauben. Als sich im März 2012 rund zehntausend bekennende Gottlose im strömenden Regen zur "Reason Rally" auf der National Mall zu Washington versammelten, soll die Atmosphäre großartig familiär gewesen sein.

Es war die größte Zusammenkunft bekennender Atheisten in der amerikanischen Geschichte. Dass kaum jemand im Kongress, in Kirchen, den Medien, im Volk selbst, die "Vernunftversammlung" mitbekam, muss nichts bedeuten. Atheisten haben Zeit und setzen auf das Diesseits.
Natürlich ist die Religion in öffentlichen Leben Amerikas noch deutlich präsenter als beispielsweise in Norddeutschland, aber sie wird schwächer.
Religion to Disappear By 2041 Claims New Study - Author and noted biopsychologist Nigel Barber has completed a new study that shows Atheism is most prevalent in developed countries, and, according to his projections, religion will completely disappear by 2041. His findings are discussed in his new book “Why Atheism Will Replace Religion.” A new study that clarifies his earlier research will be published in August. His findings focus on studying trends within countries around the world and the fact that “Atheists are heavily concentrated in economically developed countries”
Schade nur, daß die Deutschen auf die rückwärtsgewandte Merkel fixiert sind.
Das politische Verhältnis zu Amerika ist natürlich auch im Eimer.
 Obama kann so gar nicht mit der Ostdeutschen Beharrungskünstlerin und sie ist abgestoßen von seinen Neuerungen.