Mittwoch, 30. April 2014

Danke Gerd – Teil II


Daß ich mit meinem gestrigen Rechtfertigungsposting für Gerd Schröder nicht nur Jubel ernten würde, erwartete ich selbstverständlich.

Wie zickig allerdings die russophoben SPD-Linken reagierten, hatte ich nicht vorausgesehen.
Eine Gruppe von wichtigtuerischen Admins eines großen Diskussionsforums (von „Sozialdemokraten auf Facebook“, 5.000 Mitglieder) fühlten sich so getriggert von denjenigen, die nicht die alleinige Schuld der Ukraine-Krise bei Putin finden wollten, daß sie willkürlich Diskussionsbeiträge zensierten und Mitglieder ausschlossen. Ein Vorstandsmitglied der SPD Reinbek, nennen wir ihn Jörn Buhde, fungierte gestern Abend als Administrator und hatte gute Gründe und Bundesregierungskritiker zu maßregeln – er weiß nämlich alles besser. Putin ist der alleinige Buhmann, basta. Simple as that.
Ein Sozi, der das differenzierter sah und dem Buhde widersprach, wurde zunächst partiell zensiert, aber schließlich ganz aus der Gruppe entfernt und blockiert.
Darauf hin schaltete ich mich ein und sagte, daß das ja nun auch kein Diskussionskultur wäre, andere Meinungen auszuschließen – und ZACK wurde ich auch aus der Gruppe geworfen.

Eine öffentliche Diskussion sieht dann so aus:

Jörn Buhde:
Das nenne ich Propaganda, was Sie machen. Verharmlosung ist Ihre Strategie. Sie reden Putin klein. Und Sie reden einem korrupten, autoritären Regime nach dem Mund. Chapeau!

J.O.:
sie scheinen zuviel russisches TV zu sehen oder sich auf seltsamen Seiten herumzutreiben

E.K.:
Was erzählen sie denn für einen Unsinn.

Tammox:
 „Buhde, können Sie es bitte ENDLICH unterlassen mit Unterstellungen zu arbeiten? (….) Ich habe weder behauptet, daß man keine Meinung haben kann, noch daß Putin Recht hat. Ich habe in Wahrheit nur dezent angedeutet, daß man auch mal von seinem hohen Ross, als einziger Bescheid zu wissen, runterkommen sollte. Es gibt zu den Vorgängen in der Ukraine eine sehr komplexe Ursachenvielfalt und auch sehr viele verschiedene Akteure, die alle versuchen ihre Sicht der Dinge durchzudrücken. Der einzige, der wirklich alles ganz genau beurteilen kann und offenbar über erheblich mehr politischer Erfahrung als zwei Bundeskanzler und ein halbes Dutzend professioneller Russlandexperten zusammen verfügt, ist Buhde. So schlicht manichäisch wie Sie die Welt sehen – alle anderen haben Unrecht und wenn sie doch was mir Widersprechendes schreiben, lösche ich das eben – ist es nun einmal nicht in der Ukraine.“

Jörn Buhde:
„ich lese 20+ deutsche Tageszeitungen, + die entsprechenden ausländischen + ein paar russische. Desweitern habe ich hier über Facebook Kontakt zu einigen Auslandskorrespondenten. Ich krieg wirklich einiges mit. Und übers Internet geht das auch ganz gut.“

Tammox:
„Buhde, nun gehen Sie über das Löschen einzelner Postings hinaus und werfen stattdessen Ihnen widersprechende Gruppenmitglieder gleich aus der Gruppe??? SEHR ERWACHSEN.
Das sagt ja wohl alles.
Wenn Sie tatsächlich über so viele Informationen verfügen WÜRDEN, wie Sie behaupten, hätten Sie das gar nicht nötig.“

Jörn Buhde:
„Tammox, nach wie vor habe ich einen Vornamen. Wir sind hier nicht bei der Bundeswehr. Ich gehe nicht davon aus, daß ich im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit bin. Aber von dem, was ich an Informationen habe, konnte ich mir ein ziemlich dezidiertes und logisches Bild der Lage dort unten machen. Andere mögen zu anderen Schlüssen kommen, ich tue es nicht. Und ja, ich werde gerne widerlegt. Ich glaube bloß, daß es zu meiner Meinung derzeit keine wirklich logische, belastbare Alternative gibt. Und meine Meinung - man möge es mir nachsehen - darf ich doch bitte behalten, oder? Und auch für sie einstehen, oder?  ... gerade wenn ich da keine Denkfehler drin finde.“

Tammox:
BU: " Ich glaube bloß, daß es zu meiner Meinung derzeit keine wirklich logische, belastbare Alternative gibt."
Der war gut!
So viel Humor hätte ich Ihnen gar nicht mehr zugetraut!

Jörn Buhde:
Tammöxsche. Da das offenbar mit den Vornamen nicht funktioniert, mach ich das jetzt mal auf Kindergarten-Niveau. Liebes Tammöxchen, ich bin zwar Admin, das ist so ne Art Chef. Der Chef bin ich aber nicht allein. Es gibt neben mir noch vier weitere. (…) Wir werfen niemanden wegen abweichender Meinungen raus. Sondern nur wegen abweichendem Höflichkeitsverhalten. Und jetzt, geh mal raus an die frische Luft, und nimm dein Sandförmchen mit.“
(Ende SPD-Gruppendiskussion am 29.04.14)

Antworten konnte ich leider nicht mehr, da ich mit Buhdes letzter Antwort aus der Gruppe entfernt wurde.

Neben dem amüsanten Aspekt, ist für mich frappierend wie sehr auch innerhalb der SPD in den „Gut und Böse“-Kategorien argumentiert wird.
Putin ist demnach autoritär und undemokratisch – also BÖSE – und muß daher prinzipiell bekämpft werden.

Welch erstaunliche Naivität alles nur durch die westdeutsche Brille zu sehen.
In Russland gelten nicht die gleichen demokratischen Spielregeln wie in Deutschland – also muß dort alles durch und durch schlecht sein.

Diese engen Maßstäbe werden aber nur gegen den bösen Ivan angewendet.
Daß in Ägypten mal eben in ein paar Minuten 683 Regimegegner zum Tode verurteilt werden, ist nicht der Rede wert.
Auch die amerikanischen Experimente beim Hinrichten sind vollkommen in Ordnung.

Es ist mal wieder Zeit für Gysis „Ich bin dieses Duckmäusertum sowas von leid-Rede.

Alle sprachlichen Register gezogen: Die Rhetorik-Fachleute der Universität Tübingen haben die Bundestagsrede von Linken-Fraktionschef Gregor Gysi zum NSA-Skandal zur "Rede des Jahres" gekürt.
Als Linken-Fraktionschef Gregor Gysi am 18. November im Bundestag zum NSA-Skandal sprach, sah Bundeskanzlerin Angela Merkel fast nie auf. Stattdessen kämpfte sich die CDU-Politikerin im Plenarsaal durch die vor ihr auf dem Tisch liegenden Akten. Aus Sicht der Wissenschaftler des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hätte Merkel wohl besser zuhören sollen. Die nämlich kürten den Wortbeitrag Gysis jetzt zur "Rede des Jahres".
"Mit anschaulichen Worten und großer argumentativer Kraft durchleuchtet Gysi die Spähaffäre und das Verhalten der Bundesregierung, fordert eine deutsch-amerikanische Freundschaft auf Augenhöhe und: den Friedensnobelpreis für Edward Snowden", heißt es in der Begründung der Jury.

Auch Snowden ist von der Bundesregierung als Zeuge unerwünscht – es könnte ja die USA verärgern und das will der devote Uckermärker Hosenanzug auf keinen Fall. Um Putin zu beschimpfen hat sie immer genug Energie, aber vor Washington kuscht sie und räumt schon eigenständig alle Kontroversen ab.

Ein kleiner Austausch zu den Differenzen in Sachen NSA-Skandal - mehr wird wohl nicht passieren, wenn Merkel an diesem Donnerstag nach Washington fliegt. Dabei hat US-Präsident Obama der Kanzlerin erstaunlich viel Zeit eingeräumt. Für andere Themen.
[…]  Ganz obenauf liegt - natürlich - die Lage in der Ukraine. Es soll zum Beispiel um mögliche weitere Sanktionen gegen Russland gehen. Die USA sind da ganz vorne mit dabei. Haben aber auch am wenigsten zu verlieren, sind doch ihre Wirtschaftsbeziehungen zum Putin-Reich vergleichsweise unbedeutender.
Die Haltung ist ansonsten klar und wenig konfliktbeladen. Die russische Führung sei aufgefordert, sich an die Genfer Beschlüsse von Mitte April zu halten. Also: erkennbares Bemühen um Deeskalation. Das sei aber bisher nicht geschehen. Merkel hat den russischen Präsidenten Putin telefonisch aufgefordert, sich öffentlich hinter die Genfer Beschlüsse zu stellen und ebenso öffentlich die Separatisten im Osten der Ukraine zum Rückzug zu bewegen.
 […]  Nur zur Erinnerung: Der Militärgeheimdienst der USA hat nicht nur womöglich Daten deutscher Staatsbürger ausgespäht, sondern auch das Handy der Kanzlerin und mutmaßlich einiger weiterer deutscher Regierungsmitglieder. Allein für Merkel soll es die Zusicherung geben, dass sie nicht mehr von der NSA überwacht werde.  Ziel der Bundesregierung war es einmal, mit den USA zu einem No-Spy-Abkommen zu kommen. Nach dem Motto: Freunde vertrauen sich und hören sich nicht gegenseitig ab. Merkel hat das auf die Formel gebracht, auf deutschem Boden gelte deutsches Recht. Aber nicht einmal diesen Satz wollen die Amerikaner unterschreiben. […] Merkel scheint wenig gewillt zu sein, die deutsch-amerikanischen Beziehungen aufs Spiel zu setzen, für ein Abkommen, auf dass sich die Amerikaner erkennbar nicht einlassen werden. […] Merkel wird am Freitagnachmittag in einer Rede vor der US-amerikanischen Handelskammer für das TTIP werben. […]

Und diese devote amerikahörige „Haltung“ ist es also, die 80% des Urnenpöbels so gefällt?
Schröder, der Bundeskanzler mit dem Rückgrat wird stattdessen a posteriori verdammt.
Und das nicht nur von den Linken seiner Partei, sondern inzwischen auch noch auf billigste Weise vom Boulevard.

Erbärmlich, wie heute die politisch anspruchsfreie Hamburger Morgenpost berichtete.

Der Auftritt war eine Provokation: SPD-Altkanzler Gerhard Schröder hat am Montag mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin in St. Petersburg seinen 70. Geburtstag nachgefeiert. Die beiden umarmten sich innig. Davon gibt es ein Bild - mitten in der Ukraine-Krise.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, ließ kein gutes Haar an Schröder. „Der gewollte Schulterschluss mit Putin gerade jetzt ist eine Provokation“, sagte der SPD-Politiker der „Welt“. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte, Schröder torpediere „auf gefährliche Art und Weise die schwierigen Bemühungen von SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Eindämmung der Krise“.
[…]  Vize-Fraktionschef der Unionsfraktion Andreas Schockenhoff, der frühere Russland-Beauftragte sagte „Spiegel Online“: „Es ist für einen Staatsmann, der nicht mehr politisch aktiv ist, völlig unverantwortlich.“
Der Spitzenkandidat der FDP für die Europawahl, Alexander Graf Lambsdorff, meinte in der „MOPO“, Ex-Kanzler Schröder sei „nur noch peinlich“.

Wann wäre es denn wichtiger mit Putin zu sprechen, als in dieser Krise?

Im MoPo-Leitartikel wettert Christian Burmeister; denn auch er weiß alles ganz genau.

Danke für gar nichts, Altkanzler!
Man muss es geschmacklos, ja sogar verantwortungslos nennen, wenn ein Altkanzler gerade jetzt dem russischen Präsidenten mit einem Lächeln öffentlich um den Hals fällt und mit ihm eine Party feiert – während gleichzeitig deutsche OSZE-Beobachter in Geiselhaft sitzen und der Kreml die Ukraine absichtlich weiter in Chaos stürzt.  […] Bisher ist Schröder nicht dadurch aufgefallen, dass er mäßigend auf Putin eingewirkt hätte. […] Mit seiner Aktion ruiniert der Altkanzler den eigenen Ruf. Schlimmer: Er schadet der SPD und der Bundesregierung, die versuchen, Putin klar zu machen, daß er mit seiner Politik des 19. Jahrhunderts auf dem Holzweg ist!
(HH Mopo 30.04.14)

Gut gebrüllt, Burmeister. Leider ist da jeder Satz inhaltlich falsch.

Es war keine Party, sondern ein Nordstreamempfang, bei dem lauter andere Politiker, Sellering und Mißfelder beispielsweise, ebenfalls anwesend waren.

Es ist nicht verantwortungslos, sondern gerade jetzt verantwortungsVOLL den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.

Die OSZE-Beobachter muß man zumindest in Anführungszeichen setzen. Die angeblich zivilen Experten bestehen offenbar zumindest teilweise aus deutschen Soldaten. Unter ihnen ist der ehemalige Panzerkommandeur Oberst Schneider.
Was haben NATO-Offiziere unmittelbar vor der russischen Grenze zu suchen?

Und Burmeister, nicht Putin hält diese Männer fest, sondern irgendeine selbsternannte Putschisten-Truppe. Keiner weiß genau, um wen es sich handelt und ob sie irgendjemand unterstellt sind. Ob der Kreml damit auch nur im Entferntesten zu tun hat, ist höchst unklar.

Wer die Ukraine ins Chaos gestürzt hat, kann man ebenfalls anders sehen - es waren die von Faschisten unterstützen und von der EU bejubelten Maidan-Demonstranten, die eine demoktarisch gewählte Regierung wegjagten.

Ich glaube auch nicht, daß Schröder der Bundesregierung schadet; im Gegenteil, er wird dazu beitragen, das in Russland völlig ramponierte Bild Deutschlands zu verbessern.

Ferner ist Putins Politik augenblicklich ziemlich aktuell. Er greift dort ein, wo Menschen ethnisch oder kulturell verfolgt werden.

Diese „lupenreiner Demokrat“-Zitataufsagerei kann ich nicht mehr hören.
Was für eine billige Polemik.

Wenig einfallsreich und auch nicht besonders intelligent ist es hingegen in jedem zweiten Leserbrief und fast jedem Artikel einen hämischen Schröder-Seitenhieb über den „lupenreinen Demokraten“ Putin zu lesen.

Das ist unfair.

Zunächst einmal ist das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. 
 Die Formulierung stammt von Reinhold Beckmann.

Beckmann: "Ist Putin ein lupenreiner Demokrat?"
Gerhard Schröder: "Das sind immer so Begriffe. Ich glaube ihm das und ich bin davon überzeugt, dass er das ist. Dass in Russland nicht alles so ist, wie er sich das vorstellt und gar wie ich oder wir uns das vorstellen würden, das, glaube ich, sollte man verstehen. Dieses Land hat 75 Jahre kommunistische Herrschaft hinter sich und ich würde immer gerne die Fundamentalkritiker daran erinnern, mal darüber nachzudenken, ab wann denn bei uns alles so wunderbar gelaufen ist."

Putin war damals Präsident und in der Konfrontation mit dem kriegslüsternen US-Präsidenten GWB ein absolut unverzichtbarer Alliierter.

Ich behaupte, der amtierende Bundeskanzler Schröder hätte in der Situation gar nicht sagen können und gar nicht sagen dürfen, er glaube Putin nicht den Weg der Demokratie einzuschlagen.

Das hätte unermesslichen diplomatischen und außenpolitischen Schaden zur Unzeit angerichtet.

Gerd Schröders Spruch stammt aus einer anderen Zeit, nämlich 2004.
Damals waren alle sehr froh darüber, daß die irren Autokraten um Boris Jelzin, der volltrunken mit dem Atomkoffer rumstolperte, von einem rationalen Mann ersetzt wurden. 

Tatsächlich hat Russland unter Putin ökonomisch gewaltige Fortschritte gemacht, wurde stabiler, verlässlicher und sichert nicht zuletzt unsere Energieversorgung.

Russland war vor zehn Jahren ein äußerst wichtiger Partner Deutschlands, um gemeinsam gegen den Irakkrieg zu arbeiten.

Das muß man Putin schon hoch anrechnen, daß er so klar für den friedlichen Kurs Frankreichs, Belgiens und Deutschlands gegen die USA, Polen, GB, Italien, Spanien, etc Stellung bezogen hat!

Rußland hat 1999 die Todesstrafe abgeschafft, während Merkels Christenfreund George W. Bush in seiner Amtszeit als Gouverneur 152 (sic!) Todesurteile unterschrieben hat. 

Der Staat Texas, dem GWB als Gouverneur diente hat in den letzten 30 Jahren sogar 22 Teenager hinrichten lassen

Auch geistig Behinderte werden in Amerika, dem land oft he free, hingerichtet.

2008 unterschrieb Bush noch als amtierender Präsident das Todesurteil gegen den Gefreiten Ronald Gray, einen US-Soldaten.

Tu quoque ist kein absolutes Argument und macht Putins Aktionen gegen Pussy Riot nicht besser. 

Aber wir sollten uns fragen, warum wir immer so hysterisch auf Russland losgehen und alle Augen bei Obama zudrücken.

Wie lächerlich ist das alles.