Vielleicht war das ja der geheime Plan der konservativen,
aber nicht völlig Johnson-Rees-Mogg-Wahnsinnigen: Wir machen Britannien zur
Schrödinger-Katze. Wir treten aus der Europäischen Union aus und bleiben
gleichzeitig Vollmitglied.
Tatsächlich wird inzwischen fast vergessen, daß das Vereinigte
Königreich reguläres Mitglied der EU ist, alle EU-Regelungen umsetzt und von
allen EU-Gesetzen und Verträgen profitiert.
Währenddessen bleibt die Inselregierung aber de facto von
allen wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen. Wenn wir von „die EU“ reden,
meinen wir ganz selbstverständlich „die EU der 27“, also alle EU-Staaten minus
England.
Alle wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft treffen die
Regierungschefs ohne Frau May.
Es wird inzwischen von höchstrangigen Ratsmitgliedern wie
Merkel ventiliert, London könne auch noch bis Ende 2020 Mitglied bleiben, um
der Premierministerin mehr Zeit zu geben einen Austrittsvertrag ratifiziert zu
bekommen.
Man staunt, fast drei Jahre nach dem Leave-Votum des Volkes,
nach fast drei Jahren der Paralyse des Londoner Unterhauses, nach mehr als
einer halben Legislatur der völligen Untätigkeit soll also weiter abwarten die
Lösung sein?
Die Antwort auf Frau Mays Bitte nach mehr Zeit, die gegenwärtig in Brüssel
diskutiert wird kenne ich nicht.
Die besten Chancen einen chaotischen No-Deal zu verhindern
sehen Merkel und
EU-Ratspräsident Donald Tusk in einer möglichst langen Frist,
also einer Verschiebung des Austrittstermins um möglicherweise ein ganzes Jahr.
Man habe schließlich erlebt wie unfähig das britische Parlament sei unter
Zeitdruck Entscheidungen zu treffen.
[…..] Unsere Erfahrung und die tiefe Spaltung innerhalb des Unterhauses geben
uns wenig Grund zur Annahme, dass der Ratifizierungsprozess bis Ende Juni
abgeschlossen werden kann", schrieb Tusk am Dienstag in seiner Einladung
an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen zum Brexit-Gipfel an
diesem Mittwoch in Brüssel.
[…..] Tusk sagte […..], die
vergangenen Monate gäben wenig Anlass zur Hoffnung, dass es bis dahin eine
Einigung im britischen Parlament geben werde. Eine kurze Brexit-Verschiebung
berge das Risiko immer neuer Sondergipfel und immer neuer Fristen.
"Deshalb glaube ich, dass wir über eine alternative, längere
Fristverlängerung diskutieren sollten." Dann könne auch Großbritannien
noch einmal über seine Strategie nachdenken. […..]
Kurz und Macron argumentieren genau umgekehrt.
Geduld und lange Fristen führten nur zu einer Verfestigung
der jeweiligen Position der zerstrittenen Insulaner.
Nur unter enormen Zeitdruck hätten sich Labour und die Tories
endlich zusammengesetzt.
[…..] "Ergebnisse bekommt man aus Großbritannien nur unter Druck",
sagt ein EU-Diplomat. Im Falle einer langen Verlängerungen aber wäre der
No-Deal-Brexit erst einmal vom Tisch - "und die Gespräche zwischen Tories
und der Labour-Partei wären tot". Der drohende Chaos-Brexit sei der
einzige Grund für Labour-Chef Jeremy Corbyn, überhaupt mit May zu verhandeln.
Ohne diese Gefahr hätten weder die regierenden britischen Konservativen noch
die Opposition noch einen Anreiz, dem Austrittsabkommen mit der EU zuzustimmen.
Stattdessen könnte es dann zu Neuwahlen kommen - die womöglich einen
Brexit-Hardliner wie Boris Johnson zum Premierminister machen. […..]
Beide, sich gegenseitig ausschließenden Argumentationslinien
sind für sich genommenen schlüssig.
Ich neige allerdings mehr zur Wien-Paris-Lesart.
Ein langer Aufschub birgt zudem die Gefahr, daß London die
Brüsseler Politikfähigkeit talibanisiert.
Schon in den letzten 10 Jahren litt die Runde der EU-Regierungschefs
unter der Quertreiberei und musste wegen des Prinzips der Einstimmigkeit
ständig Rücksichten auf die Bremser von der Themse nehmen.
Möglicherweise wäre die EU heute nicht in so einer Krise,
wenn die Ratsentscheidungen der letzten Dekade nicht so quälend umständlich und mutlos
gewesen wären.
Mays Parteifreund Rees-Mogg, Multimillionär, Dunkelkatholik,
Klimawandelleugner und Homohasser, droht schon damit die EU bei einer weiter
bestehenden Mitgliedschaft seines Landes von innen zu zerstören.
[…..] Jacob Rees-Mogg, einer der härtesten Hardliner, droht bereits: Wenn das
so kommt, dann müsse man das schwierigstmögliche Mitglied sein.
Die Europäische Union verhalte sich ja keineswegs kooperativ, findet
Rees-Mogg, denn sie versuche mit dem Backstop die Einheit des Landes
auseinanderzubrechen. Deshalb sei auch Großbritannien nicht zur Kooperation
verpflichtet. "Wenn der neue mehrjährige Haushaltsplan auf den Tisch kommt
und wir immer noch dabei sind, dann ist das eine nur alle sieben Jahre
wiederkehrende Möglichkeit, unser Veto einzulegen. Auch die Pläne von Herrn
Macron für ein engeres Zusammenwachsen der EU könnten wir stoppen." [….]
Offenbar fürchten sich die „EU der 27“ tatsächlich vor
diesen Drohungen und überlegt die Zustimmung zu einer Brexit-Fristverlängerung mit
Klauseln zu verquicken, die England zu einem gewissen Wohlverhalten verpflichten.
Die meisten juristischen Einschätzungen halten das
allerdings für undurchführbar. Es gibt keine Mitgliedschaft zweiter Klasse und
wie soll man eigentlich genau messen, ob ein Land eine EU-Entscheidung aus
ehrlicher Überzeugung oder aus einem destruktiven Impuls heraus erschwert?
Die konservativen Regierungschefs Merkel und Kurz, die sich
in der Frage der Brexit-Verschiebung entgegenstehen, haben allerdings in einem
anderen Aspekt allerdings gemeinsame Interessen. Sie möchten bei der Europawahl
den CSU-Mann Weber als EVP-Spitzenkandidaten zum Juncker-Nachfolger machen.
Die Chancen stehen ob der notorischen schwachen S&D
Fraktion gut – solange die Briten außen vor bleiben.
Sollte London nun allerdings doch bei der Europawahl
teilnehmen – und das wird gegenwärtig vorbereitet – rechnet man aufgrund der
Tory-Schwäche und des Mehrheitswahlrechtes mit einem Labour-Durchmarsch, der
die sozialistische Fraktion in Brüssel erheblich stärken könnte.
Gut möglich, daß Merkel sich einen Aufschub bis Ende 2020
und eine Wahlniederlage Webers eher vorstellen kann, weil sie in zwei Jahren
mutmaßlich als Rentnerin den ganzen Zirkus von außen anguckt und sich nicht
erneut mit May ärgern muss.
Die jüngeren Regierungschefs wie Kurz oder Macron, die
vorhaben noch länger zu amtieren, möchten der britisch-gordischen Knoten lieber
jetzt zerschlagen.
Es bleibt also kompliziert.
Als Urnenpöbel-Skeptiker lehne ich die Ergebnisse der
meisten Plebiszite bekanntlich ab: Brexit, Trump, das türkische
Verfassungsreferendum, oder auch die gestrige Wiederwahl Netanjahus.
Ich halte die englische Entscheidung Europa den Rücken zu
kehren für einen Jahrhundertfehler, den es noch bitter bereuen wird und für den
wir alle zahlen müssen.
Der Souverän war zu doof und zu borniert, um die Entscheidung
zu fällen, die David Cameron aus Feigheit im Jahr 2013 ankündigte.
Auch ein neues Referendum könnte die gespaltene Nation nicht
einen.
Sie müssen genauso wie Trumpmerica erst schmerzhaft ihre
Lektion lernen.
(…..) Man sollte Trump und den
Brexit nicht abwenden bevor Trumpmerica und die Brexiteers ihre Lektion gelernt
haben.
Die vielen Millionen Menschen
sind dümmer und amoralischer als alle Hunde Spaniens und Deutschlands zusammen.
Sie müssen wirklich mit voller
Kraft ihren Kopf in die von ihnen selbst geschissene Scheiße gerammt bekommen.
Anders lernen sie es nicht.
Wer so heftig in sein Haus kackt,
muss auf die harte Tour erzogen werden.
Die Evangelikalen, Hillbillies,
Rednecks und sonstigen Trump-Rassisten müssen am eigenen Leib erleben wohin
seine isolationistische Hasspolitik führt.
Sie brauchen eine tiefe
Wirtschaftskrise, Jobverlust und böse Krankheiten ohne Obamacare.
Sie brauchen durch Trumps
environment-feindliche Politik ausgelöste Umweltkatastrophen vor ihrer Haustür
und durch von Trump ermächtigte raffgierige Banker herbeigeführte
Obdachlosigkeit.
If you need help. And if you can find them, maybe you shouldn't hire The May Team #Brexit #BitchesagainstBrexit #TheresaMay #Brussels #peoplesvote #revokearticle50 @EmmaKennedy @BitchesvBrexit @blackandbeech pic.twitter.com/dQ6ueOvRy0— devillefilm 📽️ (@devillefilm) 10. April 2019
Nur so begreifen sie, daß
Trumpismus in die Krise führt und daß man so einen nicht wieder wählen darf.
Und so leid es mir für alle
normalen Briten tut – auch ihre Europa-hassenden Landsleute brauchen diese
Lektion. Sie müssen einen katastrophalen Wirtschaftszusammenbruch mit
Lebensmittelknappheit und geplatzter Immobilienblase erleben. Sie müssen
deutlich spüren wie sehr sie auf die anderthalb Millionen in England
arbeitenden Europäer anderer Länder angewiesen sind.
Erst wenn jeder das bitter
erfahren hat und GB am Boden liegt, sollen sie wieder angekrochen kommen und
ein neues EU-Beitrittsgesuch stellen.
Farage und Johnson werden dann
nicht noch mal ihr Maul aufreißen. (…..)
Also bitte keine Fristverlängerung mehr, keine
Zugeständnisse, sondern gebt den Forderungen der Ultras Rees-Mogg, Johnson,
Farage nach: Brutaler No-Deal-Brexit jetzt.
Leseempfehlung:
Andreas Edmüller fasst alles sehr schön in einem Essay seines Philosophie-Blogs zusammen:
Andreas Edmüller fasst alles sehr schön in einem Essay seines Philosophie-Blogs zusammen:
[….] Die Hauptargumente der Brexit-Kampagne sind heute im Grunde als Lügen,
groteske Verzerrungen bzw. Erfindungen entlarvt.4) Nur: Wer das wissen wollte,
hatte schon vor dem Referendum sehr leicht die Gelegenheit, sich die nötigen
Fakten und Daten zu beschaffen und in Gegen-Argumente umzuformen. Und: Obwohl
die Argumente offensichtlich entkräftet sind, will immer noch annähernd die
Hälfte der Briten den Brexit. Für mich als Argumentationsprofi heißt das:
Rational betrachtet hat der Brexit mit den Argumenten seiner Befürworter bzw.
deren nüchterner Bewertung nicht viel zu tun.
Wir müssen also im Arationalen nach einer Antwort suchen. Das ist wie
bei der Religion: Die zum Teil katastrophalen Denkfehler diverser
Gottesbeweisversuche sind mittlerweile allgemein bekannt und Inhalt von
Proseminaren zum Thema – trotzdem beeindruckt das Gläubige nicht. Sie
wiederholen einfach ihre „Beweise“ und ignorieren deren Schwachstellen. Oder
sie verzichten gleich darauf, die Existenz Gottes mit schnöden rationalen
Mitteln beweisen zu wollen. Man glaubt und will einfach glauben. Wer braucht da
schon Argumente …
So ähnlich ist das mit dem Wunsch nach dem Brexit: Argumente greifen
nicht, man braucht auch keine, man weiß einfach, dass das der rechte Weg ist. […..]
Bleibt das UK nun doch aus irgendeinem
Grund in der EU, dann sehe ich die große Gefahr, dass der dadurch sich
garantiert verschärfende Kampf der Brexiteers
auf andere Länder bzw. die EU übergreifen wird. Sie werden keine Ruhe geben und
alles tun, um die EU wie bisher von innen heraus zu schwächen und zu bekämpfen.
Gleiches gilt für diverse sanftere Lösungen: Sie werden auch darin eine perfide
Versklavung der Briten sehen und dagegen ins Feld ziehen. Verschärft wird diese
Befürchtung noch durch einen recht einflussreichen Verbündeten, den sie in
diesem Kampf gegen die EU haben: Trump und die USA. [….]