Donnerstag, 4. März 2021

Soll das ein Witz sein?

Sascha Lobo erlitt gestern einen Groll-Anfall. Als rationaler und vernünftiger Kerl würde er sich natürlich niemals bei den Covidioten einreihen, aber es erfordert schon sehr viel Langmut, um nicht bei dem offenkundigen massiven Ministerversagen am demokratischen System in Deutschland zu verzweifeln:

Ein komplettes Jahr wurde völlig verschlafen und kein Schamgefühl, nirgends.

[…..] Der amerikanische Schriftsteller Edward Estlin Cummings hat einen gloriosen Spruch geprägt: »There is some shit I will not eat«. Ich glaube, bei mir war dieser Punkt spätestens erreicht, als ich hörte, was Angela Merkel diese Woche in der Unionsfraktion gesagt hat: »Wir brauchen sicherlich den Monat März, um eine umfassende Teststrategie aufzubauen.« Es gab und gibt im Verlauf dieser Pandemie immer wieder Sätze zum Ausflippen, Flippsätze. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie, fünf Monate nach Beginn der zweiten Welle, in dem Land, wo der weltweit erste Corona-Test entwickelt wurde, ist Merkels betulicher Satz mehr als eine Zumutung, mehr als eine Unverschämtheit, mehr als nur eine Katastrophe.   Nicht im März 2020, sondern im März 2021 eine »umfassende Teststrategie aufzubauen« – das ist in meinen Augen nicht weniger als ein Ausweis von Staatsversagen. […..] »Testen, testen, testen« war schon im März 2020 die Strategie, mit der unter anderem Südkorea einen harten Lockdown verhindern konnte. Wie kann man ein ganzes Jahr lang aus Erfolgen anderer Länder und Regionen nicht lernen? Wie sehr muss man für eine solche Realitätsresistenz an einem Überlegenheitskomplex leiden? Und dass immer und immer und immer wieder die gleichen Fehler gemacht werden, nein: die gleichen Fehler zelebriert werden. […..]

(Sascha Lobo, 03.03.2021)

Angela Merkel wird seit 1990, als sie erstmals Mitglied der Bundesregierung wurde, also immerhin 31 Jahren Spitzenpolitik mit erstaunlich wenig und einfallslosen Narrativen belegt.

„Physikerin der Macht“, „moderierender Stil“, „detailsicher“.

Da ihr Weg in die Politik sich so stark von dem bisher in Westdeutschland bekannten CDU-Modell des Hochmauschelns quer durch alle Parteigremien; Stichwort „Andenpakt“; unterscheidet, wissen viele Beobachter immer noch nicht wie sie das Macht-Phänomen Merkel beschreiben sollen.

Wenn sie nicht zufällig in ihrem vorherigen Leben Physikerin gewesen wäre, stünden 10.000 Redakteure ohne Merkel-Metaphorik da.

Die Wahrheit ist viel simpler: Merkel lässt sich wie so viele Konservative bedenkenlos von den reichsten Lobbyisten einspannen.

Deutsche-Bank-Chef Ackermann bewegte sich so selbstverständlich in ihrem Kanzleramt, daß er dort gleich seine Geburtstagssause stattfinden ließ.

Nach den entsprechenden Spenden an die CDU aus der der Autoindustrie, intervenierte Merkel gehorsam in Brüssel, um alle strengeren Abgasregeln zu verhindern. Ungeniert nimmt sie Waffenlobbyisten mit in ihrem Kanzlerjet, um Rüstungsprojekte einzufädeln und nachdem die Hallodris von und zu Guttenberg und von Beust sie für Wirecard anwarben, trat sie sofort wie gewünscht in Peking als Wirecard-Lobbyistin auf.

Da sich Merkel sehr erfolgreich abtrainierte jemals konkret zu werden und zudem über die Fähigkeit verfügt jede Beleidigung und jeden persönlichen Affront regungslos an sich abprallen zu lassen, verschwimmt sie zu einer unklaren Projektionsfläche, in die jeder Wähler interpretieren kann, was er will.

Ein weiteres wenig geheimes Geheimnis ihres Erfolges ist ihre generelle Inaktivität.

So ziemlich jedes wichtige Thema hat sie sich schon bei groß inszenierten Gipfeln zu Eigen gemacht: Digitalisierung, Klimawandel, Bildungspolitik, Ukraine, so daß sich jedes Partialanliegen Merkel als oberste Verbündete vorstellen kann.

Umgesetzt wurde aber rein gar nichts davon, weil es Merkel schlicht völlig egal ist, was nach ihr kommt.

Während sie noch als „Klimakanzlerin“ gefeiert wurde, schwänzte sie bereits die dafür eintretenden Konferenzen und ließ sich lieber bei reichen Spendern sehen, die das Gegenteil wollten.

(…..) Der 2014ner UN-Klimagipfel findet in Lima statt.

Natürlich wieder ohne Merkel.   Dabei schreckt die beliebteste Kanzlerin aller Zeiten mit ihren 75%-Zustimmungswerten beim deutschen Urnenpöbel nicht davor zurück auch den UN-Generalsekretär schwer zu brüskieren.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, ist verstimmt über die deutsche Regierungschefin Angela Merkel. Grund ist ihre Absage für den lange geplanten Klimagipfel. Das Treffen soll am 23. September in New York stattfinden. Schon vor Monaten hatte das Kanzleramt "terminliche Gründe" dafür angegeben, dass Merkel nicht kommen wird.   Ban Ki Moon hatte daraufhin noch einmal in Berlin nachhaken lassen. Als die Antwort erneut negativ ausfiel, sagte er verärgert seine ursprünglich geplante Teilnahme am Petersberger Klimadialog Mitte Juli in Berlin ab.  Für die Gipfelkonferenz im September haben sich unter anderen US-Präsident Barack Obama und Frankreichs Staatspräsident François Hollande angekündigt. […]

(Spon 17.08.14)

Nun liegt Merkels demonstrative Absage nicht nur daran, daß sie keinen Bock hat und daß ihr die Zukunft des Planeten schlicht egal ist, Nein, sie hat außerdem tatsächlich etwas Besseres vor.

Lieber Bosse als Bäume.

Die Kanzlerin schwänzt den UN-Klimagipfel in New York. Stattdessen hält sie an diesem Tag eine Rede vor deutschen Industriellen.    Monatelang wurde gerätselt, jetzt ist offenbar klar, was Angela Merkel vom Besuch des UN-Sondergipfels zum Klima abhält: Wenn die Bundeskanzlerin am 23. September nicht in New York erscheint, hat sie einen anderen Termin: Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Merkel ist am gleichen Tag dort für eine Rede auf dem „Tag der Deutschen Industrie“ in Berlin vorgemerkt.   UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel zum Klima eingeladen, um die Erfolgsaussichten für die entscheidende Klimakonferenz von Paris im Dezember 2015 zu erhöhen. [….]

(Bernhard Pötter 17.08.14)

Die Reaktion des deutschen Urnenpöbels:

Neuer Rekordwert  Angela Merkel steigert Beliebtheit im Stern-RTL-Wahltrend erneut. (….)

(Hahaha, Klimakanzlerin 19.08.2014)

In der Corona-Krise erleben wir inzwischen eben auch gerade nicht eine als Politikerin verkleidete Naturwissenschaftlerin, die sich den Fakten verpflichtet fühlt, sondern eine unverantwortliche Schwankerin, die zwar angeblich viele Studien liest und alle epidemiologischen Kerndaten kennt, der es aber offensichtlich egal ist wie viele Menschen noch sterben müssen.

Sie handelt eben nicht nach naturwissenschaftlichen Prinzipien, sondern tut das was ihr gerade opportun erscheint, was demoskopisch präferiert wird.

[…..] Die neuen Corona-Beschlüsse zeigen: Kanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs haben kapituliert. Vor der Infektionsdynamik, vor dem öffentlichen Druck, vor dem eigenen Versagen.    Erinnern Sie sich noch? Klar erinnern Sie sich, ist ja erst drei Wochen her und oft genug wiederholt worden: 35 lautete da die magische Zahl. Erst wenn die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen »stabil« unter diesem Wert liege, so beschlossen es die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, erst dann könne der »nächste Öffnungsschritt« erfolgen.  Zum Zeitpunkt dieses wegweisenden Beschlusses lag die Siebener-Inzidenz bei 68. Heute sind es 64, Tendenz steigend. Die 35 ist außer Reichweite, und sie wird es vorerst auch bleiben. Stattdessen warnen die Experten vor der weiteren Ausbreitung der deutlich ansteckenderen Mutationen, die Zahl der Neuinfektionen könnte in den kommenden Wochen dramatisch steigen. […..] Beispiel Impfen: Erst gab es zu wenig Impfstoff, jetzt bleibt er mancherorts liegen. Während andere Länder in Bars oder bei Ikea die Spritzen zücken, verweist man bei uns lieber auf eine seitenlange Impfverordnung. […..] Fehlende Lüftungsanlagen in Schulen und Kitas, Digitalisierungsdefizite in Behörden und Bildungseinrichtungen, eine Corona-Warn-App, die Millionen gekostet hat, aber kaum etwas bringt – die Liste des Versagens ließe sich fortführen. Und mit jedem Monat, den sich Deutschland durch diese Krise kämpft, verstärkt sich der Eindruck: Dieses Land ist viel zu oft einfach zu träge, zu bürokratisch, zu wenig kreativ. […..]

(Philipp Wittrock, 04.03.2021)

Dieser „Fakten sind mir doch egal“-Kurs der Kanzlerin ist umso verwerflicher, weil sie angesichts des endgültigen Endes ihrer Amtszeit gar keine Rücksichten mehr nehmen müsste.

All das ist Merkel-mäßig und daher kaum überraschend.

So wurde sie zur beliebtesten Politikerin Deutschland.

Offenkundig empfindet sie nach einem Jahr Corona-Debakel genauso wenig Schamgefühl, wie bei der in Deutschland völlig verpassten Digitalisierung.

Im Gegenteil, dreist beklagt sie öffentlich die Versäumnisse Deutschlands.

[….] Bundeskanzlerin Merkel hat im Rückblick auf ein Jahr Corona-Pandemie eine kritische Bilanz gezogen. Es seien in Deutschland Schwachstellen und Stärken sichtbar geworden, sagte Merkel am Mittag beim digitalen Weltwirtschaftsforum. Aus ihrer Sicht dauern hierzulande Veränderungsprozesse lange und sind oft sehr bürokratisch. Konkret machte Merkel Defizite bei der Digitalisierung aus - besonders in den Gesundheitsämtern, der Verwaltung sowie in Schulen und Universitäten. [….]

(BR, 26.01.2021)

Nun müsste man nur noch herausfinden, wer in den letzten 15 Jahren Regierungschef war und somit diese Schwachstellen zu verantworten hat.

Vielleicht ist das der vielgerühmte heimliche Humor der Kanzlerin:

[…..] Spahn und Scheuer sollen es richten! [….]
(NTV, 04.03.2021)

Die schlechtesten und erwiesenermaßen ineffektivsten Pappnasen der Bundesregierung setzt sie nun an die Hebel des dringendsten Problems.

[…..] Witz des Jahrhunderts: Ausgerechnet das Pannen-Duo #Spahn und #Scheuer soll nun die Taskforce zur Testlogistik leiten, mit der eine Öffnungsstrategie abgesichert werden soll. [….]

(Sahra Wagenknecht, 04.03.2021)

Das kann man sich nicht ausdenken.

Spahn und Scheuer? Wieso ausgerechnet die? Lothar Matthäus und Kader Loth hätten doch auch Zeit gehabt!

[…..] Damit diese Tests in ausreichender Anzahl beschafft werden können, soll es zudem eine Taskforce geben - unter der Leitung von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).   […..] „Unfassbar genug, dass die MPK erst nach über einem Jahr Pandemie über eine #Taskforce zur Beschaffung von #Schnelltests spricht. Wer ausgerechnet Andreas #Scheuer gemeinsam mit Jens #Spahn die Leitung der Taskforce übergibt, hat offenbar nicht vor, das Problem schnell zu lösen“, schrieb Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion.    Linksfraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali reagierte sarkastisch. „Eine Meldung wie aus dem Postillon: #Scheuer und #Spahn übernehmen die #Taskforce zur Testlogistik. Na denn...“, twitterte sie.    Die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner formulierte ebenfalls scharf: „Wenn Andi #Scheuer jetzt für die Tests zuständig ist, dann Gute Nacht Deutschland! Als Belohnung für sein Versagen bei anderen Großprojekten soll er jetzt diese lebenswichtige Aufgabe übernehmen. Das muss geändert werden“, schrieb sie. [….]

(RND, 04.03.2021)