Es ist so wie immer bei Landtagswahlen:
Die Bundespartei, die verloren hat, weist auf Landesspezifika hin, spricht dem Ergebnis eine bundespolitische Bedeutung ab. Die Bundespartei, die im Land gewonnen hat, betont hingegen den Rückenwind aus Berlin und wertet den Sieg als bundespolitischen Schwung.
Das trifft umso mehr zu, wenn gleich die nächste Landtagswahl vor der Tür steht: In NRW wird am 15.05.2022 gewählt.
Der heutige Durchmarsch des frommen CDU-Mannes Daniel Günther in Kiel ist ein schöner Tag für CDU-General Czaja, der sogleich die Jamaika-Führungsqualitäten im hohen Norden als Beleg für die angeblich schlechte Scholz-Führung innerhalb der Ampel sieht. Ein offenkundig hanebüchener Vergleich; als ob Günther mit einem drohenden Atomkrieg und der Lieferung schwerer Waffen in einen heißen Krieg beschäftigen müsste.
Einigermaßen abwegig auch Czajas Schwurbel, die CDU habe auf „Null Toleranz gegen Kriminalität“ gesetzt und damit gewonnen.
Abstrus auch, daß sich ausgerechnet Friedrich Merz, der innerhalb der CDU, die Antipode zu Günther bildet, bei keinem seiner drei Anläufe an die Spitze von dem Kieler unterstützt wurde und in so ziemlich jeder inhaltlichen Frage anders als Günther denkt, sich heute selbst ein Stück für den Erfolg in Schleswig-Holstein mitverantwortlich macht.
[….] Der CDU-Chef gratulierte Daniel Günther via Twitter - nicht ohne sich auch ein bisschen selbst zu gratulieren: "Ein überragendes Ergebnis für dich persönlich, aber auch die gesamte CDU", schrieb Merz. Das gebe Rückenwind für Nordrhein-Westfalen. [….]
Das Gegenteil ist der Fall, selbst unter den CDU-Wählern hält nur eine kleine Minderheit Merz‘ Beitrag für die heutige Landtagswahl für hilfreich.
Dem Landespolitiker Günther wird mehr Bundeskompetenz zugetraut als dem Bundespolitiker Merz.
Tatsächlich bestätigen alle Wahlforscher die schwindende Bedeutung der „längerfristigen parteipolitischen Bindungen“. Es gibt immer weniger Bürger mit parteibuchartiger Verbundenheit, die ohnehin immer CDU oder immer SPD wählen.
Galt von 1970 bis 2000 bei Landtagswahlen PLUS vier Prozentpunkte oder MINUS drei Prozentpunkte schon als enorme Verschiebung, sind inzwischen zweistellige Veränderungen die Regel.
Die Beust-CDU gewann in Hamburg 2004 satte 21 Prozentunkte hinzu, Olaf Scholz holte 2011 sagenhafte 14,2 Prozentpunkte zusätzlich und errang damit die absolute SPD-Mehrheit. Die kümmerliche Ahlhaus-CDU verlor am selben Tag 20,7 Prozentpunkte. In Berlin gab die CDU 2001 gegen den neuen SPD-Star Klaus Wowereit auf einen Schlag 17 Prozentunkte ab.
Winfried Kretschmann gewann in Baden-Württemberg 2011 ungeheuerliche 12,5 Prozentunkte hinzu und wurde damit erster grüner Ministerpräsident.
In Sachsen 2019 schockte die AfD mit zusätzlichen 17,8 Prozentpunkten.
2008 erlitt die Beckstein/Huber-CSU einen Erdrutschverlust von 17,3 Prozentpunkten. Beide wurden gegangen und von dem ungeliebten Seehofer ersetzt.
Die eben noch regierende SPD erlitt 2002 in Sachsen-Anhalt mit 15,9 Prozentunkten einen ähnlichen Totalabsturz wie ein Jahr später in Niedersachsen mit Minus 14,5 Prozentunkten.
Die Wahl im Saarland vor wenigen Wochen am 27.03.2022 zeigte ebenfalls dieses Phänomen; die Leute waren sauer auf Lafontaine und Hans, mochten aber Anke Rehlinger.
Große Ausschläge werden weiterhin durch die geringeren Wahlbeteiligungen begünstigt. Wähler können durch die tägliche Umfrageflut viel genauer antizipieren, wer wohl gewinnen wird.
Wenn es auf keinen Zweikampf hinausläuft und der Amtsinhaber der beliebteste Ministerpräsident Deutschlands ist, während der Herausforderer erst ein Jahr bei der SPD ist und niemand den Namen zuvor gehört hat, gehen die SPD-Wähler im Zweifelsfall gar nicht erst zur Wahl und somit sank die Wahlbeteiligung von 65% auf 61%.
Gut, daß die Linke mit derzeit 1,7% in der Hochrechnung für das Chaos und das Gewähren-Lassen der rechtspopulistischen Schwurblerin, Covidiotin und Putinista Sahra Sarrazin schwer bestraft wurde. So eine Partei kann man nicht wählen.
Zu begrüßen ist der Dämpfer für populistische Kubicki-FDP, die tatsächlich auch nur Stimmen von der AfD gewinnen konnte, während sie in alle anderen Richtungen abgab.
Noch mehr zu begrüßen ist das erstmalige Ausscheiden der faschistischen AfD aus dem Landesparlament. Das ist ein Sieg für die Demokratie und eine herbe Klatsche für den konservativen Unionsflügel (Ploß, Kretschmer, Merz, Söder, Mohring, Seehofer), der immer wieder fatalerweise versuchte, die AfD rechts zu überholen und sie damit überflüssig zu machen. Das funktionierte nie, weil die Dumpfdeutschen dann das Original wählen. Die AfD aus dem Landtag getrieben hat ausgerechnet zuerst Daniel Günther, der ganz klar den liberalen Flügel der CDU vertritt.
Kein schöner Tag für die SPD. Kein schöner Tag für einen Atheisten, wenn so ein strenggläubiger Katholik wie Günther, der den Gottesbezug in den Kieler Verfassung setzen wollte und im vorherigen Wahlkampf islamophob und antisemitisch mit einem Schweinefleisch-Pflichttag in schleswig-holsteinischen Kantinen warb.
Derartig religiöse Menschen möchte ich nicht an der Regierungsspitze sehen, aber offensichtlich ist das eine Minderheitenmeinung. Zudem wird Günther offenkundig nicht als so konservativ wahrgenommen.