Samstag, 23. Januar 2021

Die Radikal-Oliven.

Parteien wandeln sich natürlich.

Bis vor etwa einhundert Jahren waren die US-Demokraten die Partei der Rassentrennung und deutlich konservativer als die Republikaner. Aber dann begannen die schlimmsten Rassisten aus den Südstaaten die Partei zu verlassen, in den 1930ern stand der New Deal für eine progressivere Ausrichtung der Demokraten in der Sozialpolitik. In den 1960ern schließlich wurden die „Dems“ auch Partei der Bürgerrechtsbewegung, während die GOP den umgekehrten Weg ging. Sie erschien in den 1980ern wie eine fromme CDU mit Westerwelle-Wirtschaftspolitik, wurde zunehmend ideologischer, evangelikal und interventionistisch. Seit etwa 15 Jahren verlassen die Republikaner die rationale Welt und sind heute zu einer gefährlichen rechtsextremen Verschwörungstheoretiker-Sammlungsbewegung geworden, aus deren Perspektive Merkel oder Macron sozialistische Ökospinner sind.

Alle Parteien unterliegen einem Wertewandel. Die Adenauer-CDU hat kaum noch Gemeinsamkeiten mit der Laschet-CDU. In der Ihre Position in Relation zu den anderen "Altparteien“ blieb aber stets ähnlich. Die Linien überkreuzen sich nicht wie bei den Roten und Blauen in den USA, die ihre Plätze tauschten.

Die CDU ist heute progressiver als 1960, akzeptiert Frauen in Führungspositionen, weiß um den Klimawandel und akzeptiert sogar Rechte nicht ehelich Geborener.

Sie ist aber natürlich nicht zu einer zweiten SPD geworden, wie es die ewig Rechten mit ihrer Jammerei von der „Sozialdemokratisierung der CDU“ beklagen. Das ist Unsinn, weil sich selbstverständlich auch die SPD mit dem gleichen Vektor verschob.

Die SPD bejaht heute enthusiastisch Schwulenehe, kämpft gegen Atomkraft und stellt sich außenpolitisch klar den US-Wünschen entgegen.

Der Abstand zwischen CDU und CSU hat sich in den letzten 70 Jahren nicht verändert, weil beiden gleichschnell und in ähnlicher Richtung von ihren damaligen Positionen hinwegdiffundierten.

Etwas anders sieht es bei der FDP aus, die traditionell mit einem nationalen, einem gesellschaftlich liberalen und einem ökonomisch-neoklassischen monetaristischen Milton-Friedman-Konzept der Privatisierung und Deregulierung.

Anders als die beiden großen Parteien bewegte die FDP nicht den gesamten Tanker inhaltlich in eine Richtung, sondern betonte ihre drei Flügel unterschiedlich stark. In den 1960 war sie Sammelbecken für Nationalisten, in den 1970ern Speerspitze des gesellschaftspolitischen und säkularen Fortschritts und in den 1990ern wieder ausschließlich ökonomisch neoliberal.

Unter Westerwelle wurde sie zur Ein-Themenpartei: Steuersenkungensteuersenkungensteuersenkungen, bzw zur Null-Themenpartei, nachdem sie in der Regierungsverantwortung unter Merkel dramatisch scheiterte.

Die Lindner-FDP ist ebenso neoliberal wie vor 20 Jahren, betont aber zusätzlich wieder stark den nationalistisch-populistischen Flügel der 1960er.

SPD und CDU veränderten ihre sozialen und ökonomischen Pläne peu à peu, während die FDP inhaltlich einfach stehenbleibt.

Das ist insofern besonders erstaunlich weil der radikale Westerwelle-Neoliberalismus der 1990er zwar nicht funktioniert, wie wir heute wissen, aber zu seiner Zeit beinahe einheitliche Lehrmeinung war, von 90% der Ökonomen und Journalisten so gefordert wurde.

Lindner fordert 30 Jahre später inhaltlich immer noch Dasselbe, vertritt damit aber eine Irrlehre, die heute kaum ein Ökonom mehr so bestätigt und von der Wirklichkeit klar als Unsinn entlarvt wurde.

Trickle Down funktioniert nicht, Mindestlohn kostet keine Arbeitsplätze, die Von Linken prognostizierte Finanzmarkt-Megakrise trat ein und ausgerechnet die Banken, die von den Neoliberalen von allen Fesseln befreit werden sollten, versagen kollektiv so extrem, daß ausgerechnet sie in einer weltweiten staatssozialistischen Aktion „gerettet“, also teilverstaatlicht werden mussten.

Das ideologische Gerüst Lindners liegt in Trümmern und dennoch preist er es weiterhin als Model.

Die Grünen hingegen sind eine Partei, die im Gegensatz zur Zickzack-Partei FDP in den 40 Jahren ihrer Existenz stetig in eine Richtung evolutionierte, dabei aber nicht parallel zu den anderen Parteien wanderte, sondern eher wie die amerikanisch GOP die Wege der anderen kreuzte.

Es begann Ende der 1970er Jahre als außerparlamentarische revolutionäre Kraft, die alles Bestehende der Bundesrepublik umkrempeln wollte.

Vor 40 Jahren zogen die Grünen als Nicht-Partei mit Rotationsprinzip in den Bundestag ein. Das Mandat und die Inhalte zählten, nicht die Person.

Man war radikal feministisch, ökologisch, pazifistisch. Stand sozialpolitisch weit links der SPD und bekam als Anti-KKW-Bewegung spätestens 1986 durch Tschernobyl das Megathema als gemeinsamen Nenner aller Strömungen geliefert.

Nahezu alle Positionen wurden inzwischen fallen gelassen. Statt Rotationsprinzip kam mit Joschka Fischer der Personenkult, statt Radikalpazifismus realpolitische Kriegseinsätze.

Leidenschaftlich plädierten die Grünen in der Schröder-Regierung für die eher neoliberale Agenda 2010 und erwärmten sich für die noch radikaleren CDU-Vorschläge.

Um die Jahrtausendwende musste die Grünen nicht mehr den Zorn einer finanziell-Prekären Wählerschaft fürchten. Die einstigen Ökopaxe haben nun die reichsten Wähler.

Während der schwarzgelben Merkel-Koalition kreuzten sich die Parteivektoren von SPD und Grünen; die streng christlichen Merkel-Fans Göring-Kirchentag und Kretschmann zogen rechts an der SPD vorbei. In den Bundesländern Hessen, Saarland, Baden-Württemberg und Hamburg strebten die Grünen Schwarzgrüne Regierungen an.

Teilweise gab es rechnerisch keine anderen Möglichkeiten (BW), aber im Saarland und Hamburg wurde die CDU Wunschpartner.

Insbesondere die sehr rechte Hamburg-CDU wird von den Grünen umschwärmt. Trotz linker Mehrheiten wechselte die Partei der Hochverdienenden in mehreren Hamburger Bezirksversammlungen den Koalitionspartner, schickte die SPD in Opposition, paarte sich mit der CDU und erklärte, es gäbe nun einmal mehr Gemeinsamkeiten mit der CDU. Man hatte schließlich schon 2008 das Bundesland schwarzgrün regiert; die Union wußte also, daß die Grünen bereitwillig Straßenbäume abholzen, Megakohlekraftwerke genießen und rücksichtslos Asylbewerber abschieben.

Schon 2017 hatte Kultparteiführer Habeck der Kanzlerin auf dem Koalitionsaltar den Klimaschutz geopfert. In Baden Württemberg versteht sich der Grüne Ministerpräsident als oberster Lobbyiste der Autoindustrie, in Hessen lassen Grüne Minister Wälder abholzen, Starbahnen für Flugzeuge bauen, vermeiden aber peinlichst die Aufstellung auch nur eines einzigen Windrades.

Seither gibt es für die Bundespartei nur noch einen Weg stramm nach rechts.

Die Parteichefin Baerbock spricht Lobhudeleien auf CDU-Parteitagen und fordert offensiv die Aufrüstung der Bundeswehr.

Die Grünen haben sich im Parteienspektrum nun fest rechts von der SPD etabliert, liegen auf Augenhöhe mit der CDU und CSU, deren rechtspopulistischer Parteichef Söder der Wunschkanzler der Grünenanhänger ist.

Bis auf das Selbstverständnis als Anti-AKW-Partei haben die Grünen jede einzelne Position von 1982 verraten und verkauft.

Aber auch daran arbeiten die Oliven nun.

Um letzte ideologische Hindernisse auf dem Weg in eine Merz- oder Söder-Kanzlerkoalition wegzuräumen, spricht sich die Grüne Parteistiftung nun sogar ausdrücklich für Atomwaffen aus.

[…..] Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt einen Aufruf für Aufrüstung und Atombomben. […..] Eine Frage ist für eine mögliche schwarz-grüne Bundesregierung nach der Wahl im September besonders interessant: Wie hält sie es mit dem Militär in der Außenpolitik? Eine pazifistische Partei sind die Grünen zwar spätestens seit rot-grünen Regierungszeiten nicht mehr. Leicht machen sie es sich in den Detailfragen – welche Auslandseinsätze, welche Kompromisse bei Kampfdrohnen, wie weiter mit der Atombombe? – aber noch immer nicht.  Bemerkenswert ist da ein Vorstoß aus den Reihen der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung, die als Denkfabrik intellektuelle Vorlagen für grüne Politik liefert. Zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden hat die Böll-Vorsitzende Ellen Ueberschär einen Aufruf „für eine neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“ verfasst – gemeinsam mit Ver­tre­te­r*in­nen von transatlantischen Thinktanks und Lobbyorganisationen wie der Atlantik-Brücke, dem German Marshall Fund und dem Aspen Institute. […..]

(Tobias Schulze, taz, 20.01.2021)

Nur noch FDP und AfD stehen heute im deutschen Parteienspektrum rechts von den Grünen.

Wenn Habecks Truppe weiterhin so driftet, dürfte sie 2040 rechts an der FDP vorbei gezogen sein und auf AfD-Kurs gehen.

Der erste Grüne Bundeskanzler wird dann mutmaßlich wieder die Atomkraftwerke bauen lassen und eine rein militärische Außenpolitik betreiben.