Freitag, 26. Februar 2016

Populär-Sigi.


In der prä-vereinigten Bundesrepublik Deutschland waren Wahlen immer so einfach. Es gewann entweder das linke oder das rechte Lager. Wer nicht ganz links oder nicht ganz rechts  war, konnte immer noch taktisch die FDP wählen, die fast immer als Mehrheitsbeschaffer mitregierte.
Die Hepatitisgelben hatten es sich behaglich eingerichtet.
Sie wurde von liberaleren CDUlern oder Seeheimer-Sozis mitgewählt, um der jeweiligen großen Partei die Macht zu sichern.
Das war das typische Leihstimmenkonzept.
„Wer Kohl/Merkel als Kanzler behalten will, muß FDP wählen“.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit.
 Wenn überzeugte SPD- oder CDU-Anhänger absehen konnten, daß ihre Partei in der Opposition landen würde, wählten sie ebenfalls die FDP – in dem Fall, um das Schlimmste zu verhindern.
Mit 10% FDP-Typen am Hals, konnte die Dregger/Kohl/Strauß-Union nicht ganz so stramm nach rechts marschieren, wie sie es allein getan hätten.
Koalitionsverhandlungen waren planbar und vorhersehbar.
Und wenn alle Stricke rissen, weil sich die FDP mit dem Wahlsieger verkracht hatte oder eine vierte Partei die klassischen Koalitionsmehrheiten eines Dreiparteiensystems verhinderte, blieb als Ultima Ratio immer noch die „GroKo“.
Fiese Gebilde konnten das sein.
1966 heiratete das stramm konservative ehemalige NSDAP-Mitglied Kiesinger den ehemaligen Widerstandskämpfer Brandt, den die CDU jahrelang als unschuldige und traumatisierte Vaterlandsverräter und unehelich geborenen Bastard diffamiert hatte.
Gut für die SPD, daß sie 1966 die Koalition einging, denn im konservativen Deutschland der 50er und 60er Jahre galt es noch als undenkbar, daß Sozis das Land regieren könnten. Nachdem sie sich aber drei Jahre als Minister profiliert hatten, sah es 1969 endlich anders aus.

Die späteren beiden Bundes-Grokos unter Kanzlerin Merkel  lassen sich nicht mit der Ersten vergleichen, da es viel weniger Differenzen gab, die SPD schon drei Kanzler gestellt hatte und eine extrem unterambitionierte Regierungschefin alle Aktivitäten im Keim erstickte.
Für Merkel ist die GroKo eine bequeme Methode genügend Stimmen bei der Kanzlerwahl zu bekommen. Ich bin immer noch davon überzeugt, daß ihr die gewaltigen Mehrheiten lieber sind, als der vermeidlich inhaltlich näher stehenden Partner FDP.
Das bringt nur Ärger, wenn sich ein Kleiner profilieren will und mit einer schlagkräftigen Opposition hat man es auch noch zu tun.
Ginge es nach Merkel, würde sie die Grünen, wenn nicht sogar die Linke auch in die Regierungskoalition aufnehmen.
Jeder bekäme irgendein Ministerium mit der entsprechenden Narrenfreiheit, dürfte ich ein paar Pöstchen und Projektchen leisten.
Eine Opposition gäbe es dann gar nicht mehr und alle inhaltlichen Streitigkeiten würden im Vorfeld von ihren Scherpas mit etwas Verbalsoße verschleiert.
So eine Allparteienkoalition wäre vermutlich sogar beliebt im bräsigen Deutschland, dessen Bürger sich ohnehin kaum für Politik interessieren und zum allergrößten Teil auch nicht auf die Idee kommen das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, wenn über 1000 rechtsradikale Anschläge auf traumatisierte Flüchtlinge stattfinden.
Wie bizarr es doch ist, daß diese einst so übermächtig erscheinenden Volksparteien so abgewirtschaftet haben, daß erstmals seit 1949 bei den kommenden Landtagswahlen in zwei von drei Bundesländern noch nicht einmal CDU und SPD zusammen eine Mehrheit erreichen dürften.

Nach den aktuellsten Umfragedaten kommen CDU (je ~30%) und SPD (je ~15%) zusammen, sowohl in Sachsen-Anhalt, als auch in Baden-Württemberg auf keine Mehrheit der Sitze.

Während die SPD aus der ersten Bundes-Groko 1966-1969 sehr gestärkt hervorging, schrumpft sie seit zehn Jahren nur noch in dieser Konstellation.

Bei solchen Landtagswahlergebnissen wäre es für die Sozis an der Zeit Guido W.s altes „Projekt 18“ auszugraben.
In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wären 18% ein bombiges Ergebnis.

Wieso klappt jetzt nicht, was 1966 gelang?

Dafür gibt es eine einfache Erklärung:  Andrea Nahles, Thomas Oppermann, und Sigmar Gabriel sind eben nicht Willy Brandt, Horst Ehmke, Karl Schiller, Georg Leber, Hans Jürgen „Ben Wisch“ Wischnewski, Herbert Wehner und Helmut Schmidt.

Gabriel mit seinem von ihm selbst gepriesenen Gefühl für die Stimmung an der Basis macht bei dem Versuch Merkel zu imitieren und „Volksmeinungen“ nachzuplappern eben keine gute Figur.

Selbst wenn es stimmen sollte, daß die allermeisten Deutschen sich wünschen mehr Flüchtlinge rauszuschmeißen, wird daraus noch keine stringente Politik, die alle Menschen überzeugt oder doch zumindest beeindruckt.

Nachdem sich in letzter Zeit wieder die Berichte über die rapide reicher werdenden Superreichen, das heftige Aufklaffen der sozialen Schere, mehren und eine Unzufriedenheit damit messbar ist, springt Gabriel auf den Zug auf.


Der Vizekanzler sorgt sich nun um die sozial Schwachen mit deutschem Pass.
Angesichts der 18 Milliarden Euro Plus, die die öffentlichen Kassen letztes Jahr gemacht haben, müsse nun auch an soziale Wohltaten gedacht werden.

In der ZDF-Talkshow von Maybritt Illner hat es der Vizekanzler am Donnerstagabend nun mit einem frischen Bild versucht: Ein "neues Solidaritätsprojekt für unsere eigene Bevölkerung" sei notwendig, sagte Gabriel. Die deutschen Bürger müssten merken, "dass ihre Bedürfnisse nicht weiter unter die Räder geraten". Auch die Aufstockung geringer Renten brachte er ins Gespräch.

An sich eine begrüßenswerte Einsicht – die SPD will mehr für die Schwächsten in unserer Gesellschaft tun.

Es wäre aber noch schöner, wenn der  SPD-Chef dies als „richtig“ und „notwendig“ erachtete, aktiv würde, weil es das Selbstverständnis der SPD ist.

Stattdessen gelten wieder nur die beiden alten Zitate:

Die Andrea Nahles gehört dahin wo sie herkommt - in die Eifel wo’s am Dunkelsten ist.
(„Drucker August“ alias Georg Schramm)

Die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält.
(Dieter Hildebrandt)

Gabriel hat die Hosen voll wegen der AfD und der Stimmung bei den Peginesen. Deswegen will er auf einmal großzügig werden.

Zudem würde der begabte Politiker Gabriel weit weniger berechnend wirken, wenn es nicht seine eigene Partei gewesen wäre, die in den letzten Jahre stoisch zusah, wie das Vermögen der 1% Reichsten gewaltig anschwoll.
Die SPD senkte das Rentenniveau, führte die geringere Besteuerung von Kapitalgewinnen ein und Nahles setzte bei der ihrer Rentenpolitik wieder auf die armen Beitragszahler, während sie Beamte, Unternehmer und Bundestagsabgeordnete schont.