Nachdem ich mich schon als Wessi ausführlich zu den Ossi-Befindlichkeiten äußerte, als Atheist über Gläubige urteile, muß ich nun noch mal etwas als Träger männlicher Genitalien zum Umgang mit einer Gebärmutter sagen.
Im Zeitalter der Wokeness wird mehr und mehr darüber debattiert, ob nicht diskriminierte Menschen, sich wirklich in die Haut derer denken können, die als Frau, Schwarzer, Schwuler, Jude täglich Diskriminierungen erfahren, schon mit einem ganz anders entwickelten Urvertrauen ihre Frühkindheit erlebten, über Jahrzehnte erlebten immer skeptisch angesehen zu werden.
In letzter Zeit begegnete mir das Thema gelegentlich auch in US-amerikanischen Serien/Büchern/Filmen.
Meistens ist der Plot derart, daß ein Schwarzer/Schwuler/Araber böse diskriminiert wird, sein/ihr hochempathischer weißer/Hetero/Christ Freund deswegen wütend wird, sich solidarisiert, helfen möchte, aber sich letztendlich anhören muss, er/sie könne eben nicht verstehen wie es ist schwarz zu sein. Das bedeute nämlich immer schwarz zu sein.
Eine bizarre Auswirkung der Debatte ist der Rückzug der weißen holländischen Amanda-Gorman-Übersetzerin. Sie könne die US-amerikanische Lyrik nicht ins Niederländische übersetzen, weil ihr die Erfahrung fehle schwarz zu sein.
Ich glaube, es ist sehr schwer für einen weißen Cis-Heteromann, sich das Gefühlsleben eines kontinuierlich aufgrund von Äußerlichkeiten diskriminierten Menschen hineinzudenken.
„Ich kann mir schon vorstellen, wie das für dich ist“ sagt sich vermutlich viel schneller als man braucht, um die ganze Dimension des Problems zu erfahren.
Aber ich glaube auch, daß es nicht unmöglich ist. So wie nicht alle Schwarzen gleich sensibel sind, fühlen sich auch nicht alle Frauen gleichermaßen benachteiligt und es sind eben auch nicht alle weißen Cis-Heteromänner gleichermaßen borniert.
So wie erfreulicherweise in den 20er Jahren des 21. Jahrhundert junge Heteromänner ganz ohne irgendwelche Berührungsängste enge Freundschaften mit Schwulen pflegen, gibt es auch viele Männer, die wie Justin Trudeau völlig selbstverständlich von sich sagen Feminist zu sein.
Es gibt aber alles gleichzeitig. Unter den Trudeaus Alters-, Geschlechts- und Hautfarbe-Genossen in Sachsen-Anhalt sieht das anders aus. Die wählen mehrheitlich AfD und frönen einem sehr kruden Weltbild, in dem Männer Frauen überlegen sind, Weiße mehr als Schwarze gelten und Heteros besser als Homos sind.
Kann ich mich als Mann also in die Nöte einer schwangeren Frau
hineindenken, die überlegt abtreiben zu wollen?
Das hieße, daß sich all diese Frauen in dieser Situation gleich fühlen und ist
somit absurd.
Aber auch ohne einen eigenen Uterus zu haben, ohne schwanger werden zu können, stehe ich zu meiner Grundüberzeugung, daß es niemanden etwas angeht, was ein Mensch mit seinem eigenen Leben, seinem eigenen Körper anfängt. Er/sie/es soll generell dürfen: Sich umoperieren lassen, Gliedmaßen amputieren, die Vorhaut abschneiden, Föten entfernen lassen oder auch sein eigenes Leben beenden. Kein Dritter hat sich da einzumischen und ich bin jeden Tag wütend und empört darüber, daß Bundesgesundheitsminister Jens Spahn höchstrichterliche Urteile ignoriert und sich weigert schwerstkranken und entsetzlich leidenden Menschen Pentobarbital auszuliefern, weil er, Spahn, findet sie sollten weiter leben müssen und dürften nicht das Recht haben ihr eigenes Leben zu beenden.
Das ist perfide, unmenschlich und brutal.
(…..) Es zerreißt mir nicht nur das Herz alle diese Fälle zu lesen, wie Sterbenskranke um ihr rettendes Medikament betteln, das ihn aus christlicher Bösartigkeit verweigert wird.
[….] "Warum ich gern Natrium-Pentobarbital hätte" Meine Krankheit ist unheilbar, im schlimmsten Fall steht mir ein quälendes Sterben bevor. Das will ich verhindern können - mit einer Arznei, die ich irgendwann selbst anrühren und schlucken kann. Ohne Hilfe. Doch der Gesetzgeber hindert mich daran. [….] "Ihr Antrag vom 13.04.2018 wird abgelehnt." Das schreibt mir das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im September 2018. Es ist ein so freundliches wie sachliches, dreiseitiges Schreiben, in dem ich mit meiner Krankheit bedauert werde. Ich wollte doch nichts weiter als 16 Gramm Natrium-Pentobarbital, als letztes Mittel für schlechteste Zeiten. Die kommen erst noch, aber sie kommen sicher. Ich habe Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, eine tödlich verlaufende Krankheit. Zu wissen, dass C11H18N2O3 bei mir liegt, wäre eine Erleichterung. [….]
(Dokumentiert von SPON; 16.04.2019)
Ich fließe nicht nur über vor
Mitleid, sondern es packt mich eine heilige Wut auf Christen-Parlamentarier
und den Gesundheitsminister Jens Spahn, der sich perfide, grausam
und sadistisch sogar über eine Anordnung des Bundesverwaltungsgerichts
hinwegsetzt, das Pentobarbital an Patienten auszuhändigen. Da muss ich das
größte Wort verwenden: Hass.
Ich hasse diese Politik.
(….) Ich spreche von den bestialisch-brutalen, anmaßenden und völlig herzlosen CDU-Größen Jens Spahn und Michael Brandt, die allerdings auch in anderen Parteien Unterstützung für ihre radikal menschenfeindliches Agieren bekommen; man denke nur an Kerstin Griese (SPD) und Kathrin Göring-Kirchentag (Grüne). Es geht um die Beschaffung von Natrium-Pentobarbital; vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vor einem Jahr höchstrichterlich unter ganz bestimmten Umständen erlaubt. Endlich kann Schwerstkranken, deren Leben eine einzige brutale Qual ist, geholfen werden.
[….] Schwer kranke Menschen können zukünftig Anspruch auf Medikamente zur schmerzlosen Selbsttötung haben. "In extremen Ausnahmesituationen" dürfe ihnen dies nicht verwehrt werden, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. (Az: 3 C 19.15) Das Persönlichkeitsrecht umfasse bei einem unheilbar kranken Menschen unter bestimmten Voraussetzungen auch das Recht, zu entscheiden, wie und wann er aus dem Leben scheiden wolle. Geklagt hatte ein Mann aus Braunschweig für seine inzwischen verstorbene Ehefrau. Seit einem Unfall im Jahr 2002 war sie vom Hals abwärts komplett gelähmt. Sie musste künstlich beatmet werden und war ständig auf medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfälle verursachten ihr starke Schmerzen. Sie wollte ihrem als unwürdig empfundenen Leben ein Ende setzen und beantragte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis, 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erwerben. Das Institut lehnte ab, weil dies durch das Betäubungsmittelgesetz ausgeschlossen sei. Die Frau nahm sich schließlich 2005 in der Schweiz mit Unterstützung eines Sterbehilfevereins das Leben. [….]
Echte Sadisten aus christlichen Kreisen verweigert nun seit 15 Monaten den kränksten und bedauernswertesten Menschen ihr Recht auf eigene Entscheidung und verdammen sie zur maximalen Qual.
Der damalige Gesundheitsminister Gröhe goß offenbar genauso gern wie sein jetzt amtierender Nachfolger Spahn Salzsäure in die Wunden der Schwerstkranken. Geltendes Recht interessiert ihn nicht, Moral und Anstand sowieso nicht. Pentobarbital wird nicht rausgegeben.
[…..] Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das am Ende des Rechtsstreits stand, schockierte manchen. Allen voran Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Im März vergangenen Jahres entschieden die Leipziger Richter, dass das Gröhe unterstellte BfArM in Ausnahmefällen zur Abgabe tödlicher Medikamente verpflichtet sein kann. Für konservativ-christliche Politiker, zu denen sich der Protestant Gröhe zählt, ein Tabubruch. Der Staat als Sterbehelfer? So weit darf es aus seiner Sicht nicht kommen. Trotzdem ist Gröhe in der Pflicht. Das Urteil bindet die Behörden. Dem BfArM liegen aktuell 86 Anträge von Patienten vor, die für sich keinen anderen Ausweg sehen. Gröhe will das Urteil nicht umsetzen. [….]
Jens Spahn, der im höchsten Maße kamerasüchtig üblicherweise vor jedes Mikro rennt, taucht in dieser Angelegenheit unter. Sagt nichts. Das sind Christen, für die ich echten Hass empfinden kann.
Spahns Weigerung Menschen in höchster Not zu helfen, die Betroffenen perfide hinzuhalten, ist abscheulich.
Christliche Anmaßung der übelsten Art. Wenn sie selbst von MS zerstört bewegungsunfähig und unter grausamen Schmerzen im Rollstuhl sitzen, dürfen sie sehr gern als Christen den Zustand bis zur letzten Sekunde genießen und Gott für das Geschenk dieser Tantalos-Folter danken. Aber zwingt nicht die Ungläubigen dazu, das genauso zu machen. (…..)
(Wenn man beginnt Christen für ihr Christentum zu hassen, 06.06.2018)
Spahn, Laschet, Merz und Amthor sind auch „Abtreibungsgegner“ und zudem existiert ungeheuerlicherweise auch noch der §219a, so daß Gynäkologen noch nicht einmal über das medizinische Procedere einer Abtreibung informieren dürfen.
Spahn und Co argumentieren, sie wären Lebensschützer.
Das ist natürlich grober Unfug. Ihnen geht es a) darum konservative Christen bei der Stange zu halten und b) die frechen Emanzen einzunorden.
Das Leben an sich ist ihnen ganz offensichtlich weniger wert als mir zum Beispiel, denn diese konservativen C-Politiker sind es auch, die sich für Waffenexporte engagieren, als Hobbyjäger rumballern, oder besonders abartig, wie Spahn auf die Idee verfielen, man könne unbrauchbare Masken an Behinderte und Arme verteilen – bei denen mache es weniger aus, wenn welche an Covid19 sterben.
Eine weitere Perfidie ist es, sich beim Thema Schwangerschaftsunterbrechung auf das ungeborene Leben zu fixieren.
Erstens handelt es sich bei unter 12-Wöchigen Aborten um nichts als Zellhaufen. Da könnte man mit mehr Recht die Masturbation verbieten wegen der Millionen lebendigen Samenzellen, die dabei getötet werden.
Wenn man aber die Argumentation mitgeht, nach der es prioritär ist, das „ungeborene Leben“ und nicht die lebende Schwangere zu schützen, heißt das im Umkehrschluss, daß es möglichst wenige Schwangerschaftsabbrüche geben sollte.
Die US-Frauenunterdrücker haben schon vor Jahrzehnten einen enormen PR-Erfolg erzielt, als sie die Labelung der beiden politischen Positionen als „pro Life“ und „pro Choice“ einführten. Das klingt für jeden so, als ob die „Pro-Life“-Fraktion – zu Deutsch „Lebensschützer“ – vorrangig Abtreibungen minimieren und mehr Embryos zu Babys werden lassen würden.
Genau das ist aber falsch!
200 Jahre Erfahrungen in aller Welt zeigen ganz klar, daß die Abtreibungszahlen genau da drastisch runtergehen, wo ein liberales Recht herrscht, Frauen also gerade NICHT strafrechtlich unter Druck gesetzt werden.
Alice Schwarzer, die in den letzten Jahren immer merkwürdiger wird, stellte im jüngsten Spiegel in einem zum 50. Jahrestag des STERN-Covers „Wir haben abgetrieben“ Tripel-Interview mit Silvia Kontos (Soziologin) und Molli Hiesinger (Studiendirektorin), einige Fakten klar, die Spahn, „Christdemokraten für das Leben“, Trump („There hast o be a punishment“), Lebensschützer und sonstige militante Abtreibungsgegner vielleicht sogar kennen, aber in ihrer perfiden Scheinheiligkeit ignorieren.
[……] Kontos: Ich lag 1965 auf so einem Küchentisch. [……] Am Ende bin ich wirklich bei einer Engelmacherin auf dem Küchentisch gelandet. Die Frau hatte zum Glück eine Abmachung mit einem niedergelassenen Arzt, zu dem man gehen konnte, wenn die Blutung eingeleitet war. Es war die demütigendste Erfahrung, die ich in meinem Leben gemacht habe. Und natürlich haben beide ordentlich die Hand aufgehalten. [……]
Hiesinger: Der Tabubruch war auch deshalb so riesig, weil es nicht nur um Abtreibung ging. Es ging um Sexualität. Die beteiligten Frauen bekannten sich öffentlich dazu, abgetrieben zu haben, und gleichzeitig dazu, eine selbstbestimmte Sexualität zu leben.[……]
Schwarzer: Seriöse Schätzungen gingen für die Bundesrepublik 1971 von einer Million Abtreibungen im Jahr aus. Heute haben wir in Gesamtdeutschland ungefähr 100.000 Abtreibungen. [……] Wir werden weiterhin beschimpft, von der katholischen Kirche und von Reaktionären. Aber niemand hat so für die Abnahme der Abtreibungen gesorgt wie die Feministinnen. [……] Frauen sind aufgeklärter geworden: Sie haben gelernt zu verhüten. Frauen sind selbstbewusster geworden, auch sexuell: Sie tun im besten Fall nur das, was sie auch selber möchten. Frauen sind eigenständiger geworden: Sie haben ihr eigenes Geld. Die Folge: Frauen heute haben ein sehr viel geringeres Risiko, ungewollt schwanger zu werden als früher. Die ungewollte Schwangerschaft ist ja der einzige Grund, warum Frauen abtreiben – in allen Zeiten, in allen Ländern, unter allen Umständen, selbst wenn ihnen dafür die Todesstrafe droht. Eine ungewollt schwangere Frau treibt ab. Es geht beim Recht auf Abtreibung ja nicht darum, ob man abtreibt, sondern nur darum, wie man abtreibt: ob gedemütigt, entmündigt und in Lebensgefahr – oder selbstbestimmt und mit medizinischer Hilfe. [……]
Schwarzer: Der Kern des Abtreibungsverbots ist leider erhalten geblieben: Das ist die Entmündigung der Frauen. In Deutschland haben wir eine absurde rechtliche Konstruktion: Abtreibung ist formal rechtswidrig, wird aber bis zur zwölften Woche nicht bestraft. Wenn eine Frau abtreiben will, muss sie die Bescheinigung eines Experten vorlegen. Das heißt, sie darf nicht selbst entscheiden. Keine Frau darf sagen: Ich treibe ab, und die Gründe gehen euch einen feuchten Kehricht an. [……]
Schwarzer: Selbst katholische Länder wie Irland, Italien, Frankreich haben heute eine uneingeschränkte Fristenlösung. Was ist hier eigentlich los? [……]
SPIEGEL: In Deutschland gehören Abtreibungen nicht zur medizinischen Grundausbildung und werden auch in der Facharztausbildung nicht explizit gelehrt. Ein Fehler?
Schwarzer: Verrückt! Dazu kommt, dass Ärzte nach ihrer Ausbildung im Namen ihrer persönlichen Überzeugung das Recht haben, Abtreibungen zu verweigern.
Kontos: Das ist unterlassene Hilfeleistung. [……]
(SPIEGEL, 05.06.2021)
Was für eine Ungeheuerlichkeit, daß im Jahr 2021 Frauen rechtlich als so minderbemittelt angesehen werden, daß der Staat ihnen keine selbstständige Entscheidung zutraut, sie dazu zwingt sich von (zumeist kirchlichen Stellen) beraten zu lassen und Ärzte noch nicht einmal über den medizinischen Vorgang informieren dürfen.
Das Ganze auch noch wohlwissend, daß der juristische Druck auf Frauen in so einer Situation zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen führt, weil sie eben NICHT frei entscheiden können, sondern für den Fall, daß sie kein Kind wollen rechtzeitig anfangen müssen sich um Beratungen und Behördengespräche zu kümmern.
Absurd, perfide, ewiggestrig und heuchlerisch.
Und ja, ich glaube, daß ich auch als Mann, der nicht schwanger werden kann, nachvollziehen kann, wie diskriminierend die deutsche Gesetzgebung immer noch ist.