Es gibt
nichts Besseres als auf Papier gedruckte Texte.
Dabei
geht es nicht nur um das haptische und sinnliche Erlebnis des Lesens, sondern auch
um die Aufnahmefähigkeit.
Studien
haben ergeben, daß man viel mehr Details des Inhalts im Kopf behält, wenn man
einen Text auf Papier und nicht auf einem Bildschirm gelesen hat.
Für mich
kommt hinzu, daß ich immer mit Texten „arbeite“, also alles kommentiere und
bewerte. Ich kannte das schon als Jugendlicher aus meiner ganzen Familie – wenn
man ein Buch auslieh oder verlieh, hieß es meistens dazu „das habe ich aber mit
Stift gelesen.“
Einen
Text, den man eifrig kommentiert und unterstreicht, behält man intensiver in
Erinnerung.
Das
macht es manchmal etwas unangenehm Bücher zu verleihen, weil man nicht
unbedingt bei jedem möchte, daß er die Gedanken des Erstlesers gleich
mitverfolgen kann.
Mit
Stift gelesene Bücher haben aber den Vorteil, daß man bestimmte wichtige
Passagen schnell wiederfindet und ermöglichen eine kritische Selbstreflexion,
wenn man beispielsweise ein Buch nach 10 Jahren noch einmal liest und dann
staunt welche Stellen einen früher beeindruckt haben.
Es gibt
Romane, die mich inhaltlich kaum noch interessieren, die aber einen oder wenig
mehr wunderschön geschriebene Absätze haben, so daß man das Buch von Zeit zur
Zeit aus dem Regal zieht und nur einige Sätze daraus laut vorliest.
Am
liebsten würde ich jeden Text aus dem Internet ausdrucken, bevor ich ihn lese,
da ich nur so meine maximale Aufmerksamkeit erreiche.
Ein
Abonnement einer Print-Zeitungsausgabe zu kündigen ist und bleibt für mich eine
Katastrophe.
Zehn Monate
ist es jetzt her, daß ich mit viel Gewissenbissen und Bauchschmerzen mein
ZEIT-Abo aufgab. Elf Seiten lang in Verdana-10 war meine Erklärung an die
ZEIT-Redaktion, man wird mir schwerlich vorwerfen den
Schritt voreilig oder unbegründet getan zu haben.
Unnötig
zu erwähnen, daß ich bis heute keinerlei Reaktion bekommen habe. Giovanni di
Lorenzos Leute am Speersort 1 können offenbar kein Interesse dafür aufbringen,
weswegen über Dekaden treue Leser ihr Abo hinwerfen.
Aber ich
trauere DER ZEIT hinterher und gucke immer wieder in Kiosken die Themen der
Titelseite an, klicke die Online-Ausgabe an.
Das ist
manchmal wirklich nicht schön.
Zum Beispiel
gestern.
Da stieß
ich auch einen Meinungsartikel des Politredakteurs und Volljuristen Dr. Jochen Bittner, der wir
sein Chef Josef Joffe gerade erst peinlich aufgefallen war, als er beim Hamburger Oberlandesgericht durchsetzen wollte,
daß man nicht mehr behaupten dürfe er schriebe für Joachim Gauck – und scheiterte.
Der
bestens atlantisch vernetzte 41-Jährige beschreibt sich selbst wie folgt:
Er kümmert sich vor
allem um Europa- und sicherheitspolitische Themen.
Bittner studierte Jura
und Philosophie an der Universität Kiel. Bis 2001 arbeitete er als
wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Staatsrecht und
Rechtsphilosophie und promovierte nach einem Aufenthalt in Belfast mit einer
Arbeit über das Rechtssystems der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Nebenbei
freie Mitarbeit für die Kieler Nachrichten, die FAZ und die Welt.
Von 2001 an kümmerte
er sich in der ZEIT-Redaktion vor allem um die Themengebiete Terrorismus,
Geheimdienste und Sicherheitspolitik.
In
seinem neuesten Artikel beschäftigt er sich mit der „Kirchensteuer“, so daß ich
sofort hellhörig wurde.
Statt
dem seit 96 Jahren bestehenden Verfassungsauftrag zu folgen und die elenden
Verquickungen zwischen Staat und Kirche endlich aufzulösen, will Bittner die Kirchensteuer,
die in Wahrheit nur ein Konstrukt ist, um die Vereinsbeiträge der Kirche eV
einzutreiben, wobei der Staat als Inkassounternehmen auftritt, ausweiten.
Sie soll
durch eine allgemeine Religionssteuer ersetzt werden, so daß auch Juden und
Muslime zahlen müssen.
Es gibt letztlich
keinen guten Grund dafür, dass – wenn der Staat schon eine Kirchensteuer
eintreibt – er diesen Service ausschließlich für Protestanten und Katholiken
leistet. Das deutsche Kirchensteuermodell war rechtlich schon immer fragwürdig.
Mittlerweile hat die religiös-gesellschaftliche Wirklichkeit es komplett
überholt.
Juristisch konsequent
und gesellschaftlich zeitgemäß wäre es, die Kirchensteuer durch eine
Religionssteuer zu ersetzen. Jeder Steuerzahler könnte dann ein Häkchen hinter
diejenige Religionsgemeinschaft setzen, die er mit seinem Anteil bedenken
möchte.
So weit,
so erstaunlich.
Der
richtige Weg wäre natürlich genau der Umgekehrte. Angesichts des schädlichen
Einflusses der Religionen auf die Gesellschaft, müßte die staatliche
Unterstützung ganz abgeschafft werden, statt auch noch ausgeweitet zu
werden.
Richtig
ist, daß die christlichen Religionen weitreichende Privilegien genießen und
insofern stark bevorzugt werden. Statt aber die anderen nun ebenso absurd zu
pampern, sollten lieber die Bevorzugungen der Christen abgebaut werden.
Bis
hierhin habe ich Bittner und der ZEIT allerdings nichts vorzuwerfen. Er
vertritt eine mir diametral entgegen gesetzte Meinung. Das ist
selbstverständlich in Ordnung und kein Grund der ZEIT zu zürnen. Daß die
Hamburger unter di Lorenzo und insbesondere unter dem Holtzbrinck-Dach stark
pro-religiotisch orientiert sind, weiß schließlich jeder.
Was aber
nicht geht ist, daß Bittner bei dem Versuch seine These zu begründen glatte
Falschinformationen auftischt.
Entweder
er lügt bewußt, was für einen Journalisten des Edelefedernblattes ZEIT
verwerflich ist, oder aber er ist katastrophal schlecht informiert und es gibt
außerdem keinerlei Dokumentation in der Redaktion, so daß seine Falschaussagen
ungefiltert durchrutschen – das wäre genauso schlimm für die ZEIT.
Beispiele:
1.)
Bittner behauptet die deutschen Imame wäre deswegen radikal, weil sie nicht in Deutschland ausbildet würden. „Der Islam“ brauche daher Steuereinnahmen, um die Ausbildung hier zu bewerkstelligen, um nicht auf fundamentalistische Import-Imame aus Tschetschenien oder dem arabischen Raum angewiesen zu sein.
Bittner behauptet die deutschen Imame wäre deswegen radikal, weil sie nicht in Deutschland ausbildet würden. „Der Islam“ brauche daher Steuereinnahmen, um die Ausbildung hier zu bewerkstelligen, um nicht auf fundamentalistische Import-Imame aus Tschetschenien oder dem arabischen Raum angewiesen zu sein.
Wer es zulässt, dass
der saudische oder türkische Staat Imame in Deutschland finanziert, die weder
Deutsch sprechen noch kritisch-aufgeklärt denken, darf sich nicht wundern, wenn
die Glaubenspraxis vieler Muslime mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung
weiterhin schwer vereinbar bleibt. Ein anderer Islam, einer, der auch normativ
zu Deutschland gehörte, würde eine paar Euros kosten. Aber es wäre eine
lohnende Investition.
Bittner tut
so, als ob Christliche Kirchen die Priesterausbildung aus den Kirchensteuern
bezahlten und daher eine Islamsteuer entsprechend einem staatliche
kontrollierte Imam-Ausbildung in Deutschland ermögliche.
Das
stimmt aber NICHT.
Denn das
Theologiestudium wird in Deutschland vom Staat bezahlt. Die Bundesländer tragen
die Kosten für die theologischen Lehrstühle und stellen die akademische
Infrastruktur an den Unis.
Die
Kirchen geben NULL EURO dazu.
Eine
allgemeine Religionssteuer für den Islam würde also auf Imam-Ausbildung gar
keinen Einfluss haben. Es bliebe Aufgabe der Länder entsprechende Strukturen
und Lehrstühle aufzubauen.
2.)
Sehr
plump wischt Bittner die Idee generell den Kirchensteuereinzug durch den Staat
abzuschaffen vom Tisch. Mit keinem Wort geht er darauf ein, daß in jedem Land
der Erde – außer Österreich und Deutschland, wo noch das Hitler-Konkordat gilt –
die christlichen Kirchen ganz ohne Kirchensteuer finanziert werden.
Bekanntlich
hat das in Polen, Spanien, Italien, der USA, Malta, den Philippinen,
Argentinien, Mexiko oder Brasilien nicht zum Aussterben der Christlichen Kirchen
geführt.
Aber die Abschaffung
der Kirchensteuer ist, realistisch betrachtet, keine Alternative. Mit den knapp
zehn Milliarden Euro jährlich werden in Deutschland so viele Kinderheime,
Altenheime, Krankenhäuser und diakonische Dienste mitfinanziert, dass ohne
diese verlässliche Finanzquelle eine essentielle Versorgungsstruktur wegbrechen
würde.
Ich
staune! Was für eine Frechheit. Denn gerade für die Kinderheime, Altenheime, Krankenhäuser werden durch die
Kirchensteuer so gut wie gar keine Mittel aufgebracht. Weder durch die
Diakonie, noch durch die katholische Caritas, die Bittner offensichtlich aus
Unwissenheit gleich unter den Tisch fallen lässt.
Bis vor
fünf oder zehn Jahren war tatsächlich wenig darüber bekannt, daß Kirchen eben
NICHT ihre Kindergärten oder ihre Bischofsgehälter aus dem Kirchensteueraufkommen
finanzieren. Inzwischen gab es darüber aber derartig viele Publikationen,
Bücher, Zeitungsartikel, TV-Dokumentationen,
daß eigentlich jeder wissen müßte, daß diese sozialen Einrichtungen vom Staat
und somit hauptsächlich von der relativen Mehrheit der Atheisten und Muslime in
diesem Lande finanziert werden.
Auf
Topkleriker wie Kardinal Marx versuchen immer noch gerne den Eindruck zu
erwecken die Kirchensteuermilliarden würden für soziale Zwecke ausgegeben.
Wahrer wird es dadurch auch nicht.
Man muß es
immer wieder betonen: Das gilt auch für Schulen und Kindergärten, die zu 100%
staatliche finanziert werden.
Herr Marx, ich
danke Ihnen. Ihre frechen Lügen machen es uns Atheisten sehr einfach gegen Sie
und die RKK zu argumentieren.
Null Prozent Finanzierung durch die Kirche, aber 100
Prozent Hoheit über die private Lebensführung der dort Beschäftigten! Das dürfe
wohl nicht sein! […] Kirchliche Krankenhäuser werden nicht etwa
aus der Kirchensteuer finanziert – wie die meisten Menschen glauben. Die
Investitionen zahlt der Staat nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, die
laufenden Kosten der Behandlung werden durch Beiträge der Versicherten über die
Krankenkassen oder Zusatzbeiträge bezahlt. Damit ist es völlig unvereinbar,
dass einer vergewaltigten Frau die Hilfe verweigert wird. […] Die
Eingriffe der Kirchen und ihrer Einrichtungen wie Caritas und Diakonie in die
private Lebensführung ihrer rund 1,3 Millionen Beschäftigten passen nicht in
die moderne Demokratie. Sie verstoßen auch gegen Grund- und Menschenrechte: Zum
Beispiel gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz, wie das
Bundesarbeitsgericht im Falle der Kündigung eines Chefarztes in einem
katholischen Krankenhaus wegen Wiederverheiratung als Geschiedener entschieden
hat. Oder die Diskriminierung
Homosexueller. Oder sie verstoßen gegen das Recht auf Streik nach Artikel 9 GG,
wie mehrere Landesarbeitsgerichte und das Bundesarbeitsgericht entschieden
haben.
Oder gegen die Menschenrechtskonvention, so der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, als einem Organisten
nach 14 Jahren untadeliger Arbeit wegen Ehebruch gekündigt wurde. Dieser Mann
musste sich 13 Jahre lang durch 7 (!) Instanzen quälen, bevor er Recht bekam.
Und dann der dauernde Verstoß gegen die Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG, wenn
zum Beispiel Krankenschwestern oder Pfleger in kirchlichen Krankenhäusern aus
der Kirche austreten und dann gekündigt werden. Oder als Konfessionslose oder
Muslime erst gar nicht hineinkommen. […] Es ist doch geradezu absurd, dass bei den
Kirchen für das ganze Personal inklusive Putzfrau, technisches Personal,
Laborkräfte wichtige arbeitsrechtliche Schutzrechte und Mitbestimmung
ausgeschlossen sind. Und wenn – wie zum Beispiel im Rheinland – weit über die
Hälfte der Krankenhäuser kirchlich sind, dann führt das eben dazu, dass bei der
Berufsberatung eine Mitarbeiterin jungen Muslimen, die sich für eine Ausbildung
im pflegerischen Bereich interessieren, davon abrät, weil sie in der Gegend
hier keine Arbeitsstelle finden würden!!
[…] In
vielen Gegenden finden Sie überhaupt keine nichtkonfessionellen bzw.
städtischen Kindergärten. Mein Mann und ich haben das selbst erlebt, dass
unsere Kinder im katholischen Kindergarten in Königswinter nicht aufgenommen
wurden, weil wir und die Kinder nicht in der Kirche waren. Das ist nun wirklich
toll: Mit meinen Lohn- und Einkommensteuerzahlungen als Konfessionsfreie bezahlt
die Stadt den katholischen Kindergarten fast oder ganz komplett mit der Folge,
dass man danach seiner Kinder nicht hineinbekommt.
[…] Den
Kirchen ist es gelungen, diesen Irrglauben zu verbreiten. Dabei steht fest,
dass die Kirchensteuer nur zu einem Bruchteil von unter 5 % für soziale Zwecke
ausgegeben wird. Der frühere Caritasdirektor und Finanzdirektor der Erzdiözese
Köln, Norbert Feldhoff, hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die
Kirche die Kirchensteuer nicht benötigt, um die Sozialarbeit zu finanzieren. […]
Ich
kritisiere also keineswegs die transportierte MEINUNG der ZEIT.
Ich kann
es aber nicht akzeptieren, wenn wieder und wieder massive Falschinformationen
verbreitet werden.
Lesen
Sie zur Einführung Carsten Frerks „Violettbuch Kirchenfinanzen“
und legen Sie sich etwas Faktenkenntnis zu, bevor Sie wieder ihre Ausführungen
zur Kirchensteuer kundtun.
Oder
wenn Sie kein ganzes Buch lesen mögen, sehen sie sich wenigstens zum Beispiel
die 45-Minuten-ARD-Reportage Vergelt's Gott: Der verborgene Reichtum der katholischen
Kirche an.
Und lieber Herr di Lorenzo – auch wenn ich immer noch monatlich Briefe bekomme, die mir ein ZEIT-Abo anpreisen: Das wird nichts, solange ich nicht den Eindruck habe, daß sich die journalistische Qualität verbessert.