Freitag, 29. November 2013

Zwischenstand Mitgliederentscheid.



Nein, ich habe immer noch keine Entscheidung über meine Stimmabgabe beim GroKo-Mitgliederentscheid getroffen. Inhaltlich lehne ich das „Werk“ weiterhin ab, befürchte aber, ein „Nein“ der Basis könnte der SPD so schaden, daß einzig die CDU/CSU davon profitiert, indem sie in Zukunft locker absolute Mehrheiten holt.
Ein weiteres kleines Schrittchen in Richtung „Ja“ bedingt meine Persönlichkeitsstruktur, die prinzipiell immer gegen den Strom schwimmt.
Ich habe mein ganzes Leben lang extrem skeptisch und misstrauisch reagiert, wenn alle einer Meinung sind. In den Kreisen, in denen ich (virtuell) verkehre, ist die Stimmung so extrem gegen eine GroKo aufgehetzt, daß ich schon aus Prinzip anfange das Ding zu verteidigen.

Anyway. Ich habe ja noch ein paar Tage Zeit.
Interessant finde ich wie nervös die Parteioberen offensichtlich werden – obwohl sie natürlich dastehen wie ein Mann: Alle Landesverbände bejubeln den Vertrag und legen ihren Mitglieder dringend ein „Ja“ ans Herz. Offenbar glauben sie also nicht, daß das ein Selbstgänger wird. Die SPD-Mitglieder sind schon lange keine Arbeiter mehr, sondern ältere Männer mit Uniabschluß, die werden ihren eigenen Kopf benutzen.
Gabriel verlor gar in einem harmlosen ZDF-Interview mit Marietta Slomka so sehr die Fassung, daß ihm heute Crazy Horst beisprang und in alter CSU-Tradition beim ZDF intervenierte. Medienfreiheit wird im Königreich Seehofers immer weniger geduldet.
Inhaltlich war übrigens Frau Slomka ein bißchen auf dem Holzweg und eher Gabriel im Recht – aber was zählt das schon heutzutage?
Grundsätzlich ist aber der Mitgliederentscheid demokratietheoretisch in Ordnung. Es war immer klar, daß die SPD es so handhaben würde und die Wähler haben so gewählt, daß diese Option zum Tragen kam. Wer jetzt sauer ist, daß er nicht mitabstimmen kann, hat selbst Schuld. Er hätte ja rechtzeitig in die SPD eintreten können.

Die Zeit arbeitet allerdings gegen die Parteiführung. Zunächst einmal hatte niemand die 185 Seiten des Vertrages gelesen und die Berichterstattung stützte sich auf die Jubelbeschreibungen der Autoren.
„Stimmt zu, Genossen!“ schrieb der von mir eigentlich hochgeschätzte und oft zitierte Thorsten Denkler.
Inzwischen fangen aber immer mehr Menschen an das Konvolut zu lesen. Das ist sehr suboptimal für eine Mitgliederpartei wie die SPD. Die CSU hat es da einfacher. Sie verzichtet auf das ganze demokratische Chichi. Noch nicht mal Seehofer hat alle 185 Seiten gelesen und dennoch hat die Partei schon offiziell den K.O.alitionsvertrag abgesegnet. Das ist der klassische strategische Vorteil der Konservativen: Sie sind handlungsfähiger, weil sie das lästige eigene Denken vermeiden und stets obrigkeitshörig das abnicken, was die Führung möchte.

Bei den Sozis werden allerdings die Lupen rausgekramt und im Kleingedruckten wimmelt es nur von Kröten. Die hopsen überall umher und quaken von Stunde zu Stunde lauter.
Keine Finanzierungspläne, lange Übergangsfristen, keine Transparenz, keine Reform der Unternehmens- oder Mehrwertsteuer, Rentenerhöhung einseitig zu Lasten der gesetzlich Angestellten, keine Reformen im Gesundheitssystem, keine Bafög-Reform, 400.000 Privatversicherte, die de facto keine Versicherung mehr haben, weil sie sich die rasant steigenden Beiträge nicht mehr leisten können werden einfach im Stich gelassen und bei den Minderheiten sieht es noch dürftiger aus: Flüchtlinge und Asylanten werden im Stich gelassen, es gibt keine rechtliche Gleichstellung von Schwulen und obwohl Gabriel und Co werbewirksam aufsagen „die doppelte Staatsbürgerschaft kommt!“, kommt diese eben NICHT.
Wer älter als 23 ist  - ich bin selbst ganz knapp drüber – muß Ausländer bleiben und ist in Deutschland nicht willkommen.
Und übrigens, liebe CDU und liebe Journalisten: Nicht alle Ausländer in Deutschland, die gern Deutsche werden wollen, sind Türken.
Ach Schweden, Kanadier, Schweizer, Japaner, Australier und US-Amerikaner wie ich werden vor den Kopf gestoßen.
Allerdings nicht so sehr wie Flüchtlinge aus Afrika oder dem Nahen Osten. Die waren es offenbar keiner Partei bei den Koalitionsverhandlungen wert sich für sie einzusetzen.

Triumph der Hardliner.
[…] Tatsächlich festigt der Koalitionsvertrag den Status quo in der Asylpolitik. […]  Lampedusa, war da etwas?
Von dem angekündigten Wandel jedenfalls ist im Koalitionsvertrag so gut wie nichts übrig geblieben. Die Beschlüsse der Arbeitsgruppe Integration und Migration, die die Koalitionäre als "bedeutende Fortschritte" für Flüchtlinge verkaufen, sind in Wahrheit eine als Reform getarnte Zementierung des Status quo.
    Beispiel Arbeitsverbot: Flüchtlinge sollen nach dem Willen von Union und SPD künftig nach drei statt wie bisher neun Monaten arbeiten dürfen. Die sogenannte Vorrangprüfung durch das Arbeitsamt, das kontrolliert, ob eine freie Stelle adäquat durch EU-Bürger besetzt werden kann, bleibt jedoch bestehen. Gerade in strukturschwachen Regionen führt dies zu einem faktischen Arbeitsverbot. Die Gesetzesänderung bleibt wirkungslos.
    Beispiel Residenzpflicht: Die Regel, wonach Asylbewerber die Region, in der sie untergebracht sind, nicht verlassen dürfen, ist eine in Europa einzigartige Schikane. Schwarz-Rot will sie nun lockern. Flüchtlinge sollen sich künftig zumindest innerhalb eines Bundeslandes frei bewegen dürfen. Das klingt nach neuer Freiheit, ist jedoch in allen Bundesländern mit Ausnahme Bayerns und Sachsens längst Alltag. Vernünftig wäre gewesen, die Bestimmung ganz aufzuheben.
    Beispiel Asylentscheid: Bislang warten Flüchtlinge durchschnittlich neun Monate auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag, manchmal bis zu eineinhalb Jahren. Das Procedere soll nun auf drei Monate verkürzt werden. Dies ist ein richtiges Ansinnen, auf das sich die EU allerdings bereits vor etwa einem halben Jahr in ähnlicher Form verständigt hat.
[…] Schwarz-Rot [will] Serbien und Mazedonien als "sichere Drittländer" einstufen. Menschen, die von dort nach Deutschland fliehen, hätten künftig keine Chance mehr auf Schutz. Dabei hat Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die für die Union die Verhandlungen mit der SPD bei dem Thema führte, vor kurzem selbst noch "erhebliche Diskriminierungen" von Roma auf dem Balkan beklagt.  […] Auch Schwarz-Rot hält an der deutschen Abschottungspolitik fest.