Mittwoch, 2. November 2016

Eine von den Guten



Die Welt und die Menschheit kommen mir im Moment so abstoßend vor, daß ich daran denke wie ein Hornvogel meine Wohnung von innen zuzumauern. Es würde nur noch ein kleiner Lebensmittelschlitz bleiben, durch den einmal am Tag das Essen auf Rädern durchgeschoben wird.

Klar, die eine Hälfte der Amerikaner, die Trump wählt, zeigt gerade das häßlichste Gesicht des Homo Sapiens, aber in anderen Ländern ist er auch nur um Nuancen schöner.

(Drumpf-Wahlkampf-Video)

Mensch ist ein dummes Raubtier, welches von einem nur ganz dünnen Firnis der Zivilisation verkleidet wird. Das sind aber nur Millimeter. Kratzt man auch nur ganz leicht daran, wird die Bestie sichtbar.

Lass es den grölend-gewalttätigen Trump-Mob sein. Oder die xenophoben Peinlich-Peginesen in Dresden. Oder Kongolesen, die sich mit großem Elan gegenseitig mit Macheten zerhacken, weil man verschiedenen Volksgruppen entspringt. Oder Sunnitische Kampfpiloten, die zwar nicht gut treffen, aber umso eifriger Jeminitische Schiiten massakrieren. Oder südamerikanische Drogenkartelle, die Zehntausende umbringen. Oder IS-Gläubige, die Sexsklavinnen missbrauchen, nachdem sie deren Familienangehörige geköpft oder vom Hochhaus geworfen haben. Oder abergläubische Tansanier, die Albino-Kinder jagen, schlachten und ausbluten lassen. Oder zwei Drittel der Ungarn, die sich für eine rassistische und antiziganistische Regierung scharen. Oder 80% der von der orthodoxen Kirche beeinflussten Russen, die LGBTIs grundsätzlich für krank und kriminell halten. Oder 1,3 Milliarden Katholiken, die sich weiterhin einem Verein zugehörig fühlen, der systematisch zehntausendfachen sexuellen Missbrauch an kleinen Jungs nicht nur vertuscht, sondern geradezu fördert.

Auf die Menschen als Menschheit verzichte ich gern.

Es gibt natürlich dennoch einzelne Exemplare, um die es schade wäre, weil es gute Denker sind.

Gerade las ich zum zweiten mal die Dankesrede der diesjährigen Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2016, Carolin Emcke.

„Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2016 an Carolin Emcke und ehrt damit die Journalistin und Publizistin, die mit ihren Büchern, Artikeln und Reden einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden leistet.
Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint. Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt – vor allem in ihren Essays und ihren Berichten aus Kriegsgebieten – auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden.
Das Werk von Carolin Emcke wird somit Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen. Sie beweist, dass er möglich ist, und ihr Werk mahnt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen.“

 Ich empfehle ihr aktuelles Buch „Gegen Den Hass“ und zitiere die persönlichsten zwei Absätze aus ihrer sehr klugen Dankesrede.

[……] Ich bin homosexuell [……] Es ist eine merkwürdige Erfahrung: Wir dürfen Bücher schreiben, die in Schulen unterrichtet werden, aber unsere Liebe soll nach der Vorstellung mancher Eltern in Schulbüchern maximal "geduldet" und auf gar keinen Fall "respektiert" werden? Wir dürfen Reden halten in der Paulskirche, aber heiraten oder Kinder adoptieren dürfen wir nicht? Manchmal frage ich mich, wessen Würde da beschädigt wird: unsere, die wir als nicht zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns die Rechte, die zu uns gehören, absprechen wollen? Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden.
[……] Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.
Verschiedenheit ist kein Grund für Ausgrenzung. Ähnlichkeit keine Voraussetzung für Grundrechte. Das ist großartig, denn es bedeutet, dass wir uns nicht mögen müssen. Wir müssen einander nicht einmal verstehen in unseren Vorstellungen vom guten Leben. Wir können einander merkwürdig, sonderbar, altmodisch, neumodisch, spießig oder schrill finden. Um es für Paulskirchen-Verhältnisse mal etwas salopp zu formulieren: ich bin Borussia Dortmund-Fan. Ich habe, nun ja, etwas weniger Verständnis dafür, wie man Schalke-Fan sein kann. Und doch käme ich nie auf die Idee, Schalke-Fans das Recht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen.
"Die Verschiedenheit verkommt zur Ungleichheit", hat Tzvetan Todorow einmal geschrieben, "die Gleichheit zur Identität." Das ist die soziale Pathologie unserer Zeit: dass sie uns einteilt und aufteilt, in Identität und Differenz sortiert, nach Begriffen und Hautfarben, nach Herkunft und Glauben, nach Sexualität und Körperlichkeiten spaltet, um damit Ausgrenzung und Gewalt zu rechtfertigen. Deswegen haben diejenigen, die vor mir hier standen und wie ich von einer besonderen Perspektive gesprochen haben, doch beides betont: die individuelle Vielfalt und die normative Gleichheit. Die Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend oder Gemeinschaft zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs - und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen. [……]

Die Menschen sind aber trotzdem widerlich.
Da sitzen sie in der Paulskirche – unter Ihnen Joachim Gauck und andere Honoratioren – applaudieren Frau Emcke.
Dann aber steht man auf und schert sich wieder einen Dreck um das Gesagte.

Der deutsche EU-Kommissar Günther Öttinger, einer der mächtigsten Menschen unter 500 Millionen Europäern agiert geradezu mustergültig gegen das von Emcke Gesagte und er kommt einfach so damit durch.

Keiner stoppt ihn, Frau Merkel äußert sich nicht, Deutschland macht keine Anstalten diesen wahrhaft schlechten Menschen aus der Kommission zurückzuziehen.

In einer Rede hatte sich EU-Kommissar Günther Oettinger abfällig über „Schlitzaugen“ geäußert. Nun hat China darauf reagiert – das Außenministerium zeigte sich bestürzt.
Eine Sprecherin sagte am Mittwoch, dass Oettingers Bemerkungen ein „irritierendes Gefühl der Überlegenheit“ bei manchem westlichen Politiker verdeutlichen würde.
„Wir hoffen, dass sie lernen, wie man andere als gleichwertig ansieht und mit Respekt behandelt“, ergänzte die Sprecherin.
In einer Rede vor Unternehmern in Hamburg hatte Oettinger nicht nur Chinesen als „Schlitzaugen“ bezeichnet. Er sprach zudem von einer „Pflicht-Homoehe“ und ließ durchblicken, dass Frauen ohne Quotenregelung keine Spitzenpositionen erreichen könnten.

Das ist das Übelste an der Menschheit. Sie ist, beispielsweise in Form von Carolin Emcke zu Erkenntnis in der Lage, verhält sich aber weiterhin wie ein lobotomierter Bully.

Wir wissen es doch alles besser.
Wir wissen was Religion anrichtet, was Verbrennungsmotoren für das Klima bedeuten, was Atombomben anrichten können, wie viele Tierarten wir jeden Tag ausrotten, wie Ungerechtigkeit generiert wird, wie die westliche Landwirtschaftspolitik täglich über 10.000 Kinder verhungern lässt, wie wichtig es wäre Urwälder zu erhalten.
Wir könnten sogar etwas dagegen tun. Deutschland muß keine Waffen exportieren. Die EU überlebt auch, ohne daß sie Hühner-Innereien auf die zentralafrikanischen Märkte wirft.

Wir wissen, verschließend fest die Augen davor, lassen Emcke eine gute Frau sein und rennen weiter mit dem Kopf gegen die Wand.