Mittwoch, 8. Juli 2015

Echter Ärger



Ich glaube, ich glaube es ist so weit, daß ich auch mein MoPo-Abo kündige.
Eigentlich muß man sich nicht über eine Boulevardzeitung ärgern. Was kann man schon von der erwarten?
Die Mopo habe ich abonniert, weil ich a) ein Gegengewicht zur 95% rechten Springer-Funke-Zeitungswelt Hamburgs unterstützen will, b) kaum Zeit brauche, um sie durchzulesen, c) das Tabloid-Format praktisch finde und d) ab und an eine regionale Kulturinfo aufstöbere.
Daß die politischen Artikel nichts taugen, versteht sich von selbst. Dafür hat man auch andere Informationsquellen.
Viele Jahre beeindruckte die Mopo dennoch mit erstaunlich guten Kommentaren; Gerd Hohaus vermisse ich immer noch. Das war ein schönes Extra.
Über ZEIT und SPIEGEL kann ich mich aber viel mehr ärgern, weil ich von ihnen auch mehr erwarte.
Dennoch; die Mopo hat unter der Ägide des Kölner Medienverlages M. DuMont Schauberg noch einmal deutlich an Niveau verloren. Die vor Hass triefenden antigriechischen Kommentare von Maternus Hilger und Harald Stutte sind weit jenseits dessen, was ich noch ertragen kann.
Dabei sind die Meinungsartikel zwar ungerecht und überheblich, aber immerhin nur Meinungen. Heute sieht man aber auch, zB neben dem Leitkommentar von H. Stutte (“vor dem Wahlsieg der Syriza-Ideologen…“) im tabellarischen Erklärungstext von Dirk Rohwedder, wie die reinen Berichte, die doch nur die Fakten liefern sollen, von Verachtung triefen:
Geht es noch?
Soll das objektiver Journalismus sein?
Dazu gibt es ein Merkel-Bild mit zerzausten Haaren mit der Überschrift „So kaputt ist unsere Kanzlerin!“

Also mir tun einige Menschen in dieser Krise Leid. Ausgerechnet Merkel fällt mir dabei aber nicht als erstes ein.

Haben Rohwedder und Stutte noch keine Berichte über das Elend griechischer Kranker, Rentner, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen können und der 50 % arbeitslosen Jugendlichen gelesen?
Chronisch Kranke, die dringend Medikamente gegen Mukoviszidose oder ähnliche Scheußlichkeiten, die sich der LIEBE Gott für uns ausdenkt, haben echt Grund sich „kaputt“ zu fühlen. Gut möglich, daß schon in wenigen Wochen endgültig lebenswichtige Medikamente ausgehen.

Das Deutsche Rote Kreuz wartet offenbar nur auf das Startsignal von der Politik, um in Griechenland humanitäre Überlebenshilfe zu leisten. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland aus verschiedenen Regionalzeitungen berichtet, weise die Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer darauf hin, dass Tausende Familien aus Griechenland anfragen, ob sie ihre Kinder in einem der Kinderdörfer in Obhut geben könnten. Der Leiter der SOS-Kinderdörfer in Griechenland, George Protopapas, sagte, zurzeit bäten fünfzigmal so viele Familien in Griechenland die SOS-Kinderdörfer um Hilfe wie noch vor der Krise. "Viele Familien drohen auseinander zu brechen, weil sie dem Druck von Langzeitarbeitslosigkeit und Armut nicht standhalten können". Als Folge davon würden viele Kinder verlassen oder vernachlässigt.
(HH Abendblatt 08.07.15)
Es wäre absurd zu versuchen die griechische Misere monokausal zu erklären, aber eins ist sicher: Das Merkel’sche Rezept – sparensparensparen – hat sich nach fünf Jahren als völlig untauglich herausgestellt.
Es waren nicht Tsipras oder die Syriza oder gar Varoufakis, die seit 2010 die Vorgaben aus Brüssel exekutierten.

Das bizarre an den Möchtegern-Journalisten der Mopo ist aber, daß sie in ihrem gegenwärtigen Verachtungsmodus auch abfällig und von oben herab verkünden, daß Griechenland nie seine Schulden zurückzahlen können werde, daß Ökonomen das schon seit 2010 wüßten.
Ach ja?  Merken sie gar nicht wie sie sich selbst dabei widersprechen?
Wenn die Schulden eh nie bezahlt werden können, dann ist Merkel die Realitätsverweigerin, die sich bis heute verbissen gegen einen Schuldenschnitt wehrt.
Dann ist die gegenwärtige griechische Regierung der vernünftige Akteur.

Ich korrigiere mich; Merkel tut mir doch Leid.
Tatsächlich steckt sie jetzt richtig in der Sackgasse.

Merkels Epigonen der Öffentlich-Rechtlichen, Wolf-Dieter Krause und Siegmund Gottlieb jammerten schon öffentlich von den Milliardenlöchern, die nun in Schäubles Planungen gerissen würden, wenn Griechenland nicht seine Schulden begliche.
Als ob das nicht seit mindestens 5 Jahren klar war, daß es niemals zu einer vollständigen Rückzahlung kommen kann.
So wie fast nie Staatsschulden zurückgezahlt werden. Deutschland ist diesbezüglich Vorreiter und hat nie seine Schulden abgezahlt.

Ein weiteres Trilemma für die Kanzlerin!
·       
Nun muß sie entweder vor dem Wähler offenbaren, daß sie grob fahrlässig gehandelt hat, indem sie zig Milliarden deutsches Steuergeld versenkt hat – und das obwohl es an Warnungen davor nie mangelte.

·        Oder sie gibt zu, daß ihre ganze Drohkulisse völlig verlogen war, weil Deutschland unterm Strich am meisten davon profitiert*, daß Griechenland horrende Zinsen an deutsche Investoren abzahlt.

·        Oder, dritte Möglichkeit, sie muß öffentlich einknicken und doch dem unausweichlichen Schuldenschnitt zustimmen. Damit würde sie aber Varoufakis einen Sieg schenken und gewaltigen Ärger in ihrer Partei bekommen.

Eine Wahl zwischen Pest, Cholera und Krätze.

Merkel steckt ganz tief in der Scheiße.

Die ausweglose Lage der Kanzlerin wurde aber nur durch die Tsipras-Regierung bloßgelegt.
Merkel selbst hat aber in den vier fürchterlichen schwarzgelben Jahren alle Weichen falsch gestellt.
Wie doof von ihr, immer mehr Geld an jemand zu verleihen, der mit dem Geld zu 90% nur andere Gläubiger auszahlt und anzunehmen das würde immer so weitergehen!
Wie doof von ihr, daß sie sich nicht die Mühe machte zu überzeugen, sondern immer nur unter ihrem Idioten-Motto der Alternativlosigkeit Gefolgschaft erzwang.
Das kann man nicht ewig machen und nun steht Merkel tatsächlich mit dem Rücken zur Wand, da ihre eigenen CDU-Abgeordneten einen Tropfen vorm Überlaufen sind.

Im Kreise der regierungschefs sieht es offenbar ebenso düster aus.

Kaum irgendwo in der Eurozone fällt die Kritik an der Syriza-Regierung und ihrem Verhandlungsgebaren so harsch aus wie in den osteuropäischen Euroländern Litauen, Lettland, Estland, Slowakei und Slowenien. Sie haben im letzten Vierteljahrhundert gleich zwei Mal schmerzhafte Reformprozesse absolviert - und sind heute stolz auf das Erreichte.

Was hat Merkel bei den unzähligen Gipfeln eigentlich den baltischen Jungs und Mädels immer erzählt?
Das wird schon?
Kaum vorstellbar, daß Regierungschefs mit ökonomischen Verstand über so viele Jahre tumb den Weg in die Sackgasse mitgelatscht wären.
Helmut Schmidt hätte schon 2010 die Reißleine gezogen und eine Schuldenkonferenz einberufen.

Man glaubt es kaum, aber Merkel verweigert sich immer noch der Realität und beharrt schmollend auf volle Rückzahlung der Athener Verbindlichkeiten.
Sie ist dabei vermutlich noch nicht einmal aufgrund ihrer Ideologie so verbohrt, sondern aus purer Feigheit.
Sie mag nicht vor das Volk und ihre Partei treten und zugeben, daß sie Mist gebaut hat; daß nun genau das kommt, was kommen mußte, obwohl sie es immer ausgeschlossen hatte.
Also verbarrikadiert sich Merkel und nimmt die Fakten einfach nicht zur Kenntnis.

Offener Brief an Angela Merkel!
Renommierte Ökonomen fordern Schuldenschnitt für Griechenland
Mit klaren Worten haben renommierte Ökonomen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Kurskorrektur gegenüber Griechenland aufgerufen. Nach Ansicht des französischen Wirtschaftsprofessors Thomas Piketty ist die "unendliche Sparpolitik" gescheitert. Man zwinge die griechische Regierung, sich eine Waffe an den Kopf zu setzen und abzudrücken.

Die Kanzlerin hat sich völlig verrannt, traut sich nicht ihrer Partei etwas zuzumuten und beharrt auf einer schlichten Unmöglichkeit.

Merkel: Es wird keinen Schuldenschnitt für Griechenland geben
Austerität anstatt Demokratie
Griechenland wird auf Druck Berlins keinen Schuldenschnitt erhalten und muss sich entgegen dem "Nein" seiner Bevölkerung vom vergangenen Sonntag der deutschen Austeritätspolitik unterwerfen. Andernfalls scheidet es aus der Eurozone aus. Dies ist das Ergebnis des Eurogruppen-Gipfels vom Dienstagabend. Ein Schuldenschnitt, wie ihn der französische
Ministerpräsident Manuel Valls noch am Nachmittag in Erwägung gezogen hatte, komme nicht in Frage, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Brüsseler Treffen an.

Angesichts dieses Wahnsinns aus Berlin, der heute nicht nur von Ökonomen, sondern auch massiv von Obama und Hillary Clinton kritisiert wird, muß man doppelt froh über das griechische OXI sein.
So kann es nicht weitergehen und auch die Regierungschefin des Landes, das selbst nie seine Schulden zurückbezahlt hat, wird es noch lernen müssen.
Irgendwann wird Merkel einknicken müssen – oder ihre Kanzlerschaft wird als Katastrophe für Europa in Erinnerung bleiben.
Sie muß sich ehrlich machen – auch wenn das Bosbach die Perücke von der Birne katapultiert.