Mittwoch, 1. April 2020

Impudenz des Monats März 2020.

Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

In der Krise zeigt sich der Charakter.
In einer Großkrise werden die besonders schlechten Charaktere (Trump, Bolsonaro) daher auch besonders deutlich.


In Deutschland versagen die Blender, bleiben die Durchschnittlichen blass, während die Seriösen wie Tschentscher, Scholz oder Heil zu großer Form auflaufen.


 Ob die Anführer nun gut oder schlecht sind; sie alle können im Social-media-Zeitalter nur bedingt das Verhalten der Herde beeinflussen.
Ich erinnere wieder an Helmut Schmidt, der nicht nur bei der 1962er Sturmflut die Initiative und Deutungshoheit ergriff, sondern auch 1977 in der RAF-Schleyer-Landshut-Megakrise so sehr überzeugte, daß selbst seine brutalsten Kritiker wie der spätere CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann bis an ihr Lebensende nur noch bewundernd vom Krisenkanzler sprachen.
Die 1977 durchgeführten extremsten Rasterfahndungen, die dazu führten, daß nahezu alle Autofahrer kontrolliert und durchsucht wurden, führten zu endlosen Staus. Der Grenzverkehr brach total zusammen.
Die zeitgenössischen Tagesschau-Ausgaben zeigen ein faszinierend diszipliniertes Bild. Alle interviewten Passanten und Autofahrer hatten Helmut Schmidt in der letzten Tagesschau verfolgt und jeder war überzeugt: Der Kanzler weiß was er tut. Daher erduldeten sie stoisch die stundenlangen Wartezeiten.

Erst Jahre später wurden die Frage diskutiert, ob die 1977er Einschränkungen der Bürgerrechte, um die RAF-Täter zu fangen, gerechtfertigt waren.
Ich behaupte: Wenn im Herbst 1977 klar und deutlich von seriösen Menschen artikuliert worden wäre, daß Rasterfahndung und Radikalenerlass grundgesetzwidrig wären, hätte es für das Volk keinen Unterschied gemacht, sie wären Helmut Schmidt auch dann gefolgt.
Der Grund lag in seiner Persönlichkeit; man wußte, man ahnte, man fühlte; er würde angemessen handeln.
Die in Teilen der Bevölkerung populären noch viel radikaleren Gedanken – Franz Josef Strauß soll in den geheimen Runden im Kanzleramt die Erschießung von RAF-Gefangenen vorgeschlagen haben – prallten natürlich an Schmidt ab. Er griff rigoros durch, behielt aber stets einen kühlen Kopf, so daß die wutschnaubenden Methoden, die ein Kanzler Strauß ergriffen hätte, eben nicht zum Einsatz kamen.

Allerdings hatte es ein Helmut Schmidt nicht mit Twitter und Facebook zu tun.
Im „deutschen Herbst“ wurde weitgehend seriös informiert.
Würde 1977 unter den Medienverhältnissen von 2020 stattfinden,  wären schlagartig die Verschwörungstheorien der Aluhutträgerszene Tagesgespräch.

Die Apotheose des Aluhutträgertums in der Corona-Krise ist das Hamstern und insbesondere der manische Klopapierkauf.

Der Klopapierwahn ist daher auch die Impudenz des Monats März 2020.

Wie soll man ein Volk; wie soll man Völker – in einigen anderen Ländern ist es nicht besser – regieren, wenn sie trotz aller Appelle, Aufklärung, trotzdem der Mahnungen und Aufforderungen ihr Heil im Bunkern von Klopapier suchen?


Natürlich, die Leute sitzen jetzt alle zu Hause, werden sich der Sinnlosigkeit ihrer Existenzen bewußt, bemerken ihre Entbehrlichkeit auf dem Arbeitsmarkt, erkennen wie sehr sie ihre eigenen Partner/Kinder/Eltern nerven. Da projizieren sie ihre neandertalerischen Jäger-und-Sammler-Anlagen auf ihre anale Phase und sorgen sich rund um die Uhr um die Rosetten-Reinheit.
Dabei könnte man sich in exkremeteller Hinsicht im Notfall auch anders helfen. Es gibt Küchenpapier, Taschentücher, Servietten, Zeitungen und auch fließendes Wasser. In Wahrheit geht es wohl eher um das Horten an sich. Je größer der Berg des Klopapiers, desto besser gelingt die Illusion aktiv gegen das so bedrohliche Virus zu handeln.
Über diesen Umweg wird die Toilettenpapierrolle zum teutonischen Großfetisch.


Die Klorolle als Statussymbol ist gerade dabei Auto, Armbanduhr, Penislänge und Bankkonto den Rang abzulaufen-

Ich wische mir den Hintern ab, also bin ich!
(René Deutschcartes)

Klopapierwitze sind in der Verzweiflung der häuslichen Isolation auch eine wundervoll humoreske Ablenkung, aber sie sind nicht nur ein Meme.
Der Toilettenpapierwahn existiert wirklich.

 […..]  Klopapier hat in den vergangenen Wochen eine erstaunliche Karriere hingelegt. Lange kaum mehr als eine tägliche Notwendigkeit, wurde es zu einem kuriosen Symbol dafür, wie das Coronavirus unser Leben umkrempelt.
Der Kampf um letzte Packungen im Supermarkt lässt an der Ladenkasse so manchen aus der Rolle fallen. Es gibt Manager, die ihren Absatz mit dem Abverkauf von Klopapier vergleichen - und Spötter, die den Namen der gefährlichen Lungenkrankheit, die das Virus auslöst, als Klovid-19 verballhornen. Unter Hamsterkäufern gilt das Klopapier offenbar als Krönung des Einkaufs.  […..]  Das Marktforschungsinstitut Nielsen hat ermittelt, wie sich der Absatz von einzelnen Artikeln in der Coronakrise gesteigert hat. Dieser Auswertung digital verfügbarer Kassendaten des Einzelhandels zufolge stieg die Nachfrage in den vergangenen Wochen extrem.[…..] 
Nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfalen lag der Absatz in einer Woche jedoch um 76 Prozent, in den beiden folgenden dann um 118 Prozent und um 99 Prozent über den Werten der jeweiligen Vorjahreswochen.
[…..]  Die höheren Absätze spiegeln sich auch in Daten des Statistischen Bundesamts wider. In einer Sonderauswertung wird ein Vergleich zum Absatzdurchschnitt der vorherigen sechs Monate gezogen. In der zwölften Kalenderwoche (16. bis 22. März) stellten die Statistiker dabei eine mehr als dreimal so hohe Nachfrage an Toilettenpapier fest. Auffällig bei diesen amtlichen Daten war der stagnierende Bierabsatz - trotz Krise und Quarantäne scheinen die Deutschen nicht mehr Bier gekauft zu haben, manchem Klischee zum Trotz. […..] 

Kackito ergo sum.


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