Während um 21.00 Uhr wieder einmal draußen auf den Balkons
applaudiert und gesungen wurde, las ich gerade im heutigen Hamburger Abendblatt ein Interview mit Prof. Reichenspurner, dem
Chef des Hamburger Herzzentrums im UKE. Der weltberühmte Kardiologe, der auch
meiner Mutter ein künstliches Herz eingebaut hatte, fordert eine mindestens 30%ige Gehaltserhöhung für alle Pflegekräfte.
Dazu ist es wichtig zu wissen, daß im UKE die
Arbeitsbedingungen für die Krankenschwestern und Pfleger deutlich besser als
in den Kliniken in privater Trägerschaft sind, da das Krankenhaus letztlich dem
Staat gehört und daher nicht wie die Schön- oder Asklepioskliniken auf
Profitmaximierung fixiert ist.
Zuvor hatte ich die Süddeutsche Zeitung von heute gelesen,
in der Co-Chefredakteur Heribert Prantl in seinem Leitartikel richtigerweise
verlangt, das Gesundheitssystem dürfe nicht gewinnorientiert arbeiten.
[….] Es ist in der Corona-Krise lehrreich, die Berichte und Zahlen von
damals wieder aufzurufen. "EU-Finanzkrise und die Folgen: Am Ende bezahlen
die Kranken" titelte das Deutsche Ärzteblatt 2012 und berichtete von den
desaströsen Verhältnissen in den krank gesparten griechischen Krankenhäusern.
Es fehlte an Gerät, Material und Medikamenten. Die Ärzte arbeiteten für 1500
Euro im Monat, das Pflegepersonal musste monatelang darauf warten, überhaupt
bezahlt zu werden. Diese Ärzte und Krankenschwestern sind mittlerweile ins
Ausland gegangen. Es fehlen 20.000 Pflegekräfte.
Insgesamt zählt Griechenland heute nur 215 zur Corona-Behandlung
geeignete Krankenhausbetten. "Austerity kills"; der Protestspruch von
damals steht noch an den Hauswänden. Man fragt sich: Wieso haben damals
Fernsehbilder aus griechischen Krankenhäusern nicht so aufgeregt wie heute
diejenigen aus italienischen? Vielleicht, weil sie nur in Dokumentationen
spätabends gezeigt wurden. [….] Die
Zahl und Ausstattung der Krankenhäuser wurden allem Möglichen angepasst, aber
nicht dem Bedarf der Kranken und schon gar nicht einem Bedarf, den eine
Virusepidemie schafft. Auch in Deutschland ist das Gesundheitssystem auf
Marktvernunft geeicht und auf Privatisierung, Gewinnorientierung und
Kostensenkung getrimmt worden [….]
Dazu kommt der legendäre Wochenendteil „Buch Zwei“, in dem
den „Corona-Helden – also den Altenpflegern, Krankenschwestern und Klink-Reinigungspersonal
ein Denkmal gesetzt wird.
Hurra, ist es jetzt so weit? Offensichtlich besteht doch
endlich Einigkeit darüber, daß der neoliberale Privatisierungspfad der 1990er
ein Irrweg war.
Haben es jetzt alle begriffen, daß die drastische
Lohnungleichheit ein die Gesellschaft zerstörender Kardinalfehler ist?
Der Chefarzt, der Kolumnist, die Bürger auf den Balkons –
alle sind nun dafür.
Aber die CDU regiert und die tut in der Krise das was in
ihrer Lobby-infizierten DNA liegt: Steuergeschenke für die Superreichen und
Absage der Grundrente.
Also wenn schon der Fetisch der schwarzen Null aufgegeben
werden muss, dann sollen die Ärmsten und Geringverdiener dafür büßen, während
die Top 10% der Gesellschaft durch die Soli-Abschaffung 90% der finanziellen
Geschenke bekommen.
[….] Die Grundrente soll ab 2021 die Renten von Menschen mit kleinen Bezügen
aufbessern.
Unionspolitiker fordern nun, das Projekt auf Eis zu legen - wegen der
Corona-Schulden.
SPD-Chefin Saskia Esken findet den Vorstoß aus der Union
“unbegreiflich”.
[….] „Wir haben zur Bewältigung der Corona-Krise einen riesigen Schuldenberg
angehäuft“, sagte Peter Weiß, der Chef der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales
der Unionsfraktion, Peter Weiß (CDU), dem Focus. „Deshalb müssen wir uns nach
der Pandemie in der Koalition zusammensetzen und noch einmal die Finanzierung
genau anschauen“, sagte er. Auch der Zeitplan zum Inkrafttreten der Grundrente
müsse überdacht werden. Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Mittelstands-
und Wirtschaftsunion (MIT) der CDU/CSU, Carsten Linnemann, gefordert, die
Grundrente auf Eis zu legen.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat bereits klargemacht, dass er an
seinem Vorhaben festhält: Er wolle, dass die Grundrente zum 1. Januar in Kraft
tritt. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ist empört über die Debatte, die von
Unions-Seite gestartet wird. „Nach zahlreichen Störmanövern hat die Koalition
im Kabinett beschlossen, die Grundrente bis Anfang 2021 zum Laufen zu bringen“,
sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND/Samstag). „Es ist
unbegreiflich, dass Vertreter von CDU und CSU diesen Beschluss nun inmitten der
Corona-Krise infrage stellen.“
Esken verwies auf die Debatte über die oft geringen Gehälter von
Supermarktkassiererinnen und anderen in der Corona-Krise. „Es gibt in diesen
Zeiten eine große politische und gesellschaftliche Einigkeit darüber, die
Leistungen der oftmals gering verdienenden Beschäftigen in den systemrelevanten
Berufen besser zu honorieren“, so die SPD-Chefin. „Mit ihrer Haltung zur
Grundrente können CDU und CSU zeigen, dass es ihnen Ernst damit ist.“ [….]
Zum Glück, liebe Groko-Hasser, sitzt aber die SPD mit in der
Bundesregierung und stellt insbesondere den Bundesfinanzminister Olaf Scholz,
der eisenhart den CDUCSU-Wünschen nach Steuermilliarden für die Superreichen
einen Riegel vorschiebt.
Der für 2021 beschlossene Wegfall des Solidaritätszuschlages
für die unteren 90% der Zahler möchte die SPD gern vorziehen, um in der
Corona-Krise die unteren und mittleren Einkommen so zu entlasten, daß sie mehr
Geld in den Konsum stecken können.
Die oberen zehn Prozent, die allerdings den Großteil des
Gesamt-Soli-Aufkommens zahlen, sind für die Nachfrage konjunkturell eher
uninteressant, weil ein Multimillionär mit einer zusätzlichen Million auch
nicht mehr ins Restaurant geht oder Zahnpasta kauft, sondern Extra-Geld eher in
Steueroasen verschieben wird.
Die Union will aber keine Vorverlegung des Soli-Endes für
90% der Zahler, weil ihr nur die Top-Verdiener am Herzen liegen.
[….] "Wir können die steuerliche Entlastung von Millionen Beschäftigten
notfalls sehr kurzfristig beschließen", sagt Scholz dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland. "Das ist kein Hexenwerk." Und er schiebt der Union den
schwarzen Peter zu. "Das ständige Gerede von CDU und CSU über
Steuersenkungen bezieht sich ausnahmslos auf Reiche und Spitzenverdiener."
Scholz trifft die Finanzpolitiker der Union an einer empfindlichen Stelle. Erst
mussten sie zähneknirschend zustimmen, dass nur 90 Prozent der Steuerzahler
keinen Soli mehr zahlen müssen und jetzt sollen sie schuld sein, dass der Soli
doch erst 2021 gestrichen wird. [….]
Diese Groko zeigt sehr klare Ergebnisse je nach Amtsinhaber.
Hubertus Heil, SPD, Grundrente – CDU gegen die Geringverdiener.
Olaf Scholz, SPD, Soli – CDU für die Topverdiener.
So ist es auch in anderen Politikbereichen.
Beispiel Julia Klöckner, CDU, die sich gegen den SPD-Wunsch
sperrt das Kükenschreddern zu verbieten.
Sie war sehr erfolgreich dabei die Wünsche der Agrarlobby zu
erfüllen:
[….] Die Zahl der getöteten Küken ist im vergangenen Jahr wieder gestiegen.
Nachdem sie 2018 noch bei rund 42 Millionen Tieren gelegen hatte, lag sie 2019
bei rund 45,3 Millionen Tieren. [….]
Die Wähler können sich entscheiden: Wollen sie lieber Tierschutz
und Zuschläge für Geringverdiener und arme Rentner?
Oder wollen sie mehr Kükenschreddern und Milliarden für Millionäre?
Oder wollen sie mehr Kükenschreddern und Milliarden für Millionäre?
Ein Blick auf die Umfragen zeigt es deutlich:
Die Werte der CDU gehen durch die Decke; der Urnenpöbel findet die Union offenbar ganz großartig und will keine Sozialpolitik.
Die Werte der CDU gehen durch die Decke; der Urnenpöbel findet die Union offenbar ganz großartig und will keine Sozialpolitik.
"Austerity
kills"? Nicht für den deutschen Wähler. Sie honorieren die Politiker,
die jetzt wieder bei den Ärmsten den Gürtel enger schnallen wollen, um massiv
nach oben umzuverteilen.
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