Es gab drei Hauptargumentationsliegen für die Brexiteers. Mit
einer Stimme für „Leave“ würde viel mehr Geld in England bleiben, man bekäme
Souveränität zurück und die verhassten Ausländer flögen raus.
In allen Fällen ist
das Gegenteil der Fall.
Statt ein paar Hundert Millionen Pfund monatlich mehr für
GB, werden die Insulaner erst mal 50 Milliarden an Brüssel abstottern müssen.
Die außenpolitische Souveränität ist außerhalb der EU sogar
drastisch gesunken, wie das völlige Versagen Londons beim Abschluss von
alternativen Handelsverträgen zeigt: Die Briten sind allein einfach zu schwach,
um ihre Wünsche bei Verträgen mit den Riesen China, USA, Japan durchzusetzen.
Bleibt die Ausländerfrage.
Durch die xenophobe Stimmung in England und die unklaren Rechtslage
der EU-Arbeitsmigranten im Königreich, haben Hunderttausende tatsächlich das
Land verlassen.
Aber:
[….] Boris Johnson, einer ihrer Köpfe und ein möglicher künftiger konservativer Ministerpräsident, geißelte 2016 das "unmoralische, teure und unkontrollierte System" der EU-Freizügigkeit.
[….] Hunderttausende EU-Bürger, zumal
Polen und Rumänen, haben seit dem Referendum vor knapp drei Jahren die
britischen Inseln verlassen.
[….] Ende 2018 arbeiteten 2,3 Millionen Europäer in Großbritannien, 61.000
weniger als ein Jahr zuvor.
Allerdings bedeutet das nicht, dass die Gesamtzahl der Zuwanderer
gesunken ist. Im Gegenteil: Der Nettozuzug liegt nach wie vor bei knapp 300.000
Personen jährlich, dreimal so hoch wie von May versprochen. Allerdings kommen
jetzt mehr Immigranten von außerhalb der EU, Inder und Chinesen insbesondere.
Deren Zahl ist seit dem Brexit stark angestiegen.
Ein seltsames Resultat, zurückhaltend formuliert. Brexit-Wähler, die
angesichts der großen Zahl von EU-Zuwanderern zuvor von Überfremdungsängsten
getrieben wurden, sind nun mit einer neuen Realität konfrontiert: einer
Immigration in gleicher Größenordnung, allerdings aus ferneren Ländern. [….]
Wie in Deutschland, Benelux und Skandinavien herrscht auch
in GB bei den niedrig bezahlen Jobs, sowie bei allen Jobs im Bereich Pflege und Agrar längst Vollbeschäftigung.
London ist dringend auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen.
Wieder so ein Beispiel dafür wie der Urnenpöbel durch seine
eigene Doofheit an der Wahlurne genau das Gegenteil dessen erreicht, was er
wollte.
Wähler wählen in vielen großen Demokratien eklatant gegen
ihre Interessen.
Der verarmte White Trash Amerikas hält den Republikanern die
Treue, die Ärmsten und Dümmsten Deutschlands wählen die neoliberale AfD und die
Hauptempfänger von EU-Strukturhilfen stimmten für „Leave“.
Auch der xenophobe Deutsche und konservative EU-Politiker sorgen
mit ihrer Agrarpolitik und ihrem Kaufverhalten nicht für weniger Flüchtlinge,
sondern für mehr.
Hochsubventioniertes EU-Gemüse oder EU-Hühnerteile werden so
billig nach Afrika exportiert, daß die Farmer dort massenhaft pleitegehen und
sich aus blanker Not gen Norden aufmachen, um schließlich in den gigantischen
Billigplantagen Andalusiens, Kalabriens und Siziliens bei der Produktion des
EU-Gemüses zu helfen, das ihnen selbst die Existenzgrundlage entzieht.
Schuld sind das konservative Wahlverhalten der Deutschen bei
EU-Wahlen und die ekelerregende Billigheimer-Mentalität der Germanen, die über
80 ihrer Lebensmittel bei Discountern und Mega-Ketten absurd billig erwerben.
Die vier ganz großen Player – Aldi, Schwarzgruppe, REWE und
EDEKA – haben dadurch eine so gewaltige Marktmacht generiert, daß sie alle
Mindestlohnstandards unterlaufen. Die Produzenten unseres Supermarktgemüses
holen sich Billig-Pflücker vom afrikanischen Arbeitsstrich.
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