Dienstag, 31. März 2015

Verwirrte Verbraucher.


Mein Gemüseladen existiert nun in der vierten Generation.
Die Seniorchefin erzählte mir einmal, wie sich die Kunden zu ihrer Anfangszeit gefreut hätten, daß sie mit Eisbergsalat und Kopfsalat zwei verschiedene Salate zur Auswahl hatten.
Heute hat allein der Lieferant auf dem Großmarkt, bei dem sie morgens Salat kaufen 84 Sorten im Angebot.
Da die Ladenfläche gleich geblieben ist und außerdem die gewaltige Konkurrenz durch die Discounter dazu gekommen ist, kann man sich vorstellen was das für ein kaufmännisches Problem ist.
Und tatsächlich beobachte ich genau das bei meinen Einkäufen dort; trotz einer schier überwältigenden Auswahl kommen immer wieder Kunden, die einen derart exotischen Pilz oder einen geräucherten LILA Knoblauch aus Frankreich wünschen, daß sie dann enttäuscht und ohne etwas zu kaufen wieder abziehen.
Einer der Verkäufer in meinem Gemüseladen hat lange als Koch gearbeitet und gibt dementsprechend detaillierte und raffinierte Zubereitungstipps zu jedem exotischen Gemüse.
Noch vor ein paar Wochen brachte er mir auch wieder etwas bei. Ich kaufe gerne Baby-Spinat und Rucola als Salat. Nun empfahl er mir aber zu einer Gorgonzola-Soße lieber den normalen frischen Spinat als Salat zu verwenden.
Tatsächlich ist der ausdrucksvoller, als die Babyblätter. Geht wunderbar auch mit Essig/Öl/Räucherknoblauch: Spinat ein bißchen, zerreißen, waschen, Salatschleuder. Ein paar Marindas dazu schneiden, Fertig.

Wenn man zu Hause die TV-Programmzeitschrift durchsieht, wird auch klar wieso sich meine armen Gemüseleute so abstrampeln:
Es gibt auf fast allen Sendern eine Kochsendung nach der Nächsten.
Fernsehköche gehören längst nicht mehr in die Reihe anderer Fernseh-„Experten“, die Gartentipps, Rechtsbeistand, politische Analysen oder Kinoneuheiten präsentieren. Fernsehköche sind echte Stars und können mit etwas Geschick eine ganze Industrie aufbauen: Kochbücher, Kolumnen, Restaurants und in den Supermärkten steht auch alles voll mit Jamie-Oliver-Relishs und Schubeck-TK-Gerichten.

Der Kochwahn spiegelt sich auch in den unendlich vielen kitchen-utensils wider, die man heute in Spezialgeschäften, aber auch in Kaufhäusern bekommt.

Luxus-Küchen spielen sogar eine bedeutende Rolle im Immobiliengeschäft. Wer seine Wohnung aufwerten will und sein Geld sinnvoll investieren möchte, gibt gerne mal fünf- bis sechsstellige Beträge für eine neue Küche aus. Die Küchen werden größer und zunehmend zu Wohnflächen, weil man das Kochen mehr zelebriert.
Küchen zu bauen wird dabei immer komplizierter, da die Bedürfnisse von Veganern und Fleischessern verschieden sind.
Die kleine schmale Einbauküche, in der gerade mal die Mutter reinpasste, hat endgültig ausgedient.

Grundsätzlich sind das alles begrüßenswerte Entwicklungen.
Auf die Ernährung zu achten, kulinarische Vielfalt einziehen zu lassen und das Kochen nicht mehr nur als lästige Pflicht, sondern auch als anspruchsvolles Hobby für die ganze Familie zu betrachten, kann nur gut sein.

Blöderweise ist alles was ich bis hierher beschrieben habe überhaupt nicht repräsentativ.
Der Eindruck, daß sich alle intensiv mit Kochkunst und vielfältigen Zutaten beschäftigen, täuscht.
Noch immer sind die Deutschen das lebensmittelknauserigste Volk Europas.
Nirgendwo wird ein geringer Prozentsatz des Monatseinkommen für Lebensmittel ausgegeben.
Deutsche wollen es vor allem BILLIG haben.
Der alte Witz stimmt:
Steht ein Ölwechsel bei Papas altem Golf an, kann es gar nicht exklusiv genug sein. Die Motoröle werden genau ausgesucht und können gerne mal über 100 Euro kosten. Und anschließend geht es zu Aldilidl, wo man erschreckt das 99-Cent Salatöl wegstellt, nachdem man unten im Regal die Plastikflasche für 79 Cent entdeckt hat.
Die spinnen, die Deutschen.

[…]  Die Deutschen sind Kochmuffel
[…] Nicht einmal fünfeinhalb Stunden pro Woche stehen die Verbraucher hierzulande am Herd, wie das Marktforschungsunternehmen GfK am Montag in Nürnberg mitteilte. Damit liegen sie auf dem viertletzten Platz unter 22 Nationen. Nur in Brasilien, der Türkei und Südkorea verbringen die Menschen demnach noch weniger Zeit mit Kochen.
Das größte Engagement in der Küche zeigen demnach Inder und Ukrainer mit mehr als 13 Stunden pro Woche. In Westeuropa liegt Italien mit gut sieben Stunden vorne, gefolgt von Spanien. […] Ältere [kochen] wesentlich mehr als Jüngere: Bei den unter 30-Jährigen sind es mehr als vier Stunden, bei den über 50-Jährigen hingegen mehr als sechs Stunden pro Woche. […]

Deutsche wissen also offenbar wie man sich wesentlich besser und gesünder ernähren KÖNNTE, aber sie sind zu tumb, um das umzusetzen. Wenn sie bei Kaufpennyland Tiefkühllasagne für € 1,09 das Kilo entdecken, greifen sie zu.

Diese phlegmatisch-schizophrene Methode deckt sich auch mit einer Meldung von vorgestern.
Demnach wissen Jugendliche durchaus über die brutalen und unmenschlichen Bedingungen bei der Herstellung von Billigklamotten Bescheid.
Aber vor die Wahl gestellt, ob sie dieses erbärmliche Ausbeutersystem unterstützen, oder durch ihr Kaufverhalten ein Zeichen setzen, entscheiden sie sich nur für BILLIGBILLIG.

Hauptsache viel, Hauptsache billig
[…] Links blinken, rechts abbiegen: Viele Jugendliche beklagen die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Obwohl vielen klar ist, dass ihre Klamotten selten ethisch einwandfrei sind, kaufen sie einer Studie zufolge unverdrossen Massenware.
Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren sind erstaunlich gut über die Probleme bei der Herstellung von Textilien informiert. Ihr Konsumverhalten ändert das jedoch nicht, wie eine neue Studie der Umweltorganisation Greenpeace zeigt. So haben mit 96 Prozent der Befragten nahezu alle davon gehört, dass Arbeiter in der Modeindustrie oft unter unwürdigen Bedingungen arbeiten. […] Konsequenzen ziehen daraus allerdings die Wenigsten: Nur 13 Prozent der Befragten, also knapp jeder Achte, gab an, beim Kauf auf die Herstellungsbedingungen oder Textilsiegel zu achten. "Gerade junge Konsumenten haben zwar eine Vorstellung davon, wie Kleidung hergestellt wird und welches Elend im Namen der Mode angerichtet wird", sagt Kirsten Brodde, Textilexpertin bei Greenpeace. "Allerdings blenden sie das aus, wenn es um den konkreten Kauf eines Kleidungsstücks geht." […]

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