Samstag, 6. September 2014

Aufpassen!


"Sterben mag ich nicht. Das ist das Letzte, was ich tun werde in meinem Leben." - Roberto Benigni 1. April 2006
 

Es dauert nicht mehr lange bis sich der Bundestag mit dem leidigen Thema „Sterbehilfe“ befassen wird. Das Thema, bei dem alle so gerne weghören und das gerade deshalb so gar nicht im Sinne der Bürger entschieden werden wird.
Konservative und Kleriker bringen sich mittlerweile täglich in den großen Zeitungen in Stellung, um gegen Freiheit und Selbstbestimmung zu agitieren.

Es ist recht geschickt von den Fraktionsgeschäftsführern die „Abstimmung freizugeben“ und als „Gewissensentscheidung zu deklarieren.
Dadurch fällt es dem gemeinen Volksvertreter leichter sich strikt gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Wähler zu positionieren.

Dabei ist JEDE Abstimmung im Bundestag frei. Der Abgeordnete ist IMMER nur seinem eigenen Gewissen untergeordnet.
Oder, OK, ich mache lieber eine Konjunktiv-Formulierung darauf. Jeder Abgeordnete wäre immer nur seinem Gewissen und nicht der Fraktionslinie unterworfen, wenn das Grundgesetz gelten würde.
Aber das ist Theorie. In der Praxis gibt es das imperative Mandat.

Das bestrafte Gewissen
[….] Nach 1945 rechtfertigten sich integre Demokraten wie Theodor Heuss mit dem "Fraktionszwang", den Parteiführung und Fraktionsmehrheit ihnen auferlegt hätten. Sie seien von ihrer Partei quasi "gezwungen" worden, gegen ihre Überzeugung und für das Gesetz zu stimmen. Dieses Einknicken hat sich Theodor Heuss, der 1933 Abgeordneter der Deutschen Staatspartei war, nie verziehen. Zwar hätte er mit seiner Stimme nichts bewirken können. Aber er sagte, er habe es nie verwunden, wider besseres Wissen und Gewissen gestimmt zu haben.
Aus den Erfahrungen des Versagens und Scheiterns wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes Konsequenzen ziehen. Deshalb sind dort einklagbare Grundrechte aufgeführt, deshalb haben sie bestimmt, dass der Bundespräsident nicht durch das Volk, sondern durch eine Bundesversammlung gewählt wird. Und deshalb gibt es den ersten Absatz des Artikels 38, in dem die Gewissensfreiheit des Abgeordneten garantiert wird.
Darin heißt es: "Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Für diese Formulierung lässt sich den Protokollen des Parlamentarischen Rates folgende Begründung entnehmen: Man habe eine Formulierung gewählt, die die Gewissensentscheidung und auch die persönliche Freiheit des Abgeordneten - anders als in der Weimarer Verfassung - ausdrücklich garantieren solle. Zumindest solle der Artikel eine Mahnung an die Abgeordneten sein, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und sich ihrem Gewissen verpflichtet zu fühlen. [….] Kleinere Konflikte spielen sich häufig hinter den Kulissen der Parlamente ab. Sie enden meist in unterschiedlichen Formen des Kleinbeigebens und/oder Resignierens. Ein besonderes Ärgernis ist es allerdings, wenn Fraktionsführungen entscheiden, ob und wann der Fraktionszwang suspendiert werden darf - wenn das Gewissen also "Par ordre de Mufti" freigegeben wird.
[….Jüngere Fälle lassen] erkennen, wie weit Verfassungstext und Verfassungsrealität auseinanderklaffen, wie meilenweit wir vom Verständnis für Buchstaben und Geist des Artikels 38 entfernt sind. [….]

Um auf den assistierten Suizid zurück zu kommen:
Obwohl ich eine recht radikale Meinung vertrete – nämlich die absolute Straffreiheit und zwar unabhängig vom Grad der Erkrankung  - scheine ich damit keine Minderheit zu sein.

Die Schwächlichkeit ihrer Argumente versuchen die konservativen Gottesmänner mit umso mehr Debattenbeiträgen zu kompensieren.

Dabei wird selbst für anti-liberale CDUler eine erstaunliche Doofheit offenbar.
Otto Wulff, 81, der fromme Chef der CDU-Gerontenvereinigung schwenkt schon beinahe die Soylent-Green-Keule.

Der Vorsitzende der Senioren-Union der CDU, Otto Wulff, hat sich entschieden gegen eine Lockerung des Verbots der Sterbehilfe in Deutschland ausgesprochen. Bei einer Legalisierung der Suizidhilfe bestehe die Gefahr, dass ältere und kranke Menschen unter Druck gesetzt werden könnten, aus dem Leben zu gehen, sagte Wulff bei der Bundesdelegiertenversammlung der Senioren-Union am Donnerstag in Schwerin. Er sprach von «krankhaften Gedanken», ältere Menschen legal von ihren Beschwerden zu erlösen.  […]
(dpa/mv 03.09.14)

Auf der Homepage der Senioren-Union der CDU, prangt übrigens ein schwarz-rot-goldenes Logo mit der Inschrift „Senioren – aus Erfahrung gegen links“.
Es beeindruckt mich immer wieder von der Generation, die Zeitzeuge der Naziherrschaft war, zu hören, daß die politische Gefahr von links käme.
Wulff übersieht, daß es gar nicht um Alte, sondern um Bürger jedes Alters geht.
Sie würden auch bei einer Legalisierung der Suizidhilfe nicht unter Druck gesetzt, sondern es würde, ganz im Gegenteil der Druck von ihnen genommen werden. Denn nur wenn man die Option hat, kann man frei entscheiden.
Im Übrigen kommen die Sprüche vom „Sozialverträglichen Frühableben“ kaum aus der linken Ecke, sondern von Wulffs Gesinnungsgenossen.

Als nächster Depp wagt sich heute im frommen Hamburger Abendblatt Pastor Westphal, der langjährige Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst (AfÖ) der nordelbischen Kirche in den Ring.
Pastoren und Bischöfe bekommen beinahe täglich ein kostenloses Forum in den großen Zeitungen. Konfessionslose und Atheisten hingegen so gut wie nie. Dabei sind die Aussagen der Frömmelnden in den meisten Fällen derart belanglos, daß man sie auch als Satiretexte verwenden kann.

Im Bundestag und in der Öffentlichkeit wird man um die Frage ringen, wie wir es hierzulande mit der aktiven Sterbehilfe halten wollen und ob das Tötungsverbot gelockert werden soll. Ich finde es gut, dass der Fraktionszwang aufgehoben wird, weil es um eine Entscheidung des eigenen Gewissens geht. Die Fragen um Leben und Sterben betreffen ja jeden von uns persönlich und emotional.
Natürlich habe auch ich Angst vor einem Sterben voller Schmerzen und Einsamkeit. Aber ich weiß, dass es nicht dazu kommen muss. Palliativmediziner bemühen sich darum, dass keiner unerträglich leidet. […] Ärgerlich nur, dass diese Angebote immer noch zu wenig bekannt sind und von Politik und Kassen nicht stärker gefördert werden. Dann nämlich würde manche Angst schwinden und seltener nach einem Gesetz gerufen, das Ärzte zum Töten drängen will und Kranke unter gesellschaftlichen Druck setzen kann, ihr Leben zu beenden. […] [Käßmann] hält Hospize für eine "wunderbare Errungenschaft" und hofft, dass bei uns eines Tages "jeder die freie Möglichkeit hat, in der letzten Lebensphase in ein Hospiz zu gehen. Persönlich kann ich mir das sehr gut vorstellen." Das geht mir genauso wie Frau Käßmann. […]

Daß der fromme Theologe das GG und Artikel 38 nicht kennt – geschenkt.
Schlimmer ist, daß er offenbar der Meinung ist „persönliche und emotionale“ Bedenken rechtfertigten es der Majorität der Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Wenn Käßmann und Westphal den völligen Verlust der Autonomie im Hospiz so „wunderbar“ finden und sich dann von Palliativmedizinern abhängig machen, die es grundsätzlich ablehnen Sterbehilfe zu gewähren, können sie das gerne möglichst lange in Hospizen auskosten.
Deswegen wollen das andere Menschen aber nicht auch automatisch.

Selten erlebt man so penetrantes Ignorieren des alltäglichen menschlichen Leids.
Gröhe illustriert mustergütig seine eigene Heuchelei, seine Unwissenheit, seine Gewissenlosigkeit, seine Anmaßung, seine schlicht unmenschliche Bosheit.
Jeder Christ kann sein Leiden, seine bestialischen Schmerzen, sein Ersticken, seine Unselbstständigkeit, seine Lähmungen, seine Perikardergüsse, seine Magensonden, seine Tracheotomien, seine Intubationen, seine Katheter, seine verschleimenden Lungen, seine Inkontinenz, seine Dekompensation, sein Organversagen, seine Hämodialyse, seine Klistiere, seinen künstlichen Darmausgang, seine Desorientierung, seine Panikattacken, seine Ängste, Phobien und Depressionen, seine Verzweiflung, seine Paresen, seine Dekubiti, seine Ekzeme, seinen Pruritus, seine Exsikkose, seine Infusionen, seine Transfusionen, seine OPs, seine Beatmungsmaschinen und die Verzweiflung der Angehörigen so lange genießen wie er will.

Wenn jemand anders das nicht möchte und mit seinem EIGENEN Leben selbstbestimmt umgehen will, geht das den Christen nichts an.

Eine geradezu unverschämte Lüge ist es vom frommen Pastor zu suggerieren, daß Ärzte gesetzlich zum Töten gedrängt werden sollten.
Das verlangt niemand!
Kein Arzt soll zu etwas gezwungen werden, das er nicht will. Es geht, im Gegenteil, darum Ärzte, die aus humanitärer Überzeugung helfen wollen, nicht auch noch dafür in den Knast zu stecken.

Einfach erbärmlich.
Erbärmlich für die Kirche und noch erbärmlicher für eine angeblich seriöse Zeitung, die das unkommentiert so verbreitet.

Zum Schluß fahre ich noch das ganz schwere Geschütz auf. Es geht in der Klerikalen Hierarchie ganz nach oben. Abgesehen von den Kurialen in Rom, ist der Vorsitzende der DBK, Kardinal Marx, die oberste Instanz des hiesigen Katholikentums.

Auch er will noch vor der Bundestagsabstimmung die Parlamentarier dazu drängen die Menschen leiden zu lassen und ihnen die Möglichkeit der freien Entscheidung zu nehmen.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, ist gegen die gesetzliche Ermöglichung des ärztlich assistierten Suizids. „Selbst eng umgrenzte Regelungen liefen im Ergebnis darauf hinaus, ein angeblich ,menschenwürdiges Töten‘ zu organisieren“, sagte der Erzbischof von München und Freising der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) im Blick auf die bevorstehenden Beratungen des Deutschen Bundestages über das Thema Sterbehilfe. Seine Position beschrieb der Kardinal mit den Worten: „Mir geht es um das menschenwürdige Sterben. Wenn diese Differenz verwischt wird, dann ist eine abschüssige Bahn betreten, auf der es kein Halten mehr gibt.“
[…] Den Beitrag der Kirchen zu dieser Debatte umschrieb er mit den Worten: „Zusammen mit vielen anderen in unserer Gesellschaft müssen die Kirchen sagen: Gebt uns die Sterbenden, denn wir sind ganz besonders für die Leidenden und Sterbenden da. Wir kümmern uns. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, dass Menschen nicht alleine und mit Schmerzen sterben. Das ist unsere Botschaft. Und das sollte auch unser Angebot sein.“  […..]

Na großartig!
Nun wird man schon damit bedroht als hilfloser Mensch den Kirchen „übergeben“ zu werden.
Das erinnert mich an Frau Schardt*, die schon bei der Vorstellung sie hätte am Ende ihres Lebens auch noch die Käßmann am Hals umso schneller zum Giftbecher griff.

Dem kann ich mich nur anschließend:
Die wage Aussicht eines Tages den Kirchisten ausgeliefert zu sein, bestärkt mich in meiner Absicht lange bevor es soweit ist, sicherheitshalber die Hühner zu satteln!


*Die Hannoversche Bischöfin spie Feuer und Schwefel vor Empörung über Kusch und verlangte, daß er doch Frau Schardt lieber bei sich zu Hause hätte aufnehmen sollen.
Sie, die Bischöfin wäre in dem Fall zu der 79-Jährigen gegangen, um ihr aus der Bibel vorzulesen. Da hat die alte Dame dann noch schneller zu den Pillen gegriffen - die Vorstellung, daß sie dereinst im Pflegeheim läge und von predigenden Pfaffen im Zimmer heimgesucht würde - unfähig sich gegen diese Zwangsbebetung zu wehren - war der letzte Sargnagel.


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