Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.
Zum Glück bewege ich mich in einem Umfeld und gehöre zu einer Generation, in der ich sehr selten „haben sie überhaupt gedient?“ gefragt werde. Nein, ich diente niemals.
Wenn es doch mal vorkommt, erkläre ich mit Genugtuung, wie wenig mit meinem Dienst irgendjemanden gedient sei. Ich wäre ein völlig unbrauchbarer Soldat, bin weder mutig noch kämpferisch und hadere massiv mit Gehorsam, Hierarchie und Uniformität. Mache mir nichts aus Kameradschaft und Ritualen. Ich leide an Exzentrik und Widerspruchsgeist. Und schließlich ist da noch die Sache mit der Gewalt: Töten lehne ich prinzipiell ab.
Eine Kaserne habe ich nie von innen gesehen. Aber das Soldat-Sein ist ein sehr häufiger Topos in Literatur und Film, so daß ich mir als Leseratte durchaus einen Eindruck verschaffen konnte.
Sven Regeners Beschreibung seines Grundwehrdienstes in „Neue Vahr Süd“ deckt sich dabei vollständig mit den Erzählungen, die ich von meinen Altersgenossen kenne, die nicht verweigerten.
Sie schreien und schreien, dachte Frank nun, während er auf seinem Bett saß und dabei zuschaute, wie Schmidt direkt vor ihm stand und sich am Hintern kratzte und Leppert zu seinem Spind humpelte und sich dabei eine Zigarette anzündete. Sie waren neun Leute auf der Stube, es gab drei dreistöckige Betten, neun Spinde, neun Stühle, einen Tisch und einen Aschenbecher. Der Raum roch nach Zigaretten, Alkohol und alten Socken. Sie schreien und schreien und schreien, dachte er, sie können gar nicht anders, man darf es nicht persönlich nehmen, das ist das ganze Geheimnis, dachte er. Dann kam wieder jemand hereingestürmt, sah ihn da sitzen und fragte ihn brüllend, ob er tot sei oder warum er sonst herumsäße wie ein Sack Mehl. Er brauchte nicht zu antworten. Es war eine rhetorische Frage, und der Mann war gleich wieder draußen. Frank stand auf und ging zu seinem Spind. Das war sicher nicht persönlich gemeint, dachte er wieder, aber er wußte, daß das nicht viel zu bedeuten hatte, das sind alles nur Mutmaßungen, dachte er, es ist eine fremde Welt, und über die Motive und Absichten dieser Leute kann man nur spekulieren, dachte er und öffnete den Spind. Alles schön und gut, dachte er dann und starrte in den Spind hinein, alles schön und gut. Das Problem ist nur, daß man so eine furchtbare Angst vor ihnen hat!
»Wenn es heißt ›3. Zug raustreten‹, dann treten Sie aus den Stuben heraus und stellen sich auf dem Flur auf. Die Fußspitzen berühren genau die zweite Fuge der Steinplatten. Das habe ich Ihnen gestern gesagt, das sage ich Ihnen heute und das sage ich Ihnen morgen. Übermorgen ist Freitag. Wenn Sie das bis dahin nicht begriffen haben, üben wir das am Wochenende auch noch. Und raustreten heißt nicht schlendern, raustreten heißt rennen, Männer. Ist das klar?«
Fahnenjunker Tietz stand direkt vor Frank, als er das brüllte, und dann schaute er triumphierend nach links und nach rechts den Flur hinunter.
»Fahnenjunker Heitmann und GUA Pilz werden jetzt Ihre Stuben inspizieren«, fuhr er brüllend fort. »Wenn Ihr Name gerufen wird, ist das schlecht für Sie. Dann rennen Sie in die Stube und tun, was man Ihnen sagt.«
Die beiden genannten Männer stürmten in eine Stube, erste Namen wurden gerufen. Frank fürchtete das Schlimmste, und nur um irgendwas zu tun, schaute er hinunter, ob seine Fußspitzen auch wirklich an der zweiten Fuge der Steinplatten waren. Dann schaute er wieder hoch, und sein Blick traf den des Fahnenjunkers.
»Ist was? Haben Sie noch Fragen?«
»Nein.«
»Nein, Herr Fahnenjunker, heißt das.«
»Nein, Herr Fahnenjunker.«
»Also gleich nochmal: Wie heißt das?«
Das ist ihnen wichtig, dachte Frank, daß man genau so redet, wie sie es wollen. Er fand das eigenartig. Noch eigenartiger aber fand er die unglaubliche Unfreundlichkeit, mit der ihm und seinen Leidensgenossen hier begegnet wurde.
»Wie heißt das?« brüllte Fahnenjunker Tietz mit überschnappender Stimme.
Das ist seltsam, dachte Frank, eigentlich müßten sie doch froh sein, daß man nicht verweigert hat.
»Was jetzt?« fragte er zerstreut.
»Was jetzt, Herr Fahnenjunker! Sie sagen immer am Ende Herr Fahnenjunker, wenn Sie mit mir sprechen, haben Sie das verstanden.«
Ich meine, wer ist noch so blöd und geht zum Bund, dachte Frank, da müßten sie doch eigentlich über jeden froh sein, der kommt, und ihn nett behandeln, wie ein rohes Ei eigentlich, dachte er.
»Haben Sie das verstanden?!«
»Ja.«
»Wie?«
»Ja, Herr Fahnenjunker.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker, jawohl Herr Fahnenjunker
heißt das. Ja ist was für Zivilisten, Sie sagen jawohl, wenn Sie einen Befehl empfangen oder eine Frage bejahen.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Wie heißen Sie noch mal?«
»Lehmann.«
»Lehmann, Herr Fahnenjunker. Genauer gesagt: Pionier Lehmann, Herr Fahnenjunker. Sie sind jetzt Pionier, das ist Ihr Dienstgrad, das ist Ihr neuer Vorname, das ist alles, was Sie hier haben. Also nochmal: Wie heißen Sie?«
»Lehmann, Herr Fahnenjunker.«
»Pionier Lehmann. Also nochmal: Wie heißen Sie?«
»Pionier Lehmann.«
»Na? Na?«
»Herr Fahnenjunker.«
»Na also.«
»Pionier Lehmann!« rief es aus Franks Stube.
»Schon weg sein, schon wieder hier sein«, brüllte Fahnenjunker Tietz. Frank lief in die Stube. Dort waren auch schon Schmidt und Hoppe, Hoppe stand vor seinem Spind, hob Hemden vom Boden auf und faltete sie neu zusammen, und Schmidt hing oben an dem dreistöckigen Bett und zupfte an seiner Bettdecke herum. Im Raum stand Fahnenjunker Heitmann, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und wartete auf ihn.
»Was gibt’s denn?« fragte Frank.
»Was gibt’s denn?« kreischte Heitmann. »Was gibt’s denn?
Ich höre wohl schlecht.«
Er machte eine kurze Pause, wie um Frank die Möglichkeit zu geben, etwas zu sagen. Frank sagte nichts.
»Ist das Ihr Bett, oder ist das nicht Ihr Bett? Ist das Ihr Name da auf dem Schild, oder ist das nicht Ihr Name.«
»Ja.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Na also. Da sind Falten drin, machen Sie das glatt, aber ganz schnell, gleich ist Antreten.«
Frank trat ans Bett und beugte sich runter. Da waren keine Falten zu sehen. Er zupfte trotzdem ein wenig an der Wolldecke herum, wodurch überhaupt erst Falten entstanden. Er versuchte, sie wieder wegzumachen, aber das war schwierig,
denn er mußte sich, um nicht vornüberzufallen, am Bettpfosten festhalten, außerdem wackelte der ganze Bettenturm, weil Schmidt ganz oben mit ähnlichen Problemen kämpfte.
»Hat er was gibt’s denn gesagt?« hörte er hinter sich Fahnenjunker Tietz fragen.
»Hat er gesagt«, sagte Fahnenjunker Heitmann.
»Mann, Lehmann, mit Ihnen werden wir noch Freude haben«, sagte Fahnenjunker Tietz. Daß die beiden hinter ihm standen, während er da unten herumfummelte, machte Frank aggressiv. Außerdem wurde es mit den Falten durch sein Gezupfe und Gezerre immer schlimmer. Besser wäre es gewesen, er hätte sich hingekniet, dann hätte er beide Hände frei gehabt, aber das wollte er auf keinen Fall, nicht mit den beiden Fahnenjunkern im Rücken. »Das kann man ja nicht mit ansehen«, höhnte Tietz. »Nun machen Sie mal hin, gleich ist Antreten.«
Frank verlor den Halt, ließ den Pfosten los und fiel aufs Bett. Vor lauter Ärger und Nervosität mußte er lachen.
»Was lacht der?«
»Ich glaub, mein Schwein pfeift. Lehmann, wenn Sie so weitermachen, üben wir das am Wochenende.«
»Sie sollen mit dem Lachen aufhören!«
Frank lachte immer weiter. Es ist kein fröhliches Lachen, es ist eher hysterisch, dachte er, und es ist nicht das Klügste, was man tun kann, aber es füttert sich selbst, dachte er, erst lacht man, weil alles so absurd ist, und dann muß man weiterlachen, weil die Lacherei auch absurd ist, so geht das nicht, dachte er, das ist nicht klug, sowas nehmen die persönlich. Er versuchte hochzukommen. Hinter ihm plumpste Schmidt auf den Boden. Aus der Ferne waren Rufe zu hören.
»Aufhören, das ist der Befehl zum Antreten«, brüllte Fahnenjunker Tietz.
Frank lachte und lachte. Mühsam kam er hoch. Erst als er aufrecht vor Fahnenjunker Tietz und Fahnenjunker Heitmann stand und in ihre Gesichter blickte, konnte er mit dem Lachen aufhören. Das ist auch höchste Zeit, dachte er.
Schmidt stand mit dabei und starrte ihn entgeistert an.
»Raus, raus!« schrie Fahnenjunker Heitmann. »Alle beide!« Vom Flur her war zu hören, wie die anderen Rekruten losrannten, nach unten, zum Antreten vor dem Kompaniegebäude.
»Wir sprechen uns noch«, schrie Fahnenjunker Tietz. »Da kommt noch was nach, Lehmann. Und hören Sie auf zu grinsen, Schmidt. Raus, sofort raus.«
Frank glaubte, aus der Stimme von Fahnenjunker Tietz so etwas wie Panik herauszuhören, und das gefiel ihm.
»Raus, aber schnell!« schrie Fahnenjunker Tietz.
Er scheißt sich ein, dachte Frank. Das ist wichtig, darüber muß man mal nachdenken, dachte er, aber er wußte, daß dafür jetzt keine Zeit war. Er mußte raus, aber schnell.
Diese aberwitzige Stupidität der sinnlosen Regeln. Das Geschrei, die Strafen, die Schikane. Das sind einerseits dankbare Topoi für Satire aller Art, aber auch bitterer Ernst. Armee-Führungen weltweit begeistern sich für die Idee, einen jungen Menschen „erst einmal zu brechen“, um ihn dann als uniformen, angepassten, Befehlsempfänger wieder aufzubauen. Mit tödlichen Nebenwirkungen.
Vergewaltigungen unter Soldaten sind traurige Normalität.
[….] Bei den US-Streitkräften sind in den vergangenen zehn Jahren mindestens 100.000 Männer pro Jahr Opfer sexueller Übergriffe geworden. Wie die New York Times unter Berufung auf Zahlen des US-Verteidigungsministeriums berichtete, waren allein 2018 etwa 7.500 Männer von sexueller Belästigung, versuchter Nötigung bis hin zu Vergewaltigung betroffen. Die Opfer seien meist jünger als 24 Jahre und hätten einen niedrigen Dienstgrad.
Die Zahl der registrierten weiblichen Opfer ist dem Bericht zufolge mit 13.000 im Jahr 2018 höher als die der Männer. Jedoch sagt das nichts über das tatsächliche Verhältnis, da man nicht weiß, wie viele Opfer die Vorfälle nicht anzeigen. Nur einer von fünf betroffenen Männern meldete Übergriffe – bei den Frauen seien es dagegen 38 Prozent. Viele Betroffene müssten die Armee verlassen und hätten dann Schwierigkeiten, im Alltag wieder Fuß zu fassen, hieß es weiter. [….]
Die psychische, physische und sexuelle Gewalt unter Soldaten führt wiederum zu Myriaden Suiziden in Uniform.
(…) Mich interessiert „das Soldatische“ aus soziokultureller Perspektive, ich habe gern Wolf Schneiders „Soldaten“ gelesen und bin auch fasziniert vom psychologischen Aspekt des streng hierarchischen Drills unter Männern, der bekanntlich in den großen Armeen so gravierend ist, daß es in Russland und den USA zu mehren Soldaten-Selbstmorden jeden Tag kommt. […….]
[Um] Andrej Sytschow […..das] Leben zu retten, mussten die Ärzte beide Beine und seine Genitalien amputierten. Gewalt unter Kameraden gehört zur russischen Armee wie Gleichschritt und Schießübungen. Erpressung, Prügel, Folter und Vergewaltigung sind an der Tagesordnung. Die Soldaten sind sich selbst die größten Feinde. Der Volksmund nennt die Misshandlungen von Rekruten durch ältere Soldaten "Djedowschtschina", "Herrschaft der Großväter". Wer Erniedrigung und Schmerz im ersten Dienstjahr übersteht, gibt diese Grausamkeiten an nachfolgende Rekruten weiter. [….] Das Komitee der Soldatenmütter, eine Menschenrechtsorganisation, die gegen die Missstände kämpft, registriert jedes Jahr etwa 2000 Todesfälle in der Armee - in Friedenszeiten. Ein großer Teil lasse sich auf Misshandlungen zurückführen. Im vergangenen Jahr haben nach Angaben der Militärstaatsanwaltschaft 341 Soldaten ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt. Auslöser soll nach Expertenmeinung auch hier in den meisten Fällen die brutale Quälerei gewesen sein. Die Dunkelziffer der Gewaltfälle dürfte noch weit höher liegen. [….]
(O. Bilger, SZ vom 11.11.2008)
In Deutschland gibt es "Djedowschtschina" vermutlich nicht in dieser extremen Form und in Amerika bringen sich die Soldaten statt während der Grundausbildung, überwiegend erst nach den Militäreinsätzen selbst um.[ ….]
Von den aktiven US-Soldaten begeht durchschnittlich einer pro Tag Suizid. Nach der Dienstzeit steigt die Selbstmordrate um das 20-fache.
[….] Roughly 20 veterans a day commit suicide nationwide, according to new data from the Department of Veterans Affairs — a figure that dispels the often quoted, but problematic, “22 a day” estimate yet solidifies the disturbing mental health crisis the number implied.
In 2014, the latest year available, more than 7,400 veterans took their own lives, accounting for 18 percent of all suicides in America. Veterans make up less than 9 percent of the U.S. population. [….]
Ganz offensichtlich haben Soldaten untereinander eine sehr fragwürdige Art miteinander umzugehen. (….)
Im Jahr 2025 zu leben, bedeutet aber auch, um die Notwendigkeit einer funktionieren Bundeswehr zu wissen. Die in Deutschland tut es offensichtlich nicht.
Damit komme ich endlich zum Blödmann des Monats.
Die Zahal sind die Impudenz des Monats September 2025.
Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (hebräisch צְבָא הַהֲגָנָה לְיִשְׂרָאֵל ‚Armee der Verteidigung Israels‘, Zwa ha-Hagannah lə-Jisraʾel; hebräisches Akronym: Zahal) bestehen aus 220.000 Männern und Frauen; sowie etwa einer halben Million Reservisten.
Die Zahal gilt als beste Armee der Welt, der Sieg im Sechstage-Krieg, vom 5. bis 10. Juni 1967, wird größter Sieg mindestens des 20. Jahrhunderts, wenn nicht aller Zeiten, angesehen.
Es war nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49, sowie der Suez-Krise, der dritte große Auftritt der Zahal und begann mit einem gewaltigen Aufmarsch der ägyptischen Armee an Israels Südgrenze.
Israel konnte 300 Ägyptische Kampfjets zerstören, bevor diese überhaupt in der Luft waren, die vollständigen Kontrolle über den Luftraum erlangen und eroberte binnen einer Woche den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel von Ägypten, sowie das Westjordanland mit Ostjerusalem von Jordanien und die Golan-Höhen von Syrien.
Sie ließ sich zwar beim Jom-Kippur-Krieg (6. bis zum 25. Oktober 1973) von Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten überraschen, siegte aber auch dort.
Weltweiten Ruhm brachte die Operation Entebbe in der Nacht zum 4. Juli 1976, als Israelische Elitesoldaten auf dem Flughafen von Entebbe in Uganda ein entführtes Passagierflugzeug der Air France in nur 90 Minuten befreiten. Drei Geiseln, alle neun Entführer, 20 Ugandische Soldaten und der Israelische Befehlshaber wurden getötet.
102 überwiegend israelische Geiseln und die Air-France-Besatzung wurden unverletzt gerettet und ausgeflogen.
Natürlich bin ich kein Experte für die Israelische Armee und entnehme mein Wissen auch hier weitgehend aus der Literatur.
Bei Ron Leshem habe ich von einem ganz anderen Umgangston unter Israelischen Soldaten gelesen. Die Hierarchie wird weniger zelebriert und so können einfache Soldaten mit hohen Offizieren locker kommunizieren.
Ich erinnere mich an rührende Szenen, als im Libanonkrieg die in „Wenn es ein Paradies gibt“ beschriebene Einheit kontinuierlich von den Golanhöhen aus beschossen wird und sich junge Rekruten so sehr fürchten, daß sie in den Armen ihres Vorgesetzten einschliefen.
Ob das repräsentativ ist, weiß ich nicht. Kürzlich habe ich das Buch noch einmal gelesen und bin immer noch beeindruckt. Es sind harte Kerle, die schreckliches erleben und schreckliches tun, aber untereinander Menschen bleiben. Der Kommandant beschreibt in dieser Szene, wie er einen verstörten Mitkämpfer wieder aufbaut, nachdem ihrem besten Freud gerade vor ihren Augen der Kopf weggeschossen wurde.
[…] Ich zog ihn hoch zu mir. Es wird wieder, versicherte ich, wir passen einer auf den anderen auf, Ich bin hier, du bist hier. Das kommt in Ordnung. Er senkte den Blick. lch ließ nichtlocker. „Vertraust du mir?“, Sein Gesicht war ganz nah. „Vertraust du mir? Ich will, dass du mir sagst, ob du mir vertraust.“ Er sah mich wieder an. Und dann passierte es. „Ich bin bereit, für dich zu sterben“, sagte er. Kauerte da vor meinen Augen, ganz nah, und sagte: „Ich bin bereit, für dich zu sterben“. Einfach so, direkt ins Gesicht. Überleg mal, was es bedeutet, so etwas zu sagen, „ich bin bereit, für dich zu sterben.“ Was sollst du ihm antworten? Was du auch sagst, es würde nichtig klingen, bedeutungslos. Sollte ich sagen, dass ich bereit wäre, in einem nächsten Leben für ihn zu sterben? Das klang doch idiotisch,
Also, was machst du in solch einer Situation? Ihn in den Arm nehmen, küssen, ihm sagen: „Ich hab dich lieb.“ Seine Augen waren feucht, glitzerten, drangen mir in die Seele. Er lag wie ein kleiner Junge vor mir. Ich legte meine Hände auf seine Wangen, streichelte ihn. […]
(„Wenn es ein Paradies gibt“, 2005)
An dieser Stelle empfehle ich auch Ron Leshems Text „Feuer Israel und der 7. Oktober Was am 7. Oktober geschah – ein einzigartiges Buch über den Tag, der alles veränderte.“, der am 30.04.2024 erschien.
Leshem, geboren 1976, ist nicht nur ein großartiger Journalist, sondern ein hervorragender Romanautor.
Er beschreibt die Zahal nicht als Fan, aber realistisch.
Die Armee ist im besten Sinne ein Schmelztiegel, die extrem heterogen zusammengesetzt ist. Männer, Frauen, ultraorthodoxe Religiöse, metrosexuelle Großstädter, Freigeister, Säkulare und sehr viele Einwanderer aus allen Ländern der Welt, die kein Wort hebräisch sprechen.
Israel betrachtet diese Diversität als Stärke, erkennt die unterschiedlichsten Talente. Die Zahal ist ein Integrationsverein, der nebenher die schlagkräftigste Armee der Welt, die bestausgebildeten Kämpfer und die zweifellos professionellsten Geheimdienste stellt.
Eine große ARTE-Dokumentation widmet sich dem Thema.
Wenn schon Armee, dann israelische Armee.
Aber unter Scharon und Netanjahu ist etwas fürchterlich kaputt gegangen.
Aus der humansten Armee der Welt wurde eine Kriegsverbrecherin.
[…] Fast jeden Tag werden Palästinenser getötet, nur weil sie um Hilfe anstehen. Erschossen von israelischen Soldaten oder Rockern, wer weiß das schon. Das Grauen ist Normalität geworden. Aufmerksamkeit schafft höchstens noch mehr Grauen. Und auch daran mangelt es ja nicht. Ein Chirurg der Universität Oxford erzählte kürzlich, dass Teenagern von israelischen Soldaten gezielt in die Hoden geschossen worden sei, als eine Art Zielübung. Gaza sei derzeit die „Hölle auf Erden“, schwante es selbst dem Bundesaußenminister Johann Wadephul am Dienstag. Wer dieses Höllenfeuer veranstaltet, blieb dagegen unklar, als sei es eine Art Naturgewalt, der durch nichts beizukommen sei. Schon gar nicht durch Sanktionen oder die Anerkennung eines Staates Palästinas. Fast zwei Jahre lang tobt der Krieg nun in Gaza. Was als berechtigte Verteidigung nach dem Terror der Hamas begann, hat sich zu einem endlosen Grauen entwickelt. Gaza wird in einer Reihe stehen mit Ruanda, Darfur, Srebrenica und dem Schicksal der Rohingya. Und es geht ja immer weiter. Gerade hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Sturm auf Gaza-Stadt befohlen, Hunderttausende Palästinenser wurden vertrieben, ohne zu wissen wohin, um die „letzte Bastion“ der Hamas zu stürmen. [….]
Bei Erwachsenen feuern Angehörige der Zahal als Schießübung in die Hoden. Kinder- und Babyleichen werden mit gezielten Kopfschüssen aufgelesen.
[…] Berichten zufolge sind seit Kriegsbeginn mehr als 50.000 Kinder getötet oder verletzt worden (Stand Juni 2025). Laut dem Jahresbericht des UN-Generalsekretärs über Kinder in bewaffneten Konflikten wurden allein im vergangenen Jahr, also 2024 mehr als 8.000 schwere Kinderrechtsverletzungen in Israel und Palästina dokumentiert – so viele wie in keiner anderen Region weltweit, seitdem der Überwachungsmechanismus für schwere Kinderrechtsverletzungen vor 20 Jahren eingerichtet wurde. [….]
(Unicef)
Immerhin, schon vor einem Jahr begannen Angehörige der Zahal zu Protestieren und sich zu verweigern.
[….] Max Kresch will nicht mehr kämpfen. Der drahtige 28-Jährige steht auf dem Vorplatz des Tel Aviver Kunstmuseums. Statt Uniform trägt er Jeans und T-Shirt, vor dem nächsten TV-Interview steckt er sich eine gelbe Schleife an den Kragen: das Symbol für die Forderung nach einer Rückkehr der von der Hamas entführten Geiseln. „Für dieses Land und diese Regierung bin ich nicht mehr bereit mein Leben zu opfern“, sagt er. Zusammen mit ihm haben 129 andere Reservisten und Wehrdienstleistende Anfang Oktober einen Brief unterschrieben, so lange nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, bis ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln und für ein Ende des Krieges geschlossen wird. Seitdem hört das Telefon von Max Kresch kaum noch auf zu klingeln.
Dass 130 Soldaten ihren Dienst verweigern, während die Kämpfe gegen die Hisbollah im Libanon immer mehr an Fahrt aufnehmen und ein Krieg mit dem Iran jederzeit beginnen könnte, das sorgt für Diskussionen in Israel. Israelische Medien haben Vorrang bei Interviewanfragen, sagt Kresch in sein Handy. „Wir wollen laut sein und widersprechen, in einer Zeit, in der viele es sich nicht trauen.“ […] Das bisherige Versagen der Regierung, die Geiseln zurückzubringen, sei nur „the straw that broke the camels back“, also in etwa: der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagt Kresch. Die Unterzeichner seien teils zermürbt von ihren Erlebnissen im Krieg, teils geschockt von der politischen Stimmung in ihren Einheiten oder auch schlicht desillusioniert von der Tatsache, dass das Ziel dieses Kriegs zunehmend schwer auszumachen scheint. „Wir, die wir mit Hingabe gedient und dabei unser Leben riskiert haben, geben hiermit bekannt, dass wir unseren Dienst nicht fortsetzen können“, schreiben sie. […]
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