Mittwoch, 18. Juni 2025

Gerontokratie

Ajatollah Ali Chamenei, seit 36 Jahren im Amt, ist 86, Trump 79 und Bibi 75. Putin, nach einem Vierteljahrhundert Amtszeit, „erst“ 72. Recep Tayyip Erdoğan, 71, klammert sich mit seit 22 Jahren als Ministerpräsident, bzw Präsident an den türkischen Chefposten.

Der frische neue Bundeskanzler ist (fast) 70, aber ganz offensichtlich auch schon so senil, daß er dauernd irgendeinen hanebüchenen Unsinn von sich gibt.

Als gerade noch GenX, hege ich natürlich haufenweise Vorurteile gegen Millennials, GenZ und GenAlpha, aber diese weißen, religiösen, cis-hetero Pimmel-Geronten fahren die Karre mal richtig in den Dreck.

Es gibt +90er, die geistig beeindruckend auf der Höhe sind, ihre Weisheit nutzen, um ständig dazu zu lernen und flexibel bleiben. Helmut Schmidt blieb genial bis er fast 97 Jahre alt war, Egon Bahr war noch mit 93 ein wichtiger SPD-Vordenker.

Margarete Mitscherlich praktizierte noch mit 94 Jahren, Hildegard Hamm-Brücher blieb gesellschaftlich engagiert bis sie 95 Jahre alt war, Charlotte Knobloch ist mit ihren 92 Jahren seit vier Dekaden die streitbare, aber beeindruckende Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Meine Lieblingsintellektuelle Marion Gräfin Dönhoff schrieb noch im Alter von 92 Jahren. Als der quirlige höchst unterhaltsamen Talkshowgast Peter Scholl-Latour 2014 überraschend starb, war man verwundert, weil er doch erst 90 war.

Jürgen Habermas prägt mit seinen 96 Jahren nach wie vor Debatten. Klaus von Dohnanyi wird in vier Tagen 97 Jahre und analysiert geostrategisch komplexe Fragen, wobei er zu dem Schluß kommt, der Klimaschutz sei das alles überragende globale Topthema. Die weltberühmte Cellistin, Aktivistin, Kettenraucherin und Mahnerin Anita Lasker-Wallfisch kündigt zu ihrem im Juli 2025 anstehenden 100. Geburtstag an, nun aus der ersten Reihe der Aktivisten zurückzutreten.

[…] Es ist eine ziemlich hoffnungslose Situation. Let’s face it. Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels.“ Sie macht eine kurze Pause. „Der Antisemitismus ist heute stärker, als er es jemals war. Die Situation ist schrecklich. Die Situation in Gaza ist schrecklich.“

Sie nestelt eine Zigarette aus der Packung, auf der mit einem drastischen Raucherbein vor den Folgen des Konsums gewarnt wird, nimmt einen tiefen Zug, ist sichtbar aufgebracht. Es ist ihre dritte Zigarette, seitdem man mit ihr im Wohnzimmer sitzt. „Ist es wichtig, ob jemand Jude ist? Man ist einfach ein Mensch. Wer hat sich ausgesucht, was er sein will? Ich wusste nicht, dass ich jüdisch bin, bis man mich angespuckt und dreckiger Jude genannt hat.“  [….]

(SZ, 13.06.2025)

Esther Bejarano, eine der von mir meistbewunderten Hamburgerinnen, starb 2021 mit 96 Jahren, hatte bis zuletzt, noch im Mai 2021 öffentlich ihre Forderung bekräftigt, daß der 8. Mai in Deutschland ein Feiertag werden soll. Die Widerstandskämpferin Freya Gräfin von Moltke engagierte sich intensiv bis fast zu ihrem 99. Geburtstag in der „Freya-von-Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau“ und  der Stiftung „Kreisau für Europäische Verständigung“. Am 13. April 2007 verstarb die Widerstandskämpferin Marion Gräfin Yorck von Wartenburg im Alter von 102 Jahren, die nach dem Ende des Nazi-Regimes 1952 als erste Frau in Deutschland Vorsitzende eines Schwurgerichts wurde und streng urteilte.

Henry Kissinger war mit 100 Jahren als gefragter Intellektueller in China unterwegs, Margot Friedländer beindruckte uns noch mit 103 Jahren als wichtige moralische Ikone. Georg Stefan Troller ist ebenfalls 103.

Aber das ist nun einmal nicht die Regel.

Deswegen faszinieren uns derart Hochbetagte so sehr. Viele Menschen haben Angst vor dem Tod und noch viel mehr haben Angst vor einem beschwerlichen Alter.

Anders als in den oben genannten Beispielen, sieht die Biologie für die allermeisten von uns einen sehr viel früheren Tod vor. Sofern doch nicht eine Pandemie oder ein Atomkrieg der ganzen Menschheit den Garaus machen sollte und wir über 70 oder gar über 80 Jahre alt werden sollten, wird das mit höchster Wahrscheinlichkeit physischen und/oder mentalen Verfall bedeuten. Alzheimer, Demenz, Immobilität und Abhängigkeit stehen uns bevor. Höchstwahrscheinlich auch üble Schmerzen. Das Ende wird eher „lange und leidend“, als „kurz und schmerzlos“. Weder „geistig fit, aber körperlich kaputt“, noch die Variante „physisch aktiv, aber gaga“ erscheinen attraktiv. Dem kann man nur durch einen sehr frühen Tod entgehen, oder man klammert sich an die mikroskopisch kleine Hoffnung, selbst zu denjenigen zu gehören, die noch hoch in den 90ern geistig fit und autark sind.

Tatsächlich kann man aber auch bei bester Pflege und optimaler medizinischer Versorgung, wie Joe Biden mit Mitte 70 schon schwer verwirrt sein, wie Einhundertundvier aussehen und dann mit knapp über 80 von schwersten Krankheiten getroffen sein. Donald Trump ist angesichts seiner extrem ungesunden Ernährung mit 79 Jahren noch erstaunlich gut auf den Beinen, wirkt physisch gelegentlich recht dynamisch. Mental ist jedoch seit Jahren Feierabend unter seinem platinbond-toupierten Schopf. Allerdings lässt sich das Einkicken der Senilität in seinem Fall schwer diagnostizieren, da er schon immer extrem borniert und dumm war.

Wenn alte garstige Männer, trotz ihrer offensichtlichen Unterqualifikation und globalen Schädlichkeit, an ihren Posten kleben, weil sie wie Bibi, Recep und Donnie anderenfalls in den Knast kämen, wie Putin ein Ende in Den Haag befürchten, oder wie Fritze Merz einfach ein persönliches Merkel-Ego-Trauma bewältigen müssen, haben wir ein offensichtliches Problem.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit steckte die Welt in deutlich weniger Schwierigkeiten, wenn statt der verbohrten Geronten Netanjahu und Chamenei, junge Frauen, wie Jacinda Ardern oder Sanna Marin amtierten. 

Aber die Wahrscheinlichkeit, daß im Iran eine junge liberale Frau als Oberbefehlshaberin und oberste Religionsführerin eingesetzt wird, ist sogar noch kleiner, als eine Frau als US-Präsidentin.

Und so hockt ein 86-Jähriger Greis in einem iranischen Bunker, von dem aus er tausende Oppositionelle hinrichten lässt und fürchtet sich vor einem 79-Jährigen Greis in Washington, der wegen seiner ausgeprägten Senilität und seines Small-Penis-Syndroms mit seiner MOAB prahlt.

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