Donnerstag, 19. September 2024

Die Illiberalen

Die Kinder von heute können sich das gar nicht mehr vorstellen, aber es gab in der alten Bundesrepublik eine längere Phase, insbesondere die 1970er Jahre, als die FDP eine großartige, moderne, spannende und mutige Partei war. Sie stand für Aufbruch, wagte sich als erstes an das Giga-Thema Umweltschutz und stand für eine völlig neue Ostpolitik ein. Sie war aber insbesondere in der Rechtspolitik eine linksliberale Kraft, die das Strafrecht entstaubte und für mehr Bürgerrechte eintrat. Die großartige Humanistische Union (HU)*, die für Säkularisierung eintrat, als noch

niemand wagte Staat und Kirche zu entkoppeln, war geprägt von FDP-Mitgliedern.

* Was ist die Humanistische Union?

Die Humanistische Union ist eine unabhängige Bürgerrechtsorganisation. Seit unserer Gründung 1961 setzen wir uns für den Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte ein. Im Mittelpunkt steht für uns die Achtung der Menschenwürde. Wir engagieren uns für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und wenden uns gegen jede unverhältnismäßige Einschränkung dieses Rechts durch Staat, Wirtschaft oder Kirchen.

Eine größtmögliche Verwirklichung von Menschenrechten und Freiheit ist an Bedingungen gebunden. Dazu gehören Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt.

Demokratische Teilhabe muss auch jenseits von Parteien und Wahlen gewährleistet sein. Es reicht nicht, wenn Rechte nur auf dem Papier stehen. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen auch radikale Meinungsäußerungen möglich sein.

Was will die Humanistische Union?

Verteidigung von Freiheitsrechten

    Erhalt von Rechtsstaatlichkeit auch in Krisenzeiten

    Kriminalpolitik, die nicht nur auf Gefängnisse setzt

Kontrolle staatlichen Handelns

    Abschaffung des geheimdienstlichen Verfassungsschutzes Stärkung des Datenschutzes

    Menschenwürdigere Haftbedingungen und Resozialisierung

Förderung politischer Partizipation

    Umfassende Informations- und Akteneinsichtsrechte

    Mehr direktdemokratische Beteiligungsrechte

Abbau von Diskriminierung

    Wirksamer Schutz vor Diskriminierung

    Aktive Förderung benachteiligter Gruppen

    Unterschiedslose Zugänglichkeit öffentlicher Orte

Trennung von Staat und Kirche

    Gleichberechtigung aller Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften

    Abschaffung staatlicher Kirchenprivilegien wie glaubensgebundenen Religionsunterricht als ordentliches Schulfach, Einzug der Kirchensteuer sowie weiterer Finanzierungshilfen.

Die FDP wählte man mit der entscheidenden Zweitstimme. Denn Zweitstimme ist Kanzlerstimme und das bedeutete SPD: Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Die Freiburger Thesen des Jahres 1971, im Wesentlichen mitgestaltet vom damaligen FDP-Vordenker und ersten Generalsekretär Karl-Hermann Flach, waren ein liberaler Meilenstein der Entwicklung der BRD. Die Modernität der FDP zeigte sich auch in der Präsenz großartiger Frauen, die in der öffentlichen Wahrnehmung eine enorme Rolle spielten. Hildegard Hamm-Brücher, Ingrid Matthäus-Maier, Helga Schuchardt konnte man nur bewundern.

Aber dann kam das große Verrat des Genschers, der seine für Schmidt abgegebenen Stimmen verwendete, um Birne Kohl zum Kanzler zu machen. Schuchardt und Matthäus-Maier gehörten zu denjenigen, die sofort aus Protest die FDP verließen. Hamm-Brücher sorgte für eine absolute Sternstunde des Parlamentarismus, als sie sich 1982 gegen das Vorgehen ihrer Partei verwahrte.

[…..] Es geht um die Grundfrage, ob die Abgeordneten einer Fraktion — insoweit sind nur wir betroffen —, die mit einer klaren Aussage für eine Koalition und gegen eine andere ein hohes Wahlergebnis erzielt haben, nach zwei Jahren entgegen diesem Versprechen einen Machtwechsel ohne vorheriges Wählervotum herbeiführen dürfen.

Für mich persönlich muß ich diese Frage nach langer und schwerer Gewissensprüfung mit einem klaren Nein beantworten. […..] Ich bedauere zutiefst, daß der politische Liberalismus, dem ich wie Wolfgang Mischnick seit fast 35 Jahren mit Kopf und Herz verbunden bin, über diesen Konflikt in eine so schwere Existenzkrise geraten ist, und ich werde alles in meinen Kräften Stehende versuchen, daß wir diese Krise überstehen.

Auch deshalb stehe ich heute hier. Aber nicht nur das. Der Vorgang, den heute jeder Bürger vor dem Fernsehschirm miterleben kann, ist mehr als nur ein liberaler Familienkrach für oder gegen einen Machtwechsel. Er betrifft das Ansehen unseres Parlaments, der parlamentarischen Demokratie überhaupt. Hier liegt, verehrte Kollegen, der zweite Grund für meine persönliche Wortmeldung.
Wir alle beklagen ja gemeinsam den Vertrauensschwund, vor allem bei der jungen Generation, und wir alle denken darüber nach, wie wir das ändern können, und wir alle haben die Pflicht, daraus dann auch Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube, wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, wie wenig gefestigt unsere Demokratie immer noch ist und wie wenig überzeugend es für unsere Bürger ist, wenn in unserem Parlament immer nur vorgestanzte Partei- und Fraktionsmeinungen vom Blatt gelesen werden.
[…..] Aus diesem Grunde möchte ich stellvertretend für viele Freunde und Mitbürger erklären, daß nach meiner Überzeugung der Weg über das Mißtrauensvotum zwar neue Mehrheiten, aber kein neues Vertrauen in diese Mehrheiten schafft. Dies wird sich, so fürchte ich, um so abträglicher auswirken, als das, wie sich herausstellt, ungeprüft gegebene Wahlversprechen für den Monat März nächsten Jahres offenbar nicht eingehalten werden kann.
Der dritte Grund für meine Wortmeldung ist ein offener Protest gegen das, was man da von mir verlangt. Ich würde es übrigens im umgekehrten Verhalten, Herr Kollege Kohl, nicht anders halten. Ganz gewiß sind Koalitionen für mich kein Dogma und ganz sicher auch nicht die Koalition zwischen Sozial- und Freien Demokraten, die während 13 Jahren der Zusammenarbeit unbestritten heute auch Verschleißerscheinungen und Defizite aufweist. Die Diskussion hat das ja offenkundig gemacht. Dennoch, Kolleginnen und Kollegen, vermag ich dem Kanzler dieser Koalitionsregierung nicht das Mißtrauen auszusprechen, nachdem ich ihm doch erst vor ganz wenigen Monaten das Vertrauen ausgesprochen habe. Auch kann ich doch nicht ihm allein das Mißtrauen für seine Regierungstätigkeit aussprechen und unsere eigenen vier Minister, ja mich selber dabei aussparen. Ich kann dem Bundeskanzler nicht mein Mißtrauen aussprechen, nachdem ich noch bis vor zwei Wochen mit ihm und seinen Ministern, mit meinen Kollegen uneingeschränkt, loyal und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe,
[…..] Ich finde, daß beide dies nicht verdient haben, Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen. […..] Zweifellos sind die beiden sich bedingenden Vorgänge verfassungskonform. Aber sie haben nach meinem Empfinden doch das Odium des verletzten demokratischen Anstands. Sie beschädigen — und das entnehme ich so vielen Zuschriften sehr ernsthafter Menschen in diesem Jahr — quasi — —

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wir haben doch auch Wähler, gnädige Frau!)

— Für Sie, Herr Kollege Jenninger, mag das auch gar nicht so relevant sein, wie das für uns in unserer Gewissensentscheidung ist.

Diese beiden Vorgänge haben nach meinem Empfinden also das Odium des verletzten demokratischen Anstands. Sie beschädigen quasi die moralisch-sittliche Integrität von Machtwechseln. […..]

(MdB Hildegard Hamm-Brücher, 01.10.1982)

Der bis dahin ausgesprochen linksliberale Hamburger FDP-Landesverband verlor in einer Woche beinahe die Hälfte seiner knapp 2.000 Mitglieder, die schnell von einer MM-Eintrittswelle (Makler und Maurer) ersetzt wurden und eine ganze Landespartei von links auf stramm rechts umkrempelte.

Nach 1982 verblieben nur noch wenige Liberale in der FDP: Gerhard Baum, Burkhard Hirsch, Sabine Leutheusser-Schnarrenberg und eben Hamm-Brücher.

Leutheusser-Schnarrenberger, ab 1992 Kohls Justizministerin, zeigte ein letztes mal das alte FDP-Rückgrat, als sie am 17. Januar 1996 aus Protest gegen die Einführung des sogenannten „Großen Lauschangriffs“ als Ministerin zurücktrat.

Ich erinnere mich noch gut wie fassungslos ich auf den FDP-Erfolg von 2002 reagierte, als Westerwelle und Möllemann so sehr die Antisemitismuskarte spielten, daß sie Hildegard Hamm-Brücher, die Vorzeige-Liberale, nach 54 Jahren aus der Partei trieben.

In den vergangenen zwei Dekaden trieben Westerwelle, Rösler und Lindner der FDP auch noch den allerletzten Funken liberalen Rechtsverständnisses aus. Heute sind die Hepatitisgelben eine reine Mietpartei der Superreichen-Lobby, die danach trachten, von unten nach oben umzuverteilen.

Gesellschaftlich tickt die Porschepartei als diametrales Gegenteil des Geistes von Freiburg. Sie hetzt gegen Minderheiten, biedert sich bei Rechtsaußenparteien an, schleift bei jeder Gelegenheit den Rechtsstaat, mauschelt mit den Kirchen und verbreitet durchaus auch schwurbeliges Pegida-Gedankengut. Abgeordnete, wie Wolfgang Kubicki und Frank Schäffler agieren offen gegen das Grundgesetz.

Einst despektierlich als Wurmfortsatz der CDUCSU beschimpft, setzt die Kemmerich-FDP eigene Duftmarken im AfD-Territorium.

[…..] FDP-Generalsekretär biedert sich bei Bundestagsrede der Union an: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai unterstützte Merz bei dieser Debatte. 

Er sagte: „Wir als FDP stehen Ihnen weitaus näher als unsere geschätzten Kollegen in der Koalition.“ 


Djir-Sarai, der von einigen in der FDP bereits als neuer Parteichef ins Gespräch gebracht wurde, überrascht mit einem Abgesang auf die Ampel und behauptete, es gäbe keine Ampel in der Migrationspolitik.
[….]

(Merkur, 11.09.2024)

Da ist rein gar nichts Liberales mehr an den „Liberalen“.


[…]   Wolfgang Kubicki, stellvertretender Bundeschef der FDP, zeigt sich offen dafür, das Asylrecht abzuschaffen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte zuvor dem »Handelsblatt« gesagt, das individuelle Recht auf Asyl sei im Grundgesetz nicht mehr nötig, weil es Schutz für verfolgte Menschen nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention gebe. Diese könne dann als Institutsgarantie im Grundgesetz verankert werden.

 

Dazu sagte Kubicki der Zeitung:  »Ich halte diesen Vorschlag jedenfalls nicht von vornherein für falsch oder indiskutabel. Wir haben immer gesagt, dass wir über sachdienliche Vorschläge, die nur mit einer Verfassungsänderung umsetzbar sind, diskutieren werden.« […..] Bisher hatte die FDP zwar mehrfach Änderungen und eine Verschärfung des Asylrechtes gefordert, das individuelle Recht auf Asyl, wie es im Grundgesetz steht, jedoch nicht infrage gestellt.

Dass sich die FDP jetzt so offen gegenüber Änderungen von Artikeln des Grundgesetzes zeigt, ist neu. Noch im Juli hatte die FDP etwa argumentiert, die Schuldenbremse ließe sich nicht abschaffen, weil sie im Grundgesetz steht. Damals hatte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr gesagt: »Es geht darum, dass wir uns an das halten, was im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland steht. Und da steht die Schuldenbremse drin.«

Auch den Vorschlag von Brandenburgs Innenminister Stübgen, die Beziehungen zu Syrien zu normalisieren, begrüßte Kubicki: »Wir müssen uns grundsätzlich von dem infantilen Gedanken verabschieden, dass wir unsere Interessen im Ausland angemessen vertreten können, indem wir ausschließlich mit demokratischen Staaten reden.«  [….]

(SPON, 19.09.2024)

Die Bundestags-FDP ist nicht nur genauso rechts wie die CDU, sondern auch genauso unseriös, wie die AfD.

Ihre Minister fügen diesem Land schweren Schaden zu.

Der einzige Trost am mutmaßlichen Ende der Scholz-Kanzlerschaft im Jahr 2025 und der Amtsübernahme des rechtsradikalen Fritz Merz, ist der damit parallel stattfindende endgültige Untergang der FDP, die dann aus allen deutschen Parlamenten verschwindet.

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