Mittwoch, 15. Mai 2024

Basisversagen

Keine Weltorganisation ist so ultra-zentralistisch aufgebaut, wie die Katholische Kirche. Die 4.000 Bischöfe der 1,4 Milliarden Mitglieder wurden alle vom ultrakonservativen Vatikan ausgesucht.

Das bedeutet für ein vergleichsweise liberales Episkopat wie Deutschland, daß die Führungsfiguren der 27 Bistümer tendenziell eher Arschgeigen sind, für die sich die Schäfchen oft schämen, weil ihnen Meisner, TVE oder Woelki aus Rom gegen ihren Willen, vor die Nase gesetzt wurden.

Das Kirchenvolk hat die Chefs nicht ausgewählt und entwickelt daher im Zweifelsfall auch weniger Elan, die Eminenzen und Exzellenzen zu verteidigen.

Metropolit Woelki ist unbeliebter als Mundfäule; daher wird er in seinen eigenen Kirchen ausgeladen. Niemand will von ihm gefirmt oder verheiratet werden. Seit Canisius 2010 staute sich enorm viel Frust und Wut an. Hochengagierte Katholiken treten aus Protest gegen die DBK aus; innerkirchliche Reformbewegungen - Kirchenvolks-Begehren, Maria 2.0, synodaler Weg – haben enormen Zulauf.

Die deutschen Protestanten verwalten sich selbst. Sie wählen ihre Bischöfe und suchen ihre obersten Repräsentanten selbst aus.

Das hat zur Folge, daß Käßmann, Kurschuss oder Fehrs innerhalb ihres eigenen Vereins nie so unbeliebt wie Meisner, Mixa oder Müller waren.

Die Beißhemmungen sind viel größer, man begehrt nicht so leicht gegen die nette Bischöfin auf, die man sich selbst ausgesucht hat. Es geht etwas demokratischer zu. Die EKD würde es „solidarisch“ nennen.

Aber auch das System hat Nachteile, wenn es darum geht Verantwortung zu übernehmen. Man kann Verantwortung und Schuld wesentlich schlechter anderen in die Schuhe schieben, ohne sich selbst zu belasten.

Zu blöd also, daß nach 14-Jähriger Unterdrückung, mit 14-Jähriger Verspätung auf die Katholischen Brüder, eingeräumt werden musste, daß die evangelischen Geistlichen unter Zudrückung alle Augen, inklusive Hühneraugen, der Vorgesetzten, ebenfalls tausende Kinder sexuell missbraucht hatten.

Blamable 14 Jahre nach den Katholiken, befassen sich die Protestanten mit ihrer Missbrauchsgeschichte. Eine aktuelle Studie zeigt nur eine kleine Spitze des Eisbergs, weil sich viele evangelische Bistümer weigerten Akten rauszugeben. Sie treten lieber weiter die Opfer mit Füßen, um die Täter zu schützen. Das ist die EKD 2024.

[….] Das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte Forscherteam hat am Donnerstag in Hannover die erste große bundesweite Studie - 880 Seiten lang - zu sexuellem Missbrauch in evangelischer Kirche und Diakonie vorgestellt. In dem Dokument wird von mindestens 2225 Betroffenen und 1259 mutmaßlichen Tätern gesprochen, untersucht wurde der Zeitraum seit 1946. Das ist laut den Forschern jedoch nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs". Es ist ein Erdbeben heftigster Stärke für die EKD. "Die evangelische Kirche und die Diakonie steht erst am Anfang ihrer Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt", sagt Studienleiter Martin Wazlawik.  […..]

(SZ, 25.01.2024)

Die frommen evangelischen Bischöfinnen, mit denen sich Politiker jeder Couleur so gern schmücken, sind moralisch keinen Deut besser, als die Woelki oder TVE.

Myriaden Kinder, die von Angehörigen der evangelischen Kirche bestialisch gequält wurden? Dazu verhält sich das protestantische Kirchenvolk mit einem klaren IST UNS DOCH VÖLLIG EGAL, WAS MIT DEN BÄLGERN GESCHAH!

[…..] Anders als nach Veröffentlichung der MHG-Studie ist aber die große Empörung über die Taten in der evangelischen Kirche bislang ausgeblieben, auch die Resonanz an der Kirchenbasis ist mäßig. Es habe von evangelischen Gemeinden - anders als bei katholischen - kaum Reaktionen auf die Ergebnisse der Forum-Studie gegeben, sagte etwa der Mitautor und Historiker Thomas Großbölting im April bei einer Online-Veranstaltung des Dekanats Fürth. Zugeschaltet waren dem Evangelischen Pressedienst zufolge nur 25 Teilnehmer.

Es sei ein hartes, schmerzliches und beschämendes Thema, sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD und Autor eines Buches zu Missbrauch in der evangelischen Kirche. "Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche lässt sich nicht als antiautoritärer Protest gestalten und abreagieren", so Claussen. "Denn hier geht es nicht um etwas, das nur einer bestimmten Kaste vorgeworfen werden könnte. Schuldig kann jeder werden: Pfarrer, Mitarbeitende, Ehrenamtliche, jugendliche Teamer, in der Diakonie sogar ziemlich viele Frauen." Dies gelte auch für den Umgang Kirchenleitender mit Tätern und Taten: Keiner, der länger im Dienst sei, würde von sich behaupten, früher alles richtig gemacht zu haben.  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

Da kann man es nicht wegdrücken an Woelki und Ackermann. Also zeigt gleich die gesamte protestantische Glaubensgemeinschaft den Opfern den Mittelfinger.

Und es ist schließlich auch ehrlicher, sich kollektiv zu bekennen: Wir sind eine Täterorganisation, die kein Interesse daran hat, das Kinderfic**n einzustellen, oder Strukturen zu verändern, die Pädo-Kriminelle dazu einladen, im Schutze der protestantischen Kirchen ungehindert Kinder zu quälen, zu schlagen und zu missbrauchen.

[…..] Detlev Zander, Betroffenensprecher des "Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt" bei der EKD sagte, vor der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) Ende April habe er sich anhören müssen, was das Thema da schon wieder solle. Die bayerische Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel sagte auf der Landessynode, "wir werden wachsam bleiben" und "neu aufmerksam werden" - so als sei die Kirche immer schon wachsam gewesen. Kaum ein Wort verlor sie in ihrer Rede über eine Aufarbeitung vergangener Taten und die Übernahme von Verantwortung. "Prävention ist keine Aufarbeitung", sagt hingegen Detlev Zander.  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

Ein schöner Persilschein der Basis für die Kirchenfürsten. Die können sich gleich selbst freisprechen und jegliche persönlichen Konsequenzen ablehnen. Zum Beispiel das ehemalige Käßmann-Bistum Hannover, aus dem die wegen Missbrauchsvertuschungen zurückgetretene ehemalige EKD-Chefin Kurschuss stammt. Ein Diakon der Gemeinde Oesede im Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte hatte mindestens acht Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht. 2010 wurden erstmals Meldungen dazu an die Bistumsleitung gemacht. Kein Bischof reagierte.

[…..] Betroffene forderten Landesbischof Ralf Meister zum Rücktritt auf. Er räumte Fehler ein: "Ich habe mit dazu beigetragen, dass Betroffene weiterhin nicht angemessen gehört wurden", sagte er. Einen Rücktritt lehnte er jedoch "nach Abwägung und Gewissensprüfung" ab, so Meister: "Was verändert sich durch einen Rücktritt mit Blick auf die Gesamtlage der Kirche, die dieses als ein zentrales und absolut brutales Versagen ihres eigenen Handelns sieht, dies aber nicht als einziges Thema der Kirche hat?".  [….]

(Annette Zoch, SZ, 14.05.2024)

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