Sonntag, 3. Mai 2020

Nicht weiter so


Gemessen an den kriminell-tödlichen Schreihälsen in Brasilia, London oder Washington ist es ganz schön eine Bundeskanzlerin zu haben, die in ganzen Sätzen sprechen kann und die im Gegensatz zu Beispielsweise Ministerpräsident Laschet auch weiß was ein „R-Wert“ ist.

Quelle: "Spiegel" Nr. 19 vom 2.5.2020, S.26

Kein Journalist im deutschen Sprachraum schreibt über den erratisch lügenden Trump und seine vollkommen irren Presse-Rallies, ohne im Angela Merkels moderierende Methode lobend zu erwähnen.
„Moderierend“ ist ihr signature-move, um es neudeutsch auszudrücken.
Der Terminus ist insofern passend, daß die Kanzlerin tatsächlich allgemeine Ruhe bevorzugt und aufbrausende Charaktere wie Johnson, Erdoğan, Berlusconi, Seehofer oder Trump gern an sich abtropfen lässt, indem sie deren Attacken stoisch ignoriert und zumindest öffentlich vollkommen unfähig ist zu schmollen, beleidigt zu sein oder Ehrverletzungen zu fühlen.
Typischerweise wendet sie sich bei den nun so üblichen Bund-Länder-Konferenzen an sachorientierte, ruhige, kompetente Player wie Tschentscher und Scholz, während sie ADHS-Armin wie ein Kindergarten-Blag nach einem Pfund Zucker unter die stille Treppe stellt.
Diese moderierende Merkel-Methode (MMM) ist sehr nützlich, wenn man beispielsweise als Mediatorin für frisch zerstrittene Scheidungspaare arbeitet. Oder es als Kindergärtnerin mit zu vielen verhaltensauffälligen Gören zu tun hat.
Während andere Kindergärtnerinnen darüber Burnout und Depressionen entwickeln, würde Merkel den Job einfach aussitzen.

Tatsächlich ist Angela Merkel allerdings Bundeskanzlerin und entschied sich damit für einen wesentlich verantwortungsvolleren Job.
Die Wähler mögen „moderierend“ und wählen sie gerade wegen MMM immer wieder. Tritt sie von dem Rücktritt 2021 zurück, könnte sie locker auch noch zehn Jahre weiter amtieren.
Während Laschet, AKK, Schulz, Nahles, Merz und Co sich so sehr aufregen, daß sie allesamt beweisen viel zu kleine Füße für die Bundeskanzlerschuhe zu haben, könnte Merkel einfach vor sich hindämmern.
Diese Rolle ist ihr auf den Leib geschrieben. Das sieht man insbesondere seit Annegret Kramp-Karrenbauer im Dezember 2018 CDU-Bundesvorsitzende wurde.
Merkel tauchte bei allen innenpolitischen Fragen endgültig ab. Sie hielt sich aus allem raus, sagte kein Wort mehr zu den Landtagswahlen, gab keine Kommentare zu ihrer Partei ab, war manchmal wochenlang überhaupt nicht mehr zu sehen. Ob sie dabei auf ausgedehnten Afrikareisen war oder in der Uckermark Kartoffelsuppe kochte, merkte das Merkel-Volk gar nicht.
Nach anderthalb Jahren Bundesvorsitz ist AKK inzwischen erledigt, Merkels möglicher Nach-Nachfolger Laschet erledigt sich ebenfalls schon selbst und ausgerechnet ihr langjähriger Erzfeind Seehofer, der spätestens ab 2015 alles unternahm, um Merkel zu schaden, empfiehlt ihr nun eine fünfte Amtszeit anzustreben.

MMM ist also hervorragend geeignet zum persönlichen und parteipolitischen Machterhalt.
Für Deutschlands Zukunft ist MMM allerdings ganz großer Mist, da „moderierend“ in der Praxis auch bedeutet dreisten Lobbyforderungen immer nachzugeben, alle notwendigen Reformen zu verschlafen, keine Weichen zu stellen und die Zukunftsfähigkeit zu verspielen.

Derzeit wird intensiv darüber diskutiert wann und unter welchen Umständen die Kinder wieder in die Schule können. Dabei wird ernsthaft empfohlen Seife und Handtücher mitzunehmen, da die hygienischen Verhältnisse in deutschen Schulen so mangelhaft sind, daß außer kaltem Wasser in vollkommen verdreckten Klos gar nicht geboten wird.
Das fällt nicht vom Himmel, sondern wird seit vielen Jahren immer wieder in großen Kampagnen, Reportagen und Büchern angeprangert. In ihren 15 Jahren Kanzlerschaft veranstaltete Merkel daher auch schon viele Bildungsgipfel, auf denen sie moderierte.
Sie erzielte aber nie Ergebnisse, weil sie einerseits selbst keine Idee von der Zukunft der deutschen Bildung hat und andererseits nie die Energie aufbrachte, das Grundproblem der föderalen Zuständigkeiten anzupacken.

Entsprechendes lässt sich auch über Klimapolitik, erneuerbare Energien, Infrastruktur, schnelles Internet, Steuersystem und Alterssicherung sagen.
Es gab allerlei Gipfel und sehr viel Merkelsche Moderation, aber nie Ergebnisse, weil sie nicht entschieden wollte und nie die Kraft entwickelte etwas Gefordertes auch durchzusetzen.

Die Automobilkonzerne wünschen sich jetzt eine neue staatliche Abwrackprämie.
Aber ökologisch betrachtet geht das nicht, da BMW, Mercedes und VW am langen lockeren Arm der Auto-Lobbyisten aus Merkels Kanzleramt alle modernen Techniken verschlafen haben.

„Merkel kann Krise“ heißt es jetzt wieder überall. Aber das ist falsch. Nur weil sie während des Corona-Peaks nicht debakuliert wie Trump, ist sie noch lange nicht in der Lage nun die einmalige Gelegenheit zu nutzen, um seit mindestens einer Dekade überfällige Zukunftsentscheidungen zu treffen, geschweige denn diese auch durchzusetzen.

[….] Wenn das Haus voll Was­ser läuft, muss erst ein­mal der Kel­ler leer ge­pumpt wer­den. Aber dann? Wenn die Schä­den be­sich­tigt sind, baut man das Ei­gen­heim dann ex­akt wie­der auf, wie es war? Mit un­dich­ten Fens­tern und Ölhei­zung? In der Hoff­nung, die alte Mu­cke­lig­keit kommt mit den al­ten Mö­beln zu­rück?

Die Po­li­tik re­agiert ge­ra­de ge­nau so. Mit der wie­der­be­leb­ten Idee ei­ner Ab­wrack­prä­mie, da­mit die Deut­schen in die Au­to­häu­ser lau­fen und VW, BMW und Mer­ce­des kau­fen, egal ob Elek­tro­mo­to­ren oder Kli­ma­kil­ler un­ter der Hau­be ste­cken. Mit Ret­tungs­mil­li­ar­den für Luft­han­sa und für TUI, egal ob der Mas­sen­tou­ris­mus mit am meis­ten zur Um­welt­zer­stö­rung bei­trägt. Was kommt als Nächs­tes? Eine Prä­mie für Plas­tik­tü­ten? Frei­flü­ge? […..]
(SPIEGEL-Leitartikel, 02.05.2020)

Kann es ernsthaft eine Option sein nach Corona einfach zu den verschlafenen Uralt-Techniken zurück zu kehren?
Aber Tranquilizer-Merkel scheint entschlossen zu sein auch diesmal auf Arbeitsverweigerung zu setzen und will anders als alle Vorgänger partout keine Initiativen ergreifen. Schon gar nicht international.
Dabei ist gerade durch Corona mehr als offensichtlich geworden, welchen gewaltigen Schaden Spahns und Merkels Desinteresse an den Strukturen irgendetwas zu ändern Deutschland schadet.
Wollen wir sofort wieder in den Dämmerschlaf verfallen und uns lethargisch in chinesische Abhängigkeit begeben?

[….] Diese Virus-Krise ist ein guter Zeitpunkt für die Frage, wofür Unternehmen da sind. Sind sie allein den Interessen ihrer Aktionäre verpflichtet? Sollten sie sich auch für Belange interessieren, die außerhalb ihrer eigenen Bilanz liegen, und sich auch um Interessen anderer kümmern, um die Mitarbeiter, um einen fairen Umgang mit Lieferanten, um die Gesellschaft drum herum und nicht zuletzt um Klima und Umwelt? Schon nach der Finanzkrise vor mehr als zehn Jahren war der Turbo-Kapitalismus mit seinen Superrenditen für Konzerne in schwere Kritik geraten, und die Frage wurde aufgeworfen, ob diese Wirtschaftsordnung ausreichend den Menschen dient. Jetzt kommt die Frage wieder.
Warum kann diese Marktwirtschaft hohe Gewinne und Börsenkurse erzeugen, aber warum kriegt sie es nicht hin, der reichsten Industrienation in Europa dringend benötigte medizinische Geräte zur Verfügung zu stellen? Warum ist die Industrie dieses Landes so abhängig von ausländischen Zulieferprodukten, dass viele Fabriken sofort stillstehen, wenn die Grenzen wegen einer Epidemie geschlossen werden müssen?
Offenbar hat das Shareholder-Value-Denken, wie das betonte Profit- und Kostendenken der Unternehmen genannt wird, fragwürdige Seiten. Es reicht nicht, wenn Manager nur daran gemessen werden, wie stark sie die Kosten senken und einen Börsenkurs in die Höhe treiben. […..]

Nun, da die grandiosen deutschen Manager, die nicht für genügend Masken, Desinfektionsmittel sorgen können, nicht in der Lage sind ein vernünftiges Elektroauto herzustellen, geschweige denn dazu fähig wären so etwas wie ein Smartphone herzustellen – von Großprojekten rede ich erst gar nicht – allesamt so auf die Nase gefallen sind, daß sie hunderte Milliarden Steuergelder – VON UNS ALLEN  wollen, muss die Bundesregierung verdammt noch mal strenge Vorgaben entwickeln, die keine vagen Absichtserklärungen à la Klöckner sind (die auch 2020 noch Glyphosat, Ferkelkastration ohne Betäubung und Kükenschreddern großzügig erlaubt).
Jetzt hat die Kanzlerin zu regieren und durchzugreifen. Steuermilliarden bekommen die Software-Betrüger-Autobosse, die selbst aber keine Steuern zahlen, selbstverständlich nur, wenn sie die Ruder vollständig umlegen und Schluss machen mit ihrer Technik der Riesenverbrenner aus dem letzten Jahrtausend.

Wie viele Jahre diskutieren wir schon über die Energiewende?
Wie lange will Merkel noch alles laufen lassen, den Lobbyisten freie Hand lassen und Deutschland um Jahrzehnte hinter Asien zurück fallen lassen?
Nun ist der ganz große Masterplan gefordert, bei dem ein(e) starke(r) Kanzler(in) fest die Zügel in die Hand nimmt, die Industrie zu ganz neuen Strategien verdonnert. Den Pharmakonzernen Vorgaben für eine medikamentöse Grundversorgung diktiert, erneuerbare Energien tatsächlich einführt und verdammt noch mal endlich eine digitale Infrastruktur schafft, so daß Deutschlands Internet nicht mehr lahmer als das Albanische ist.
Moderieren nützt da gar nichts.

[…..] Es wäre doch end­lich an der Zeit, dass der Staat die Be­din­gun­gen schafft für eine neue Form des Wirt­schaf­tens. In­dem er Kon­sum be­lohnt, der kli­ma­freund­lich ist. In­dem er In­no­va­tio­nen för­dert, die die­sen Kon­sum mög­lich ma­chen. In­dem er end­lich die En­er­gie­wen­de ernst­haft in An­griff nimmt, die Ver­kehrs­wen­de und all die an­de­ren Wen­den, die seit Jah­ren ver­spro­chen und dann in Ar­beits­krei­se ver­la­gert wer­den, wo sie un­ter dem Ein­fluss der Lob­by­grup­pen auf die Grö­ße ei­nes Ak­ten­de­ckels schrump­fen. Und wo, um nur ein Bei­spiel zu nen­nen, ein Jahr­hun­dert­pro­jekt wie die En­er­gie­wen­de an der Fra­ge zer­brö­selt, wie viel Ab­stand zu ei­nem Wind­rad dem Bür­ger zu­zu­mu­ten ist.
[…..] Der Job des Staa­tes ist der des gro­ßen Len­kers, und er ist es mehr denn je. Er zeigt ja ge­ra­de, wel­che Kraft er hat, und er muss, wenn er ernst ge­nom­men wer­den will, die­se Macht­fül­le nicht nur ein­set­zen, wenn es um die Fol­gen ei­ner Na­tur­ge­walt wie die­ser Pan­de­mie geht, son­dern auch wenn sie Kli­ma­wan­del heißt. War­um also legt die Re­gie­rung nicht end­lich ein­fach den Schal­ter um? [….]

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