Oftmals
denke ich so radikal pragmatisch, daß ich sehr linke politische Ansichten nur
noch als Hilfe für die politische Rechte ansehe.
Wer wie
die französischen Sozialisten unter François Hollande 95% Vermögenssteuer
fordert, überzieht vermutlich und bekommt so viel Widerstand, daß an Ende
gar keine Vermögenssteuer eingeführt wird.
Was
nützen radikale Maximalforderungen, wenn man damit machtlos in der Opposition
sitzt? Ist es nicht besser kompromissbereit zu sein und „der Wirtschaft“
entgegen zu kommen, so daß man wenigstens ein paar linke Wünsche durchsetzen
kann?
In den
USA ist das Elend besonders groß, da die Demokraten für meinen Geschmack viel
zu rechts sind.
Ich
wünsche mir demokratische Kandidaten, die klar als Atheisten auftreten, die
nicht pathetisch von „greatest country of all“ sprechen, die es wagen das
Militär radikal zu beschneiden, Waffen verbieten, das Homeschooling abschaffen
und eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherungspflicht einführen.
Allerdings
wird so eine Person nicht die geringste Chance haben überhaupt als Kandidat
nominiert zu werden.
Rep. Joe
Kennedy (D-MA) wird auch vom USA-pathos erfasst, beendet seine Rede mit „god
bless America!“. Für mich ist das blanke Idiotie. Aber so muss man eben reden,
wenn man überhaupt Chancen in der amerikanischen Politik haben will.
Wer weiß
schon, ob Hillary Clinton oder Barack Obama wirklich an Jesus glauben.
Sie sind
beide recht intelligent, also spricht einiges dafür, daß sie den christlichen Unsinn
nicht glauben. Aber es ist eben intelligent nicht zuzugeben, daß man Atheist
ist, wenn man zum US-Präsident gewählt werden möchte.
Ein
bißchen mit Wirtschaftslobbyisten zu kungeln, ein wenig auf konservative
Christen zuzugehen, muss in Amerika also nicht bedeuten nicht links zu sein.
Das kann auch ein Ausweis von Klugheit sein.
In
Deutschland sind wir ein wenig weiter.
Der
überzeugte Atheist Gerhard Schröder wurde zweimal zum Bundeskanzler gewählt;
sein Vizekanzler Joschka Fischer brachte es als ebenso überzeugter Atheist zum
beliebtesten deutschen Politiker.
Für
deutsche Verhältnisse war die rotgrüne Bundesregierung allerdings nicht
besonders links, auch wenn nie linkere Parteien eine Koalition auf Bundesebene
bildeten.
Aber
Schröder gab sich als „Genosse der Bosse“, hatte ein Ohr für die Autoindustrie
und sein „schwarzer Scheriff“ Otto Schily drückte so knallharte
Sicherheitsgesetze durch, daß Beckstein ihn kaum noch überfordern konnte.
Das pure
Grauen für liberale Bürgerrechtler und Jusos.
Ich bin
aber immer noch überzeugt, daß nach 9/11 ohne Schily 2002 Edmund Stoiber
Bundeskanzler geworden wäre.
Also war
es letztendlich doch links, daß Schily rechts war.
Aber mal
Taktik beiseite; was unterscheidet links und rechts?
Früher
galt einmal, Linke strebten nach Veränderungen, wollten Verbote niederreißen,
während Rechte (=Konservative) das Bestehende zementieren wollten.
Inzwischen
müssen aber Konservative manchmal sehr modern sein, radikal auf wirtschaftliche
Innovationen setzen, weil das ihrer Meinung nach erforderlich ist, um den
Wohlstand zu erhalten. Umgekehrt setzen Linke auf Bestehendes, wenn sie beispielsweise
im Sinne des Umweltschutzes technologische Möglichkeiten verbieten und das
Wachstum zügeln. Andererseits sind „linke Techniken“ wie regenerative Energien
heute größere ökonomische Faktoren, als die „rechten Lieblinge“ wie
Verbrennungsmotoren und Atomkraftwerke.
Da
verschwimmt einiges, wenn man Links und Rechts wirtschaftlich definieren möchte.
Für mich
ist der Unterschied zwischen links und rechts die generelle Stoßrichtung.
Links
kämpft für die Schwachen, Rechts kämpft für die Starken.
Das gilt
nicht nur politisch, sondern beispielsweise auch für den Terrorismus.
Rechte
Terroristen ermorden die Schwächsten der Gesellschaft, rechte Hetzer pöbeln
gegen Minderheiten: Schwule, Flüchtlinge, Behinderte, Obdachlose.
Linke
Terroristen legen sich mit den Stärksten der Gesellschaft an, dem Militär,
Bankdirektoren, Toppolitiker.
Von
einer linken Partei wie der SPD erwarte ich, daß sie sich im Zweifelsfall immer
für die Schwächsten einsetzt und mit ihnen gegen die Mächtigsten kämpft.
Was
qualifiziert Andrea Nahles nun dazu innerhalb der SPD als links angesehen zu
werden?
Nun, sie
hat einiges dafür getan als Ikone des sehr linken Gewissens der SPD
wahrgenommen zu werden.
Sie
gründete 2000 das Forum Demokratische Linke 21, den
Nachfolgeverein, des „Frankfurter Kreises“, der sie Linken in der SPD bündeln
sollte und blieb acht Jahre DL21-Vorsitzende.
2014
trat sie aus, weil sie als Ministerin im Sinne der Arbeitgeber großzügige
Ausnahmen beim Mindestlohn zuließ.
Heute
kämpft das DL 21 gegen die einstige Vorsitzende und argumentiert
scharf gegen die neue Groko.
Nahles
war (ist?) Mitglied der Denkfabrik in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich als
Forum für junge und linke SPD-Abgeordnete versteht.
[….] Die DENKFABRIK existiert seit Sommer 2004.
Wir – Abgeordnete und MitarbeiterInnen – haben sie ins Leben gerufen, weil wir
einen Raum schaffen wollten, in dem Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
ungeschminkt und abseits der Schnelligkeit von Tagespolitik diskutieren können.
Wir verstehen die DENKFABRIK als kreativen Impulsgeber innerhalb der SPD und
sehen uns in einer besonderen Verantwortung, unseren Beitrag zur Stärkung des
sozialdemokratischen Profils und zur Zukunftsfähigkeit der SPD zu leisten. [….] Vielfältig sind unsere Vorstellungen
darüber, wie unsere Gesellschaft einmal aussehen könnte und vor allem auch,
welche politischen Werte uns bewegen. Darüber diskutieren wir auch gemeinsam
mit Politikerinnen und Politikern der Grünen, der SPD sowie der Linken.
Resultate dieses #r2g Diskurses stellen wir regelmäßig vor. Wir sehen viele
programmatische Überschneidungen. [….]
Dort
soll Nahles wegen ihrer Abneigung gegenüber den Linken inzwischen ausgetreten
sein. Diese Information konnte ich aber nicht verifizieren bisher.
Nahles
war bis vor wenigen Wochen ebenfalls Mitglied der PL, der Gegenspielerin der
Seeheimer.
[….]
Die Parlamentarische Linke (PL) ist ein
Zusammenschluss von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Unser Ziel ist
es, Diskussionen anzustoßen, politische Ideen zu entwickeln und ihre Umsetzung voranzutreiben
– innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und auch darüber hinaus. Dabei eint uns
unsere Zugehörigkeit zur SPD-Linken und das damit verbundene Eintreten für
Freiheit, Gleichheit und gesellschaftlichen Fortschritt. Mit über 70
Mitgliedern ist die Parlamentarische Linke der größte Zusammenschluss innerhalb
der SPD-Bundestagsfraktion. [….]
Am
13.01.2018 verkündete Nahles zum Entsetzen ihrer PL-Freunde ihre dortige
Mitgliedschaft ruhen zu lassen.
Überrascht
gewesen sind sie vermutlich nicht. Nahles ist recht CSU-affin geworden in ihrer
Zeit als Ministerin.
[…]
Sie hat, zumal als Arbeitsministerin,
mitunter einen klaren Blick für die Wirklichkeit an den Tag gelegt - gemessen
an dem Umstand, dass sie einst aus dem linken Juso-Verband kam, der sich gerne
in Nischenthemen einrichtet. Es war ausgerechnet Nahles, die vor zwei Jahren
dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegte, der bestimmt, dass EU-Ausländer erst
dann Sozialleistungen bekommen können, wenn sie fünf Jahre in Deutschland
gearbeitet haben. Das Gesetz der damaligen Großen Koalition war eine Botschaft
an EU-Neulinge wie Rumänien und Bulgarien, von wo eine Einwanderung in die
deutschen Sozialsysteme beobachtet wurde.
Nahles reagierte
damals - unausgesprochen auch unter dem Eindruck des vorherigen Flüchtlingsandrangs
- auf das Abschmelzen der Kernklientel der SPD, der klassischen
Industriearbeiter. Diese Gruppe misstraut einem liberalen Migrationskurs,
flüchtet sich in die Wahlabstinenz oder wendet sich gleich der
rechtspopulistischen AfD zu. Der "rechte" Kurs der "linken"
Nahles wurde damals von vielen nur am Rande wahrgenommen, zeigt aber, wie
unideologisch sie agieren kann.
[….]
Schließlich
galt Nahles natürlich wegen ihres Buches „Frau, gläubig, links. Was mir wichtig
ist. Pattloch Verlag, München 2009, ISBN 978-3-629-02239-4“ als links.
Sehr
eigenartig. Als Vertreterin einer stramm konservativen und bis heute rein
patriarchalischen Organisation wie der RKK, die in den letzten 1500 Jahren massiv
jeden gesellschaftlichen Fortschritt bekämpfte, kann man meines Erachtens nicht
links sein.
Die RKK
ist die Beharrungsorganisation schlechthin. Sie ist das große Instrument der
Mächtigen.
Zu ihrem
Engagement für den homophoben und misogynen Papst spricht auch eine andere
nicht gerade linke Eigenschaft der Andrea Nahles.
Sie kann
ausgesprochen biestig werden, wenn ihre Machtambitionen durchkreuzt werden.
[….]
Von der Männerwelt in ihrer Partei lernte
sie als Juso-Chefin in den Neunzigerjahren, worauf es ankommt - auf Bündnisse,
auf einen Kreis von Vertrauten, auf Absprachen, auf Berechenbarkeit. Wer Nahles
erlebt hat, weiß, dass sie sehr unangenehm werden kann, wenn ihr Vertrauen
missbraucht wird. Diese Härte ist im politischen Überlebenskampf notwendig.
[……]
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