Donnerstag, 16. November 2017

Der hässliche Amerikaner



Gestern habe ich mal wieder ewig lange mit Ami-Verwandten telefoniert.
Als gute Katholiken vermehren die sich wie die Karnickel und dementsprechend lange dauert es natürlich mich über jedes Familienmitglied upzudaten.
Zwischendurch rutschte meinem transatlantischen Telefongegenüber immer mal wieder eine kleine boshafte Bemerkung über diesen „unpresidential Trump“ raus.
Reflexhaft folgte aber sofort immer eine Entschuldigung.
 ‘Sorry, I will always be a democrat.’
Oder, ‘I am sorry. We don’t talk politics.’

Meine Eindrücke mögen da subjektiv sein, aber ich glaube dieser Unwillen “der” Amerikaner mit Nachbarn, Bekannten, Zufallsbegegnungen kontrovers zu diskutieren, ist einer der wesentlichen kulturellen Unterschiede zu Deutschland.
Fast alle USA-Touristen erzählen anschließend ganz verblüfft wie „nett“ und hilfsbereit die Amerikaner sind.
Amerikaner können smalltalk und sie sind generell wesentlich fähiger in Situationskomik und Selbstironie.
In den USA würde nie jemand auf die Frage „How are you?“ merkelsch die Mundwinkel nach unten ziehen und brummen „muss ja“ oder gar „im Moment nicht so gut“. Unfreiwillig typisch deutsch ist auch die bizarre Antwort „kann nicht klagen“; ganz so, als ob der gemeine Germane unzufrieden wäre, wenn er nicht unzufrieden sein kann.
In Deutschland redet man die Bäckereiverkäuferin natürlich nicht mit „Honey“ oder „Sweety“ an.
Rein oberflächlich betrachtet ist Amerika daher ein extrem angenehmes Land, in dem es sich leicht leben lässt. USA-Reisende, die sich Zeit nehmen mal außerhalb der üblichen Touri-Hotspots umher zu fahren, haben daher oft ein positives Gefühl. Man kommt so leicht ins Gespräch mit den Amis im Diner des Dorfes, trifft unweigerlich auf irgendwelche breit grinsenden Typen, die einen einladen mit seiner Familie zu essen.
Man probiere das bitte nicht umgekehrt in der sächsischen oder thüringischen Provinz.
Meine inzwischen alleinstehende Lieblingstante in NY erzählte mir, sie habe dieses Jahr nur noch 250 christmas-cards bestellt. Mehr müsse sie nicht mehr verschicken, weil leider schon so viele ihrer Freunde verstorben wären.
Ihre Kinder brauchen wesentlich mehr Karten, weil die noch so viele Arbeitskollegen haben und auch alle Eltern der Kinder, mit denen ihre Kinder irgendwie zusammentreffen bedenken.
Umgekehrt bekommt man natürlich auch entsprechend viele Weihnachtskarten.
Aber sie sparen Porto in der gated senior-community. Es gibt 68 Häuser und da jeder jedem zu allen Feiertagen schreibt, gibt es im Gemeindesaal ein Fächersystem, um Post zu hinterlegen. Da wird man alle seine Karten auf einmal los und holt auch gleich Dutzendweise Glückwünsche aus seinem eigenen Fach.
Da so viele nicht mehr gut zu Fuß sind, werden auch die Gebetsanliegen der Community-Church die ganze Woche ausgehängt, so daß jeder weiß für wen speziell man diese Woche persönliche Gebete spricht.
Wird bei irgendeinem Angehörigen eine Krankheit diagnostiziert, wendet man sich an den Pfaff, der dieses besondere Gebetsanliegen veröffentlicht und schon beten die Insassen von 68 Häusern eine ganze Woche für denjenigen.

Ich wünschte, ich hätte ihr letzte Woche gesagt, daß sie die Gemeinde für meinen Wechsel von O2 zu Wilhelm.Tel beten sollen. Womöglich hätte ich dann auch nicht die Probleme gehabt, die heute entstanden, als ich w-lanen wollte und nach Stunden des Fluchens und Zeterns von einem Bonner Twen-Nerd per Ferndiagnose über den Teamviewer so zurecht geruckelt wurde, daß es jetzt tatsächlich funktioniert. Online ganz ohne O2! Danke dafür ins Rheinland. Ich schreibe auch eine Weihnachtskarte.

Guckt man sich nun aber die amerikanische Politik und den blanken Hass an, der zwischen diesen so unheimlich netten Amis herrscht, muss man zu dem Schluss kommen, daß offensichtlich noch eine weitere Ebene, außer der stets Freundlichen existiert.

In Alabama sitzt der Hass so tief, daß die Hälfte der Bevölkerung lieber einen vielfachen Pädosexuellen und überführten Lügner wählt, als einen Demokraten.


Was ist los mit den Amis?
Sie sind nett und wollen nett sein, aber sie wollen auch Homogenität.
So funktioniert Kleinstadt-Amerika, wo man Trump wählt.

Rebekka Endler beschreibt das in einem lehrreichen Bericht über einen Besuch bei ihren ehemaligen Gasteltern in Arkansas, 20 Jahre nach ihrer dortigen Aupair-Zeit.


[….] 1995 hatten Steven und Dustin geheiratet. Er war 22 und seit Kurzem Polizist. Sie war 18 Jahre alt, hatte ihren Highschool-Abschluss gemacht und wollte im nahe gelegenen College Französisch auf Lehramt studieren. Die beiden kannten sich schon ihr ganzes Leben, denn sie waren in derselben Gemeinde aufgewachsen. "Alle waren da weißer Mittelstand. Alle sahen aus wie wir, und alle hatten die gleichen Probleme", sagt Steven heute. "Wir haben jede Woche Predigten von christlicher Nächstenliebe gehört. Aber wenn sich das ganze Leben nur um Menschen dreht, die genauso sind wie du, ist diese Nächstenliebe eine sehr schlichte Sache. Alle, die nicht genauso lebten wie wir, hatten in unseren Augen etwas falsch gemacht."
Ich begleitete meine Gasteltern damals in die Kirche, zumindest anfangs. Der Pastor bezeichnete Homosexualität als Krankheit und Ärzte, die Abtreibungen vornahmen, als Todsünder, die sich in der Hölle dafür würden verantworten müssen. Statt der Widerworte, die ich in meinem Kopf formulierte, kam von der Gemeinde nur ein einvernehmliches Amen.  [….]

Amerika ist manchmal ein bißchen AfD. Man hat enorme Angst vor Veränderungen und will nichts abgeben.
Und so wünscht man sich die „good old times“ zurück, als es allen immer gut ging.
Vorausgesetzt man war weiß, männlich und heterosexuell.

Und so bleibt nun einiges nicht mehr so oberflächlich.
Es gelingt „den Amis“ nicht mehr sich wie meine Tante im Zaum zu halten und strikt zu vermeiden über Politik zu sprechen.
Angestachelt von den Sean Hannitys und Donald Trumps hauen sie ungefiltert raus was in ihnen brodelt.
Sie haben aber keine Erfahrung damit mit anderen offensiv geäußerten Meinungen umzugehen, die ihre Gegner schließlich genauso laut kundtun.
Da wird es gelegentlich recht ungemütlich.
Das ist gar nicht mehr das so freundliche unbekümmerte optimistische Amerika.

Scheinbar bemerkt man das auch international.

[….]  Deutschland hat die USA als das populärste Land abgelöst. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Untersuchung des Marktforschungsinstituts GfK und des Politikberaters Simon Anholt. Die Vereinigten Staaten rutschen in dem Image-Ranking auf Platz sechs ab.
Frankreich ist der Studie zufolge international das zweitbeliebteste Land, Großbritannien hält sich stabil auf Platz drei. Kanada und Japan teilen sich Rang vier. [….] 

1 Kommentar:

  1. "Meine Eindrücke mögen da subjektiv sein, aber ich glaube dieser Unwillen “der” Amerikaner mit Nachbarn, Bekannten, Zufallsbegegnungen kontrovers zu diskutieren, ist einer der wesentlichen kulturellen Unterschiede zu Deutschland."
    Das sehe ich nicht ganz so. Wo dem so ist, laueft es unter dem 'Stay out of Trouble' Prinzip. Dies privat und geschaeftlich zu schaetzen ist sicherlich diskutabel.

    "Amerikaner können smalltalk und sie sind generell wesentlich fähiger in Situationskomik und Selbstironie." Das kann ich unterschreiben. Selbst wenn ich jemanden mit meinem boesen Sarkasmus erwische, wird er mir doch ein "You got me"(und den muss ich nicht mal kennen) geben und ich wurde auch selbst schon zum 'Opfer. ........ Letzten Samstag war ich auf einem Veteranentreffen im ruralredneck OldFlorida auf einem wunderschoenen Grundstueck(uA. die typisch riesigen mit Spanish Moss behangenen Eichen) der gegenuberliegenden Methodist Church. Am Eingang wurde ich gefragt, ob ich Veteran bin, was kein Muss war, und ich mit meinem Soehnchen eh nur auf die mitlaufende Classic Carshow aus war.
    Not an American, I'm a German Army Veteran .. Good enough .. Come on in .. und ich fand mich in einer unerwartet, relativ objektiven militaerisch'sozial'politischen Unterhaltung. Dieses 'Wunder moecht ich natuerlich so gar nicht verallgemeinern, aber ich habs genossen.

    Gruss
    Jake

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