Vor 19
Jahren, am 27. Oktober 1998 wurde der Sozialdemokrat Gerhard Schröder gemäß des
Vorschlages von Bundespräsident Roman Herzog vom Bundestag zum Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
Bei 345
Mandaten der rot-grünen Koalition erhielt Schröder 351 Ja-Stimmen und 27
Enthaltungen.
Damit
ging nicht nur die bleierne Lähmung von 16 Jahren Kohl-FDP-Merkel-Regierung zu
Ende, sondern erstmals stellten die Grünen Bundesminister.
Aus
Sicht der konservativen Merkel und Schäuble würde nun das „rotgrüne Chaos“
ausbrechen, die Unternehmer in Massen das Land verlassen und somit die deutsche
Wirtschaft in den Abgrund gesaugt.
Das Unheil
begann aus Merkels Sicht schon mit dem Amtseid, den Schröder als erster und
einziger Kanzler ohne die Formel „so wahr mir Gott helfe!“ sprach und gleich
sieben Minister, nämlich Joschka Fischer, Bodo Hombach, Otto Schily, Walter
Riester, Jürgen Trittin und Edelgard Buhlman wurden ebenfalls ohne Gottesformel
eingeschworen.
Gerhard
Schröder holte 1998 41 % für die SPD im Bund und schaffte damit das erste und
einzige mal in bisher 18 Bundestagswahlen das Wunder alle bisherigen
Regierungsparteien in die Opposition zu schicken.
Die
Deutschen fürchten sich normalerweise viel zu sehr vor Veränderungen, um so radikal
zu wählen; daher wurde bisher bei allen anderen Bundestagswahlen mindestens
eine der vorherigen Regierungsparteien in die neue Regierung gewählt.
Sozis
von heute verhalten sich streng getreu des Dieter Hildebrandt-Mottos „die SPD
scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“, wenn sie heute an die sieben Jahre
rotgrüner Bundesregierung denken:
Schröder kam an die Macht, führte das böse gemeine HartzIV ein und seitdem sind wir demoskopische Paria, die für immer und ewig bestenfalls am Rockzipfel der CDU hängen.
Schröder kam an die Macht, führte das böse gemeine HartzIV ein und seitdem sind wir demoskopische Paria, die für immer und ewig bestenfalls am Rockzipfel der CDU hängen.
Bei
aller Liebe, aber dieses Narrativ ist unzulänglich verkürzt!
Die 20+x%-SPDler
von heute sollten nicht so abfällig reden.
12 Jahre
nach der Abwahl Schröders immer noch nichts anderes als Gejammer der Linken
über den bösen Schröder und das böse Hartz IV ist erbärmlich.
Ob die
Agenda 2010 gut oder schlecht war, ist offensichtlich umstritten.
Ich
gehöre zur großen Majorität, die sich immer noch hinter die Reform stellen.
Niemand
behauptet, daß jeder einzelne Satz daraus richtig ist.
Nach 15
Jahren ist der LINKEn aber auch noch nicht mehr eingefallen, als „Hartz IV ersatzlos streichen“, also
pure Destruktion.
Eine
Position, die offenbar so unpopulär ist, daß ca 90% der Wähler Parteien wählen,
die an der Agendapolitik festhalten wollen.
Noch mal
zum Verständnis; das was man unter “Agendapolitik“ versteht ist ein gewaltiges
Konglomerat aus vier Gesetzespaketen, die zwischen 2003 und 2006 verabschiedet
wurden.
Die rotgrüne
Bundesregierung hatte eine Expertenkommission eingesetzt und von Unternehmern,
Professoren, Fachministern und Gewerkschaftern Pläne entwickeln lassen.
Es war
keine CDU- oder Wirtschaftsdominierte Runde!
Peter Hartz (SPD und IG Metall), Mitglied
des Vorstandes der Volkswagen AG, Vorsitzender der Kommission
Norbert Bensel, Mitglied des Vorstandes der
DaimlerChrysler Services AG
Jobst Fiedler, Roland Berger Strategy Consultants
Heinz
Fischer, Abteilungsleiter Personal Deutsche Bank AG
Peter Gasse (SPD), Bezirksleiter der IG Metall
Nordrhein-Westfalen
Werner Jann, Universität Potsdam
Peter Kraljic, Direktor der McKinsey &
Company Düsseldorf
Isolde Kunkel-Weber, Mitglied des
ver.di-Bundesvorstandes
Klaus Luft, Geschäftsführer der Market
Access for Technology Services GmbH
Harald Schartau (SPD), Minister für Arbeit
und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen
Wilhelm Schickler, Präsident des
Landesarbeitsamtes Hessen
Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär
des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks
Günther Schmid, Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
Wolfgang Tiefensee (SPD), Oberbürgermeister
der Stadt Leipzig
Eggert Voscherau, Mitglied des Vorstandes
der BASF AG
Die
Agenda 2010 war allerdings ein gewaltiges Konzept, das alle Bereiche der
Politik und nicht nur die unter dem Stichwort „Arbeitsmarktreform“ bekannten
Hartz-Gesetze betraf.
(….) Die
Hartz-Reformen haben zweifellos zu mehr Arbeitsplätzen und einer gesünderen Wirtschaft
geführt.
Dabei gab es
aber zweifellos auch Ungerechtigkeiten. Das ist bei so einem Mammut-Werk gar nicht anders möglich
und Gerd Schröder selbst betonte immer wieder, die Hartz-Gesetze sollten nicht
in Stein gemeißelt, sondern immer wieder angepasst werden.
Der politische
Preis für die Reformen war definitiv ungerecht.
Die glühenden
Agenda-2010-Befürworter aus CDU und Grünen stiegen nach 2003 in ungeahnte Höhen
und allein die SPD wurde vom Wähler grausam abgestraft.
Eine besonders
begeisterte Unterstützerin der Hartz-IV-Reformen ist Kathrin Göring-Eckhardt,
die dafür nie einen politischen Preis zahlte und 2017 erneut Spitzenkandidatin
ihrer Partei ist.
Sie macht sich
einen schlanken Fuß, indem sie einfach zum Thema schweigt und unterdessen
kontinuierlich an die von ihr verehrte Angela Merkel heranrobbt.
Ebenfalls einen
schlanken Fuß macht sich Sahra Wagenknecht, die Hartz-IV empört ablehnt, deren
Partei mit der grundsätzlichen Forderung nach Abschaffung der Agenda 2010 in
zweistellige demoskopische Höhen stieg, ohne je zu sagen, was eigentlich
stattdessen kommen soll.
Soll es wieder
das Ämterhopping zwischen Wohnungsamt, Sozialamt und Arbeitsamt eingeführt
werden und soziale Leistungen als Sachleistungen einzeln beantragt werden? [….]
Ich bin
mir aber sicher, daß auch Gerd Schröder, wäre er heute noch Kanzler, längst die
offensichtlichen Ungerechtigkeiten abgeschafft hätte.
Es geht
natürlich nicht, daß jemand dauerhaft als Leiharbeiter eingesetzt wird und viel
weniger verdient, als der fest angestellte Kollege.
Es hätte
früher einen Mindestlohn – und zwar einen höheren – geben müssen. Und das ohne
all die Ausnahmen, die Nahles zulässt.
Außerdem
finde ich Nahles‘ Rentenpolitik problematischer als Schröders Agenda. Nach wie
vor läßt sie die Rente nicht von Beamten und Selbstständigen und Bundestagsabgeordneten
mitbezahlen.
Und
nirgendwo steht geschrieben, daß man bei der in der Tat beschämenden
Altersarmut keine Mindestrente einführen darf, statt die Renten immer nur
prozentual zu erhöhen, so daß die reichsten Rentner auch die größten Aufschläge
bekommen.
Ich finde es nach wie vor sehr ehrenwert, daß Schröder
als einer der ganz ganz wenigen Politiker nicht an seinem Amt klebte und
wohlwissend, daß es vermutlich seinen Kopf kosten wird für 2005 vorgezogene
Neuwahlen ansetzte, um etwas Unpopuläres, von dem er aber zutiefst überzeugt
war, durchzusetzen.
Er hat also tatsächlich etwas getan, das andere immer
nur behaupten: Das Wohl des Landes über sein persönliches Wohl gesetzt. Merkel
würde das nie tun.
In Folge der Agendapolitik stiegen die Sozialausgaben
in Deutschland deutlich und kontinuierlich an.
2005 stiegen sie von erwarteten 14,6 Milliarden auf
25,6 Milliarden Euro, im Jahr 2006 auf
26,4 Milliarden.
2007 35,7
Milliarden
2008 34,8
Milliarden
2009 36
Milliarden
2010 36
Milliarden
2011 33
Milliarden
2012 40
Milliarden
2013 40,65
Milliarden
Heute zu
behaupten, Hartz wäre eine Kürzungsorgie und habe nur Elend gebracht, ist
völlig geschichtsblind und lässt außer Acht was für ein gelähmtes Land
Deutschland im Jahr 1998 nach unendlichen Jahren Kohl-FDP-Merkel-Regierung war.
Der kranke Mann Europas – Dank der
Kohl-Merkel-Reformunwilligkeit.
Durchreguliert
und wirtschaftlich abgehängt.
[….]
Seit mehr als zehn Jahren wächst die
deutsche Volkswirtschaft deutlich langsamer als die der meisten internationalen
Konkurrenten. Gleich mehrmals landete Deutschland bei der Wachstumsrate des
Bruttoinlandsproduktes (BIP) sogar auf dem letzten Platz der EU-15. Die
Stagnation vom Herbst 2000 bis Ende 2003 war die längste seit Gründung der
Bundesrepublik.
Obwohl auch andere
Industrieländer von steigenden Ölpreisen, dem Platzen der New-Economy-Blase und
der weltweiten Verunsicherung durch die Terroranschläge der letzten Jahre
betroffen waren, zeigten sich die wachstumslähmenden Effekte nirgendwo in
Europa stärker als hierzulande. Und selbst das reale BIP-Wachstum von 1,7
Prozent im vorigen Jahr ergibt sich erstens zu gut einem Drittel allein daraus,
dass es 2004 je nach Bundesland bis zu fünf Arbeitstage mehr gab, zweitens
liegt es erneut deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 2,4 Prozent, und
drittens lebt es nahezu ausschließlich vom Export. Das schwache
Wirtschaftswachstum seit 1991 hat dazu geführt, dass die Deutschen beim
Pro-Kopf-Einkommen vom vierten auf den achten Platz in der EU-15 abgerutscht
sind. Gleichzeitig ist die Anzahl der registrierten Arbeitslosen weiter
gestiegen und liegt mittlerweile bei 4,7 Millionen.
Schon dieser erste
Überblick verdeutlicht, dass die neunziger Jahre für Deutschland ein verlorenes
Jahrzehnt waren. Und auch seit der Jahrtausendwende hat sich die Situation
nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Wäre die deutsche Wirtschaft
zwischen 1991 und 2003 beispielsweise genauso schnell gewachsen wie die der
USA, dann hätte das preisbereinigte BIP je Einwohner im Jahr 2003 um fast 3 500
Euro höher gelegen, als dies tatsächlich der Fall war.
Bereits 1997 war
"Reformstau" das "Wort des Jahres" - und dieser hat sich
trotz der Agenda 2010 noch immer nicht aufgelöst. Deutschland schneidet
weiterhin auf allen Wachstumsfeldern deutlich schlechter ab als vergleichbare
Volkswirtschaften. Hohe Steuern und Abgaben, eine lähmende Bürokratie und immer
noch hohe Arbeitskosten gehören zu den hausgemachten Ursachen, die den
Beschäftigungsaufbau verhindern.
[….]
Ich weiß
natürlich, daß es trotzdem genügend Linke und Sozis vom linken SPD-Flügel gibt,
die in der Agenda 2010 und Gerd Schröder dennoch nur Negatives erkennen.
Ich
frage mich aber, wieso sie immer noch, rund 15 Jahre nach der Vorstellung der
Pläne, nichts anderes an der rotgrünen Bundesregierung erinnern.
Und
während Schröder schon direkt nach seiner Kanzlerschaft sagte, das
HartzIV-Gesetz wäre nicht die Bibel, an der man nichts ändern dürfe, war es
Merkel, die dann 12 Jahre verantwortete was damit passierte, während Schröder
es gerade mal auf den Weg bringen konnte und dann abgewählt wurde.
Bei so
einem gewaltigen Gesetzeskonglomerat, für das man keine Erfahrungen hatte, ist
es völlig normal, daß nicht alles funktioniert und daß in den nächsten Jahren
evaluiert und nachgebessert werden muß.
Wichtig
war, das überhaupt zu wagen.
Ich
meine, selbst HartzIV-Gegner sollten positiv auf die sieben Jahre blicken, auch
wenn ihnen dieser eine Aspekt nicht gefällt.
Erst mit
Schröder gab es eine ökologische Steuerreform, die Zwangsarbeiterentschädigung,
den Atomausstieg, die Green-Card-Initiative, eine Rentenreform, diverse Initiativen im Bildungsbereich. Für Waffenexporte wurden
erstmals Regeln aufgestellt, die Homoehe, das Lockern des unsäglichen
Meisterzwanges, das außenpolitische Selbstbewußtsein zu unserem engsten
Verbündeten USA zu sagen, daß wir nicht beim Irakkrieg mitmachen.
Vieles
versuchte Schröder, zB im Jahr 1999, als die Schröder-Fischer-Regierung ein
modernes Staatsbürgerschaftsrecht plante und ein zweckmäßiges
Einbürgerungsrecht schaffen wollte.
In
diesem Fall schwenkten sogar die Kirchen auf Rot/Grün.
Die von
der sogenannten „Süßmuth-Komission“ ausgearbeiten Vorlagen zum Thema erfuhren
eine enorme Zustimmung: Wissenschaftler, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände,
Kirchen und große Teile der Presse unterstützten das Vorhaben.
Widerstand
kam nur aus CDU und CSU. Merkel persönlich trat mit Roland Koch 1999 in Hessen
die „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschrieben?“-Unterschriftenliste los
und verhinderte mit beständiger Obstruktion im Bundesrat das
„Zuwanderungsrecht“, das uns jetzt fehlt.
Während der endlosen 16-Kohljahre saß die FDP
auf dem Sessel des Wirtschaftsministers. Am Ende sollten es 29 Jahre sein, die
die FDP ununterbrochen den Bundeswirtschaftsminister stellte.
Das
Ergebnis war eindeutig: Die höchsten jemals in der Bundesrepublik geltenden
Steuersätze – 56% Spitzensteuersatz; das würde sich heute nicht mal mehr Frau
Wagenknecht zu fordern trauen.
Unter
Kohl lag der Eingangssteuersatz bei 26% und der Spitzensteuersatz bei 56%. Das
Ergebnis von 16 Jahren CDU-FDP-Regierung.
Dank Schröder wurden es 15 % und 45 % und das
bei höheren Freibeträgen!
Das
haben Rot/Grün durchgeprügelt und zwar gegen "Mrs. Njet" und
Westerwelle, die alles blockierten.
Das ist
nach wie vor die massivste Steuerentlastung für die Arbeitseinkommen, die es je
gab und das hat die CDU eben nicht hinbekommen,
sondern stattdessen stets nur die Steuern erhöht.
Zudem
hatten die Liberalen die Wirtschaft völlig festgezurrt.
Nie war
Deutschland so durchreglementiert, mit Verboten belastet und Beschränkungen der
Wirtschaft versehen, wie im Jahr 1998 nach 29 Jahren FDP-Wirtschaftsministern.
Strenge Ladenöffnungszeiten, Meisterzwang, Reimportverbot für Medikamente,
Subventionsexzesse, Filialverbot für Apotheker, Versorgermonopole etc pp.
Die
Steuern sanken erst in dem Moment, als RotGrün 1998 übernahm und der heute so
gehasste Finanzminister Lafontaine hunderte Regulierungen ersatzlos strich.
Nach
sieben Jahren Schröder-Kanzlerschaft waren die außenpolitischen Beziehungen zu
wichtigen Nachbarn so exzellent, daß Chirac Deutschland auf internationalen
Konferenzen vertrat und Schröder einmal für Frankreich stimmte. Die
ausgezeichneten Beziehungen zu Moskau waren ein Segen und führten zu Stabilität
und Sicherheit.
Es nervt
mich ohne Ende, wenn maulige Besserwisser nach 20 Jahren Schröder immer noch
auf Hartz IV reduzieren; Gesetze, an dem auch Grüne und CDU (Vermittlungsausschuss
und Bundesrat) mitstrickten.
Grünen
und CDU ging es damals nicht weit genug.
2017
immer noch der SPD zu verübeln, daß Schröder im Jahr 2003 nicht haargenau alles
20 Jahre voraussehen konnte, ist realitätsblind.
Ich bin
sehr dankbar, daß Schröder und Fischer ab 1998 jede Menge Zöpfe abgeschnitten
haben. Merkel ist dafür erkennbar zu schwach und schafft trotz gewaltiger
Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag überhaupt gar keine Reformen.
Ich als
SPD-Linker, der sich für R2G einsetzt, würde Luftsprünge vor Glück
machen, wenn uns so ein Energiebündel und Wahlkämpfer wie Schröder zur
Verfügung stünde!
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