Im
Leitartikel des ganz neuen SPIEGELs beschreibt Christiane Hoffmann den „Zeitenbruch“,
in dem sich die Welt gegenwärtig befinde.
Es gibt Zeiten, in denen die Weltgeschichte unter
erhöhter Temperatur zu arbeiten scheint. Dann herrscht jene überhitzte
Atmosphäre von Gereiztheit und Streitlust, jene Neigung zu Hysterie
und Verwirrung, wie sie Thomas Mann im „Zauberberg“ beschrieben hat, am
Vorabend des Ersten Weltkriegs, mit dem eine alte Weltordnung unterging
und eine neue entstand. Es sind Zeiten des Epochenwandels. [….]
(DER SPIEGEL 30/2016 s.8)
1989/90
war wieder so eine Umbruchszeit.
Aber
auch die Weltfinanzkrise 2008/2009 in Kombination mit dem arabischen
Frühling/Aufstieg des IS 2013 stellt wieder alles in Frage.
Der
gegenwärtige Umbruch erfasst anders als 1990 auch die westlichen Länder, die
sich wie die USA damals bequem zurücklehnend ihren Sieg genossen.
Es
gibt Krieg in Osteuropa, die EU entwickelt noch vor zehn Jahren für unmöglich
gehaltene Zentrifugalkräfte.
Russland
und die Türkei, vor zehn Jahren auf dem demokratischen Weg in den Westen,
gleiten in Autokratien ab.
In
Kerneuropa und den USA wuchern Populismus, Nationalismus und brutale
Fremdenfeindlichkeit.
Es
ist etwas gründlich schief gelaufen.
Wir
reiten und gerade so massiv in den Mist, daß jeder dringend gefordert ist sich
für liberale Werte, Demokratie und Transparenz einzusetzen.
Einfach
ausruhen und starr auf die eigenen gewohnten Privilegien beharren, ist das was
wirklich nicht mehr geht.
Da
der Urnenpöbel immer noch viel zu phlegmatisch ist und statt sich mal über die
Lage in der Welt zu informieren, lieber Pokemon spielt, wäre es schön, wenn
irgendwer voranginge, um für grundsätzliche Veränderungen unserer Politik und
Gesellschaft zu werben.
Aber
wer sollte das sein?
Die Gewerkschaften schrumpfen sich selbst in die Bedeutungslosigkeit, die Konservativen verharren in Schreckstarre vor der AfD, allgemein akzeptierte Wegweiser und Intellektuelle sind ausgestorben, Künstler äußern sich kaum noch politisch, Linke biedern sich ebenfalls bei den Xenophoben an, die Sozis verzweifeln an Zickzack-Sigi.
Das
Schlimmste ist vermutlich die totale Indolenz der Jugend und der Studenten.
Die junge Generation sehnt sich wie nie zuvor nach totaler Anpassung, kann sich noch
nicht mal aufraffen überhaupt wählen zu gehen.
Von
allen gesellschaftlichen Kräften verfügen die deutschen Kirchen immer noch über
den mit Abstand höchsten Organisationgrad, die gewaltigsten Reichtümer und den
größten Einfluss.
Aber auch bei ihnen das gleiche Bild.
Sie
krallen sich an ihre Privilegien, schotten sich ab, versuchen gar nicht
erst ihre Kumpanei-Parteien mit dem „C“ im Namen bei ausländerfeindlichen
Sprüchen zu stoppen.
Gelebte
christliche Werte bedeutet in der RKK, daß man gegenüber den Opfern des
sexuellen Missbrauchs durch Kleriker knausert und zu den eigenen
Top-Geistlichen, die über die Jahrzehnte für den Schutz der Kinderficker sorgten,
umso großzügiger ist.
Aber
es gibt auch RKK-Gruppen mit sozialem Gewissen.
Die
Bamberger Joseph-Stiftung kümmert sich um Bedürftige, die kein Obdach haben.
Der
Erzbischof von Bamberg hat das Unternehmen 1948 gestiftet. Insbesondere
Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Ausgebombte, die in sein Bistum nahe der
innerdeutschen und tschechischen Grenze strömten, sollten wieder ein Zuhause
finden.
[…] Wir sind ein der katholischen Kirche
zugeordnetes Wohnungsunternehmen. Zweck der Stiftung ist eine angemessene und
sozial vertretbare Verbesserung der Wohnungsversorgung, insbesondere in der
Erzdiözese Bamberg. Die Stiftung ist christlichen Grundwerten verpflichtet.
Der
Stiftungszweck soll gezielt durch die Initiierung, Förderung, Entwicklung,
Durchführung und Auswertung von Modellprojekten, Maßnahmen und Konzepten im
Wohnungswesen, insbesondere mit sozialer und ökologischer Signalwirkung,
umgesetzt werden. Die Bewahrung der Schöpfung für künftige Generationen und der
demographische Wandel stehen dabei für uns im Mittelpunkt.
Die
frommen Katholiken arbeiten auch heute noch eifrig an ihren Stiftungszielen.
Aufgrund
ihrer rührenden Vorsorge nahmen sie sich zuletzt eines ganz besonders
Bedürftigen an: Der Bamberger Alt-Erzbischof Karl Braun, 85, gilt selbst beim
konservativen Katholisch.de* als stramm rechts.
*In
seinen aktiven Bischofsjahren sah sich Braun dem Vorwurf ausgesetzt, er sei
"erzkonservativ". Dieses Etikett mag seiner Geradlinigkeit,
marianischen Frömmigkeit und Grundsatztreue geschuldet gewesen sein.
Seine
Amtsnachfolger in Eichstätt (Mixa) und Bamberg (Schick) dürften ganz nach
seinem Geschmack gewesen sein.
Der
Bamberger Bedürftige (monatliches Ruhegehalt EUR 9.700,- netto) kann sich
natürlich nicht selbst eine Wohnung leisten.
Muß
er auch nicht.
Bischöfe
residieren in Residenzen.
Ex-Erzbischof
Braun besitzt ein Haus mit eigener Kapelle (und genügend Platz für drei bei ihm
wohnende Ordensschwestern, die den Greis rund um die Uhr kostenlos versorgen)
in Wildensorg.
Ganz
bescheiden.
Der
arme Mann muß eingepfercht auf 375 Quadratmetern Wohnfläche auskommen. Bezahlt
hat die Bistums-eigene Stiftung, deren Vorstand Braun zuvor selbst eingesetzt
hatte.
[…] Die karitative Joseph-Stiftung hat dem früheren Bamberger Erzbischof
Karl Braun für 1,2 Millionen Euro einen Alterssitz hingestellt.
[…] Am 3. Juli 2001 erscheinen vor einem Bamberger Notar Erzbischof Braun
und Reinhard Zingler. Braun, 70 Jahre alt, ist am Tag zuvor von Papst Johannes
Paul II. vom Amt entbunden worden; Braun hat Herzprobleme. Der Emeritus braucht
nun eine Wohnung; das Bischofshaus soll schließlich seinem Nachfolger zur
Verfügung stehen. In Bamberg gibt es, wie in den meisten Bistümern, für solche
Fälle in der Nähe des Doms Wohnungen für verdiente pensionierte Kleriker. Nicht
alle verdienten Kleriker allerdings möchten unter den Blicken der anderen
verdienten Kleriker wohnen - auch Braun nicht. […]
"Der
Vorstand der Stiftung besteht aus einem oder mehreren Mitgliedern, die vom
Erzbischof von Bamberg berufen oder abberufen werden", heißt es in der im
Juli 2001 gültigen Satzung; gleiches gilt für den Aufsichtsrat. Der Erzbischof
kann sich also den Vorstand und dessen Kontrolleure aussuchen, die Leute also,
die über den Kauf entscheiden.
[…] Wildensorg ist nicht Limburg, der Bau im Fränkischen ist solide, aber
nicht protzig. Drei Zimmer für die Schwestern, ein Aufzug, ein ausgestattetes
Büro, das ist kein obszöner Luxus. Allerdings auch nicht billig. Die Stiftung
beziffert die Baukosten mit 820 000 Euro - das stimmt, wenn man die Kosten nur
für den Bau nimmt. Insgesamt aber, das geht aus den Unterlagen hervor, hat die
Joseph-Stiftung fast 1,2 Millionen Euro ausgegeben, bis der Erzbischof
einziehen kann. […]
Ich
bin immer wieder gerührt, wenn ich von dem sozialen Engagement der Kirchen für
Bedürftige höre.
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