Ist das
jetzt schon ein Zeichen von Altersdemenz, daß ich ständig an meine Kindheit
erinnere und den Drang verspüre uninteressante Jugendgeschichten auszuplaudern?
Ich
behaupte aber; ich kann nichts dafür, daß ich über Meldungen in den Medien
stolpere, die so heftige Assoziationen triggern.
Früher war eben alles besser – auch die Zukunft (Danke R.).
Also
Zeitsprung gute vier Dekaden zurück.
Meine
Eltern hatten mich eingesammelt und zogen (zunächst) aus New York zurück nach
Deutschland. Statt der Einzimmerwohnung in Queens war nun ein Garten mit
angeschlossenem Park mein Spielzimmer. Man konnte ohne von einem Zaun
aufgehalten werden zu einem angrenzenden tiefen Fischteich und einem Arm der
Alster gelangen. Das war sehr hübsch, teilweise leicht unheimlich, weil der
alte Gärtner von nebenan erklärte, daß in dem Teich ein großer Hecht lebe, der
durchaus Kinder essen könne. Meine Eltern hatten nun die Option mich permanent
anzuleinen, oder aber zu riskieren, daß ich eines Tages freiwillig oder
unfreiwillig in den Teich sprang.
Mich
anzuketten entsprach nicht recht ihren Erziehungsvorstellungen und so wurde ich
lange vor dem Schulalter in eine Schwimmschule geschickt.
Ich
erinnere mich noch genau wie es dort am Kaninchenweg, zu dem ich nun jeden
Nachmittag gefahren wurde, aussah.
Ein
mittelgroßes, eher unscheinbares Wohnhaus, welches im Keller über ein höchst
erstaunlich großes Schwimmbad verfügte.
Die
Kurse waren voll; lauter andere Gören meines Alters aus der Umgebung trudelten
ebenfalls ein.
Wir
bekamen durchsichtige Schwimmflügel, die mit schmalen blauen Styroporringen
gefüllt waren. Je nach unseren individuellen Fähigkeiten wurden immer mehr
dieser Ringe entfernt.
Eines
Tages sollten wir dick angezogen kommen und Klamotten zum Wechseln mitbringen.
Der Schwimmlehrer warf uns unfreundlicherweise in Plüsch und Plunder ins
Wasser. Ich hatte von dieser Prüfung gehört, fand sie aber sinnlos.
Tatsächlich
erinnere ich mich aber bis heute wie viel schwerer es ist voll angezogen zu
schwimmen. Die vollgesogenen Hosen und Jacken bremsen enorm und ziehen einen
herunter. Es war auch nicht damit getan aus dem Pool wieder heraus zu kommen,
sondern wir hatten eine Ewigkeit zu kämpfen und uns dabei sicher über Wasser zu
halten.
Die
Angst vor dem Hecht habe ich übrigens kurze Zeit später überwunden und wurde
auch nicht angeknabbert, als ich den Teich durchschwamm.
Jahre
später, in der vierten Grundschulklasse gab es wieder Schwimmunterricht.
Diesmal
aber in einem großen 50m-Becken mit echten Prüfungen.
Unsere
Klassenlehrerin Frau Klogeldorf hatte vorher Erkundigungen über unsere
Schwimmfähigkeiten eingeholt. Tatsächlich konnten in der großen Klasse drei
Schüler nicht schwimmen und mußten zunächst in einem Nichtschwimmerbecken
einige Grundlagen lernen. Es dauerte aber nicht lange, bis sie zu uns stießen.
Im Laufe das Jahres werden unsere Eltern sicherlich insgeheim den
Schwimmunterricht verflucht haben, weil sie dauernd neue Aufnäher auf unseren
Badehosen befestigen mußten.
Kleine
Kinder wollen sich vergleichen und angeben.
Und so trug
auch ich bald Frühschimmer, Freischwimmer, Fahrtenschwimmer und
Jugendschwimmer-Abzeichen.
Nach
meinem Schulwechsel auf das Gymnasium gab es in der fünften Klasse ein weiteres
Jahr Schwimmunterricht. Umstrittenen Unterricht, denn inzwischen konnten alle
Schüler gut schwimmen und die Schwimmhalle war ziemlich weit weg, so daß die
Elternabende von Diskussionen über die Sinnhaftigkeit der zweimal in der Woche
gecharterten Busse geprägt wurden.
Schwimmen
für Noten kam dann erst wieder in der VS (11. Klasse) in Frage. Da konnte man unter
anderem Schwimmen als Sportart wählen.
Ein
indiskutabler Kurs für mich, denn er fand zu den normalen Schulzeiten Dienstag
und Donnerstag in der vierten Stunden statt. Um den Weg dahin mit öffentlichen
Verkehrsmitteln zu schaffen, mußte man jeweils mindestens eine Freistunde
verschwenden und außerdem war meine Frisur mit dem Zentner Haarspray nicht
Wasser-kompatibel.
Ich
hatte keine Freistunden zu verschenken und zog die lähmende Ödnis der Kaufhof-Gastronomie
vor.
Der
Schulleiter hatte das eigentlich nicht vorgesehen. Eigentlich sollten alle
Jungs schwimmen gehen. Der einzig andere wählbare Sportkurs zu der Zeit war
Jazzgymnastik – vorzugsweise von Mädchen besucht. Ihnen wollte man es nicht
zumuten sich im Schwimmbad auszuziehen. Als mußten sie mehr oder meistens
weniger elegant in Strumpfhosen zu Tina Turners Hits Choreographien
einstudieren. Sie, die Mädchen und eben ein Junge – ich.
Die
Rechnung für Sport in der 3./4. Stunde sah für mich eindeutig aus.
Große
Pause (20 Min) + 3. Stunde (45 Min) + kleine Pause (5Min) + 4. Stunde (45 Min) + Große
Pause (20 Min) = 135 Min.
Hatte
man davon eine Schulstunde (=45 Minuten) Schwimmen, verbrauchte man die gesamte
Zeit und kam noch mit nassen Haaren auf den letzten Drücker in der 5. Stunde zu
Physik angehetzt.
Jazzgymnastik
bei der geradezu debil übermotivierten Frau Fass war zwar noch peinlicher, aber
die Zeitbilanz sah ganz anders aus. Die 45 Minuten Unterricht ließen sich
elegant auf 2/3 kürzen, indem man erst zehn Minuten zu spät kam („Tut mir Leid,
der doofe Busfahrer ist mir genau vor der Nase weggefahren!“) und fünf Minuten
vor Unterrichtsschluß ging („Sorry, ich muß dringend auf Klo!“). Umziehen
entfiel natürlich auch, weil ich in 90% der Fälle LEIDER das Sportzeug
vergessen hatte und daher auf Socken in meinen normalen Sachen durch die
Turnhalle debakulierte. 135 Min minus
30 Minuten Jazztanz = 100 Min mehr Zeit
zum Saufen und Rauchen.
Und
immerhin habe ich in beiden Semestern nach meiner Erinnerung volle zwei Punkte
bekommen. Und außerdem kam ich immer mit gut sitzender Frisur zu Physik.
Nebenbei
bemerkt habe ich das Schwimmen nicht aufgegeben. Leider wohnte ich damals
nicht mehr mit Garten und Teich in der Nähe, aber beim nächtlichen Zechen
hatten wir entdeckt, daß man die Absperrgitter um den Stadtparksee an einer
Stelle umklettern konnte. Der Stadtpark lag günstig auf der Strecke wenn man
von der Reeperbahn aus mit Southern Comfort abgefüllt nach Hause schwankte und
sich noch ein wenig erfrischen wollte.
Da war
die Frisur ohnehin schon lange egal und die albernen Badehosen mit
Schwimmabzeichen wären auch nur peinlich aufgefallen, weil ohnehin alle
Nachtschwimmer auch Nacktschwimmer waren. Wer einmal im Adamskostüm geschwommen
ist, wird Badehosen auch niemals vermissen.
Die
Moral von der Geschicht‘: Auf die ein‘ oder andere Weise kann man immer mal ins
Wasser fallen.
Schwimmen ist eine der Grund-Skills, die man
wie Fahrradfahren, Lesen und Schreiben einfach beherrschen muß. Vom Schwimmen
hat man außerdem lange etwas, weil es zu den berühmten Dingen gehört, die man
nicht verlernt, wenn man das einmal kann.
(Ich
würde übrigens einen PKW-Führerschein zu den Must-haves zählen und wundere mich
immer, wenn heutige Teens und Twens das hartnäckig für unwichtig erklären.
Natürlich muß man kein Auto haben, aber man sollte schon so eine Karre fahren
können und dürfen – es kann immer eine Situation auftreten, in der man einen
Fahrer BRAUCHT, weil jemand schnell ins Krankenhaus o.ä. muß.)
In
Deutschland keinen Führerschein zu haben, kann natürlich daran liegen, daß die
Dinger inzwischen extrem teuer sind und mit vielen Tausend Euro zu Buche
schlagen.
Die zehn
Millionen funktionalen Analphabeten Deutschlands sind ebenfalls in keiner
einfachen Situation. Wenn sie durch das extrem versagende deutsche Schulsystem
erst einmal erwachsen geworden sind oder als Einwanderer in ihrem Geburtsland
nicht die Möglichkeit hatten zur Schule zu gehen, stehen sie vor einer
anspruchsvollen und langwierigen Aufgabe.
Schreiben
und Lesen lernen nur Kinder relativ einfach. Für Erwachsene ist das ein
gewaltiger Brocken.
Schwimmen
hingegen ist, bzw war nach meinem bisherigen Gefühl eine vergleichsweise
einfache Angelegenheit. Das müßte doch jeder nach ein paar Stunden können.
Dachte ich.
Aber
weit gefehlt.
Nachdem
ich Philipp Möllers „Isch geh Schulhof“ begeistert und aufmerksam gelesen habe, sollte ich
mich über gar keine Berichte aus Berliner Schulen wundern.
In der deutschen
Hauptstadt gibt es Schwimmunterricht schon ab der dritten Klasse. Das ist schon
mal erfreulich.
Da
Kinder, die im 21. Jahrhundert in Deutschland aufwachsen aber tumb und ungelenk
sind, bereits daran scheitern auf einem Bein zu stehen oder sich die Schuhe
zuzubinden, reicht heute aber ein ganzen Jahr Schwimmunterricht nicht mehr aus,
um zu lernen nicht abzusaufen.
Wir haben
anhand der Versagerquote beim Eingangstest für das Sportstudium in Köln
schon gesehen, wie unkoordiniert und ungeschickt sich selbst muskelbepackte
Typen sich im Becken anstellen.
Also wen
wundert es, daß Berliner Kinder auch nicht mehr in Lage sind schwimmen zu
erlernen?
Nichtschwimmer in
Berlin Grundschüler: Es reicht kaum für das Seepferdchen
[….] Viele Grundschüler können nicht schwimmen.
In Neukölln sind es rund vierzig Prozent der Schüler am Ende der dritten Klasse
- und das, obwohl sie das ganze Jahr über eigentlich Schwimmunterricht hatten.
[….]
Es sind alarmierende Zahlen: Fast
neunzehn Prozent der Berliner Grundschüler können nach der dritten Klasse nicht
schwimmen, obwohl in dieser Jahrgangsstufe das ganze Schuljahr über
Schwimmunterricht stattfindet. Besonders viele Nichtschwimmer gibt es in
Bezirken mit sozial schwierigen Bedingungen. So können in Neukölln 40 Prozent
der Kinder am Ende der dritten Klasse nicht schwimmen, in Mitte sind es knapp
30 Prozent, danach folgen Spandau (26 Prozent) und Reinickendorf (24,2
Prozent).
[….] Schulleiterin Sabine Weber von der
Neuköllner Elbe-Grundschule bestätigt den Befund. „Bei uns kann zu Beginn der
dritten Klasse meistens kein Kind schwimmen, und dieses Jahr schaffen gerade
mal die Hälfte am Ende das Seepferdchen.“ Für das Schwimmabzeichen muss ein
Kind 25 Meter schwimmen und aus schultertiefem Wasser einen Ring vom Boden
holen können. „Wir bräuchten mindestens zwei Jahre lang Schwimmunterricht.“
Die Bildungsverwaltung
verweist darauf, dass sich das motorische Können der Schulanfänger in den
letzten Jahren insgesamt verschlechtert habe. Zudem gebe es bei der
Wertschätzung der Schwimmfähigkeit kulturelle Unterschiede. [….]
Die
Kunde hör‘ ich wohl –
Allein mir
fehlt der Glaube.
Ein
ganzes Jahr Schwimmunterricht mit Kindern und anschließend können trotzdem 20 –
40 % nicht schwimmen?
Früher war alles besser.
Früher war alles besser.
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