Sonntag, 21. April 2013

Hau ab schwäbische Hausfrau!


Der neue Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gehrig beeindruckt mich mit seinem klaren post-neoliberalen Statement.
Der gelernte Drucker und SPD-Stadtverordnetenvorsitzende kündigte an, sich von seinem Vorgänger abzusetzen. "Die Stadt ist kein Konzern, die Stadt ist ein Gemeinwesen." Man könne eine Stadt "nicht nur mit Kennziffern" führen.
Wer wie Angela Merkel auf das Bild der „schwäbischen Hausfrau“ verweist und meint im Sparen läge die Lösung aller Probleme, kennt die elementaren Zusammenhänge der Volkswirtschaft nicht.
Die Kanzlerin glaubt diesen Unsinn selbst nicht. Sie benutzt solche Erklärungsmodelle aber, um dem denkunwilligen BILD-Leser Hungerlöhne, Lohndumping und Sozialkürzungen schmackhaft zu machen.
Durch die extrem niedrigen Lohnstückkosten der größten Volkswirtschaft Europas entsteht ein gewaltiger Wettbewerbsvorteil gegenüber den Nachbarländern.
Deutschland jagt ihnen knallhart Marktanteile ab, produziert immer mehr, kann immer mehr exportieren.
„Was dabei übersehen wird, es ist die Politik der deutschen Bundesregierung, die Europa immer tiefer in die Krise treibt - und das auch bei der Lohnpolitik. Niedriglöhne, Werkverträge, kein Mindestlohn, das alles verschärft die Krise im Euroland - und treibt jetzt auch Deutschlands Nachbarländer auf die Barrikaden. Wir haben uns mal umgesehen, rechts und links des Rheins.“

[….] Auch bei der Arbeitsbehörde der UN warnt man, dass Deutschlands Niedriglöhne die Krise in Europa verschärfen und sich Deutschland damit am Ende selbst schaden könnte.

Ekkehard Ernst, Int. Arbeitsbehörde der UN: „Wenn Deutschland weiterhin an seiner jetzigen Politik festhält und das Lohnwachstum nicht stärker und verstetigt wird, dann kann es durchaus passieren, dass eben diese Eurokrise zunimmt und bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone die Arbeitslosigkeit auch in Deutschland sehr schnell und drastisch ansteigen wird.“

Arbeitsministerin von der Leyen sieht keinen Grund zur Sorge. Die Lohn- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland sei immer angemessen gewesen.


Unglücklicherweise sind offenbar die meisten Wähler unfähig zu begreifen was Merkel und Rösler und Schäuble in Europa tun. 
Hartnäckig glaubt die Mehrheit, daß Deutschland der Zahlmeister der EU sei und mit Steuerzahlermilliarden den Schlendrian-Ländern im Süden helfe.
Bisher geht es aber nur um Bürgschaften. 
Es verhält sich also genau umgekehrt – Deutschland verdient reichlich an der Krise, weil die ausgepressten perspektivlosen Spanier und Griechen an deutsche Banken zahlen. Währenddessen können sich deutsche Finanzminister daran erfreuen schon über 60 Milliarden Euro Zinsen eingespart zu haben, weil die Finanzmärkte ihnen „Negativzinsen“ gewähren und dafür lieber Italien und Zypern auspressen. 
Dabei ist die Deutsche Staatsverschuldung prozentual höher ist als die Spanische.
Gerecht ist anders.
Merkel ist reichlich unbeliebt in Europa, weil sie den anderen Ländern die Austeritätsdaumenquetsche anlegt, die sie zu Hause keinesfalls haben wollte. 
In Deutschland warf sie stattdessen mit Geld um sich, nahm reichlich neue Schulden auf, schuf Konjunkturpakete.
Sie haben die Schulden – wir den Profit.
Die verschwenderischen Südeuropäer gefährden unseren Wohlstand? Von wegen – ihnen haben wir Deutschen den Reichtum zu verdanken.
Ich verstehe, daß südeuropäische Länder, die deutsche Waren importieren müssen - mit geliehenem Geld, für das sie horrende Zinsen an Frankfurter Banken zahlen  - und ihre Produktionen nach Deutschland exportieren, anfangen Deutschland und Frau Merkel zu hassen.
Wachstum, das Lieblingswort der K.O.alitionären, wird in Wahrheit durch die Schulden der anderen generiert. 
So ist es uns so war es schon seit Tausenden Jahren. 
Schulden sind gewissermaßen was Gutes - insbesondere, wenn sie von jemand anders gemacht werden.
Und diese Schulden machen die Südeuropäer, um Deutschland die billig produzierten Waren abzukaufen.
Läuft diese Entwicklung weiter, weil sich die dilettierende deutsche Arbeitsministerin weigert wahrzunehmen, daß es überhaupt eine gefährliche Schieflage bei den Löhnen gibt, wird irgendwann die Ökonomie in der EU außerhalb Deutschlands stillstehen, weil dort niemand mehr mit den Raubtierkapitalismusmethoden zwischen Flensburg und Bodensee mithalten kann.
Die deutsche Wirtschaft wird dann allerdings auch kollabieren, weil die abgewürgte Binnennachfrage nicht einspringen kann, um die ausfallenden Abnehmer deutscher Waren zu kompensieren.
Bisher ist die EU noch der Hauptabnehmer für deutsche Exporte. Und bei der hiesigen katastrophalen Importschwäche bleibt ja nur der Export.
Außer der Bundesregierung und dem Urnenpöbel wird das auch in der Fachwelt so gesehen. Ausnahmsweise sind sich linke und konservative Ökonomen einigermaßen einig. So wie jetzt kann es nicht weitergehen.
Deutschlands Ansehen in der Welt erreicht angesichts dieser Politik auf Kosten der Nachbarn inzwischen ein Niveau irgendwo zwischen Fußpilz und Mundfäule.
Die Finanzminister der G-20-Staaten kommen bei ihrem Treffen in Washington in zentralen Fragen kaum voran. Deutschland ist mit seinen Ansichten zunehmend isoliert.

[…] Das Interessante ist, dass sich in der Abschlusserklärung des G-20-Treffens […] praktisch nur Allgemeinplätze zum Thema Steuervermeidung finden. Da "ermutigen" die Minister die Steueroasen in der Südsee und anderswo, mehr Informationen über reiche ausländische Kontoinhaber herauszurücken und anderen Regierungen Amtshilfe zu leisten, da "loben" sie die Fortschritte in einigen "Jurisdiktionen", da "begrüßen" sie die Absicht der OECD, bis zum Sommer einen Aktionsplan gegen die Gewinnverschiebereien vorzulegen, mit denen große internationale Konzerne ihre Steuerlast systematisch in Richtung null drücken. Von Sanktionen, von diplomatischem Druck oder von schwarzen Listen ist in dem Kommuniqué dagegen nicht die Rede. […] Hinzu kommt der seit Jahren schwelende Glaubensstreit darüber, wie die Weltwirtschaft wieder auf einen stabilen, nachhaltigen Wachstumskurs gebracht werden kann. Vereinfacht gesagt ist Schäuble in diesem Spiel "Alle gegen Deutschland" der Auffassung, dass nachhaltiges Wachstum am ehesten dann entsteht, wenn die Staaten zunächst ihre Haushalte in Ordnung bringen.

Viele andere Länder, allen voran die USA, sehen das genau andersherum: Demnach ist wirtschaftliches Wachstum die Voraussetzung für solide Staatsfinanzen. […] Schäuble wies die Forderungen der Amerikaner und ihrer Mitstreiter während seines zweitägigen Aufenthalts in der US-Hauptstadt mit jedem Mal unwirscher zurück. "Ich habe bisher von niemandem einen konkreten Vorschlag bekommen, was Deutschland eigentlich tun soll, um die Nachfrage zu stimulieren", klagte er.
Aber was schert Merkel mit ihren über 70%-Zustimmungsraten im Volk das Kopfschütteln in den Hauptstädten der Welt?
Geht es nach Union und FDP, soll das Thema ein Wahlkampfschlager werden: die Haushaltskonsolidierung. Während andere europäische Nationen um ihre Kreditfähigkeit fürchten müssen, kann die in Deutschland regierende Koalition sich rühmen, mit großen Schritten auf einen Etat ohne neue Schulden zuzugehen. 2015 sollen die Einnahmen vollständig für die geplanten Ausgaben ausreichen.

Nun stellen ausgerechnet die von der Regierung beauftragten Wirtschaftsforschungs-Institute diesen Wahlkampfplan infrage. […]  'Die sich verbessernde Haushaltslage des Staats verdeckt, dass weiterhin Konsolidierungsbedarf besteht', urteilen die Volkswirte. Die Erfolge im Bund beruhten auch auf Faktoren, die nicht nachhaltig wirkten, argumentieren sie beispielsweise mit Blick auf die Zinsen, die der Bund auf seine Schulden zahlen muss. Diese Ausgaben hätten deutlich steigen müssen, wäre das Zinsniveau nicht durch die Euro-Krise erheblich gesunken. 'Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kapitalmarktzinsen in Deutschland nicht so niedrig wie derzeit bleiben werden.' Sollten die Zinsen wieder anziehen, werde dies auch auf den öffentlichen Finanzierungssaldo durchschlagen.

Ferner kritisieren die Forscher, dass ein übriger Teil des Schuldenabbaus durch höhere Steuereinnahmen bedingt sei, die durch die Inflation entstanden seien.
(Guido Bohsem, SZ vom 19.04.2013)
Aber politisch aktiv zu werden, scheut die ganze schwarzgelbe Regierung wie Uli Hoeneß den Vegetarismus.
Es war das einstige Kernthema der schwarz-gelben Koalition, doch Union und FDP setzen nun nicht einmal mehr im Wahlkampf auf die Steuerpolitik. Kanzlerin Merkel ist zu keiner Reform bereit. Doch Gering-, Durchschnitts- und Besserverdiener zahlen zu hohe Steuern und Abgaben, wirklich Reiche hingegen zu wenig. […]

Erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit haben CDU, CSU und FDP in einzelnen Umfragen zur Bundestagswahl wieder eine Mehrheit. Das Loch, in das sich die SPD eigentlich verkriechen müsste, kann gar nicht tief genug sein, denn es ist ja nicht die Stärke der Regierung, die sich in den Zahlen spiegelt, sondern die Schwäche der größten Oppositionspartei. Die Bilanz der Koalition nämlich ist auf vielen Gebieten so bescheiden, dass jedes Gerede über eine Wiederwahl noch vor einiger Zeit als Ausweis purer Ahnungslosigkeit oder schwarzen Humors gegolten hätte.

Das Feld, auf dem Schwarz-Gelb wohl am wenigsten zustande gebracht hat, ist die Steuerpolitik. Keines der Versprechen, die Union und Liberale 2009 unter der Überschrift "einfach, niedrig, gerecht" gegeben hatten, wurde eingelöst. […] Es waren  […] die Koalitionsspitzen selbst, die sich das Nachdenken verboten. […]

Offenbar haben sich Union und FDP an die Tatenlosigkeit so sehr gewöhnt, dass sie nun nicht einmal mehr im Wahlkampf auf ihr einstiges Kernthema setzen. Es sei genug Geld da, so die Botschaft, deshalb bestehe kein Änderungsbedarf. […] Fast 190 Milliarden Euro hat der Staat 2012 an Lohn- und Einkommensteuer eingenommen. Die Abgeltung- und die Erbschaftsteuern brachten mit acht beziehungsweise vier Milliarden Euro zusammen gerade einmal ein Fünfzehntel dieser Summe ein. Der Missstand ist offenkundig. Dennoch ist Angela Merkel, das zeigen ihre jüngsten Äußerungen, zu keiner Steuerreform bereit. Aber Angela Merkel hat ja auch in der laufenden Wahlperiode schon keine Steuerpolitik betrieben.

2 Kommentare:

  1. Was sie verschweigen, ist, dass 12 Milliarden schon 50% der Hartz-4-Ausgaben deckeln. Stattdessen verbreiten sie die 50%-Lüge. 50% sollen angeblich in den Bereich fließen. Diese Lüge ist so verbreitet, dass sie immer wieder in Talkshows unwidersprochen vorgebracht wird. Damit befeuert die FDP und ihre Wirtschaftslakaien die Neiddebatte.

    Arbeit und Soziales erhalten 48% des Bundeshaushaltes. Darin sind Kosten z.b. für Kurzarbeitergeld, Kriegsopferversorgung und Verwaltungskosten. Größter Posten sind die Sozialversicherungen (z.b. Rente und Krankengeld). Lediglich 36% von den 48% gehen in Leistungen für Arbeitslose.

    Arbeitslose, die im Übrigen Arbeit hätten, wenn es welche gäbe. Man schafft nurmehr prekäre Beschäftigung. So baut man Logistikzentren für polnische Billiglöhner im Osten. Das lohnt sich, weil die Armut in Europa grassiert und nur die Deutschen noch konsumieren. Und weil Europa Arbeitslos ist, kann man billige Arbeiter in Massen importieren. Spanien, Portugal, Polen und bald auch Bulgarien und Rumänien. Ich nenne das Wirtschafts-Kannibalismus und Leichenfledderei.

    Am Ende wird man auch Deutschland schlachten. Durch die immer niedrigeren Löhne, wird bald niemand mehr konsumieren. Die Abwärtsspirale dreht sich weiter. Die entfesselte Gier macht sich offen über die Menschenwürde her.

    Und wie war die Antwort der SPD? Hartz-4-Reformen! Die haben diese Ausbeutung erst möglich gemacht.

    Und was will man nun tun? Die Daumenschrauben ein wenig lockern! Mindestlöhne sollen die Antwort sein. Wobei "Mindestlohn" einen Lohn beschreibt, der nicht nur vom Namen her so unfassbar unwürdig ist, sondern auch nicht zum Leben reicht.

    M I N D E S T L O H N

    Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Dabei arbeiten schon 25% aller Menschen in Deutschland in prekärer Beschäftigung. Das Modell "Ausbeutung" will man offenbar noch ausweiten.Das stellt sicher, dass auch in 10 Jahren hier noch Menschen ausgebeutet werden dürfen. Ganz legal. Und will der Deutsche nicht für unter 10 Euro schuften, holt man eben Polen oder Bulgaren.

    Das haben unsere Politiker so geschaffen. Das ist Europa. Wir reißen die Grenzen nieder und lassen die Bonzen tun, was immer sie wollen. Man unterstützt das sogar, indem man die Ansiedlung von Ausbeuterbetrieben staatlich fördert. Erfurt wird bald ein schönes neues Logistikzentrum haben, in denen 3000 Polen ausgebeutet werden. Das lässt sich Deutschland über 22 Millionen kosten.

    So macht man sich vielleicht keine Freunde. Aber das rechnet sich. Und darauf kommt es ja an.

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  2. Den Polen geht es inzwischen schon in weiten Teilen besser als uns.
    Die kommen zu den in Deutschland gezahlten Löhnen jedenfalls nicht mehr so ohne weiteres zum Spargelstechen.

    Interessant ist aber in der Tat wie sehr „der Sozialstaat“ als etwas furchtbar Schlechtes konnotiert wird. Eine deutsche Eigenart.
    In skandinavischen Ländern, die mehr „Sozialausgaben“ und höhere Steuern für Reiche haben, ist man im Gegenteil stolz darauf.
    Und es sind bekanntlich nicht gerade Finnland, Norwegen. Dänemark oder Schweden mit ihren hohen Sozialausgaben, die zu den Sorgenkindern Europas gehören.

    Daß es Lobbyisten und FDP geschafft haben in weiten Teilen der gesellschaft den Wahn zu verankern der Sozialstaat müsse dringend verschlankt werden, ist aus deren Sicht ein gigantischer Erfolg.
    So wählen sich die dümmsten Kälber ihre Metzger selber und präferieren nun erneut eine CDU-FDP-Koalition.

    Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Buch, das ich gerade gelesen habe:

    Hanni Hüsch: „So sieht uns die Welt. Ansichten über Deutschland“

    http://westendverlag.de/westend/buch.php?p=92

    Die ausländischen Korrespondenten sind alle schwer begeistert vom deutschen Sozialstaat.

    Nur hierzulande herrscht die Meinung vor, alle Hartzler wären arbeitsscheue Sozialschmarotzer.

    Ach ja – und die ewige Frage nach SPD und der Agenda 2010:
    NACH der Agenda 2010 wurde deutlich MEHR für Soziales ausgegeben als vorher. Die Hartzsätze sind höher als die vorherige Sozialhilfe.
    Das ist auch die Wahrheit.
    Und wem das nicht passt, der soll mit bitte sagen, wie man es besser machen könnte.

    LGT

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