Mittwoch, 17. April 2013

Glauben wie Gott in Frankreich.




Liest man die ZEIT-Rubrik „Glauben und Zweifeln“ kann man den Eindruck gewinnen bei einem völlig rückwärtsgesinnten Blatt gelandet zu sein, welches intellektuell in einer mittelmäßigen Liga spielt.
Gesellschaftspolitisch geht es in der altehrwürdigen Redaktion des Pressehauses, Speersort 1, nur ein paar Schritt hinter dem Hamburger Rathaus gar nicht so altbacken her, wie es Katholikiot di Lorenzo vermuten läßt.
Sie können durchaus auch auf der Höhe der „Zeit“ schreiben. 
So rechnete Heinrich Wefing in einem prominent platzierten Artikel vor zwei Wochen mit dem lächerlichen Anti-Homo-Kulturkampf der Konservativen ab.
Die Konservativen fürchten sich vor dem Zerfall der Normalfamilie – und suchen die Schuld bei Lesben und Schwulen.

Einen solchen globalen Kulturkampf hat es lange nicht gegeben. Der Streit um die Rechte von Homosexuellen entfesselt die Leidenschaften rings um die Welt, peitscht die Emotionen auf, in Russland, in Afrika ebenso wie in Europa und den USA. Fast scheint es, als sei dies die Frage, an der sich die Zivilität und Liberalität einer Gesellschaft entscheidet, wie einst an der Frage nach der Emanzipation der Juden. In Frankreich gehen Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Homo-Ehe zu protestieren und gegen das Recht von Schwulen und Lesben, Kinder zu adoptieren. [….]

Die Empörung ist noch weniger verständlich, wenn man zum Zweiten daran erinnert, dass die Sache eigentlich durch ist. In zehn Jahren wird sich niemand mehr über die Homo-Ehe aufregen, in Frankreich nicht, in Deutschland nicht und wohl auch nicht in Amerika. [….] Die tief katholischen Regionen Sizilien und Apulien werden, vor wenigen Jahren noch undenkbar, heute von homosexuellen Regionalpräsidenten regiert. [….] Und warum tobt dieser Kampf jetzt in drei großen westlichen Demokratien zugleich, in Frankreich, den USA und – weniger heftig – auch in Deutschland? Ein finales Aufbäumen der Konservativen? Ein letzter, verzweifelter, homophober Protest gegen eine Liberalisierung, die längst unumkehrbar ist?

[….] Der Protest gegen die Homo-Ehe ist ein Protest gegen die Realität der modernen Familie.  [….]  "Die Befürworter der Homo-Ehe können nur erreichen, was sie erreichen wollen", schrieb [der konservative Publizist David] Frum, "indem sie Amerikas Bindung an die traditionelle Familie weiter schwächen" und damit den Prozess der sozialen Auflösung beschleunigten, der in den sechziger und siebziger Jahren begonnen habe.

Die Schwäche des Arguments ist offenkundig. Schwulen und Lesben die Schuld an steigenden Scheidungsraten und der wachsenden Zahl von Alleinerziehenden zu geben ist eine bizarre, wenn nicht böswillige Verwirrung von Ursache und Wirkung. Keine heterosexuelle Ehe geht in die Brüche, nur weil Homosexuelle heiraten dürfen. Es waren Heterosexuelle, die das klassische Familienbild aufgegeben haben, lange bevor zum ersten Mal vor einem Standesamt Reis für ein schwules Paar geworfen wurde. Die heterosexuelle Mehrheit selbst hat neu definiert, was Familie sein kann, hat die Ehe entkoppelt von Fortpflanzung und Dauerhaftigkeit, weshalb es keine Rechtfertigung dafür gibt, homosexuellen Paaren zu verweigern, was heterosexuellen selbstverständlich zugestanden wird. 
Wie so viele Länder entspricht Frankreich dem Klischee, das so viele von der Grande Nation haben und beinhaltet dennoch auch das genaue Gegenteil der Klischees.

Seit vielen Jahren schon zeichnet sich die französische Kulturszene durch deftige, weit ins Pornographische reichende Sexdarstellungen aus.
Wie viele Jungs meiner Generation bin ich ein großer Fan der Philippe-Djian-Romane („Rückgrat“ von 1991 ist mein Lieblingswerk).
 Er konnte mal so nett schreiben, aber die Sexszenen wurden immer extremer. „Schwarze Tage, weiße Nächte“ von 2002 ist ein echter Porno und man weiß nicht wozu das noch gut sein soll.
Die Regisseurin Catherine Breillat brachte mit ihrem berühmt-berüchtigten Werk „Romance“ Hardcore-Sexszenen ins Mainstreamkino. 
Heute kommt keine französische TV-Produktion mehr ohne das ausführliche Zeigen von Penissen und diversen homoerotischen Geschichten aus.
Frankreich scheint das diametrale Gegenteil des prüden Amerika zu sein.
Unser Nachbarland im Westen gilt vielen Amerikanern als so sittenlos, daß der GOP-Herausforderer Barack Obamas verschämt verschwieg der französischen Sprache mächtig zu sein – er fürchtete um Stimmen aus dem rechten Lager.
Mitt Romneys zweijährige Missionsreise in Paris muß dem Mormonen, der Tabak, Alkohol, Sex und Kaffee gleichermaßen streng verdammt, vorgekommen sein wie Sodom und Gomorrha. Amerikanische Austauschsoldaten sollen sich kaum aus ihren Kabinen getraut haben, als sie auf dem französischen Flugzeugträger Clemenceau eingesetzt waren. In der Kantine gab es WEIN zum Essen und noch nicht mal Sex unter den Matrosen und Matrosinnen war verboten.

Das passt nur zu gut zum streng laizistischen Staatsverständnis, welches es dem Präsidenten sogar verbietet sich in einer Kirche blicken zu lassen.
Welch ein Unterschied zu Köhler, Wulff und Gauck, die sich so oft wie möglich betend zeigten.

Die Franzosen waren quasi prädestiniert dafür einen linken Senat und eine linke Nationalversammlung zu wählen, die ein für alle Mal sämtliche rechtlichen Unterschiede zwischen Heteros und Homos aufhebt.
Und nun diese Demos dagegen. Wie passt das zusammen?

Die Antwort lautet „Katholizismus“.

Eindeutige Zahlen gibt es zwar nicht, aber Frankreich ist sowohl eine Hochburg des Atheismus als auch eine Hochburg des Katholizismus. 
30 bis 40 Millionen Franzosen sind römisch-katholisch und stellen damit mehr Mitglieder als Deutschland. Inklusive der Überseegebiete gibt es mehr als hundert katholische Bistümer in Frankreich – in Deutschland sind es gerade mal 27.
Die Église catholique mit ihren acht Kardinälen ist neben den Italienern und den Spanischsprachigen die dritte große Macht im Vatikan.
Sie gilt als stramm konservativ und ist die Hauptantriebskraft in der antihumanistischen Homophobiebewegung des Landes. 
Angesichts des traditionell starken Säkularismus‘ reagieren die Rotröckchen geradezu hysterisch auf Gewährung von Minderheitenrechten.

Nach Einschätzung Kardinal Andre Vingt-Trois, verliert das Christentum an gesellschaftlicher Bedeutung. Beispiel dafür sei die geplante Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und des Adoptionsrechts für Homosexuelle.

Das christliche Konzept der Menschenwürde sei in Frankreich nicht mehr als ethische Referenz anerkannt.

Da hat jemand die Soutane gestrichen voll, weil er um seinen Einfluß fürchtet.

Mit immer schrilleren Tönen eskaliert die katholische Kirche in Frankreich den Konflikt um die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben. Der Pariser Erzbischof warnt nun vor Gewalt, sollte das Gesetz beschlossen werden.

Der ranghöchste französische Vertreter der katholischen Kirche hat am Dienstag erklärt, dass die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben zu einer "gewalttätigen Gesellschaft" führen könne. Kardinal André Vingt-Trois, als Erzbischof von Paris und Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz der mächtigste Katholik im Lande, sieht laut "Le Figaro" den Gesetzentwurf zur Gleichstellung von Homosexuellen im Eherecht als Zeichen an, dass die französische Gesellschaft auseinander bricht.

"So entsteht eine gewalttätige Gesellschaft", sagte der 70-Jährige bei einem Treffen der französischen Bischöfe. "Die Gesellschaft kann nicht mehr integrieren und die unterschiedlichen Meinungen in ein gemeinsames Projekt zusammenführen."

7 Kommentare:

  1. Was mir fehlt, ist die Antwort auf die Frage, warum in einem Land so und in einem anderen Land so empfunden und gehandelt wird. So unterschiedlich sind Menschen nicht. Also woran liegt es, dass Amerikaner und Franzosen so unterschiedliche Ansichten zur Sexualität haben?

    Es ist doch offenbar die Kultur, die uns Menschen prägt. Und wo in Frankreich, kühle Köpfe die persönliche Freiheit der religiösen Einschränkung voranstellt, ist Amerika rückständig. "God bless" ist dort verbreitet wie keine andere Floskel.

    Amerikas Kultur ist von Religion geprägt. Weil die ersten Siedler dort oft aufgrund religiöser Verfolgung eine neue Heimat suchten. Amerikas Gründerväter waren Religioten. Hexengläubige Wahnsinnige gar! Kein Land der Welt, beherbergt so viele Sekten wie Amerika. Und nur dort darf Scientology sich als Kirche bezeichnen. Es ist geradezu lächerlich, wie fanatisch dort, Religiotie gefördert und gehegt wird.

    In Amerika wird Auslebung von Religion, blind als Ausübung von Freiheit angesehen. Und so undifferenziert betrachtet, wird eine Karikatur daraus. Das ist typisch für Amerika.

    Gleiches gilt für die Waffenbescheuerten dort. Selbst, wenn jemand einen unsinnigen Einwand vorbringt, wie: "Es ist ein Mensch, der tötet! Nicht die Waffe tötet!", hört man darauf.

    Und dann sind weder die Menschen, noch die Richter oder Anwälte in der Lage, die Vernunft zu gebrauchen, um zu erkennen, dass ein "Mensch mit einer Waffe" tötet (Betonung auf "mit"). Und weil das niemand feststellt, wird Freiheit zur Karikatur. Es ist die Folge der Kultur egozentrischer Amerikaner.

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  2. Es ist immer ganz ganz schwierig mit Pauschalisierungen.

    Wenn ich nur allein meine Verwandten in den USA ansehe, so gibt es dort schon ein Meinungs-Spektrum, daß so groß ist, daß viele nicht miteinander sprechen, weil sie sich gegenseitig für Extremisten halten.

    Wer irgendwo in der Pampa mit seinen Gewehren hockt, Fox guckt und Santorum bewundert, hat mit seinem Cousin in Boston oder Manhattan NULL Gemeinsamkeiten.

    Deswegen sprach ich von Klischees.

    Die Klischees über Deutsche sind ja auch grauenvoll und ich weiß, daß viele dieser Vorurteile zutreffen.

    Dennoch sind natürlich meine deutschen Freunde NICHT so.

    Und man muß anerkennen, daß Amerika schon wandelbar ist.
    Die Kriegsbegeisterung von vor zehn Jahren ist gründlich ausgetrieben. Die Mehrheit fängt auch längst nciht mehr an zu schreien, wenn ein Schwuler auftaucht.
    Neuerdings gibt es sogar bedeutende Bewegungen gegen den Waffenwahn.
    Mal sehen was in 2023 oder 2033 ist.

    LGT

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  3. "Es ist immer ganz ganz schwierig mit Pauschalisierungen."

    Darauf beschraenke ich mich mal ...... vorerst :-)

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  4. Was gerade in Boston los ist, hast du sicherlich mitbekommen.

    Und auch dazu gibt es ein bitter religiotisches Geschmaeckle, da man nicht “Good genug Without God” ist: http://www.rawstory.com/rs/2013/04/18/harvard-atheists-shocked-at-exclusion-from-boston-bombing-memorial-service/

    Grauslich, ain't it ...

    Gruss
    Jake

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  5. Zu Boston noch meine Lieblings-Links:



    http://www.humanist-news.com/boston-attentate-sarah-palin-fordert-als-konsequenz-die-usa-solle-in-tschechien-einmarschieren/


    und


    http://blog.ladybunny.net/2013/04/something-to-ponder.html

    und

    http://blog.ladybunny.net/2013/04/a-little-perspective-please.html


    LGT

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  6. Dazu auch noch etwas mehr Reales: http://blog.ladybunny.net/2013/04/a-little-perspective-please.html

    Der Flip-Flopper der seinen Rand nicht halten kann: http://www.rawstory.com/rs/2013/04/23/rand-pauls-reversal-i-dont-care-if-a-drone-kills-a-liquor-store-robber-with-50-in-cash/

    Total beklopp:
    http://www.rawstory.com/rs/2013/04/23/new-hampshire-republican-says-boston-bombing-was-government-black-ops-conspiracy/

    http://www.loonwatch.com/2013/04/after-boston-we-should-put-muslims-under-surveillance-says-rep-king/
    .... und die passende Antwort: http://www.loonwatch.com/2013/04/top-democrat-slams-gops-islamophobia-after-boston-bombing-2/

    und von FOX zB.: "“Yes, they’re evil. Kill them all.”"
    http://www.loonwatch.com/2013/04/fox-regular-jokes-about-killing-all-the-muslims/

    Wie war das mit diesem, wie war der Name nochmal ..... Breivik ... Falsch, peinlich unpassender Terrorist ... enensolche Opfer ... und wo war dieses Nordwekken nochmal??

    Gruss
    Jake

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  7. Der erste Link sollte dieser http://www.rawstory.com/rs/2013/04/23/coulter-boston-suspects-widow-ought-to-be-in-prison-for-wearing-a-hijab/ sein.

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