Montag, 3. Dezember 2012

Wehmut


Die Prohibition war eine tolle Sache.
Für Kanada, Mexiko und die Mafia.

Der 18. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten verbot von 1919 bis 1933 Herstellung, Transport und Genuß von Alkohol. In der Folge entstanden rund 100.000 sogenannte „Flüsterkneipen“ (Speakeasy-Clubs).
Die Kriminalität stieg rasant an und das Geschäftsmodell für organisierte Drogenbanden war geboren. Al Capone wurde sagenhaft reich und mächtig.

Das Verdammen, Verbieten und Verdrängen mag ein menschlicher Impuls sein, ist aber ein schlechter politischer Ratgeber.

Vor einigen Wochen wurden in Hamburg die obdachlosen Säufer vom Hauptbahnhof vertrieben (Schande über die SPD!)
Hauptbahnhof: Für Trinker ist kein Platz mehr!

[…] Die überdachten Bereiche vorm Hauptbahnhof werden privatisiert. Künftig hat der DB-Sicherheitsdienst hier das Sagen, genauso wie im Mönckebergtunnel. Dadurch sollen die „Sicherheit und Sauberkeit“ erhöht werden.

[…] Zuletzt gab es wiederholt Forderungen, Obdachlose, Trinker und Bettler zu vertreiben, damit Touristen und Reisende nicht gestört werden. Das ist künftig möglich. Bislang konnte die Polizei nur Personen des Platzes verweisen, die Passanten wirklich belästigten, aggressiv auftraten oder den Platz verschmutzten.

Was ist jetzt verboten? Künftig gilt: Sitzen, liegen, rauchen, betteln, laut Musik hören sind verboten. „Übermäßiges“ Trinken auch. Wie viel zu viel ist, entscheidet der Sicherheitsdienst.
Die SPD hat diese Maßnahme in ganz großer Runde (aus Senat, Bahn, Bezirk, Polizei und sozialen Trägern) beschlossen. 
So ein Vorgehen ist populär. Niemand will gerne mit Elend und Krankheit konfrontiert werden. 
Aus den Augen, aus dem Sinn.
Zu Gute halten will ich dem neuen Bezirkschef Andy Grote (dem Nachfolger des legendären Anti-Obdachlosen-Sheriffs Markus Schreiber), daß er etwas sehr Unpopuläres, aber gleichzeitig sehr RICHTIGES tun will.
Grote nimmt immerhin die Realität zur Kenntnis und weiß, daß es nun einmal Alkoholismus, Obdachlosigkeit und Prostitution gibt.
Das ist viel mehr Erkenntnis, als die meisten Konservativen haben. Sie meinen immer noch man könne mit Verboten alles regeln. 
So wie bei der Abtreibung. Man verbietet sie und schon kommen im schlichten Weltbild eines deutschen Katholiban oder eines GOPers keine ungewollten Schwangerschaften mehr vor.
 Einfach nur Obdachlose, Bettler und Säufer vom Hauptbahnhof zu vertreiben – damit ist Mittes Bezirkschef Andy Grote (SPD) nicht einverstanden. Er fordert einen Trinker-Raum direkt am Bahnhof, um den Betroffenen eine Anlaufstelle zu bieten. […] Der Trinker-Raum soll direkt am Ausgang Kirchenallee in nördlicher Richtung an das Bahnhofsgebäude gebaut werden, halb offen und mit Toiletten ausgestattet sein. Das zumindest wünscht sich Grote – nur fehlt ihm bislang die Unterstützung. „Wir werden auch weiterhin eine große Anzahl an Obdachlosen und Suchtkranken am Bahnhof haben. Für die brauchen wir solch einen Ort“, sagt Grote. Das verschärfte Vorgehen am Bahnhof gegen Säufer habe ja „nicht das Ziel, diese aus dem Stadtbild zu verdrängen“.
 Wer über ein bißchen mehr als drei Hirnzellen verfügt, muß einsehen, daß die Kriminalisierung von Drogen zu ungeheurem sozialen Elend, hoffnungslos überfüllten Gefängnissen, massenhafter Beschaffungskriminalität und dem Entstehen von Multimilliarden schweren Drogenkartellen geführt hat.
 
Seit über 20 Jahren gibt es auf der linken Seite des politischen Spektrums Menschen, die einsehen, daß die rund 50.000 schwerstabhängigen User harter Drogen eben nicht aufhören können und genauso wenig in der Lage sind auf legalem Wege täglich mehrere hundert Euro für Opiate aufzubringen.
Mit der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Drogenpolitik erzwingt also die Politik Beschaffungskriminalität ungeheuren Ausmaßes.
Es dauerte sehr lange bis endlich auch vereinzelte CDU-Bürgermeister einsahen, daß nur die legale Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige ein Weg aus dem programmierten Elend bedeuten kann.

Selbstverständlich ist die gegenwärtige Gaga-Bundesregierung nicht in der Lage diese geistige Erkenntnis nachzuvollziehen und treibt die Drogenkranken weiterhin aktiv in die Kriminalität und Gefängnisse.
In Amerika sieht es noch übler aus. „The war on drugs“ ist komplett gescheitert, aber Nordamerikas ideologisierte Politlandschaft ist nicht in der Lage vernünftige Schlüsse zu ziehen.
Eher schon das Volk oder aber südamerikanische Staaten.
 Die Drogenpolitik der USA ist eine irrwitzige Forsetzung der Prohibition. Lateinamerikanische Länder liefern den Stoff und die Toten - die USA die Waffen und das Geld. Einen Ausweg gibt es nur, wenn diese Waffen und dieses Geld besser kontrolliert werden - durch legale statt illegale Geschäfte. Eine Legalisierung von zunächst Marihuana ist überfällig.
Vor vier Jahrzehnten begannen die USA ihren Krieg gegen die Drogen, das Ergebnis füllt Konten und Friedhöfe. In Kolumbien, Afghanistan und anderen Produktionsländern starben Zehntausende am Kampf um Kokain, Marihuana oder Heroin. An der Schlacht beteiligen sich Armee, Paramilitärs, Guerilleros, Taliban.

Allein in Mexiko wurden je nach Statistik 60.000 bis 100.000 Morde gezählt, seit der nun scheidende Präsident Felipe Calderón 2006 die Streitkräfte ins Gefecht schickte. Die Leichen werden immer mehr - Rauschgift und Profit ebenfalls. Der Konsum sank nie. Calderóns Nachfolger Enrique Peña Nieto, jetzt vereidigt, und US-Kollege Barack Obama täten gut daran, nach einer Alternative zu suchen.
 Legalisierung und Akzeptanz haben immer auch den Vorteil, daß man an die Konsumenten, die in Not (hauptsächlich gesundheitlicher Art) sind, überhaupt rankommt.

Als 2001 in Hamburg der CDU-Mann Ole von Beust mit seinen lumpigen 26,2% Arm in Arm mit dem semikriminellen Rechtspopulisten Ronald Schill (19,4%) der SPD (36, 5%) die Regierungsmacht entriss, ließ der neue Bürgermeister mit seinem Stellvertreter mit massivem Polizeiaufgebot die „Drogenszene“ am Hauptbahnhof zerschlagen. 
Immer und immer wieder jagten große Polizeiaufgebote durch das Bahnhofsgelände, nahmen ausgemergelte Drogensüchtige fest und setzten sie irgendwo in den Randgebieten der Stadt wieder aus.
Irgendwann verschwanden auch die Dealer, die natürlich ein gutes Gespür dafür haben, wo ihre Abnehmer sitzen, bzw NICHT sitzen.
Darauf waren Schill, CDU und FDP sehr stolz! Hamburg war auf einmal drogenfrei.

Was sie nicht bedacht hatten, war allerdings die verblüffende Tatsache, daß sich die Tausenden Konsumenten nicht schlagartig in Luft aufgelöst hatten, sondern weiterhin ihren Stoff benötigten.

Aus den Augen, aus dem Sinn - aber nicht aus der Welt.

Es gab weiter die Sucht, es gab die Dealer und es gab die Beschaffungskriminalität.
  Nur konnte man sie nicht mehr wie bisher konzentriert am Hauptbahnhof beobachten. 
Die Szene war zerfleddert und bildete in der ganzen Stadt viele neue kleine Treffpunkte.
Da dämmerte es auch der Polizei, daß sie einen Bock geschossen hatte. Ihr wurde die Arbeit massiv erschwert, weil die Beobachtung der Szene extrem viel aufwändiger wurde. Es wimmelte nur so von Klagen der neuen Anwohner und Opfer der Beschaffungskriminalität.

Die CDU-FDP-Schill-Politik war dumm, menschenverachtend und pervers.
Aber auch populär - die CDU sollte zehn Jahre an der Macht bleiben. Die letzten beiden Jahre davon in einer Koalition mit entmoralisierten Grünen, die Abschiebungen, Brechmitteleinsatz, Europas größtes Kohlekraftwerk Moorburg und jede erdenkliche andere Schweinerei brav abnickten.

Wenn man heute zwei Straßen südlich des Hauptbahnhofs den Besenbinderhof entlang fährt, sieht man große Menschtrauben friedlich beim „Drob Inn“ stehen.
 Das Jugendhilfeprojekt mit Drogenkonsumraum hat Frieden geschaffen.

Die Suchtkranken können sich dort unter hygienischen Bedingungen einen Schuß setzen, duschen, essen und betreut werden.

Das Drob Inn ist eine niedrigschwellige und akzeptierend arbeitende Kontakt- und Beratungsstelle mit integrierten Drogenkonsumräumen. Die Beratungseinrichtung ist für erwachsene Drogenabhängige gedacht und staatlich anerkannt. Das Konzept und die Angebote sind auf die offene Drogenszene in Hamburg - St. Georg ausgerichtet. Das Drob Inn steht als zentrale Einrichtung gleichwohl allen in Hamburg lebenden Drogenkonsumentinnen und Drogenkonsumenten offen.

Konsumentinnen und Konsumenten illegaler Drogen erhalten konkrete Hilfen zum Überleben, zur sozialen Stabilisierung und zum Ausstieg aus der Sucht. Angebote der Überlebenshilfe sind die Voraussetzung dafür, den Kontakt zur Klientel zu finden und zu halten sowie Bedingungen herzustellen, um mit ihnen weiterführend arbeiten zu können. Durch die Kontaktarbeit im offenen Café entsteht ein vertrauensvoller Bezug der Klientinnen und Klienten zur Einrichtung und erleichtert es ihnen, weitere angebotene Hilfen zu nutzen. Die Kombination von Beratung, Ausstiegshilfen und niedrigschwelligem Zugang ermöglicht das Angebot sofortiger konkreter Hilfen in fast allen relevanten sozialen Bereichen.

 Solange es keine Drogenlegalisierung in Deutschland gibt, sind Drobinns und Trinkerhallen die besten Möglichkeiten, um den Kranken zu helfen.

Die Beust-Schill’sche Zerschlagung und Verteilung der Drogenszene von 2001 erinnert mich unangenehmerweise ein wenig an die aufgezwungene Abschaltung von Kreuznet. 
Ich weiß; der Vergleich hinkt.
Aber bisher konnte der www-Mensch an dieser einen Stelle alle rechtsradikalen Fundis auf einem Haufen finden.
Nun fehlt ihnen der virtuelle Treffpunkt.
Dadurch haben die Hetzer aber weder aufgehört zu existieren, noch ist ihre Ideologie verschwunden.
Man fragt sich, wo sich der Abschaum nun versammelt, wie viele andere Portale jetzt von dem antihumanistischen Gedankenmüll infiziert werden.

Hoffentlich sind wir nicht vom Regen in die Traufe gekommen.

Fast vermisse ich Hakenkreuznet. 
Das war früher immer so schön einfach; ein Klick und man hatte die konzentrierte Kacke auf dem Präsentierteller ausgebreitet.


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