Mittwoch, 4. Juli 2012

Wenn Taten folgen.




Mir tut heute noch Franz Müntefering Leid, den vor der Erfindung des Ausdrucks „Shitstorm“ ein solcher ereilte, nachdem er 2005 beklagt hatte es sei unfair die Parteien immer an den Wahlversprechen zu messen.
Das wollten alle nur zu gerne falsch verstehen.
Gemeint hatte der damalige SPD-Chef natürlich nicht, daß Parteien generell lügen. 
Vielmehr beklagte er die Zwänge einer großen Koalition, in der die SPD zu allem Übel auch nur Juniorpartner war.
Natürlich kann ein Koalitionsvertrag nicht zu 100% dem Wahlprogramm einer Partei entsprechen.
Viele Köche haben in den Koalitionsverhandlungen die Chance den Brei zu verderben.

Ausnahmen gibt es nur, wenn zufällig alle Koalitionsparteien gleichermaßen lobbyhörig sind und über keinerlei Rückgrat verfügen.
So wurde die Hotelsteuerermäßigung von Schwarzgelb im Rekordtempo durch gewunken.

Einen ähnlichen Fall erleben wir gerade bei den Bundesanleihen für Privatkunden
Diese konnten gebührenfrei Bundesschatzbriefe kaufen, ohne daß die Banken daran mitverdienten. Den Banken war dadurch eine Konkurrenz zu ihren eigenen Produkten entstanden. 
Sie wünschten sich daher von ihrer Bundesregierung diesen Service für Kleinsparer einzustellen. 

Union und Liberale parierten.

Der Bund brüskiert die Privatkunden der Deutschen Finanzagentur. Gestern wurden die Kleinanleger überraschend auf der Homepage des Schuldenmanagers informiert, dass sie künftig unerwünscht sind. […]
Der Ausbau des Privatkundengeschäfts wäre der richtige Weg gewesen. Wohlbedacht hatte der Bund vor mehr als 40 Jahren erstmals Bundesschatzbriefe aufgelegt. Er wollte sich nicht einseitig von den Kapitalmärkten abhängig machen.
Gegenüber den Kunden ist die Entscheidung eine Unverschämtheit, der Zeitpunkt könnte nicht schlechter gewählt sein. […] Triumphieren kann nun die Finanzlobby. Die Banken haben die Konkurrenz nie gemocht und hinter den Kulissen stets dagegen gewettert. Vor ihnen ist Berlin eingeknickt.

In Frankreich ist gibt es das Koalitionsproblem nicht.

François Hollande ist mit absoluter Mehrheit direkt gewählt worden und in beiden französischen Parlamentskammern erlangte seine sozialistische Partei ebenfalls die absolute Mehrheit. 

Nach so einem Durchmarsch erinnert man sich an die Wahlversprechen ziemlich genau.
 Mit 75% wollte der Kandidat Hollande „die Reichen“ besteuern.
Das Volk gab dazu sein Plazet.
Im Ausland und in der französischen Presse konnte man sich nicht vorstellen, daß ein solcher Prozentsatz tatsächlich realisiert würde. 
Das sei Wahlkampfgetöse.
Durchsetzbar sei so ein Gesetz keinesfalls, da sonst alle französischen Millionäre aus dem Land fliehen würden.

Das ist Totschlagargumentation, um gleich solchen Vorschlägen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault scheint sich aber nicht um diese Unkenrufe zu kümmern und tatsächlich den 75%-Spitzensteuersatz einführen zu wollen.
Interessant.
Falls anschließend doch noch reiche Franzosen im Land bleiben sollten, würde es auch für die Steuersenkungsfanatiker aus der neoliberalen Ecke in Deutschland schwieriger werden.

In einer teilweise dramatischen, von Beifalls- und Buhrufen unterbrochenen Rede warnte der Sozialist Ayrault vor den Folgen der übermäßigen Staatsverschuldung. Während der vergangenen fünf Jahre unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe die öffentliche Verschuldung um 600 Milliarden Euro zugenommen. Der Schuldendienst sei der größte Posten im Staatshaushalt. 'Diese Situation akzeptiere ich nicht.' Ein verschuldetes Frankreich sei ein abhängiges Frankreich. Die heutige Generation dürfe Kindern und Enkeln keine erdrückenden Lasten hinterlassen. Um die öffentlichen Finanzen zu sanieren, setzt Ayrault auf einen Mix aus Einsparungen und Steuererhöhungen. […] Der Premier nannte eine höhere Einkommensteuer für Höchstverdiener. Von einer Million Euro Jahreseinkommen an soll ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent gelten. Zudem würden große Vermögen, Banken und Ölkonzerne stärker belastet. Kapitalerträge sollten wie Arbeitseinkünfte besteuert werden. Arme Bürger, aber auch die Mittelschicht, würden von Steuererhöhungen verschont.
(Stefan Ulrich 04.07.12)

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