Da beschäftige ich mich so viele Jahrzehnte intensiv mit deutscher Innenpolitik, glaube sogar ganz unbescheiden, mich da recht gut auszukennen und dann erwische ich mich selbst dabei, immer noch zu naiv zu sein.
So trat wenige Stunden nach der Brandenburgischen 12%-CDU-Katastrophe der womöglich schlechteste und korrupteste CDU-Bundesminister aller Zeiten im ARD-Morgenmagazin auf und log, daß sich die Balken biegen.
Am Erstarkten der AfD trage die Ampel die Schuld,
behauptete ausgerechnet der Mann, der sogar noch rechtsradikalere xenophobe
Schauermärchen, als sein Parteichef Merz verbreitet und sich als Flulltime-AfD-Werbeagentur
betätigt. Ermutigt davon, ungehindert auch die abstrusesten Lügengeschichten ausbreiten
zu können, fuhr Baron Münchhausen fort, für die CDU komme das Land immer vor
der Partei. Daher offerierten sie der Regierung ihre konstruktive
Zusammenarbeit. Die CDU habe schließlich nur ein Interesse daran, die Probleme
zu lösen und wolle sie keinesfalls noch ein Jahr bis zum Wahltag behalten. Ich
erwartete an dieser Stelle eigentlich, daß der liebe Gott ohnmächtig von seiner
Wolke herunter ins Studio kracht und fassungslos aufschlägt.
Stattdessen sagte Moderator Michael Strempel nur „vielen Dank Jens Spahn, für
das Gespräch“.
Es erinnerte sehr unangenehm an das CNN-Desaster der Biden-Trump-Debatte am 27.06.2024, als der orange Faschist seine Lügenshow abzog, ohne ein einziges mal von Dana Bash und Jake Tapper auf die Fakten verwiesen zu werden.
(….) Bash und Tapper, die beide hochkompetente, erfahrene, meinungsstarke Experten sind, ließen Trump auch die aberwitzigsten Lügen durchgehen, stellten nicht eine Sache richtig.
Ich kenne nicht die genauen Modalitäten, die zwischen der Trump- und der Biden-Kampagne ausgehandelt wurden. Möglicherweise war factchecking nicht erwünscht.
Aber beide Moderatoren wären intellektuell in der Lage gewesen, in Echtzeit auf die offensichtlichen Lügen Trumps hinzuweisen. Allein, sie taten es nicht.
CNN ließ Daniel Dale factchecken und strahlte seine Analyse auch aus – aber lange nach dem Ende der Debatte, als die Quoten schon wieder im Keller waren und Trump davon keinen Schaden mehr nehmen konnte. (….)
(Katastrophen und Katharsis, 28.06.2024)
Ob Donald Trump, der Urinduscher, Sahra Sarrazin oder
Jens Spahn – ich weiß natürlich, wie ungeheuer dreist und perfide die jeden Tag
lügen, aber wenn man es dann schwarz auf weiß sieht, ist man widersinnigerweise
doch überrascht. Wie kann man so abartig sein? Wie kann man damit durchkommen,
wie können Menschen das glauben, wie können sie das gut finden und sogar solche
grotesken Typen wählen?
Fragen, die ich zwar beantworten kann, die sich aber immer wieder neu stellen,
weil die braune Realität täglich auf’s Neue die Satire übertrifft.
Diese elende Scheinpolitik der rechtsradikalen Schwätzer und der Urnenpöbel frisst es! Es ist so offensichtlich, wie Merz die AfD stärkt. Aber der streitet es einfach ab und wird dafür nächster Bundeskanzler.
[….] Und doch steht an diesem Nachwahltag eine Frage im Raum, die direkt mit Merz und seiner Verantwortung zu tun hat, nämlich: Hat er das falsche Thema vorgegeben? Führt sein Kurs der maximalen Zuspitzung und Härte in der Asylpolitik womöglich in die Irre?
Merz hat in den vergangenen Wochen nach dem Messerattentat von Solingen mit Erfolg die bundespolitische Agenda bestimmt, die Regierung vor sich hergetrieben, das Thema gesetzt: Migration.
Er malte die Situation in düsteren Worten, er forderte umfassende Zurückweisungen aller Flüchtlinge an allen deutschen Grenzen, ohne je zu erklären, wie sich das umsetzen lassen könnte, wie viele Bundespolizisten es dafür bräuchte, wie man die vielen Sträßchen und Wanderwege kontrollieren soll und wie obendrein Pendler und Logistiker davon nichts merken sollen. Auch das hatte er versprochen.
Vor allem ließ sich die Bundesregierung auf Gespräche mit seiner CDU ein – und war dann sogar offenbar bereit, das Merz-Modell trotz Zweifel an der Rechtmäßigkeit in einem Pilotprojekt zu erproben. [….] Hinter der rhetorischen Eskalation der vergangenen Wochen steht aber auch die Analyse, dass die Union in der Migrationspolitik nicht glaubwürdig sei, als Spätfolge der Merkeljahre. [….] In der ARD-Nachwahlbefragung von Infratest Dimap sagten 55 Prozent der Befragten, die Union sei hauptsächlich verantwortlich dafür, dass in den vergangenen Jahren so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Nur zwölf Prozent machen die SPD, nur zehn Prozent die Grünen verantwortlich. [….] Am Kurs will [Merz] trotzdem festhalten: »Ich will aber ausdrücklich sagen: Bei der Flüchtlings- und Migrationspolitik bleiben wir bei unserer Haltung.«
Allerdings zeigte die Nachwahlbefragung auch noch andere überraschende Muster. Bei der Frage nach dem wahlentscheidenden Thema lag die Zuwanderung nur auf Platz drei der meistgenannten Themen, mit 17 Prozent. Hinter sozialer Sicherheit und der Wirtschaft.
Bei den SPD-Wählenden lag die Zuwanderung mit acht Prozentpunkten auf Platz vier. Unter den wenigen Wählerinnen und Wählern, die der CDU die Stange hielten, lag die Zuwanderung auf einem geteilten Platz vier, mit 14 Prozent. In der Wählerschaft der AfD dagegen lag sie mit 41 Prozent klar vorn.
Auch Merz’ Idee der Zurückweisung fast aller Flüchtlinge an den Grenzen, der Kern seiner Agenda, stieß in Brandenburg nur bei 44 Prozent der Befragten auf Zustimmung. Unter den CDU-Wählenden fanden es 60 Prozent richtig.
Anders gesagt: Die Bundes-CDU hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Republik über ein Thema redet, das für die eigenen Anhänger in Brandenburg gar nicht ganz vorn auf der Agenda steht, für die der AfD aber schon; mit einer Forderung, die nur eine Minderheit teilt; auf einem Themengebiet, auf dem die Partei immer noch keine hohe Glaubwürdigkeit hat. [….]
Noch sagenhafter ist nur Anmaßung der Kubicki-FDP, die nach Platz 10, hinter der Tierschutzpartei und „Plus Brandenburg“ bei der gestrigen Landtagswahl den starken Mann markiert.
[….] Verantwortlich für das Ergebnis, sagt Lindner, seien die »Rahmenbedingungen, die taktische Lage«. Und die Politik der Ampel, die von vielen Anhängern seiner Partei abgelehnt werde. Weswegen nun eben ein »Herbst der Entscheidungen« anstehe. Er sei jedenfalls »sprungbereit«.[….] Kubicki war auch nach der Brandenburg-Wahl noch am Sonntagabend wieder auf Sendung. Er formulierte eine Art Ultimatum an seine Partei: Entweder die Koalition erziele in den kommenden drei Wochen sichtbare Fortschritte in der Wirtschafts- und Migrationspolitik, sagte er Welt TV, oder »es macht für die Freien Demokraten keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken«.[….] Auch ein fixes Ende für diese Bewährungsphase der Ampel nennt Lindner: Der »Herbst der Entscheidungen« ende mit dem kalendarischen Winteranfang am 21. Dezember. [….]
Offenkundig wollen die Hepatisgelben weiter nerven und die Regierungspolitik blockieren.
Wieso geht die Majorität der Journalisten diesen Irrsinn mit? Wieso tun sie der AfD den Gefallen, sich fast nur noch mit Migration zu beschäftigen? Ist es nicht offensichtlich, was für eine irrsinnige Scheindebatte das ist?
Natürlich soll es Meinungsjournalismus geben. Aber das False Balancing der Maischbergers, Lanzen und Miosgas, die den rechten Hetzern immer wieder den roten Teppich ausrollen ist genauso wenig verzeihbar, wie schlafende MoMa-Moderatoren, die Jens Spahn seine Lügen achselzuckend durchgehen lassen.
Selbst der konservative Christian Burmeister gibt sich verärgert.
[….] „Entweder die Ampel zeigt, dass sie die nötigen Schlüsse aus diesen Wahlen ziehen kann, oder sie hört auf zu existieren“, sagte FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki direkt nach der Brandenburgwahl. „Das ist eine Angelegenheit von wenigen Wochen. Bis Weihnachten warten wir nicht mehr. Das ist dem Land nicht zuzumuten.“ [….] Es ist nachvollziehbar, dass bei der FDP nach einer Reihe von Wahlniederlagen die Nerven blank liegen. Allerdings blendet die Partei mit ihrem Ultimatum an SPD und Grüne ihren eigenen Anteil an der Lage weitgehend aus: Die Ampel ist weniger wegen der Grünen an sich verhasst, sondern weil sie handwerklich schlecht arbeitet und sich dauernd auf die kindischste Art und Weise streitet.
Es war die FDP, die fast jedes ambitionierte Projekt der Ampel torpediert hat – was zum chaotischen Gesamteindruck stark mit beigetragen hat. Wie wenig die FDP das Allgemeinwohl als vielmehr Spezialinteressen im Blick hat, zeigt auch der noch immer nicht endgültig geschnürtem Haushalt für 2025 – alle sollen sparen, nur die FDP-Minister müssen es nicht. [….] Das Ende der Ampel wäre kein Drama. Allerdings würden momentan wohl vor allem AfD und das BSW von einer vorgezogenen Neuwahl profitieren und das Land vor allem außenpolitisch in Turbulenzen bringen.
Die FDP könnte dies in Kauf nehmen. Oder sie kommt endlich zur Besinnung, hört auf die Schuld ständig bei anderen zu suchen und versucht es noch einmal mit konstruktiver Regierungspolitik für das verbleibende Jahr. Ob das die FDP retten würde, ist offen. Besser für das Land wäre ein solcher Versuch aber allemal! […]
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