Natürlich sind die USA in der westlichen Welt einsame Spitze, wenn es um Amokläufe und Waffenwahn geht. Insbesondere die selbsternannten Lebensschützer sind restlos begeistert davon, täglich mehrere Mass Shootings zu haben. Schusswaffen sind die Todesursache Nummer 1 bei US-amerikanischen Kindern.
Das Entsetzen über die Gleichgültigkeit der US-Christen über die Myriaden jedes Jahr durch Waffen getöteten Landsleute, verführt in Deutschland lebende Amerikaner wie mich zu Stoßseufzern.
Zum Glück gibt es das hier nicht, zum Glück läuft hier nicht jeder Irre mit einer geladenen Waffe rum!
Das ist aber nur relativ richtig. In Relation zu den USA, ist die Gefahr in Deutschland in eine Schießerei zu geraten, sehr gering. Die Wahrscheinlichkeit ist aber keineswegs Null. Gelegentlich erschießen frustrierte Teenager oder religiöse Fanatiker auch Dutzende Menschen.
Ein kurzer Blick auf Wikipedia hilft schon weiter. Da sind allein seit der Jahrhundertwende 13 Amokläufe in Deutschland aufgelistet. Das ist nicht nichts.
[….] 26. April 2002 in Erfurt, Thüringen: Beim Amoklauf von Erfurt erschoss der 19-jährige ehemalige Schüler Robert Steinhäuser am Gutenberg-Gymnasium 17 Menschen und sich selbst. [….]
20. November 2006 in Emsdetten, Nordrhein-Westfalen: Beim Amoklauf von Emsdetten verletzte der 18-jährige Sebastian Bosse an der Geschwister-Scholl-Schule 37 Menschen und tötete sich anschließend selbst. [….]
11. März 2009 in Winnenden, Baden-Württemberg: Beim Amoklauf von Winnenden erschoss der 17-jährige Tim Kretschmer in der Albertville-Realschule neun Schüler, drei Lehrerinnen und auf der sich anschließenden Flucht drei Passanten. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei nahm sich der Täter selbst das Leben. [….]
17. September 2009 in Ansbach, Bayern: Beim Amoklauf von Ansbach verletzte ein Schüler am Gymnasium Carolinum neun Schüler und eine Lehrerin. [….]
Auch in Deutschland sind fünf Millionen Menschen legal bewaffnet. Auch in Deutschland handelt es sich bei den Attentätern fast immer um „Sportschützen“. Auch in Deutschland könnten viele dieser Horrortaten verhindert werden, wenn nicht Waffen so leicht verfügbar wären. Auch in Deutschland sind es die Konservativen, die sich vehement für Waffenfreiheit einsetzen. CDU-Politiker machten sich 2005 nach der Ablösung Gerd Schröders gleich daran, das unter RotGrün verschärfte Waffenrecht zu lockern.
Ich fische mal ein uraltes, genau 14 Jahre altes Blogposting heraus, als in Merkels erster Groko Wolfgang Schäuble Innenminister und Ursula von der Leyen Familienministerin war:
(….) Nur Stunden nach den 11 Toten von Alabama, heute also in Winnenden 16 Tote. (26. April 02, Erfurt: 16 Tote) Schön ist das
nicht.
Interessant finde ich die Reaktionen auf der konservativen Seite:
Angela Merkel, die gerade in der Kritik der christlichen Fundi-Basis ihrer
Partei steht, nutzte die Gelegenheit an ihr Betroffenheitsstatement anzufügen,
daß sie nun für die Opfer BETE. Unsere fromme Kanzlerin.
Gewohnt sinnfrei die Anmerkungen der Familienministerin:
Sie wies darauf hin, dass solche Taten häufig von sozial isolierten
Jugendlichen begangen würden - und nahm indirekt Erziehungsberechtigte und
Aufsichtspersonen in die Pflicht: Diejenigen, die Waffen besäßen, müssten dafür
sorgen, dass "Nichtberechtigte keinen Zugang dazu" bekämen, forderte
die Ministerin.
Na Donnerschlach - welch Erkenntnis - es handelt sich dabei also um „sozial
isolierte Jugendliche“? Wer hätte das gedacht?! Es ist also kein ganz normales
SOZIALVERHALTEN in die Schule zu gehen und dort um sich zu schießen? Danke sehr
Frau von der Leyen, daß Sie das aufklären. Ein toller Tipp ist natürlich auch,
daß „Nichtberechtigte“ nicht an die Waffen kommen sollten! Welch Idee! Und ich hatte bisher angenommen, daß man
Kindern, sozial Gestörten und Verhaltensauffälligen aller Art extra geladene
Waffen in die Hand drücken sollte! War
es etwa nicht so wirklich füchsisch schlau von dem Vater des heutigen
Amokläufers, seinem irren Sohn die Beretta zugänglich zu machen?
Jörg K., der Vater des Amokläufers, besitzt als Mitglied eines
Schützenvereins laut Polizei legal 15 Schusswaffen. Nachbarn beschreiben ihn
als "typischen Patriarchen". Die Tatwaffe seines Sohnes, eine
großkalibrige Pistole der Marke Beretta, stammte demnach aus seinem Elternhaus.
Die anderen Politikerstatements sind durch die Bank weg hilflos und
nichtssagend. Ausnahmsweise will ich das auch gar nicht kritisieren - was
könnte man schon sagen? Passende Worte
gibt es da ohnehin nicht. Der
Pilgerstrom an den Ort des geschehen hat eingesetzt, Öttinger kam gar per Heli
eingeflogen und lungerte an der Schule rum. Es ist die Gelegenheit Aktion zu zeigen und
dem Publikum darzustellen, daß man „betroffen“ ist, nicht indolent und
achselzuckend zu Tagesordnung übergeht. Kümmern ist das Motto in
Wahlkampfzeiten.
Da wird allerlei vorgeschlagen, das Schlagzeilen bringt und ganz sicher wieder
in Vergessenheit gerät.
Einer, der sonst Mr. Knallhart schlechthin ist, hält
sich allerdings auffällig bedeckt: Unser
aller Innenminister Schäuble, der sonst geradezu davon besessen ist abzuhören,
videozuüberwachen, Email-Trojaner zu schicken und auch sonst jedes Grundrecht
zu beschneiden, weiß gerade also keine sicherheitspolitische Forderung, die
alles toppen würde?
Das mag daran liegen, daß Schäuble nicht gerne an seine Aktion vom September 2007 erinnert wird, als
sein Ministerium damit vorpreschte das nach Erfurt von Rot/Grün verschärfte
Waffenrecht zu lockern.
Daß man erst mit 21 Jahren an Waffen kommen darf, war dem CDU-Innenminister zu
streng. Künftig sollten schon 18-Jährige
Zugang zu Waffen bekommen.
Ein durchaus bemerkenswerter Vorgang - geht es hier doch um die Inkarnation des
Hardliners unter allen Politikern, der im krassen Widerspruch zu seiner
sonstigen Linie auf einmal ganz liberal wird - und das ausgerechnet beim Waffenrecht.
Schäuble geriet in unruhiges Fahrwasser und redete sich mit einer anstehenden
EU-Richtlinie heraus.
Eine Lüge - denn das EU-Recht läßt den Staaten freie Hand solange sie das
Mindestalter von 18 Jahren nicht noch UNTERschreiten.
Im Punkt „Parlament dreist anzulügen“, ist der Innenminister allerdings
Gewohnheitstäter - wir erinnern uns an die legendäre geldkofferlüge, die er vom
Rednerpult aus auf direkte Nachfragen von Christian Ströbele losließ.
Woher nun also dieser Drang der schwärzesten Unionsmänner bei der Verfügbarkeit
von Waffen alle Augen zuzudrücken?
Nun, da ist die Waffenlobby, die zwar nicht so
lange Arme wie ihr großer Bruder NRA hat, aber dennoch offenbar mühelos bis ins
Bundesinnenministerium langen kann. Nur blöd, daß es eine große Koalition gibt,
so daß Schäuble letztendlich gezwungen wurde den Plan wieder vom Tisch zu
nehmen.
Jürgen Kohlheim, Vizepräsident des Deutschen Schützenbundes, ist enttäuscht.
"Wir halten es für grundsätzlich sinnvoll, wenn die Verschärfungen, die
nach Erfurt erfolgt sind, wieder rückgängig gemacht werden", sagt er im
Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Auch beim "Forum Waffenrecht", einer
Interessensvereinigung für Waffenbesitz, wird die Volte aus dem
Schäuble-Ministerium bedauert. Die Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre sei
nie besonders sinnvoll gewesen, sagt deren Sprecher Joachim Streitberger.
Zum Anderen kommt Wolfgang Schäuble aus Baden Württemberg - der Heimat von
Waffenproduzenten wie Heckler und Koch.
A propos - was sagt denn eigentlich unser oberster Heckler und Koch-Propagandist Volker Kauder,
im Nebenberuf CDU-Fraktionsvorsitzender, zu dem heutigen Amoklauf?
Statt "eilig über die Verschärfung der Waffengesetze" zu
diskutieren, muss erstmal geklärt werden, was passiert ist und wie der Amokschütze
an die Waffen kommen konnte", sagte der CDU-Politiker. (….)
(Amerikanische Verhältnisse, 11.03.2009)
Wie so oft handelt es sich nach den am Wochenende ganz in meiner Nähe erschossenen acht Zeugen Jehovas nicht nur um eine an sich schon deprimierende Nachricht, sondern sie wird noch deprimierender, weil wir schon so lange wissen, was man dagegen tun könnte, das aber politisch nicht nur nicht umsetzen, sondern der Urnenpöbel sich solche Regenten wählt, die sogar ausgesprochen eifrig für das Falsche kämpfen.
[….] Acht Menschen, darunter ein ungeborenes Kind, starben am Donnerstagabend beim Amoklauf von Hamburg. Dem schnellen Eingreifen der Polizei in der Gemeinde der Zeugen Jehovas ist es zu verdanken, dass der Täter kein noch schlimmeres Massaker anrichtete: Er hatte noch 20 geladene Magazine für seine halbautomatische Pistole im Gepäck; mit jeweils bis zu 15 Schuss. [….] Der Fall erschüttert auch das Vertrauen ins Waffenrecht. Denn Behörden hatten schon im Januar einen Hinweis bekommen, dass der spätere Täter, ein Sportschütze, zur Gefahr werden könnte - wegen großer Wut auf "religiöse Anhänger" und "seinen früheren Arbeitgeber", wie die Polizei nun sagt. Seine Pistole durfte er trotzdem behalten. Ermittler sahen sich rechtlich außerstande, sie ihm abzunehmen.
Schmerzhafter könnte die Lehre kaum sein. Das Verbrechen und die hilflosen Behörden machen klar: Die Bundesregierung muss den seit Monaten schwelenden Streit um schärfere Waffengesetze endlich beenden und handeln. [….] Doch schon seit Monaten scheitert eine Verschärfung des Waffenrechts an Union und FDP. [….] Wer jetzt nicht handelt, macht sich womöglich später schuldig. [….]
(Markus Balser, SZ, 13.03.2023)
Danke CDU, CSU, AfD und FDP, daß Ihr die Amokläufe weiterhin möglich macht.
Und danke Urnenpöbel, daß Du wie die GOP-Wähler in den USA, dafür sorgst, daß solche Typen in der Regierung sitzen.
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