Heute war ich beim Augenarzt. Eigentlich bin ich arztfaul und das Gegenteil eines Hypochonders, gehöre der Fraktion „wird schon von allein wieder weggehen“ an.
Aber bei Dentisten und Ophthalmologen mache ich eine Ausnahme und gehe brav alle 12 Monate hin, um mich durchchecken zu lassen. Das sind Ärzte, die nur an den Kopf gehen, so daß ich mich nicht ausziehen muss. Bei Zähnen fürchte ich mich vor Schmerzen und Augen sind mein Lieblingsorgan. Als Leseratte und Podcast-Hasser brauche ich die extrem dringend.
Das soll natürlich kein allgemeiner Rat sein; ab 40 Jahren muss man alles Mögliche regelmäßig nachsehen lassen. Auch nicht die Männergesundheit vergessen! PSA-Wert, Finger in den Po und Hoden abtasten lassen; also all das worum ich mich bisher erfolgreich gedrückt habe.
Meinen Augenarzt mag ich sehr gern, die Praxis funktioniert perfekt, ist schön eingerichtet, es gibt ganz leise klassische Musik und er ist angenehm schweigsam und distanziert, konzentriert sich auf die Untersuchungen und hält sich nicht mit Smalltalk auf.
Der Luxus des Privatpatienten-Daseins besteht darin stets eine Ophthalmoskopie, also eine klassische Netzhautspiegelung zu bekommen. In unserem grandiosen Zweiklassenmedizin-System, das ohne FDP-Regierungsbeteiligung zugunsten einer Bürgerversicherung abgelöst worden wäre, ist das als Vorsorge keine Kassenleistung. Der AOK-Plebs muss erst krank sein, um so eine Untersuchung bezahlt zu bekommen, da es als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) gilt. Dabei gibt die Ophthalmoskopie wertvolle Hinweise.
[….] Netzhautuntersuchungen geben beispielsweise Hinweise auf Augenerkrankungen wie Schädigungen des Sehnerv-Kopfes durch Glaukom, auf Makuladegeneration (AMD genannt), Netzhautrisse oder Einrisse der Netzhaut (vor allem bei Kurzsichtigkeit), Tumoren oder Entzündungen des Augeninneren. Tatsächlich kann die Untersuchung der Netzhaut nicht nur dazu beitragen, Augenerkrankungen und Sehverschlechterungen zu vermeiden. Vielmehr hat der Augenarzt so auch die Möglichkeit, Diabetes oder Bluthochdruck zu erkennen und kann damit helfen, schwere Folgeschäden zu vermeiden. Die Darstellung der feinsten Blutgefäße in der Netzhaut des Auges gibt dem Arzt beispielsweise Gelegenheit, bei erhöhtem Blutdruck oder bei Zuckerkrankheit das Stadium der Erkrankung frühzeitig zu bestimmen oder zu erkennen. [….]
Die Prozedur an sich ist nicht schmerzhaft, aber dennoch sehr lästig, weil zunächst die Pupille erweitert werden muss. Dafür werden mehrfach anticholinerg wirkende Augentropfen (zB Tropicamid) verwendet. Nach 10 bis 20 Minuten sind die Pupillen maximal aufgerissen, so daß man extrem blendempfindich wird und kaum noch sehen kann. Für die Kontaktglasuntersuchung werden anschließend noch Betäubungstropfen und ein dickes Kontaktgel auf die Augenhornhaut gegeben. Die Untersuchung selbst dauert nur ein paar Minuten. Ich mag den Part gar nicht, wenn man sich endlich das Gel aus den Augen wischen darf, aber währenddessen mit dem Tupfer das Auge gar nicht recht spürt, weil es noch betäubt ist.
Aber noch viel lästiger sind natürlich die heftigen Sehstörungen. In der Praxis muss man eine Erklärung unterschreiben, mindestens drei Stunden nicht mehr Auto zu fahren und keine Maschinen zu bedienen. In meinem Fall wirkt das Tropicamid allerdings so stark, daß ich 24 Stunden nicht mehr gut sehen kann.
Um diesen Text zu schreiben, habe ich vorher meinen Computer auf Nachtmodus, 200% Schriftgröße und minimale Helligkeit gestellt.
Heute traute ich mich daher, den Arzt zu fragen, ob er nicht auch eine digitale Ophthalmoskopie anbieten könne. Dann erspart man sich die widerliche Prozedur mit den Augentropfen, weil nur ein Foto gemacht wird und man kann nach zwei Minuten ohne irgendwelche Einschränkungen die Praxis wieder verlassen. Die digitale, oder Scanning Laser Ophthalmoskopie (SLO) ist ein Verfahren, bei dem die obere Netzhaut von einem Laser abgetastet und als digitale Abbildung ausgegeben wird.
Mein Augenarzt hält aber gar nichts davon, weil man bei der SLO nicht die Peripherie der Netzhaut sehen kann und gerade die sei besonders wichtig, weil dort Degenerationen und Ablösungen begännen. Die klassische Augenspiegelung sei sehr viel gründlicher, weil man bis ganz weit rechts und links und oben und unten alles ausleuchten und bei 16-facher Vergrößerung betrachten könne. Der Grund, weswegen seine Kollegen immer mehr die digitale Variante anböten, läge eher in den Anschaffungskosten der SLO-Geräte.
Der wichtigstes Hersteller dieser Hightech-Medizingeräte ist Optos und es wird seine Gründe haben, daß ich keine Preise dafür ergoogeln kann.
Hier betritt man offenbar die Sphäre der Lobbyisten und Ärztefunktionäre.
Mein Augenarzt sagt, so ein OPTOMAP-SLO müsse rund um die Uhr im Einsatz sein, damit sich der enorme Preis amortisiere. Die klassische Augenspiegelung hingegen verursache gar keine Gerätekosten, lediglich ein paar Cent für die Augentropfen und die Arbeitszeit des Ophthalmologen.
Die letzte Ausgabe von Anja Reschkes „Panorama“ berichtete monothematisch darüber, wie in Deutschland hunderte Arztpraxen; insbesondere Augenärzte, aber auch zunehmend Neurologen und Zahnärzte von Finanzheuschrecken aufgekauft werden. Denn mit Gerätemedizin lässt sich noch richtig viel Geld verdienen.
[…..] Augenheilkunde besonders attraktiv für Investoren
Ein Bereich, der für Investoren offenbar besonders attraktiv erscheint, ist die Augenheilkunde. Nach Panorama-Recherchen gehören in Deutschland inzwischen mehr als 500 Augenarztpraxen internationalen Finanzfirmen. Das sind etwa dreimal so viele wie vor drei Jahren. Geschätzt arbeitet mittlerweile etwa ein Fünftel aller ambulant tätigen Augenärzte in Ketten von Investoren. […]
In einigen Städten gibt es keine Auswahlmöglichkeiten mehr für Patienten; sie müssen sich an Ärzte wenden, die Finanzinvestoren gehören, die einen enormen wirtschaftlichen Druck ausüben.
Wenn bis zu 20% Rendite erzielt werden, also jeder fünfte Euro aus dem System an Heuschrecken in London oder Hongkong oder Fonds in Luxemburg fließt, kann man sich vorstellen, wie in solchen Praxen die Frage klassische Augenspiegelung zum Preis von ein paar Tropfen Scanning Tropicamid (inklusive Peripherie), versus Laser Ophthalmoskopie mit Optomap (ohne Details am Rande der Netzhaut) entschieden wird.
[…..] Klar ist: Geld verdienen wollen die Investoren auf jeden Fall. Eine Renditeerwartung von 20 Prozent ist laut Finanzexperten üblich. Diese Gewinne erzielen sie, in dem sie Praxen hinzukaufen, sie in einem größeren Konzern zusammenführen und diesen dann einige Jahr später zu einem möglichst hohen Preis an einen anderen Investor weiterverkaufen. "Buy-and-Build" - "Kaufe-und-Wachse" - nennt sich die Strategie. Die von Investoren geführten Ketten bieten Medizinern für ihre Arztsitze oft hohe Beträge und drängen so andere aus dem Markt. Und nicht nur in der Augenheilkunde zeigt sich dieser Trend. Investoren übernehmen auch Praxen von Zahnärzten, Radiologen, Orthopäden, Gynäkologen, Nierenfachärzten, Internisten und Allgemeinmedizinern. Das bleibt offenbar nicht ohne Folgen - auch für die Patienten. Die Investoren bestreiten zwar vehement, dass sich die Versorgung verschlechtere. Doch zahlreiche Hinweise und Indizien zeigen etwas anderes: Ein System, in dem der wirtschaftliche Druck auf Ärzte steigt, das sich auf besonders gewinnträchtige Operationen ausrichtet und aus dem offenbar viel Geld aus der Solidargemeinschaft an unbekannte Profiteure fließt. […..] "Die Augenheilkunde ist ein Gewerbe geworden", sagt etwa eine Augenärztin im Interview. Sie hat für zwei große investorengeführte Ketten gearbeitet. "Es ist einfach ein Gewerbe, in dem möglichst viel Geld verdient werden soll." Sie berichtet davon, dass sie Patienten möglichst viele Zusatzleistungen verkaufen sollte, die sie selbst zahlen müssten - etwa für spezielle Untersuchungen. Vor allem sei es aber um die Operation des Grauen Stars gegangen. "Da sollten wir möglichst hohe Stückzahlen rekrutieren", sagt die Ärztin. Denn mit solchen einfachen Standard-Eingriffen lässt sich offenbar gut verdienen. […..] Viele Augenärzte [berichten], dass es insbesondere in Ballungsgebieten für junge Mediziner kaum mehr möglich sei, sich selbstständig niederzulassen. Denn die großen Ketten würden hohe Summen für Arztsitze bieten. Die Preise seien in den vergangenen Jahren "explodiert", sagt etwa ein Kieler Augenarzt. […..] Eine Studie, die die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung [zeigt das]. Demnach zielen investorengeführte Ketten stärker auf die Rendite ab. Sie würden "vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen", heißt es in der Studie des IGES Instituts aus dem Jahr 2020. […..] (Panorama, 07.04.2022)
Wie viele Arztpraxen inzwischen für hochgradig rendite-orientierte private Equity Fonds wirtschaften weiß man nicht. Spahns und Gröhes Gesundheitsministerium hat sich nie darum gekümmert, Transparenz für die Patienten gibt es nicht.
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