Die FDP hasse ich ununterbrochen seit 1982.
Der fliegende Wechsel von Schmidt zu Kohl war ein unverzeihlicher Frevel. Schließlich hatte die FDP im Wahlkampf 1980 in einer ausdrücklichen Zweitstimmenkampagne dafür geworben, Helmut Schmidt zum Kanzler zu machen, war von SPD-Sympathisanten und taktischen Wählern angekreuzt worden, um den Unionskanzler Strauß zu verhindern.
Und eben diese Stimmen verwendeten Lambdorff und Genscher nun dazu, die anti-intellektuelle, amoralische Antipode zu Schmidt – den kriminellen Pfälzer Provinzler Kohl – zum Kanzler zu machen.
In Hamburg verlor die bis dahin sehr linkliberale FDP anschließend die Hälfte ihrer Mitglieder. Meine Elterngeneration, Onkel, Tanten, Oma, Freunde meiner Eltern hatten alle 1980 die FDP gewählt, um Schmidt zum Kanzler zu machen.
Alle grollten der FDP für den 1982er Schock bis an ihr Lebensende. Wenigstens verdankt die SPD der miesen Genscher-Aktion durch Parteiübertritte einige sehr verdienstvolle Köpfe wie Ingrid Matthäus-Maier und Günther Verheugen. Für die Bundesrepublik Deutschland ging es aber bergab.
Es begann die Zeit der katastrophalen Klientel-Wirtschaftsminister.
(…..) Ingrid Matthäus-Maier, *1945, Verwaltungsrichterin, eine der klügsten Personen, die ich kenne, spielt als wichtigste Atheistin Deutschlands als Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung immer noch eine große Rolle. Seit 1966 setzt sie sich in der Humanistischen Union für die Trennung von Staat und Kirche ein. Im Bundestag brillierte sie als Finanzexpertin, die anders als alle anderen Finanzpolitiker die Gabe besaß Zahlen anschaulich, verständlich und einprägsam darzustellen.
„Wissen Sie, was eine Milliarde ist? Sie haben eine Milliarde, wenn Sie achtzehn Jahre lang Woche für Woche eine Million im Lotto gewinnen.“
(IMM)
Sie war aber auch eine begnadete Parteipolitikerin. Ich erinnere mich noch an eine Generalaussprache, als sie auf die
Vorstellung des Haushalts von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt Mitte
der 1990er klagte:
„Wir hatten einen Bangemann, wir hatten einen Haussmann, wir hatten einen Möllemann – wann bekommen wir endlich einen Fachmann?“
Erhört wurde ihre Klage freilich nie. Fünf Bundeswirtschaftsminister von der FDP in Folge hatten das Amt abgewirtschaftet. Rexrodt war nicht nur wie seine Vorgänger überfordert, sondern wurde gar nicht mehr ernst genommen. Die Presse beschrieb ihn als peinlichen „Grüßaugust“, den noch nicht mal Industrielobbyisten beeinflussen mochten, weil zu offensichtlich war wie desinteressiert und machtlos er war. (….)
(Der Abstieg der Wirtschaftsminister, 31.01.2019)
Die FDP wurde immer schlimmer. 2000 bis 2002 trieben es Jürgen Möllemann und Guido Westerwelle mit ihrem populistischen antisemitischen Rechts-Kurs so weit, daß sie sogar FDP-Urgestein Hamm-Brücher aus der Partei drängten.
In einer widerlichen Mischung aus Rechtspopulismus und Seichtheit („Spaßwahlkampf“, „gelbes Guidomobil“, „Projekt 18“), brachte es die FDP 2002 auf 7,4% und sicherte immerhin RotGrün die Fortführung ihrer Koalition.
Als ernstzunehmende Kraft hatte sich die Westerwelle-FDP endgültig verabschiedet. Der chronische Lügner und Blender Westerwelle entwickelte sich fortan zum „Krawattenmann des Jahres“, warf alle Inhalte über Bord, wiederholte bis zum Jahr 2009 unablässig die drei Worte „Steuersenkungen Steuersenkungen Steuersenkungen“. Der FDP-Großzampano landete schließlich unvorbereitet, intellektuell hoffnungslos überfordert als Außenminister und Vizekanzler in der Bundesregierung, die bis heute als schlechteste Regierung seit Adolf Hitler gilt. Es gelang rein gar nichts. Westerwelle verlor den Parteivorsitz, jede Achtung der Wähler. Generalsekretär Lindner machte sich 2011 fluchtartig aus dem Staub, die Minister beschimpften sich gegenseitig als „Gurkentruppe“ und Wildsäue“. Am Ende landete die FDP zu Recht mit unter 5% in der APO.
Kaum zu glauben, aber anschließend wurde es noch schlimmer.
Der zurückgekehrte, neue starke Mann Christian Lindner robbte sich immer wieder ungeniert an die AfD ran, spuckte rechtspopulistische, xenophobe Töne und tat nach der Jamaika-Verhandlungen von 2017 das, was er schon17 Jahre zuvor als Unternehmer* und 2011 als Generalsekretär geübt hatte: Mit brauner voller Hose wegrennen, wenn es schwer wird.
*Im Jahr 2000 setzte Jung-Lindner Millionen mit seiner Totgeburt-Firma MOOMAX in den Sand und brummte die Schulden einfach der KfW-Bank auf.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden dieser Linder und diese FDP bedeutende Koalitionspartner der nächsten Bundesregierung und Partner der SPD sein.
Sicher ist natürlich noch nichts, aber da sich die gesamte CDU gerade kopfüber selbst ins Klo stürzt, gibt es de facto keine anderen Koalitionsmöglichkeiten mehr:
[…..] Würde nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen 2017 nun auch der Versuch misslingen, eine Ampelkoalition zu bilden, bliebe wieder nur jene Option, die weder die Wähler noch die Gewählten wollen: eine große, diesmal rot-schwarze Koalition. Das politische System in Deutschland würde im Stillstand verharren. Es erwiese sich als unfähig, den Interessengegensätzen und Widersprüchen in der Gesellschaft anders zu begegnen als mit jeder Menge Kleister. Auch der theoretische Ausweg eines erneuten Jamaika-Versuchs ist in der Praxis zumindest für den Moment kaum noch einer. Die CDU ist mit sich selbst beschäftigt, und niemand erwiese ihr oder dem politischen Gefüge einen Dienst, wenn er sie dabei stört. Auch in der FDP, die einer Koalition mit Union und Grünen den Vorzug gegeben hätte, ist diese Erkenntnis allmählich angekommen. [….]
(Daniel Brössler, SZ, 15.10.2021)
Und eben dieser, von mir seit 39 Jahren gehassten FDP, werde ich zähneknirschend Erfolg wünschen.
Ich wünsche Lindner Erfolg, weil Olaf Scholz Recht hat: Wenn eine der Koalitionsparteien sich unterrepräsentiert fühlt, glaubt, die anderen setzten sich mehr durch, wird sie nicht mit vollem Einsatz für den Erfolg der Regierung kämpfen.
Dann passieren Wildsau-Gurkentruppen-Desaster (2009-2013) oder eskapistische „besser nicht, als falsch regieren“-Peinlichkeiten (2017).
Es hätte also keinen Sinn, wenn sich Grüne und SPD fast völlig durchsetzen und die FDP nur Kröten schluckt.
Ich wünsche Lindner Erfolg, weil auch Franz Müntefering Recht hat: Es ist unfair Koalitionsparteien an ihren Wahlprogrammen zu messen. Das könnte man nur, wenn sie eine absolute Mehrheit hätten.
Hätte die SPD 50% der Stimmen bekommen, dürfte man mit vollem Recht erwarten, daß sie 100% ihres Wahlprogrammes umsetzt. Aber weder hat die SPD eine absolute Mehrheit, noch haben Grüne und Rote zusammen einen Kanzlermehrheit. Der Souverän hat ihnen (wie ich finde, unglücklicherweise) durch das Wahlergebnis befohlen, auch kontraproduktiven Mist aus dem FDP-Programm zu berücksichtigen. Und, oh Wunder, alle drei Parteien, scheinen seriös mitzuarbeiten.
[….] SPD, Grüne und FDP einigen sich auf Koalitionsverhandlungen: Das erste Ampelwunder.[….] Die SPD trat nicht auf wie die Kanzlerpartei, die FDP nicht wie das Anhängsel. »Wir sind überzeugt, nach diesen Gesprächen, dass es lange Zeit keine vergleichbare Chance gegeben hat, Gesellschaft, Wirtschaft und Staat zu modernisieren«, sagte FDP-Chef Christian Lindner. [….] Aber vielleicht konnten sich nur so diese sehr unterschiedlichen Parteien so schnell aufeinander einlassen. »Es ist ein bewegender Moment, so etwas möglich zu machen«, sagt Ricarda Lang, stellvertretende Grünenvorsitzende und Teil des Sondierungsteams. [….]
Es wird ganz gegen meinen Willen kein Tempolimit geben – ein klimapolitischer und tödlicher Irrsinn; durchgesetzt vom protzenden Porsche-Fahrer Lindner.
Es wird keine deutlichen Steuererhöhungen für Superreiche geben.
Auch die von SPD und Grünen gewünschte Bürgerversicherung wird nicht kommen, weil die Partei der Besserverdienenden weiterhin auf Zweiklassenmedizin mit Privilegien für Besserverdienende wie Lindner besteht.
Den meisten Sozis tut das sehr weh. Den weitgehend reichen Grünen-Wählern wird es gefallen. Aber eine Ampel kann nicht gelingen, wenn die FDP nicht den Triumpf fühlen darf, den ungeliebten Genossen und Ökopaxen Schmerzen zuzufügen.
In dem 12-seitigen Sondierungspapier stehen dafür viele Dinge, die mit Merkel oder Laschet nie möglich gewesen wären.
Endlich können ein paar uralte Zöpfe abgeschnitten werden.
[…..] Auch gesellschaftspolitisch muss Deutschland moderner werden. Die wenigen Fortschritte der Vergangenheit, etwa die Ehe für alle, mussten der Union mühsam abgenötigt werden. Dass Schwule aber weiter diskriminiert werden, zum Beispiel bei der Blutspende, passt nicht zu einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft. Dass es Ärzten nach wie vor verboten ist, eigenständig und öffentlich über ihre Methode der Abtreibung zu informieren, ebenso wenig. Hier könnten Grüne, FDP und SPD nach der Ära Merkel einmal ordentlich durchlüften. Das war schon nach der Ära Adenauer und der Ära Kohl nötig und erfolgte dann auch. […..]
(SPIEGEL-Leitartikel von Markus Feldenkirchen, 09.10.2021)
Die SPD betont heute erwartungsgemäß ihre sozialen Essentials.
👉 Respekt und Zusammenhalt durch einen Mindestlohn von 12 Euro, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr gegen die steigenden Mieten, eine Kindergrundsicherung als neues Kindergeld und eine stabile Rente.
👉 Industrielle und technologische Modernisierung. Dazu gehört auch der digitale Aufbruch in Gesellschaft, Wirtschaft und bei der Arbeit unseres Staates.
👉 Der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel mithilfe einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft, die klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeitsplätze schafft.
(SPD, 15.10.2021)
Vielleicht ist die FDP bereit sich zu ändern, nicht nur ihren Animositäten zu frönen, sondern tatsächlich die schwere Verantwortung auf sich zu nehmen, gemeinsam mit Sozis und Grünen, Deutschland den dringend benötigten Modernisierungsschub zu verpassen.
Vielleicht behält die FDP dabei sogar das große Ganze im Auge und akzeptiert, daß es nicht ausreicht, wie 2009-2013 die hochspeziellen Partikularinteressen ihrer Millionenspender zu befriedigen – Hotelsteuererleichterung, Pharmalobbyisten in der Medikamentenzulassung.
[….] Vielleicht meinen sie es wirklich ernst! Die Spitzen der kommenden Ampel reden irritierend viel von Aufbruch und Erneuerung. [….] Diese Rhetorik des Aufbruchs ist eine Irritation. Das können die doch nicht wirklich so meinen? Ein Blick in das Ergebnispapier der Sondierungen verstärkt die Irritation dann um ein Vielfaches: Vollkommen ungewohnt konkret steht darin, was diese kommende Koalition sich vorgenommen hat. Sie will Genehmigungsverfahren für Investitionen doppelt so schnell machen wie bisher. Jedes Gesetz will sie einem »Digitalisierungscheck« unterwerfen. Sie will auf dem Land in die Internet- und Verkehrsanbindung investieren. [….]
Für das „Konkrete“, das ergebnisorientierte Durchregieren, könnte Olaf Scholz ein Glücksfall sein. Er ist so hochintelligent, daß er alle Projekte mit antreiben und supervisen wird.
Er lässt sich nicht wie Söder oder Merz von seiner Eitelkeit leiten, so daß er auch den Partnern Erfolge gönnen wird, ohne sich selbst immer in die Sonne zustellen.
Er ist im Gegensatz zu Angela Merkel sehr hartnäckig, bohrt dicke Bretter, statt alles bald wie sie wieder fallen zu lassen, wenn er auf Widerstand stößt.
Er schaut voraus und handelt proaktiv, statt wie Laschet in den Tag zu träumen und dann überrascht zu regieren.
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